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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 13.07.2004
Aktenzeichen: 2 BvR 1104/04
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1104/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 18. Mai 2004 - OLGAusl. 209/03 (83/03) -,

b) den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 15. März 2004 - OLGAusl. 209/03 (83/03) -,

c) den Haftfortdauerbeschluss des Oberlandesgerichts München vom 19. Januar 2004 - OLGAusl. 209/03 (83/03) -,

d) den Haftfortdauerbeschluss des Oberlandesgerichts München vom 19. November 2003 - OLGAusl. 209/03 (83/03) -,

e) den vorläufigen Auslieferungshaftbefehl des Oberlandesgerichts München vom 20. Oktober 2003 - OLGAusl. 209/03 (83/03) -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Broß, Di Fabio und Gerhardt gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 13. Juli 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe:

I.

1. Der Beschwerdeführer ist bulgarischer Staatsangehöriger. Er wurde am 11. Oktober 2003 festgenommen. Das Justizministerium der Republik Bulgarien stellte am 17. Oktober 2003 ein Auslieferungsersuchen, mit dem seine Überstellung zum Zweck der Strafvollstreckung beantragt wurde. Der Beschwerdeführer ist mit Urteil des Appellationsgerichts Burgas vom 11. September 2001 wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden.

2. Nachdem der Beschwerdeführer in vorläufige Auslieferungshaft genommen worden war und das Oberlandesgericht München mit Beschlüssen vom 19. November 2003 und 19. Januar 2004 die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet hatte, erklärte das Gericht die Auslieferung mit Beschluss vom 15. März 2004 für zulässig.

Das Auslieferungsersuchen entspreche den Formerfordernissen. Die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit sei erfüllt. Die Auslieferungsfähigkeit folge aus Art. 2 EuAlÜbk. Hinderungsgründe im Sinne der Art. 2 bis 11 EuAlÜbk lägen nicht vor, insbesondere sei die Vollstreckungsverjährung nach dem Recht beider Staaten bislang nicht eingetreten.

3. Nach der Nichtannahme seiner Verfassungsbeschwerde aus formellen Gründen (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 2004 - 2 BvR 578/04 -) stellte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 26. April 2004 einen Antrag gemäß § 77 IRG in Verbindung mit § 33a StPO, den das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 18. Mai 2004 ablehnte.

4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die Gesamtumstände des Falles seien von den angegriffenen Entscheidungen nicht in der gebotenen Art und Weise berücksichtigt worden. Im Übrigen rügt er die nach seiner Auffassung mangelhaften Formalien des Auslieferungsersuchens, seine Verurteilung in Abwesenheit und eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).

1. a) Soweit sich der Beschwerdeführer gegen den vorläufigen Auslieferungshaftbefehl vom 20. Oktober 2003 sowie die beiden Haftfortdauerbeschlüsse vom 19. November 2003 und 19. Januar 2004 wendet, ist seine Verfassungsbeschwerde verfristet, weil die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG nicht gewahrt wurde.

b) Hinsichtlich der Zulässigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts vom 15. März 2004 kann die Frage der Fristwahrung dahinstehen. Die Gegenvorstellung des Beschwerdeführers gemäß § 77 IRG in Verbindung mit § 33a StPO wurde nicht innerhalb der Monatsfrist, d.h. im konkreten Fall bis zum 15. April 2004 erhoben. Das Bundesverfassungsgericht hat es in seiner Rechtsprechung bislang offen gelassen, ob die Frist nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG durch eine nach Ablauf der Monatsfrist eingelegte Gegenvorstellung nach § 33a StPO gewahrt wird (BVerfGE 19, 198 <200>). Die Verfassungsbeschwerde hat jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.

2. Bei verständiger Würdigung der Verfassungsbeschwerdeschrift ist das Vorbringen des Beschwerdeführers dahingehend auszulegen, dass er ausschließlich eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt. Dies kommt zum einen in bestimmten Formulierungen des Schriftsatzes zum Ausdruck ("Als entscheidend ist anzusehen, dass das Recht auf rechtliches Gehör verletzt wurde"). Zum anderen wird die ausdrücklich behauptete Verletzung des Grundrechts auf Freiheit der Person an der Tatsache der fortdauernden Inhaftierung festgemacht. Die Auslieferungshaft ist jedoch nur die Folge des Auslieferungsverfahrens. Sie soll den Erfolg eines zulässigen Auslieferungsersuchens sicherstellen. Die Fortdauer der Auslieferungshaft wurde vom Oberlandesgericht angeordnet, weil die Auslieferung zulässig ist und in Anbetracht einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe von sieben Jahren der entsprechende Haftgrund vorliegt. Die weiteren Argumente des Beschwerdeführers zum behaupteten Verfassungsverstoß beziehen sich alle auf die in der Sache erhobene Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

3. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen nicht Art. 103 Abs. 1 GG.

a) Soweit der Beschwerdeführer rügt, das Oberlandesgericht habe nicht zu seinen Gunsten die Unschuldsvermutung beachtet, verkennt er, dass nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts eine Prüfung des Tatverdachts im Auslieferungsverfahren grundsätzlich nicht geboten ist. Ferner betrifft das vorliegende Verfahren nicht eine Auslieferung zur Strafverfolgung, sondern zum Zwecke der Strafvollstreckung, die ein rechtskräftiges Strafurteil voraussetzt. Wie das Oberlandesgericht zu Recht in seinem Beschluss vom 15. März 2004 ausführt, wird die Rechtmäßigkeit des Zustandekommens eines ausländischen Strafurteils grundsätzlich nicht geprüft. Das Gericht hat ferner dargelegt, weshalb aus seiner Sicht die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Überprüfung nicht vorliegen.

Der vom Beschwerdeführer angeführte Art. 6 Abs. 2 EMRK gilt nur für die einer Straftat angeklagten Personen bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld. Die Schuld ist im vorliegenden Fall jedoch bereits durch die bulgarischen Strafgerichte festgestellt worden. Diese Feststellung ist im Auslieferungsverfahren grundsätzlich verbindlich, weshalb sich die Gerichte des ersuchten Staates nur in Ausnahmefällen mit der Schuldfrage befassen. Im Übrigen ist Art. 6 Abs. 2 EMRK aus Sicht des Konventionsrechts im Auslieferungsverfahren nicht anwendbar (vgl. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 2003, § 24 Rn. 78, m.w.N.).

b) Das Oberlandesgericht hat auch in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass die Verurteilung des Beschwerdeführers in Abwesenheit nicht gegen die elementaren Anforderungen des Rechtsstaates und den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstößt.

aa) Nach deutschem Verfassungsrecht gehört es zu den elementaren Anforderungen des Rechtsstaats, die insbesondere im Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG) Ausprägung gefunden haben, dass niemand zum bloßen Gegenstand eines ihn betreffenden staatlichen Verfahrens gemacht werden darf; auch die Menschenwürde des Einzelnen (Art. 1 Abs. 1 GG) wäre durch ein solches staatliches Handeln verletzt (vgl. BVerfGE 7, 53 <57 f.>; 7, 275 <279>; 9, 89 <95>; 39, 156 <168>; 46, 202 <210>; 55, 1 <5 f.>; 63, 332 <337>).

Der wesentliche Kern dieser Gewährleistungen gehört von Verfassungs wegen zum unverzichtbaren Bestand der deutschen öffentlichen Ordnung, wie auch zum völkerrechtlichen Mindeststandard, der über Art. 25 GG einen Bestandteil des in der Bundesrepublik Deutschland innerstaatlich geltenden Rechts bildet (vgl. BVerfGE 63, 332 <338>).

Der einschlägigen völkerrechtlichen Praxis ist indessen nicht zu entnehmen, dass die Durchführung strafrechtlicher Abwesenheitsverfahren auch in Fällen gegen den völkerrechtlichen Mindeststandard verstieße, in denen der Betroffene von dem gegen ihn anhängigen Verfahren in Kenntnis gesetzt worden ist, sich ihm durch Flucht entzogen hat und im Verfahren von einem ordnungsgemäß bestellten Pflichtverteidiger unter Beachtung rechtsstaatlicher Mindestanforderungen verteidigt werden konnte. Eine Auslieferung zur Vollstreckung eines ausländischen, in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils ist bei Anlegung der genannten rechtsstaatlichen Maßstäbe von Verfassungs wegen unzulässig, sofern der Verfolgte weder über die Tatsache der Durchführung und des Abschlusses des betreffenden Verfahrens in irgendeiner Weise unterrichtet war noch ihm eine tatsächlich wirksame Möglichkeit eröffnet ist, sich nach Erlangung dieser Kenntnis nachträglich rechtliches Gehör zu verschaffen und sich wirksam zu verteidigen (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 - 2 BvR 26/04 -, im Umdruck S. 8 f., m.w.N.).

bb) Das Oberlandesgericht hat in Anwendung dieses Maßstabes in seinem Beschluss vom 15. März 2004 festgestellt, dass der Beschwerdeführer zur Berufungshauptverhandlung durch persönliche Übergabe eines entsprechenden Schreibens geladen worden und durch einen Wahlverteidiger vertreten gewesen sei.

Das Gericht gelangt zu diesem Ergebnis im Rahmen der Beweiswürdigung, bei der es den eigens eingeholten Auskünften der bulgarischen Behörden im Ergebnis ein "Mehr an Glaubwürdigkeit" beigemessen hat. Dies ist ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Indem der Beschwerdeführer diesen Teil der Entscheidung angreift, wendet er sich in der Sache gegen die Würdigung des beiderseitigen Sachvortrags durch das Oberlandesgericht, d.h. er macht eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG geltend. Eine Verletzung des Willkürmaßstabs ist jedoch weder vom Beschwerdeführer hinreichend substantiiert und schlüssig dargelegt worden, noch ergibt sich hierfür aus den vorgelegten Unterlagen ein entsprechender Ansatzpunkt.

Es ist eine sachliche und nachvollziehbare Erwägung des Oberlandesgerichts, den amtlichen Auskünften der bulgarischen Behörden u.a. deshalb ein "Mehr an Glaubwürdigkeit" beizumessen, weil Bulgarien Vertragspartei des Europäischen Auslieferungsübereinkommens ist, eines völkerrechtlichen Vertrags, der bestimmte Verfahren für die Auslieferung vorsieht und in besonderem Maße auf dem gegenseitigen Vertrauen der beteiligten Staaten beruht. Das Oberlandesgericht hat darüber hinaus diesen Umstand für sich genommen nicht ausreichen lassen, sondern die Angaben im Reisepass des Beschwerdeführers - danach hat er Bulgarien erst drei Tage vor der Hauptverhandlung verlassen - in seine Würdigung ebenso miteinbezogen wie den Umstand, dass er im Rahmen des Auslieferungsverfahrens die Vertretung durch einen Wahlverteidiger zugestanden hat.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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