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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 18.07.2000
Aktenzeichen: 1 BvR 948/00
Rechtsgebiete: AEntG, BVerfGG, BauArbbV, SGB III, TVG, GG
Vorschriften:
AEntG § 1 Abs. 3 a | |
AEntG § 1 | |
AEntG § 7 | |
BVerfGG § 93 b | |
BVerfGG § 93 a | |
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe a | |
BVerfGG § 90 Abs. 1 | |
BauArbbV § 1 | |
SGB III § 211 Abs. 1 | |
TVG § 5 | |
GG Art. 9 Abs. 3 | |
GG Art. 80 Abs. 1 Satz 2 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 948/00 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. des B... e.V.,
2. der M... GmbH,
3. der S... GmbH,
4. der H... GmbH,
- Bevollmächtigter: Professor Dr. Rupert Scholz, Koenigsallee 71 a, Berlin -
gegen
die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 25. August 1999 (BGBl I S. 1894) in Verbindung mit der Rechtsverordnungsermächtigung des § 1 Abs. 3 a Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) in der Fassung vom 19. Dezember 1998 (BGBl I S. 3843, 3850)
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Kühling, die Richterin Jaeger und den Richter Hömig gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 18. Juli 2000 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführer, ein Baugewerbeverband und drei ihm angehörige Unternehmen des Baugewerbes, wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 25. August 1999 (BGBl I S. 1894; künftig: BauArbbV), welche auf dem seit 1. Januar 1999 geltenden § 1 Abs. 3 a des Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz - AEntG) vom 26. Februar 1996 (BGBl I S. 227), zuletzt geändert durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998 (BGBl I S. 3843, 3850) beruht.
Durch § 1 BauArbbV werden die Rechtsnormen des Tarifvertrages zur Regelung eines Mindestlohns im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 26. Mai 1999 (künftig: Mindestlohn-Tarifvertrag), abgeschlossen zwischen dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e.V. und dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. einerseits sowie der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt andererseits, auch auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstreckt, wenn der Betrieb überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch erbringt. Die Rechtsnormen des Tarifvertrages gelten damit auch für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und ihre im Geltungsbereich der Rechtsverordnung beschäftigten Arbeitnehmer (vgl. § 1 Abs. 3 a AEntG).
Die Beschwerdeführer gehören keiner der tarifvertragsschließenden Parteien an. Die Beschwerdeführerinnen zu 2) bis 4) sind aufgrund der durch die BauArbbV erfolgten Erstreckung des vorstehend benannten Mindestlohn-Tarifvertrages verpflichtet, ihren Arbeitnehmern ab 1. September 1999 wenigstens eine Vergütung von 16,28 DM brutto pro Stunde zu zahlen. Die Beschwerdeführer rügen in erster Linie eine Verletzung von Art. 9 Abs. 3 und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG durch die BauArbbV in Verbindung mit § 1 Abs. 3 a AEntG.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne von § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu. Sie wirft keine Fragen auf, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten lassen oder die noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt sind (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Soweit der Fall Fragen der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) aufwirft, lassen sich diese anhand der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lösen (vgl. BVerfGE 31, 297 <302>; 44, 322 <351 f.>; 50, 290 <367>; 55, 7 <21 ff.>; 64, 208 <213 f.>; 93, 352 <357 ff.>). Gleiches gilt für die Frage der Erfüllung der Bestimmtheitserfordernisse des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 1, 14 <59 f.>; 58, 257 <276 ff.>; 58, 283 <290 f.>; 78, 249 <272>).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Ein Verstoß gegen Grundrechte der Beschwerdeführer liegt nicht vor. Insbesondere verstößt die BauArbbV in Verbindung mit § 1 Abs. 3 a AEntG weder gegen die positive noch gegen die negative Koalitionsfreiheit der Beschwerdeführer. Diese werden durch die angegriffene Regelung weder zwangsweise Mitglied der tarifvertragsschließenden Verbände noch wird es ihnen damit unmöglich gemacht, sich anderweitig als Koalition im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG zusammenzuschließen. Soweit durch die Geltungserstreckung des Mindestlohn-Tarifvertrages aufgrund der BauArbbV ein mittelbarer Druck entstehen sollte, um der größeren Einflussmöglichkeit willen Mitglied einer der tarifvertragsschließenden Parteien zu werden, ist dieser nicht so erheblich, dass die negative Koalitionsfreiheit verletzt würde. Diesbezüglich gelten für die Geltungserstreckung durch Rechtsverordnung die gleichen Erwägungen, mit denen das Bundesverfassungsgericht die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen nach § 5 TVG für mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar angesehen hat (vgl. BVerfGE 44, 322 <349 ff.>, 55, 7 <21 ff.>). Allein die Wahl einer anderen Rechtsform für die Erstreckung eines Tarifvertrages auf Außenseiter ändert an Inhalt und Ergebnis der Erwägung zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, auf die insoweit verwiesen wird, nichts.
Der Gesetzgeber war auch frei, sich für eine andere Rechtsform als die in § 5 TVG geregelte Allgemeinverbindlicherklärung zu entscheiden. Dies gilt umso mehr, als eine Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 3 a AEntG nur erlassen werden kann, wenn zumindest eine der tarifvertragsschließenden Parteien durch einen entsprechenden Antrag ihr Interesse daran bekundet hat und auch den Außenseitern aufgrund ihres Rechts zur vorherigen schriftlichen Stellungnahme nicht jede Einflussmöglichkeit genommen ist. Ferner kommt die gegenseitige Kontrolle der tarifvertragsschließenden Parteien im Ergebnis auch den Außenseitern zu Gute. Die Erstreckung des Mindestlohn-Tarifvertrages auch auf sie ist zudem durch die staatliche Mitwirkung im Rahmen der Verordnungsgebung in hinreichendem Maße demokratisch legitimiert. Ob für die vorstehenden Erwägungen etwas anderes gelten könnte, wenn der Geltungsbereich eines Tarifvertrages auf Außenseiter erstreckt würde, der von im konkreten Bereich völlig unbedeutenden Koalitionen abgeschlossen wurde, bedarf keiner Erörterung, da eine solche Konstellation hier ersichtlich nicht vorliegt.
3. Die Verordnungsermächtigung des § 1 Abs. 3 a AEntG verstößt auch nicht gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, da sie hinreichend genau bestimmt ist. Die Verordnungsermächtigung bezieht sich nur auf bereits tarifvertraglich vereinbarte Arbeitsbedingungen in einer bestimmten Branche (Bauhauptgewerbe oder Baunebengewerbe), erfasst mit den Entgeltregelungen, Urlaubs- und Urlaubskassenregelungen nur bestimmte Arbeitsbedingungen und nur Arbeitgeber, die überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs. 1 SGB III erbringen. Sowohl der angesprochene Personenkreis als auch die regelbare Materie wird in den §§ 1, 7 AEntG abschließend aufgezählt. Es ist klar festgelegt, welche Arten von Tarifverträgen mit welchen Inhalten, welchen Regelungsgegenständen und welchem regelungsunterworfenen Personenkreis durch Rechtsverordnung auf Außenseiter erstreckt werden können, so dass für den Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes hinreichend klar vorhersehbar war, welchen Inhalt eine spätere Rechtsverordnung haben wird.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese EEntscheidung ist unanfechtbar
Ende der Entscheidung
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