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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 03.07.2000
Aktenzeichen: 1 BvR 945/00
Rechtsgebiete: GG, BVerfGG, TVG


Vorschriften:

GG Art. 9 Abs. 3
BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 a Abs. 2
BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3
TVG § 3 Abs. 3
TVG § 4 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 945/00 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

der I... GmbH & Co.

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Prof. Dr. Rüdiger Zuck und Koll., Möhringer Landstrasse 5, Stuttgart -

gegen

das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 9. März 2000 - 8 Sa 1906/99 -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Kühling, die Richterin Jaeger und den Richter Hömig gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 3. Juli 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

1. Zwischen der Beschwerdeführerin, einer Arbeitgeberin der Metallbranche, und dem Kläger des Ausgangsverfahrens bestand langjährig ein Arbeitsverhältnis. In diesem Arbeitsverhältnis galt aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit kraft Verbandszugehörigkeit der Manteltarifvertrag Metall Nordrhein-Westfalen von 1988 (künftig: MTV 1988), der bei Arbeitnehmern, die ein bestimmtes Lebensalter und eine bestimmte Dauer der Betriebszugehörigkeit erreicht haben, die ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber ausschließt. Diese Voraussetzungen trafen auf den schwerbehinderten Kläger unstreitig zu. Zum Ablauf des Jahres 1995 trat die Beschwerdeführerin aus dem Arbeitgeberverband aus. Im Jahr 1996 wurde ein neuer Manteltarifvertrag vereinbart, der auch wieder die genannte Kündigungsschutzbestimmung vorsieht. 1998 erkrankte der Kläger langandauernd, was die Beschwerdeführerin zu einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses veranlasste. Daraufhin erhob der Kläger Kündigungsschutzklage.

2. Das Arbeitsgericht sah die außerordentliche Kündigung als unwirksam an, da die Beklagte nicht die notwendige Zustimmung der Hauptfürsorgestelle hierzu eingeholt hatte. Allerdings erweise sich die ordentliche Kündigung als wirksam. Auf die Berufung des Klägers änderte das Landesarbeitsgericht das Urteil ab und stellte auch die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung fest. Diese sei durch die entsprechende Bestimmung im MTV 1988 ausgeschlossen. Die Regelung sei trotz Verbandsaustritts der Beschwerdeführerin weiter auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden. Auch nach dem Verbandsaustritt der Beschwerdeführerin sei sie nach § 3 Abs. 3 TVG weiterhin tarifgebunden geblieben, bis der MTV 1988 geendet habe. Dies sei zwar im Dezember 1996 durch Abschluss eines neuen Manteltarifvertrages der Fall gewesen, doch schließe sich an den Zeitraum der fortgeltenden Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 TVG eine Nachwirkung des alten Tarifvertrages für das ausgetretene Verbandsmitglied nach § 4 Abs. 5 TVG bis zum Abschluss einer anderen Abmachung an. Zu einer anderen Abmachung sei es im Arbeitsverhältnis der Parteien aber bislang nicht gekommen.

3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG durch das Urteil des Landesarbeitsgerichts. Dies habe zu Unrecht eine Nachwirkung des Tarifvertrages angenommen, was sie in ihrer negativen Koalitionsfreiheit beeinträchtige. Für eine solche Beschränkung der Freiheitsrechte des Arbeitgebers gebe es keinen rechtfertigenden Grund.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.

1. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Soweit der Fall Fragen der negativen Koalitionsfreiheit aufwirft, lassen sich diese anhand der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lösen (vgl. BVerfGE 31, 297 <302>; 44, 322 <352>; 50, 290 <367>; 55, 7 <22>; 64, 208 <213 f.>; 93, 352 <357 ff.>).

2. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der von der Beschwerdeführerin als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es liegt kein Verstoß gegen eine aus Art. 9 Abs. 3 GG folgende negative Koalitionsfreiheit vor.

a) Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet als individuelles Freiheitsrecht das Recht des Einzelnen, eine Koalition zu gründen, einer Koalition beizutreten oder ihr fernzubleiben oder aus ihr auszutreten, sowie das Recht, durch koalitionsmäßige Betätigung die in der Verfassungsvorschrift genannten Zwecke zu verfolgen (vgl. BVerfGE 50, 290 <367>; 55, 7 <21>; 57, 220 <245>; 64, 208 <213>; vgl. auch BVerfGE 73, 261 <270>; 92, 365 <393>). Elemente der Gewährleistung der Koalitionsfreiheit sind demnach insbesondere die Gründungs- und Beitrittsfreiheit, die Freiheit des Austritts und des Fernbleibens (vgl. BVerfGE 50, 290 <367>). Voraussetzung für eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit wäre, dass ein Zwang oder Druck auf die nicht Organisierten ausgeübt wird, einer Organisation beizutreten (vgl. BVerfGE 31, 297 <302>). Dabei steht beispielsweise die gesetzliche Regelung über die Allgemeinverbindlicherklärung von tariflichen Inhaltsnormen einer negativen Koalitionsfreiheit nicht entgegen. Die Freiheit, sich einer anderen als der vertragsschließenden oder keiner Koalition anzuschließen, wird durch diese gesetzliche Regelung (vgl. § 5 TVG) nicht beeinträchtigt, Zwang oder Druck in Richtung auf eine Mitgliedschaft nicht ausgeübt (vgl. BVerfGE 44, 322 <352>; vgl. auch BVerfGE 55, 7 <22>). Dabei ist insbesondere bei für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen davon auszugehen, dass das individuelle Grundrecht des Einzelnen, zur Wahrung und zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden und an der verfassungsrechtlich geschützten Tätigkeit seiner Koalition teilzunehmen, nicht generell dadurch verletzt wird, dass für sein Arbeitsverhältnis solche Inhaltsregelungen gelten, die von ihm fremden Verbänden ausgehandelt worden sind (vgl. BVerfGE 44, 322 <351 f.>).

b) Die negative Koalitionsfreiheit der Beschwerdeführerin wird durch die Anwendung von § 4 Abs. 5 TVG auf ihren Fall nicht unmittelbar berührt. Durch die Kündigung der Mitgliedschaft zum Arbeitgeberverband im Jahre 1995 ist die Beschwerdeführerin mit Ablauf des Jahres 1995 aus diesem Verband ausgeschieden.

Die negative Koalitionsfreiheit der Beschwerdeführerin könnte allenfalls mittelbar dadurch betroffen sein, dass sie sich von dem Verband gelöst hat, die von dem Verband ausgehandelten Verträge aber nach wie vor für sie gelten. Dies führt vorliegend aber nicht zu einer Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG. Im Stadium der Nachwirkung eines Tarifvertrages nach § 4 Abs. 5 TVG können die ehemals zwingend und unmittelbar geltenden Tarifvertragsbestimmungen, welche ohnehin nur für bereits bestehende Arbeitsverhältnisse gelten, jederzeit durch einzelvertragliche oder kollektive Vereinbarungen ersetzt werden. Es geht allein darum, das ausgetretene Verbandsmitglied gegenüber denjenigen Vertragspartnern an der alten tarifvertraglichen Regelung festzuhalten, gegenüber denen sie vormals kraft Tarifgebundenheit gegolten hat, bis eine neue Abmachung getroffen wurde. Dabei hat es die Beschwerdeführerin grundsätzlich selbst in der Hand, die Nachwirkung des alten Tarifvertrages nach § 4 Abs. 5 TVG dadurch zu beseitigen, dass sie mit den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern anderweitige Abmachungen trifft. Sie hat die Möglichkeit, sich von dem Tarifvertrag zu lösen, den der Verband abgeschlossen hat, aus dem sie nunmehr ausgetreten ist. Sie kann selbst ihre Vorstellungen vom richtigen Inhalt der Arbeitsverhältnisse durch Aufnahme von Verhandlungen durchzusetzen versuchen.

Anders als bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen geht es bei der Nachwirkung von Tarifverträgen um die Geltung eines Regelwerkes, welches von einem Verband, dem die Beschwerdeführerin ehemals angehörte, abgeschlossen wurde und dessen Geltung sie jederzeit mit eigenen Abmachungen beseitigen kann. Ein Anreiz auf Unterlassen des Austritts oder auf Wiedereintritt besteht hier nicht, da vom Verband neu ausgehandelte Verträge ohnehin nicht mehr für die Beschwerdeführerin gelten und der Austritt für sie den Vorteil bringt, dass die Regelungen in Zukunft dispositiv sind. Wenn schon bei der Allgemeinverbindlicherklärung nur ein unerheblicher Druck in Richtung auf Verbandsbeitritt vorliegt (vgl. BVerfGE 44, 322 <352>; 55, 7 <22>), scheidet ein solcher im Falle der Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG ganz aus.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



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