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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 05.11.2009
Aktenzeichen: 2 BvQ 77/09
Rechtsgebiete: BVerfGG, GG, AsylVfG
Vorschriften:
BVerfGG § 32 Abs. 1 | |
GG Art. 16a Abs. 2 | |
GG Art. 19 Abs. 4 | |
AsylVfG § 34a Abs. 2 |
In dem Verfahren
über den Antrag
im Wege der einstweiligen Anordnung
dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufzugeben, Maßnahmen zur Verbringung des Antragstellers nach Griechenland vorläufig bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 22. Oktober 2009 - M 23 E 09.60082 - auszusetzen und der zuständigen Ausländerbehörde, die Bundespolizeiinspektion Rosenheim, TSG Rückführung, die Vollziehung der Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland zu untersagen
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Broß, die Richterin Osterloh und den Richter Gerhardt
am 5. November 2009
einstimmig beschlossen:
Tenor:
Der Bundesrepublik Deutschland, Bundespolizeiinspektion Rosenheim, wird im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung der Zurückschiebung des Antragstellers nach Griechenland vorläufig untersagt.
Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Antragsteller die notwendigen Auslagen für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Gründe:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG in einem Verfahren betreffend die Überstellung eines afghanischen Asylantragstellers nach Griechenland in Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl Nr. 1 50 S. 1) zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, hat Erfolg.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 25 <35>; 89, 109 <110 f.>; stRspr).
2. Dem Erlass einer einstweiligen Anordnung steht nicht entgegen, dass die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre.
Die Verfassungsbeschwerde kann Anlass zur Untersuchung geben, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 16a Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG für die fachgerichtliche Prüfung der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfGE 94, 49 <99 f.>) bei der Anwendung von § 34a Abs. 2 AsylVfG trifft, wenn Gegenstand des Eilrechtsschutzantrags eine beabsichtigte Zurückschiebung in einen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 zuständigen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften ist. Es ist nicht zu erkennen, dass eine in der Sache noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet wäre. Unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich gerichtsbekannten, umfangreichen Stellungnahmen verschiedener Organisationen zur Situation von Asylantragstellern in Griechenland können die Erfolgsaussichten der noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein offensichtlich verneint werden. Allerdings sind sie angesichts des Umstands, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft durch den verfassungsändernden Gesetzgeber selbst zu sicheren Drittstaaten bestimmt worden sind (BVerfGE 94, 49 <88 f.>), die Vergewisserung hinsichtlich der Schutzgewährung damit durch den verfassungsändernden Gesetzgeber selbst erfolgt ist (vgl. BVerfGE 94, 49 <101>) und die Entscheidung nicht durch eine Rechtsverordnung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG rückgängig gemacht werden kann, auch nicht offensichtlich zu bejahen.
3. Bliebe dem Antragsteller der begehrte Erlass der einstweiligen Anordnung versagt, obsiegte er aber in der Hauptsache, könnten möglicherweise bereits mit der Zurückschiebung oder in ihrer Folge eingetretene Rechtsbeeinträchtigungen nicht mehr verhindert oder rückgängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. September 2009 - 2 BvQ 56/09 -, [...]). Die Nachteile, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erginge, dem Antragsteller der Erfolg in der Hauptsache aber versagt bliebe, wiegen dagegen hier weniger schwer. Insbesondere widerspricht die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz im Überstellungsverfahren nicht gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Eine gemeinschaftsrechtliche Pflicht zum Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes bei Überstellungen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 besteht nicht. Vielmehr sieht das Gemeinschaftsrecht die Möglichkeit der Gewährung vorläufigen fachgerichtlichen Rechtsschutzes gegen Überstellungen an den zuständigen Mitgliedstaat nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 und Art. 20 Abs. 1 Buchstabe e Satz 4 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 selbst vor.
4. Die Entscheidung über die Erstattung von Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Ende der Entscheidung
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