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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 29.03.2007
Aktenzeichen: 2 BvE 2/07
Rechtsgebiete: BVerfGG, GG
Vorschriften:
BVerfGG § 32 | |
BVerfGG § 32 Abs. 1 | |
BVerfGG § 63 | |
BVerfGG § 64 Abs. 3 | |
GG Art. 24 Abs. 2 | |
GG Art. 59 Abs. 2 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES
- 2 BvE 2/07 -
In dem Organstreitverfahren
über die Anträge
I. festzustellen,
1. dass die Bundesregierung die Rechte des Deutschen Bundestags aus Artikel 59 Absatz 2 Grundgesetz dadurch verletzt hat, dass sie sich an der konsensualen Fortentwicklung des Nordatlantik-Vertrags von 1955 beteiligt hat, die gegen wesentliche Strukturentscheidungen des Vertrags verstößt und sich dadurch außerhalb des durch das Zustimmungsgesetz abgesteckten Ermächtigungsrahmens stellt,
2. dass die Bundesregierung durch Beteiligung an dem erweiterten ISAF-Mandat im Sinne des Beschlusses des Deutschen Bundestags vom 9. März 2007 die Rechte des Deutschen Bundestags aus Artikel 59 Absatz 2 Grundgesetz verletzt hat,
II. im Wege der einstweiligen Anordnung
der Bundesregierung aufzugeben, den Vollzug ihres Beschlusses vom 7. Februar 2007 über die erweiterte Beteiligung deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der ISAF bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen.
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter Vizepräsident Hassemer, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau am 29. März 2007 beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe:
A.
Die Anträge im Organstreitverfahren betreffen die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan.
I.
1. a) Nach dem Sturz des Taliban-Regimes einigten sich die größten ethnischen Gruppen Afghanistans im November und Dezember 2001 in der "Petersberger Konferenz" auf das "Übereinkommen über vorläufige Regelungen in Afghanistan bis zur Wiederherstellung dauerhafter staatlicher Institutionen" vom 5. Dezember 2001, die so genannte "Bonner Vereinbarung". Darin ersuchten die Teilnehmer der Konferenz den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, die baldige Entsendung einer Truppe im Rahmen eines Mandats der Vereinten Nationen in Erwägung zu ziehen; diese Truppe werde dazu beitragen, die Sicherheit in Kabul und den umgebenden Gebieten zu gewährleisten, und könne gegebenenfalls nach und nach auch in anderen Städten und weiteren Gebieten eingesetzt werden. Am 20. Dezember 2001 genehmigte der Sicherheitsrat in seiner 4443. Sitzung die Einrichtung einer Internationalen Sicherheitsbeistandstruppe (International Security Assistance Force - ISAF), um die afghanische Interimsverwaltung bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und Umgebung zu unterstützen. Der Sicherheitsrat verlängerte im Folgenden diese Genehmigung, zuletzt in seiner 5521. Sitzung mit der Resolution 1707 (2006) vom 12. September 2006 um ein weiteres Jahr bis zum 13. Oktober 2007.
b) Die Bundesregierung beantragte am 21. Dezember 2001 die Zustimmung des Deutschen Bundestags zur Beteiligung deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan, die der Deutsche Bundestag am 22. Dezember 2001 erteilte. Zur Begründung ihres Antrags führte die Bundesregierung unter anderem aus, dass die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe ein wesentlicher Beitrag Deutschlands zur Implementierung des auf dem Petersberg in Gang gesetzten nationalen Versöhnungsprozesses in Afghanistan sei. Die völkerrechtliche Grundlage hierfür finde sich in der Bonner Vereinbarung und den Resolutionen des Sicherheitsrats zu Afghanistan. In verfassungsrechtlicher Hinsicht handelten die deutschen Streitkräfte bei ihrer Beteiligung an der Sicherheitsunterstützungstruppe in Umsetzung der Resolution 1386 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 2001 im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG. Der zunächst auf ein halbes Jahr befristete Einsatz wurde im Folgenden aufgrund entsprechender Anträge der Bundesregierung verlängert, zuletzt bis zum 13. Oktober 2007. Status und Rechte der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe richten sich nach den zwischen der NATO und der Regierung von Afghanistan getroffenen Vereinbarungen.
2. a) Im August 2003 übernahm die NATO die Führung der ISAF-Mission. Das zunächst auf das Gebiet Kabuls und seiner Umgebung beschränkte ISAF-Mandat wurde mit der Resolution des UN-Sicherheitsrats 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003 auf das gesamte Gebiet Afghanistans ausgeweitet. Im Juni 2004 beschloss die NATO auf ihrem Gipfeltreffen in Istanbul, das erweiterte Mandat wahrzunehmen. Dies betraf bis Mitte 2006 zunächst den Norden und Westen des Landes. Sodann übernahm ISAF am 31. Juli 2006 auch die Verantwortung für die Südregion sowie am 5. Oktober 2006 für die Ostregion Afghanistans. In diesen Landesteilen mit schwieriger Sicherheitslage waren zuvor allein die USA und sie unterstützende weitere Staaten im Rahmen der Operation Enduring Freedom tätig. Diese Operation zur - auch militärischen - Bekämpfung des Terrorismus, mit der die USA auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 antworten, hatte im Oktober 2001 mit einer militärischen Offensive gegen das afghanische Taliban-Regime begonnen.
Aufgrund der Ausweitung von ISAF überschneidet sich nunmehr dessen Einsatzgebiet mit dem der Operation Enduring Freedom. Der ISAF-Operationsplan sieht "eine restriktive Übermittlung von Aufklärungsergebnissen" an die Operation Enduring Freedom vor, "wenn dies zur erfolgreichen Durchführung der ISAF-Operation oder für die Sicherheit von ISAF-Kräften erforderlich ist" (s. BTDrucks 16/4298, S. 3). In seiner Mandatierung der ISAF-Mission auf der Grundlage von Kap. VII der Charta der Vereinten Nationen hat der UN-Sicherheitsrat ISAF immer wieder explizit zur Kooperation mit der Operation Enduring Freedom aufgefordert (s. etwa die Resolution 1510 <2003> vom 13. Oktober 2003) und die im Zuge der Ausweitung der ISAF-Mission erfolgende engere Zusammenarbeit der Operationen ausdrücklich begrüßt (s. die Resolution 1659 <2006> vom 15. Februar 2006).
b) Auf dem NATO-Gipfel in Riga am 28./29. November 2006 gaben die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten eine Gipfelerklärung über die zukünftigen Herausforderungen der NATO ab und verabschiedeten eine "Comprehensive Political Guidance", die einen Rahmen für die zukünftige Ausrichtung des Verteidigungsbündnisses vor dem Hintergrund sich wandelnder Bedrohungslagen setzen soll.
3. a) Am 8. Februar 2007 beantragte die Bundesregierung die Zustimmung des Deutschen Bundestags zu der erweiterten deutschen Beteiligung an der NATO-geführten Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan mit Fähigkeiten zur Aufklärung und Überwachung in der Luft. Zur Begründung heißt es unter anderem, bereits die am 28. September 2006 beschlossene Verlängerung des Mandats für die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an ISAF habe unter der Erwartung der Ausweitung von ISAF auf ganz Afghanistan gestanden, die am 5. Oktober 2006 mit der Übernahme der Verantwortung für die ISAF-Ostregion vollzogen worden sei. Damit stelle sich die NATO neuen Herausforderungen, insbesondere einer angespannteren Sicherheitslage. Notwendig sei daher aus Sicht der NATO auch die Fähigkeit zur Aufklärung aus der Luft. Der Aufklärung im gesamten Verantwortungsbereich von ISAF komme eine hohe Bedeutung zu. Der Antrag der Bundesregierung solle es ermöglichen, diese Fähigkeiten in Ergänzung des bereits bestehenden deutschen Beitrags zu ISAF zu stellen. Für die Aufgabe der Aufklärung und Überwachung aus der Luft seien Aufklärungsflugzeuge vom Typ "Tornado RECCE" vorgesehen, die über die Fähigkeit zur abbildenden Aufklärung am Tag und in der Nacht verfügten. Diese Aufklärungsflugzeuge verfügen über Eigen- und Selbstschutzeinrichtungen; sie sollen nicht zur Luftnahunterstützung bei Kampfaktionen ("Close Air Support") eingesetzt werden (s. BTDrucks 16/4298, S. 3).
b) Der Deutsche Bundestag stimmte diesem Antrag der Bundesregierung am 9. März 2007 zu. Der Vollzug des Beschlusses hat noch am selben Tage begonnen.
II.
Die Antragstellerin hat am 20. März 2007 die im Rubrum wiedergegebenen Anträge im Organstreitverfahren sowie den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Aussetzung des Vollzugs der Truppenentsendung nach Afghanistan gestellt.
1. Zur Begründung ihrer Anträge im Organstreitverfahren trägt sie vor:
a) Die Anträge seien zulässig. Als Fraktion des Deutschen Bundestags sei die Antragstellerin nach § 63 BVerfGG im Organstreitverfahren parteifähig und könne im eigenen Namen Rechte geltend machen, die dem Bundestag gegenüber der Bundesregierung zustünden. Die Antragsbefugnis ergebe sich daraus, dass die Antragstellerin eine Verletzung der Rechte des Bundestags aus Art. 59 Abs. 2 GG dadurch geltend mache, dass die Antragsgegnerin den NATO-Vertrag ohne erneute Beteiligung des Bundestags durch Einleitung eines förmlichen Gesetzgebungsverfahrens über die durch das Integrationsprogramm des Vertrags gesetzten Grenzen hinaus fortentwickelt habe. Die Antragsfrist nach § 64 Abs. 3 BVerfGG sei gewahrt; denn die mit dem Antrag zu 1. gerügte Mitwirkung der Antragsgegnerin an der Fortentwicklung des NATO-Vertrags sei ein Prozess, der spätestens mit dem neuen Strategischen Konzept der NATO von 1999 eingesetzt habe und sich bis heute fortsetze. Auch in Bezug auf die mit dem Antrag zu 2. gerügte Maßnahme sei die Antragsfrist gewahrt.
b) Die Anträge seien auch begründet. Das Mitwirkungsrecht des Bundestags gemäß Art. 59 Abs. 2 GG sei verletzt, weil die Bundesregierung an einer Fortentwicklung des NATO-Vertrags mitgewirkt habe, die die Grenzen des durch das Zustimmungsgesetz abgesteckten Integrationsprogramms überschreite.
Das ergebe sich zum einen daraus, dass die NATO sich mit ihrer Führung der ISAF-Mission an einem militärischen Einsatz beteilige, der keinen Bezug mehr zur Sicherheit im euro-atlantischen Raum aufweise, auf die der NATO-Vertrag, auch in seiner Fortentwicklung bis hin zum neuen Strategischen Konzept der NATO von 1999, abstelle. Die von der Bundesregierung mitzuverantwortende Änderung des NATO-Vertrags manifestiere sich in zahlreichen rechtsverbindlichen Dokumenten und beinhalte eine Reihe von Maßnahmen, die zu einem fundamentalen Bedeutungswandel maßgeblicher Strukturentscheidungen des NATO-Vertrags führten. So sei der Erklärung der NATO-Mitgliedstaaten anlässlich des NATO-Gipfels in Riga vom 29. November 2006 eine Neuausrichtung des Bündnisses im Sinne eines "globalen Sicherheitsdienstleisters" zu entnehmen. Das Bundesverfassungsgericht habe aber noch in seinem Urteil zum neuen Strategischen Konzept der NATO von 1999 (BVerfGE 104, 151) den Bezug militärischer Sicherheitsmaßnahmen zur euro-atlantischen Region als ein maßgebliches Element des vertraglichen Integrationsprogramms angesehen, über das hinaus der NATO-Vertrag nicht ohne förmliche Vertragsänderung fortentwickelt werden dürfe. Dies geschehe aber, wenn die NATO weltweit Krisenreaktionseinsätze durchführe, die, wie die ISAF-Mission in Afghanistan, zum euro-atlantischen Raum keinerlei unmittelbaren Bezug mehr hätten. ISAF sei der erste Kampfeinsatz der NATO "out of area" und diene nicht speziell der euro-atlantischen, sondern der afghanischen Sicherheit. Deshalb sei der Deutsche Bundestag in seinem Recht aus Art. 59 Abs. 2 GG verletzt.
Überdies sieht die Antragstellerin eine Fortentwicklung des NATO-Vertrags über das vertragliche Integrationsprogramm hinaus darin, dass Mitgliedstaaten der NATO, allen voran die Vereinigten Staaten von Amerika, in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche Maßnahmen getroffen hätten, die mit dem geltenden Völkerrecht unvereinbar seien. Dadurch werde versucht, einen Wandel des Völkerrechts, auch des NATO-Vertrags anzustoßen.
Zum anderen sei das Integrationsprogramm dadurch überschritten, dass die Bundesrepublik Deutschland sich mit ihrer Beteiligung an der erweiterten ISAF-Mission an einem Einsatz beteilige, der in Afghanistan parallel zu und in vielfältiger Verbindung mit der Operation Enduring Freedom stattfinde. Diese Kooperation von ISAF mit der Operation Enduring Freedom, insbesondere in Form der Weitergabe von im Rahmen der ISAF-Mission gewonnenen Aufklärungsergebnissen, überschreite bereits das ISAF-Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Durch dieses werde es nicht legitimiert, dass sich ISAF derart in die Operation Enduring Freedom integriere, dass sie "notwendiger Teil ihrer Kampfhandlungen" werde.
Darüber hinaus führe das Zusammenwirken von ISAF mit der Operation Enduring Freedom dazu, dass den NATO-Staaten die Völkerrechtswidrigkeit der letztgenannten Operation zuzurechnen sei. Völkerrechtlich könne die Anwendung militärischer Gewalt im Rahmen des Anti-Terror-Kampfes der Operation Enduring Freedom in Afghanistan nur gerechtfertigt sein, wenn entweder ein Mandat des UN-Sicherheitsrats nach Kap. VII der Charta der Vereinten Nationen vorliege oder der Einsatz als kollektive Selbstverteidigung im Sinne von Art. 51 der UN-Charta einzuordnen sei; beides sei jedoch nicht der Fall. Im Übrigen sei die afghanische Regierung zwar dem Grunde nach mit der fortdauernden Gewaltanwendung durch die Operation Enduring Freedom, nicht aber mit den konkreten Maßnahmen im Einzelfall, die wiederholt gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen hätten, einverstanden. Durch die dadurch ausgelöste Völkerrechtswidrigkeit der ISAF-Mission werde das Integrationsprogramm des NATO-Vertrags überschritten, da dieses Bündnis nach Art. 24 Abs. 2 GG strikt der Friedenswahrung verpflichtet bleiben müsse. Auch insoweit sei daher das Beteiligungsrecht des Deutschen Bundestags nach Art. 59 Abs. 2 GG verletzt.
2. Zur Begründung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung trägt die Antragstellerin vor: Ihr Antrag in der Hauptsache sei weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die im Rahmen der Entscheidung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG zu treffende Folgenabwägung müsse zu ihren Gunsten ausfallen. Wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, würde in einen Kernbestand der verfassungsrechtlich zwingenden Beteiligung des Deutschen Bundestags an der auswärtigen Gewalt eingegriffen. Die Beachtung des Verfahrens nach Art. 59 Abs. 2 GG als Strukturmerkmal der auswärtigen Gewalt habe im organisationsrechtlichen Gefüge des Grundgesetzes ein hohes Gewicht. Überdies führe die Vernetzung der Militäroperationen ISAF und Operation Enduring Freedom zu einer weitreichenden und heute noch nicht genau absehbaren Verantwortungsmitübernahme der Bundesrepublik Deutschland für völkerrechtswidrige Akte der letztgenannten Operation. Würde dagegen die einstweilige Anordnung erlassen und stellte sich später heraus, dass die Hauptsacheanträge unbegründet seien, so träten keine schwerwiegenden Folgen ein. Der Einsatz der Tornados würde sich lediglich verzögern, was aber die Kooperationsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der NATO nicht grundsätzlich in Frage stelle.
III.
Die Antragsgegnerin hält den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für unbegründet. Die Anträge in der Hauptsache seien teilweise unzulässig, jedenfalls aber offensichtlich unbegründet. Auch auf der Basis einer Folgenabwägung könne der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg haben.
1. a) Der Hauptsacheantrag zu 1. sei unzulässig, da insoweit die Antragsfrist nach § 64 Abs. 3 BVerfGG nicht eingehalten worden sei. Die Antragstellerin stütze ihre Argumentation auf einen Prozess, der "spätestens" mit dem neuen Strategischen Konzept der NATO von 1999 begonnen habe. Diese Behauptung einer "schleichenden" Entwicklung könne aber nicht dazu führen, dass die Antragsfrist im Organstreitverfahren umgangen werde.
b) Die Hauptsacheanträge seien jedenfalls offensichtlich unbegründet; die Antragsgegnerin habe Rechte des Bundestags aus Art. 59 Abs. 2 GG nicht verletzt. Weder liege eine Überschreitung des Integrationsprogramms des NATO-Vertrags unter Mitwirkung der Antragsgegnerin vor noch werde die durch Art. 24 Abs. 2 GG festgelegte Zweckbestimmung der NATO zur Friedenswahrung verlassen.
aa) Der vorliegende Organstreit werfe im Wesentlichen die gleichen Fragen auf wie das von der Antragstellerin seinerzeit angestrengte Verfahren gegen das neue Strategische Konzept der NATO von 1999. Bereits in diesem Verfahren habe das Bundesverfassungsgericht in der Möglichkeit von Krisenreaktionseinsätzen außerhalb des Bündnisgebiets gerade keine Fortentwicklung des NATO-Vertrags über die Grenzen des Integrationsprogramms hinaus erkannt; einen solchen Krisenreaktionseinsatz stelle die ISAF-Mission dar.
Die Gipfelerklärung von Riga und die "Comprehensive Political Guidance" vom 29. November 2006 belegten das Gegenteil dessen, was die Antragstellerin aus diesen Dokumenten entnehme. Denn in der Gipfelerklärung werde die bereits 1999 getroffene Feststellung einer sich fortentwickelnden Sicherheitslage lediglich bekräftigt. Die "Comprehensive Political Guidance" halte fest, dass es sich bei der Instabilität gescheiterter Staaten und bei regionalen Krisen und Konflikten um wesentliche Risiken und Herausforderungen der NATO in der Zukunft handle. Damit sei eine Fortentwicklung der NATO über das Integrationsprogramm des NATO-Vertrags hinaus nicht ersichtlich.
bb) Soweit die Antragstellerin geltend mache, die Bundesregierung nehme an einer Umwandlung des NATO-Systems teil, das nicht mehr der Friedenswahrung diene oder Angriffskriege vorbereite, verkenne sie, dass sich der ISAF-Einsatz auf ein Mandat des UN-Sicherheitsrats stütze, zuletzt auf dessen Resolution 1707 (2006) vom 12. September 2006; darin habe der Sicherheitsrat ISAF auch ausdrücklich aufgefordert, mit der Operation Enduring Freedom zusammenzuarbeiten. Überdies arbeite die afghanische Regierung mit beiden Missionen eng zusammen und habe zu keiner Zeit eine Beendigung der Einsätze gefordert. Schließlich sei auch nicht erkennbar, in welchem Zusammenhang die von der Antragstellerin angegriffene Tornado-Entsendung mit dem Irak-Krieg und angeblichen Präventivschlägen sowie weiteren Maßnahmen der Vereinigten Staaten von Amerika stehe; denn all diese Handlungen spielten sich, so die Vorwürfe überhaupt zuträfen, jedenfalls außerhalb des NATO-Kontextes ab, sodass sie für eine Wandlung des NATO-Vertrags von vornherein nicht herangezogen werden könnten.
Soweit die Antragstellerin die Völkerrechtskonformität der Operation Enduring Freedom in Zweifel ziehe, sei daran zu erinnern, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in seiner Resolution 1368 (2001) vom 12. September 2001 das Recht der Vereinigten Staaten zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung ausdrücklich anerkannt und diese Resolution immer wieder bekräftigt habe, auch in der Resolution 1707 (2006) vom 12. September 2006 betreffend das jüngste ISAF-Mandat. Doch unabhängig davon, wie einzelne Aspekte der Durchführung der Operation Enduring Freedom völkerrechtlich zu beurteilen seien, komme eine generelle wechselseitige Zurechnung etwaiger völkerrechtswidriger Akte zwischen ISAF und der Operation Enduring Freedom schon vor dem Hintergrund der Mandatierung der Kooperation dieser Mission durch den UN-Sicherheitsrat nicht in Betracht. Damit stehe ISAF mit dem Völkerrecht in Einklang, sodass auch eine Verletzung des Bundestags in seinem Recht aus Art. 59 Abs. 2 GG wegen eines Verstoßes der NATO gegen das Gebot der Friedenswahrung zu verneinen sei.
2. Jedenfalls aber könne eine Folgenabwägung nur zur Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Vollzug des Entsendebeschlusses führen. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, hätte das Hauptsacheverfahren aber Erfolg, würde der von der Antragstellerin behauptete schwere Nachteil für den Bundestag nicht eintreten. Selbst wenn man der Auffassung sei, das Integrationsprogramm des NATO-Vertrags werde überschritten, sei diese Feststellung noch im Hauptsacheverfahren ohne weiteres möglich, und die Tornado-Aufklärungsflüge in Afghanistan könnten nach einer Hauptsacheentscheidung jederzeit eingestellt werden. Deshalb treffe die Behauptung der Antragstellerin, dass rechtlich irreversible Fakten geschaffen würden, nicht zu. Demgegenüber wögen die Folgen für die Bundesrepublik Deutschland und insbesondere für die deutschen Soldaten in Afghanistan besonders schwer, wenn die einstweilige Anordnung erginge, das Hauptsacheverfahren aber ohne Erfolg bliebe. Werde der mit dem angegriffenen Entsendebeschluss der Bundesregierung festgelegte deutsche Beitrag jetzt nicht erbracht, würde die erfolgreiche Umsetzung des ISAF-Mandats in Frage gestellt. Die für das Frühjahr, insbesondere ab April 2007 zu erwartende Offensive militanter Kräfte in Afghanistan werde die NATO vor besondere Herausforderungen stellen. Im Hinblick auf diese Sicherheitsbedrohung habe sich die Bundesregierung entschieden, die Schlüsselressource "RECCE-Tornado" der Allianz für Mitte April 2007 zuzusagen. Könne nun diese Entsendung aufgrund einer einstweiligen Anordnung nicht erfolgen, werde dadurch auch die Sicherheitslage der deutschen Soldaten in Afghanistan deutlich verschlechtert. Zudem sei der Vorwurf mangelnder Solidarität im NATO-Bündnis zu erwarten, was insbesondere deshalb schwer wiege, weil Deutschland seinerseits auf die Bündnispartner angewiesen sei, da etwa das deutsche Kontingent über keine eigenen Kampfverbände verfüge. Dadurch ergäben sich auch schwerwiegende außen- und bündnispolitische Folgen: Die formale Anzeige der Tornado-Entsendung durch das Bundesministerium der Verteidigung an die NATO am 9. März 2007 sei ein deutliches Zeichen der Bündnissolidarität gewesen. Eine Aussetzung der Entsendung zum gegenwärtigen Zeitpunkt stelle aus der Sicht der NATO-Partner daher die Berechenbarkeit und Bündnisfähigkeit Deutschlands, ja seine Glaubwürdigkeit und politische Zuverlässigkeit in Frage.
B.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber unbegründet.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln. Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben. Für eine einstweilige Anordnung ist allerdings kein Raum, wenn der in der Hauptsache gestellte Antrag sich von vornherein als unzulässig oder als offensichtlich unbegründet erweist.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren bedeutet einen Eingriff des Bundesverfassungsgerichts in die Autonomie eines anderen Verfassungsorgans. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 BVerfGG ist deshalb grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 104, 23 <27>; 106, 51 <58>; 108, 34 <41>). Der Erlass kann allein der vorläufigen Sicherung des strittigen organschaftlichen Rechts der Antragsteller dienen, damit es nicht im Zeitraum bis zur Entscheidung der Hauptsache durch Schaffung vollendeter Tatsachen überspielt wird (vgl. BVerfGE 89, 38 <44>; 96, 223 <229>; 98, 139 <144>; 108, 34 <41>). In dem hier zu beurteilenden Fall ist ein strenger Maßstab insbesondere auch deshalb geboten, weil eine Maßnahme mit völkerrechtlichen und außenpolitischen Auswirkungen in Rede steht (vgl. BVerfGE 33, 195 <197>; 83, 162 <171 f.>; 88, 173 <179>; 89, 38 <43>; 108, 34 <41>).
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist deshalb nur begründet, wenn eine vorläufige Regelung zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum allgemeinen Wohl dringend geboten ist. Fehlt es an dieser Dringlichkeit, kann eine einstweilige Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG nicht ergehen.
2. Nach diesem Maßstab ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im vorliegenden Verfahren abzulehnen. Dabei kann offen bleiben, ob die Anträge in der Hauptsache unzulässig oder ob sie offensichtlich unbegründet sind und ob die Nachteile für die von der Antragstellerin in Prozessstandschaft als verletzt gerügten Rechte des Deutschen Bundestags aus Art. 59 Abs. 2 GG im Rahmen einer Folgenabwägung überwiegen würden. Die beantragte einstweilige Anordnung ist schon zur Abwehr schwerer Nachteile nicht dringend geboten.
a) Für eine einstweilige Anordnung ist kein Raum, wenn das Bundesverfassungsgericht die Hauptsache so rechtzeitig zu entscheiden vermag, dass durch diese Entscheidung die schweren Nachteile, denen die einstweilige Anordnung entgegenwirken soll, vermieden werden können. Dringlich in diesem Sinne ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nur dann, wenn im Hinblick auf das im Hauptsacheverfahren als verletzt gerügte Recht ein schwerer Nachteil droht, der durch ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren nicht mehr verhindert oder rückgängig gemacht werden kann (vgl. BVerfGE 12, 36 <40>).
b) Daran fehlt es hier. Es ist nicht ersichtlich, dass im Hinblick auf das in den Hauptsacheanträgen als verletzt gerügte parlamentarische Beteiligungsrecht aus Art. 59 Abs. 2 GG ein irreversibler Nachteil droht, wenn der Vollzug des Beschlusses des Deutschen Bundestags vom 9. März 2007 nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht ausgesetzt wird.
Soweit die Antragstellerin eine Verletzung von Art. 59 Abs. 2 GG durch eine Fortentwicklung des NATO-Vertrags über sein Integrationsprogramm hinaus unter Beteiligung der Antragsgegnerin rügt, kann ein irreversibler Nachteil für dieses Recht nicht dadurch eintreten, dass die Entsendung von Aufklärungs-Tornados der Bundeswehr zur Unterstützung des ISAF-Einsatzes in Afghanistan nicht im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig unterbunden wird. Die Antragstellerin bezieht sich auf eine seit längerer Zeit im Gang befindliche Fortentwicklung des NATO-Vertrags, die unter anderem durch die Ausweitung der ISAF-Mission auf das gesamte Gebiet Afghanistans einen entscheidenden Schritt vollziehe. Sofern die beschlossene Entsendung der Tornados zu der geltend gemachten und als verfassungswidrig gerügten Fortentwicklung des Vertrags beitrüge, wäre diese Vertragsfortbildung jedenfalls nicht irreversibel. Sollte im Hauptsacheverfahren eine Verletzung des Deutschen Bundestags in seinem Recht aus Art. 59 Abs. 2 GG festgestellt werden, wäre damit eine verfassungsrechtliche Pflicht der Antragsgegnerin verbunden, einer solchen unzulässigen Fortentwicklung des NATO-Vertrags entgegenzuwirken. Die Antragstellerin hat nicht dargetan, aus welchen Gründen der bis zur Entscheidung des Senats in der Hauptsache verstreichende Zeitraum den von ihr für verfassungswidrig gehaltenen Zustand entscheidend verfestigen würde.
Ende der Entscheidung
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