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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 06.09.2005
Aktenzeichen: 2 BvR 1157/05
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1157/05 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 10. Juni 2005 - 3 Ws 516/05 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 11. März 2005 - 5/7 Ns 4711 Js 245531/2003 Jug (96/2004) -,

c) mittelbar §§ 322 Abs. 1 Satz 1, 305 Satz 1 StPO,

d) mittelbar § 335 Abs. 3 StPO

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 6. September 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

1. Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) rügt, ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls derzeit unzulässig, weil es an einer Beschwer fehlt. Eine Grundrechtsgefährdung ist insoweit durch die Behandlung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft jedenfalls deshalb noch nicht eingetreten, weil das Landgericht zunächst nur über den Antrag des Beschwerdeführers auf Verwerfung dieses Rechtsmittels, nicht aber über die Frage entschieden hat, ob - und unter welchen Schutzvorkehrungen - eine öffentliche Hauptverhandlung durchzuführen ist.

Es obliegt zunächst dem Landgericht, unter Beachtung des bestehenden verfassungsrechtlichen Maßstabs (vgl. BVerfGE 51, 324 <343 ff.>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. September 2001 - 2 BvR 1349/01 -, NJW 2002, S. 51 <52>) über das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses, den Fortgang des Verfahrens und die Anberaumung einer Hauptverhandlung zu entscheiden. In einer Terminsladung läge ein selbständiger Akt der öffentlichen Gewalt, der hinsichtlich einer Verletzung von Grundrechten des Beschwerdeführers und des insoweit gebotenen Rechtsschutzes einer eigenständigen Beurteilung unterliegt (vgl. zur Frage der Anfechtbarkeit einer Terminsladung Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2001 - 2 BvR 1846/01 -, juris).

2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht erschöpft hat.

a) Gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss ein Beschwerdeführer die Beseitigung des vermeintlich verfassungswidrigen Hoheitsaktes zunächst mit anderen, vom Gesetz zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfen versuchen (vgl. BVerfGE 22, 287 <290>). Hier kann der Beschwerdeführer die Behandlung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft noch im weiteren fachgerichtlichen Verfahren zur Nachprüfung stellen und insbesondere im Falle einer Verschärfung des Strafmaßes dem Revisionsgericht unterbreiten. Bei den angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen handelt es sich damit um Zwischenentscheidungen, deren unmittelbare Anfechtung mit der Verfassungsbeschwerde grundsätzlich ausgeschlossen ist (vgl. BVerfGE 1, 322 <324 f.>; 8, 222 <224 f.>; 31, 55 <56 f.>; 78, 58 <67 f.>; 101, 106 <120>).

b) Allerdings besteht die Pflicht zur Rechtswegerschöpfung nur im Rahmen des Zumutbaren (vgl. BVerfGE 56, 363 <380>; 75, 108 <145>; 86, 15 <22>). Über die Verfassungsbeschwerde wäre vorab zu entscheiden, wenn dem Beschwerdeführer im Falle einer Verweisung auf den Rechtsweg zu den Fachgerichten schwere und unabwendbare Nachteile entstünden (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG). Eine derartige Sondersituation ist hier nicht gegeben.

aa) Sie ergibt sich nicht aus der geltend gemachten unmittelbaren Gesundheitsgefährdung, weil mit der Behandlung des Rechtsmittels als zulässig hier noch keine Entscheidung über die tatsächliche Durchführung der Hauptverhandlung verbunden war. Außerdem ist auch bei einer Verwerfung der Berufung der Staatsanwaltschaft und einem Erfolg der vom Beschwerdeführer eingelegten Revision eine erneute Hauptverhandlung, mit entsprechender Berichterstattung in den Medien, jedenfalls nicht ausgeschlossen.

bb) Der Beschwerdeführer erleidet auch keine erhebliche Beeinträchtigung seines Rechtsschutzes. Eine solche folgt nicht aus dem hier gegebenen Sonderfall der Sprungrevision. Das eingelegte Rechtsmittel der Revision bleibt bis zur Sachentscheidung in der eingelegten Form bedingt bestehen; aufgrund einer vom Prozessgegner zulässig eingelegten Berufung wird sie aber als Berufung behandelt (vgl. Kuckein, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., 2003, § 335 Rn. 11 m.w.N). Die Qualität des ihm zu Gebote stehenden Rechtsschutzes erfährt insbesondere deshalb keine Einschränkung, weil der Beschwerdeführer gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts wiederum Revision einlegen kann. Im Übrigen versteht sich von selbst, dass auch das Berufungsgericht zu einer rechtmäßigen Gesetzesanwendung verpflichtet ist.

cc) Eine Unzumutbarkeit ergibt sich auch nicht aus sonstigen Gesichtspunkten. Durch die angegriffenen Entscheidungen wird der Beschwerdeführer nicht seinem gesetzlichen Richter entzogen, denn die Zuständigkeit des Landgerichts leitet sich hier gerade aus der Anwendung der gesetzlichen Zuständigkeitszuweisungen ab. Es liegt auch kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung vor. Mit der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsmittels eines Prozessgegners sind weder generell noch in dem hier gegebenen Einzelfall Schuldfeststellungen verbunden. Insbesondere haben sich die angegriffenen Entscheidungen der Fachgerichte inhaltlich nicht die Erwägungen zu Eigen gemacht, mit denen die Staatsanwaltschaft ihre Entscheidung für die Einlegung eines Rechtsmittels begründet hat. Zwar ist dem Beschwerdeführer zuzugeben, dass ein zulässiges Verteidigungsverhalten, insbesondere die Einlegung von Rechtmitteln, keinen Strafschärfungsgrund bildet; diese Frage stellte sich aber im Rahmen der von den Fachgerichten allein anzustellenden Zulässigkeitsprüfung nicht. Zudem ist allein die Strafzumessung durch das Gericht maßgeblich. Insoweit ist es dem Beschwerdeführer zuzumuten, mögliche Verfahrens- und Strafzumessungsfehler zunächst im fachgerichtlichen Verfahren zu rügen.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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