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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 18.07.2001
Aktenzeichen: 2 BvR 1176/99
Rechtsgebiete: BverfGG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 91
GG Art. 28 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1176/99 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen das Gesetz zur Neueinteilung der Wahlkreise für die Wahl zum Deutschen Bundestag vom 1. Juli 1998 (BGBl I S. 1698)

hat die 4. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Jentsch, Di Fabio gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 18. Juli 2001 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

1. Die Stadt Krefeld (künftig: Beschwerdeführerin) wendet sich mit der kommunalen Verfassungsbeschwerde gegen die Aufteilung ihres Stadtgebiets auf zwei Bundestagswahlkreise durch das angegriffene Wahlkreisneueinteilungsgesetz.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a BVerfGG liegen nicht vor, denn der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte angezeigt (BVerfGE 90, 22 <24 ff.>; 96, 245 <248>). Sie ist unzulässig, weil es an der Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführerin fehlt. Sie hat die Möglichkeit einer Rechtsverletzung im Sinne von § 91 BVerfGG nicht aufgezeigt (vgl. BVerfGE 6, 445 <447>; 78, 320 <329>; 83, 341 <351 f.>).

a) Die Beschwerdebefugnis für eine Kommunalverfassungsbeschwerde liegt vor, wenn die Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin aus Art. 28 Abs. 2 GG grundsätzlich möglich erscheint und nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Die Beschwerdeführerin beklagt die Beschädigung interner Kommunikationsstrukturen, weil das Stadtgebiet nicht einem einheitlichen Wahlkreis zuzurechnen sei. Sie befürchtet die Behinderung der Arbeit der politischen Parteien, eine Verstärkung der Politikverdrossenheit der Bürger und letztlich die Beschädigung oder gar den Verlust der kommunalen Identität. Diese Gesichtspunkte gehören nicht zum Regelungsbereich des Art. 28 Abs. 2 GG und können nicht mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden.

Nach Art. 28 Abs. 2 GG sind alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft geschützt. Das sind diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben (BVerfGE 79, 127 <151>). Garantiert ist dabei nicht nur der Aufgabenbereich, sondern auch die Befugnis, in diesem Bereich die Geschäfte eigenverantwortlich zu führen. Die Selbstverwaltungsgarantie bedarf der Ausgestaltung und Formung durch den Gesetzgeber. Dem Gesetzgeber wird durch den Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie eine Grenze gezogen, doch ist er auch außerhalb des Kernbereichs nicht gänzlich frei (vgl. BVerfGE 79, 127 <143 ff.>; 83, 37 <54>; 91, 228 <236>).

Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG enthält zunächst hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ein verfassungsrechtliches Aufgabenverteilungsprinzip zugunsten der Gemeinden. Danach darf der Gesetzgeber eine Aufgabe mit relevantem örtlichen Charakter den Gemeinden nur aus Gründen des Gemeininteresses entziehen (vgl. BVerfGE 79, 127 <143, 150 ff.>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Januar 1999 - 2 BvR 929/97 -, NVwZ 1999, S. 520). Ferner gewährleistet Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG die Befugnis, in diesem Aufgabenbereich die Geschäfte eigenverantwortlich zu führen. Durch staatliche Reglementierungen, die die Art und Weise der Aufgabenerledigung ihrer örtlichen Angelegenheiten nach Maßgabe der Gesetze betreffen, können Gemeinden in ihrer Selbstverwaltungsgarantie berührt sein (vgl. BVerfGE 83, 363 <382>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Januar 1999 - 2 BvR 929/97 -, NVwZ 1999, S. 520). Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 3 GG räumt Eigenverantwortlichkeit auch in einem der Aufgabenerfüllung vorgelagerten, gemeindeinternen Bereich ein.

b) Gemessen an diesen Maßstäben ist der Regelungsbereich der Selbstverwaltungsgarantie der Beschwerdeführerin aus Art. 28 Abs. 2 GG nicht berührt (vgl. BVerfGE 79, 127 <143>).

aa) Die Wahlkreiseinteilung für die Wahlen zum Deutschen Bundestag gehört nicht zu den Angelegenheiten, welche die Gemeinden eigenverantwortlich regeln können. Sie wurzelt weder in der örtlichen Gemeinschaft noch hat sie einen spezifischen Bezug zu ihr. Vielmehr ist dies Aufgabe des Bundesgesetzgebers (Art. 38 Abs. 3 GG, § 2 Abs. 2 BWahlG).

bb) Es ist auch nicht ersichtlich, dass durch die Wahlkreisneueinteilung für Krefeld in andere Bestandteile der Selbstverwaltungsgarantie eingegriffen worden ist. Zu diesen zählen das Recht der Gemeinde auf die Führung ihres einmal bestimmten Namens (vgl. BVerfGE 59, 216 <226>), die Gebietshoheit (vgl. BVerfGE 52, 95 <118>), die Organisationshoheit, nämlich die Kompetenz, für die Wahrnehmung der Aufgaben Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten im einzelnen zu regeln (vgl. BVerfGE 91, 228 <236 ff.>), ferner die Personal- und die Finanzhoheit. Auch eine Beeinträchtigung der Planungshoheit, nämlich der Befugnis, voraussehbare Entwicklungen längerfristig zu steuern, insbesondere für das eigene Gebiet die Bodennutzung festzulegen (vgl. BVerfGE 56, 298 <310; 317 f.>), die Förderung der Wirtschaft und der Umwelt, sowie der Energieversorgung (vgl. Pieroth in Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl., 2000, Art. 28, Rn. 13 m.w.N.) ist nicht ersichtlich.

cc) Zwar gehört zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft auch die Mitwirkung an Planungen und Maßnahmen, die das Gemeindegebiet oder Teile dieses Gebiets nachhaltig betreffen und die Entwicklung der Gemeinde beeinflussen (Pieroth aaO, Rn. 19 m.w.N.; vgl. zu dem Beteiligungsrecht auch Schmidt-Aßmann, AöR 101 (1976), S. 520 ff., insbes. S. 526). Dieses Mitwirkungsrecht besteht aus einem formellen Recht auf Beteiligung und einem materiellen Recht auf Berücksichtigung, das beeinträchtigt wird, wenn das Vorhaben eine hinreichend bestimmte Planung nachhaltig stört, wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren Planung entzieht oder wenn kommunale Einrichtungen durch das Vorhaben erheblich beeinträchtigt werden. Das Recht auf Berücksichtigung wird auch beeinträchtigt, wenn die Entwicklung der Gemeinde, insbesondere die Gestaltung ihrer Infrastruktur beeinflusst wird.

Dass hier ein Recht auf Berücksichtigung der Belange der Beschwerdeführerin aus Art. 28 Abs. 2 GG besteht, ist jedoch nicht erkennbar. Dazu müsste ein ähnlich starker Eingriff vorliegen wie in den oben genannten Beispielen. Die Beschwerdeführerin beruft sich jedoch nur vage auf die Störung von identitätsbildenden Kommunikationsstrukturen. Wodurch die Wahlkreiseinteilung die Beschwerdeführerin an der Regelung der örtlichen Angelegenheiten hindern soll, ist nicht ersichtlich.

Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin auch nicht aus einer erfolgreichen Kommunalverfassungsbeschwerde verschiedener niedersächsischer Gemeinden wegen der Rück-Neugliederung (BVerfGE 86, 90 ff.), wobei dahingestellt bleiben soll, ob die jeweils zugrundliegenden Lebenssachverhalte überhaupt vergleichbar sind. Der gemeindliche Klageerfolg beruhte dort allein darauf, dass der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt hatte und sich nicht auf Grund verlässlicher Quellen ein eigenes Bild von den tatsächlichen Verhältnissen in den Gemeinden verschafft hatte, in deren Gebietsbestand er erneut eingreifen wollte (vgl. BVerfGE 86, 90 <112>). Dass entsprechende Fehler bei der Wahlkreisneueinteilung gemacht wurden, hat die Beschwerdeführerin nicht dargelegt; im Gegenteil hatte der Abgeordnete Pützhofen aus dem Wahlkreis Krefeld im Gesetzgebungsverfahren mittels eines Änderungsantrags (BTDrucks 13/9914) versucht, die Teilung des Stadtgebiets zu verhindern.

Die Beschwerdeführerin beruft sich in ihrer Begründung nicht darauf, dass sie nicht ausreichend angehört worden sei. Sie räumt sogar selbst ein, dass in der Vorbereitungsphase des Gesetzgebungsverfahrens auch eine Alternative geprüft wurde, bei welcher das Stadtgebiet der Beschwerdeführerin ungeteilt blieb.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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