Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 07.04.2003
Aktenzeichen: 2 BvQ 14/03
Rechtsgebiete: BVerfGG, IRG, StPO, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 23 Abs. 1 Satz 2
BVerfGG § 32 Abs. 1
BVerfGG § 90 Abs. 2 Satz 1
BVerfGG § 92
BVerfGG § 93d Abs. 2 Satz 1
IRG § 3
IRG § 33 Abs. 4
IRG § 77
StPO § 33a
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 2 Satz 2
GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvQ 14/03 -

In dem Verfahren

gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 7. März 2003 - OLGAusl. 275/02 (92/02) -

hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Sommer, Di Fabio und die Richterin Lübbe-Wolff gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 Satz 1 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 7. April 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft einen Beschluss des Oberlandesgerichts München, mit dem das Gericht die Fortdauer der Auslieferungshaft des Beschwerdeführers angeordnet und seine Auslieferung nach Indien zum Zwecke der Strafverfolgung für zulässig erklärt hat.

I.

1. Der Beschwerdeführer ist vanuatuischer, vormals indischer Staatsangehörigkeit. Er wurde am 15. Dezember 2002 auf dem Flughafen München festgenommen.

Der Festnahme liegt der Haftbefehl des Ersten Spezialgerichts in Alipore/Kalkutta vom 3. Mai 2002 zu Grunde. Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, in den Jahren 1994 und 1995 den Betrag von insgesamt 108.400.000 indischen Rupien (etwa ? 2.143.000) von der Allahabad Bank in betrügerischer Weise erlangt zu haben. Auf der Grundlage einer internationalen Fahndungsausschreibung erging am 18. Dezember 2002 durch das Oberlandesgericht München ein Auslieferungshaftbefehl, in dem die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet wurde. Der Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 10. Januar 2003 eröffnet.

Der indische Staatsminister für auswärtige Angelegenheiten ersuchte mit Note vom 31. Januar 2003 unter Übergabe des Anklageprotokolls und des Haftbefehls um die Auslieferung zur Strafverfolgung wegen krimineller Verschwörung und Betruges.

Mit Beschluss vom 14. Februar 2003 ordnete das Oberlandesgericht München die Haftfortdauer an und stellte die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zurück, weil der Beschwerdeführer sich nicht mit einer vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt hatte, ihm die Auslieferungsunterlagen noch nicht eröffnet worden waren und er noch kein rechtliches Gehör erhalten hatte. Der Beschwerdeführer erhielt am 21. Februar 2003 Akteneinsicht. Am 24. Februar wurde ihm die Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 14. Februar 2003 bekanntgegeben.

Mit Beschluss vom 7. März 2003 wurde erneut Haftfortdauer angeordnet und gleichzeitig die Auslieferung für zulässig erklärt.

2. Der Beschwerdeführer hat sich mit Schriftsatz vom 13. März 2003 an das Oberlandesgericht München gewandt und eine "Gegenvorstellung" erhoben. Darin beantragt der Beschwerdeführer, die Auslieferung für unzulässig zu erklären und den Auslieferungshaftbefehl außer Vollzug zu setzen. Zur Begründung trägt er vor, dass ihm wegen eines zu kurzen Zeitraumes seit der Gewährung von Akteneinsicht in die umfangreichen indischen Auslieferungsunterlagen nicht in hinreichender Art und Weise rechtliches Gehör vor der endgültigen Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung eingeräumt worden sei. Das Oberlandesgericht München hat - soweit ersichtlich - über die "Gegenvorstellung" noch nicht entschieden.

3. a) Mit ebenfalls am 13. März 2003 per Telefax an das Bundesverfassungsgericht übermitteltem, im Einzelnen nicht ausformuliertem Antrag begehrt der Beschwerdeführer den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die von ihm erhobene "Gegenvorstellung" habe keine aufschiebende Wirkung, weshalb die Auslieferung, nach einer entsprechenden Bewilligung, jederzeit erfolgen könne. Da eine Auslieferung nicht rückgängig gemacht werden könne, sei der Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten.

b) Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 GG geltend. In Indien drohten ihm Folter bzw. unmenschliche Behandlung und eine unerträglich schwere Strafe; die Voraussetzungen des § 3 IRG (beiderseitige Strafbarkeit) seien nicht erfüllt.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann keinen Erfolg haben.

1. Der Beschwerdeführer hat keinen bestimmten Antrag gestellt, sondern begehrt allgemein den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht an die Wortfassung eines Antrags gebunden. Entscheidend ist vielmehr der eigentliche Sinn des mit dem Antrag verfolgten prozessualen Begehrens (vgl. BVerfGE 1, 14 <39>; 68, 1 <68>). Bei der gebotenen Berücksichtigung der Begründung des Antrags ergibt sich, dass der Beschwerdeführer die tatsächliche Auslieferung nach Indien verhindern will, folglich die Aussetzung des Verfahrens begehrt. Materiell wendet er sich, wie sich aus der verfassungsrechtlichen Argumentation in der Antragsschrift ergibt, gegen die Zulässigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts München.

2. a) Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, der Antrag in der Hauptsache erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 86, 390 <395>; 88, 173 <179 f.>; 91, 70 <74 f.>; 92, 126 <129 f.>; 93, 181 <186 f.>; 94, 334 <347>; 99, 57 <66>; 104, 23 <28 f.> stRspr).

b) Als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes hat die einstweilige Anordnung auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren die Aufgabe, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern; sie soll auf diese Weise dazu beitragen, Wirkung und Bedeutung einer erst noch zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache zu sichern und zu erhalten (vgl. BVerfGE 42, 103 <119>). Deshalb kann eine einstweilige Anordnung nicht erlassen werden, wenn in der Hauptsache eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (vgl. BVerfGE 89, 91 <94>; stRspr).

c) Bei Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist deshalb unter anderem zu prüfen, ob die in der Hauptsache zu erhebende Verfassungsbeschwerde zulässig ist oder wäre (vgl. BVerfGE 7, 175 <179 f.>; 7, 367 <371>). Zwingende Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Verfassungsbeschwerde sind nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG die Erschöpfung des Rechtswegs und nach §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG ein hinreichend substantiierter Vortrag (vgl. BVerfGE 6, 132 <134>; 9, 109 <114 f.>; stRspr).

3. a) Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde scheitert in dem hier zu beurteilenden Fall derzeit am Grundsatz der Subsidiarität. Dieser verlangt neben der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG), dass der Beschwerdeführer alle bestehenden Möglichkeiten nutzt, um die behauptete Grundrechtsverletzung zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 81, 22 <27>; 95, 96 <127> m.w.N.).

Hat der Beschwerdeführer noch die Möglichkeit, mit Hilfe eines Antrags nach § 77 IRG in Verbindung mit § 33a StPO die nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs zu den von ihm als übergangen angesehenen Gesichtspunkten zu erwirken, so kann die Verfassungsbeschwerde zulässigerweise erst nach Ausschöpfung dieser Möglichkeit erhoben werden (vgl. Beschluss des Vorprüfungsausschusses des Bundesverfassungsgerichts vom 23. November 1983 - 2 BvR 1575/83 -, NJW 1984, S. 559 und BVerfGE 42, 243 <247 ff.>; siehe auch Lagodny/Schomburg, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl. 1998, § 77 Rn. 7).

b) Dieser Rechtsbehelf ist in dem hier zu beurteilenden Fall derzeit noch nicht ausgeschöpft.

Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 13. März 2003 an das Oberlandesgericht München den Antrag gestellt, die Auslieferung für unzulässig zu erklären und den Auslieferungshaftbefehl außer Vollzug zu setzen. Die in der Antragsschrift enthaltenen Rügen, das Oberlandesgericht München habe in seiner Entscheidung vom 7. März 2003 bestimmte Umstände, insbesondere die Problematik der Haftbedingungen in Indien, verkannt, zielen auch auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

Der vom Beschwerdeführer selbst als "Gegenvorstellung" bezeichnete Antrag ist nach verständiger Würdigung des Rechtsschutzbegehrens des Beschwerdeführers als ein Antrag nach § 77 IRG in Verbindung mit § 33a StPO auszulegen.

Eine Entscheidung über den Antrag ist - soweit ersichtlich -bislang nicht ergangen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass das Oberlandesgericht München vor dem Hintergrund der vorgetragenen Argumente zu einer anderen Entscheidung gelangen wird.

4. Des Weiteren fehlt es derzeit an der notwendigen Eilbedürftigkeit für eine einstweilige Anordnung. Ein Abwarten der Entscheidung des Oberlandesgerichts München ist dem Beschwerdeführer unter den gegenwärtigen Umständen zumutbar. In dem Auslieferungsverfahren steht noch die Bewilligung der Auslieferung durch das Bundesministerium der Justiz aus. Die Bewilligung ist konstitutive Voraussetzung für die Auslieferung an den ersuchenden Staat und mithin Anknüpfungspunkt für das konkrete Entstehen unabwendbarer Nachteile für den Beschwerdeführer.

5. Es bleibt dem Beschwerdeführer unbenommen, beim Oberlandesgericht einen Antrag auf Aufschub der Auslieferung in entsprechender Anwendung von § 33 Abs. 4 IRG zu stellen. Eine solche Anordnung wird in der Regel geboten sein, wenn der Antrag nach § 77 IRG in Verbindung mit § 33a StPO nicht von vornherein unzulässig oder nicht ausreichend begründet ist (vgl. Schomburg, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl., 1998, § 33 Rn. 33 f.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. November 1996, 4 Ausl (A) 630/96 - 192/96 III, NStZ 1997, S. 193).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

Zurück