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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 19.01.2007
Aktenzeichen: 2 BvR 1206/04
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 2 Satz 2
GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2
GG Art. 104 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 2 BvR 1206/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 13. Mai 2004 - 13 W 32/04 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 24. März 2004 - 14 T 180/04 -,

c) den Beschluss des Amtsgerichts Vechta vom 9. Februar 2004 - 15 XIV 86/03B -

hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Broß, die Richterin Lübbe-Wolff und den Richter Gerhardt gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Absatz 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 19. Januar 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Beschlüsse des Amtsgerichts Vechta vom 9. Februar 2004 - 15 XIV 86/03B -, des Landgerichts Oldenburg vom 24. März 2004 - 14 T 180/04 - und des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 13. Mai 2004 - 13 W 32/04 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Gebot, bei einer nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen.

1. Der Beschwerdeführer wurde am 28. Oktober 2003 um 1.40 Uhr anlässlich einer Fahrzeugkontrolle festgenommen, nachdem er, um sich auszuweisen, einen nicht auf ihn ausgestellten niederländischen Personalausweis vorgezeigt hatte. Der Beschwerdeführer gab gegenüber den Polizeibeamten an, somalischer Herkunft zu sein; er sprach kein Deutsch und nur wenig Englisch. Die Polizei informierte, wohl noch vor Ort, die Ausländerbehörde und überließ ihr den beschlagnahmten Ausweis. Die Überprüfung der Fingerabdrücke des Beschwerdeführers wurde gegen 16.00 Uhr ohne weiteres Ergebnis abgeschlossen.

Am Mittwoch, den 29. Oktober 2003 wurde der Beschwerdeführer erneut durch die Polizei zum Sachverhalt befragt. Eine Verständigung mit dem Beschwerdeführer war aufgrund seiner unzureichenden Englischkenntnisse nur schwer möglich. Er soll angegeben haben, aus den Niederlanden zu kommen und zu Verwandten nach Schweden reisen zu wollen. Zu seinen Personalien machte er keine weiteren Angaben. Die Polizei verzichtete aus Kostengründen auf die Beiziehung eines Dolmetschers, da Strafverfahren in vergleichbaren Fällen in der Regel eingestellt würden. Um 11.28 Uhr beantragte die Ausländerbehörde per Fax beim Amtsgericht die Anordnung von Abschiebungshaft für die Dauer von sechs Wochen. Bei der anschließenden Anhörung vor dem Amtsgericht unter Beiziehung eines somalischen Übersetzers teilte der Beschwerdeführer seine wahren Personalien mit. Das Amtsgericht ordnete Abschiebungshaft an. Der Beschwerdeführer wurde am 3. März 2004 nach Italien zurückgeschoben.

2. Am 3. Februar 2004 beantragte der Beschwerdeführer durch seinen Prozessbevollmächtigten die Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Freiheitsentziehung bis zum Erlass des die Abschiebungshaft anordnenden Beschlusses des Amtsgerichts, da die Vorführung vor den Richter nicht unverzüglich erfolgt sei. Das Amtsgericht wies den Antrag mit Beschluss vom 9. Februar 2004 zurück. Der Richter habe den Beschwerdeführer am Tag der Antragstellung angehört und mit Beschluss vom selben Tag Abschiebungshaft angeordnet. Es habe allein im Verantwortungsbereich des Beschwerdeführers gelegen, dass zunächst dessen Identität zu klären gewesen sei. Der hierfür erforderliche Zeitaufwand sei weder der Polizei noch der Ausländerbehörde anzulasten. Nach Klärung der Identität habe die Polizei sodann zu prüfen gehabt, ob gegen den Beschwerdeführer strafrechtliche Erkenntnisse vorhanden seien. Weiterer Zeitaufwand habe sich daraus ergeben, dass der Beschwerdeführer kein Deutsch spreche. Auch dies sei der Ausländerbehörde nicht anzulasten. Erst nach Abklärung des Sachverhalts habe die Ausländerbehörde Abschiebungshaft beantragen können. Eine schuldhafte Verzögerung liege nicht vor.

3. Das Landgericht wies die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 24. März 2004 zurück. Sie sei aus den zutreffenden Gründen der amtsgerichtlichen Entscheidung unbegründet. Eine schuldhafte Verzögerung seitens der Ausländerbehörde im Zusammenhang mit der Vorführung des Beschwerdeführers beim Amtsgericht habe nach Aktenlage nicht vorgelegen.

4. Das Oberlandesgericht wies die sofortige weitere Beschwerde mit Beschluss vom 13. Mai 2004 als unbegründet zurück. Gemäß Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG habe über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden. Eine vorherige richterliche Entscheidung sei hier nicht möglich gewesen, weil der Aufgriff des Beschwerdeführers nicht vorhersehbar gewesen sei. Seine Festnahme sei trotz des Fehlens einer vorherigen richterlichen Anordnung zulässig und rechtmäßig gewesen, weil sich anders der verfassungsrechtlich zulässige Zweck, eine illegale Einreise bzw. einen illegalen Aufenthalt zu unterbinden, nicht hätte erreichen lassen. Die richterliche Entscheidung sei ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen habe rechtfertigen lassen, nachzuholen gewesen. Solche Gründe hätten hier vorgelegen, wie Amts- und Landgericht zu Recht ausgeführt hätten. Eine Vorführung des Beschwerdeführers vor den zuständigen Richter sei erst am 29. Oktober 2003 um 14.30 Uhr möglich gewesen. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme am 28. Oktober 2003 habe er falsche Personalien angegeben und sich mit einem nicht auf ihn ausgestelltes Personaldokument ausgewiesen. Seine Identität und sein ausländerrechtlicher Status seien ungeklärt und deshalb abzuklären gewesen. Trotz intensiver Nachforschungen sei durch dieses Verhalten des Beschwerdeführers eine Identitätsklärung erst am 29. Oktober 2003 möglich geworden, nachdem er im Rahmen seiner richterlichen Anhörung seinen wahren Namen und die Geburtsdaten offenbart habe. Dies habe am 30. Oktober 2003 schließlich zu der Erkenntnis geführt, dass der Beschwerdeführer nach Italien zurückzuschieben sei. Diese Schwierigkeiten seien nicht nur bei dem Beschwerdeführer, sondern zugleich bei dem mit ihm zusammen festgenommenen Somalier zu bewältigen gewesen. Diese Umstände habe der Beschwerdeführer zu vertreten; sie seien weder der Polizei noch der Ausländerbehörde anzulasten. Beide hätten vor einer richterlichen Anhörung die Identität des Beschwerdeführers abzuklären gehabt; sie seien dieser Pflicht ohne Zögern nachgegangen.

5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer zunächst eine Verletzung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Vorführung vor den zuständigen Richter sei nicht unverzüglich erfolgt. Noch ausstehende Ermittlungen seien kein Grund, die Vorführung zurückzustellen. Dies gelte auch im Hinblick auf die Notwendigkeit, einen Dolmetscher hinzuzuziehen. Notfalls hätte zunächst nur eine auf den Grund der Festnahme beschränkte richterliche Gewahrsamsentscheidung herbeigeführt werden müssen. Vor § 163 b Abs. 1 StPO sei die gerügte Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig gewesen, da nach dieser Vorschrift eine Person nicht länger festgehalten werden dürfe, als es zum Zweck der Identitätsfeststellung erforderlich sei; die Freiheitsentziehung dürfe gemäß § 163 c Abs. 3 StPO zwölf Stunden nicht überschreiten. Eine zeitweise Zurückstellung der Vorführung sei auch nicht unter den Voraussetzungen der im niedersächsischen Polizeigesetz enthaltenen Kurzzeitklausel (§ 21 Satz 3 NGefAG) zulässig gewesen, da danach eine Freiheitsbeschränkung zum Zweck der Feststellung der Identität nicht länger als sechs Stunden dauern solle. Den Verwaltungsvorgängen von Polizei und Ausländerbehörde sei nicht mit hinreichender Gewissheit zu entnehmen, wann am 28. Oktober 2003 mit der Identitätsermittlung begonnen worden sei. Jedenfalls habe um 15.54 Uhr festgestanden, dass die Identitätsermittlungen in absehbarer Zeit nicht erfolgreich sein würden, so dass spätestens zu diesem Zeitpunkt der Beschwerdeführer dem Richter hätte vorgeführt werden müssen. Dabei hätte auch bereits ein Dolmetscher zugegen sein können, wenn bereits unmittelbar nach Festnahme ein solcher angefordert worden wäre. Selbst wenn ein Dolmetscher am 28. Oktober 2003 in der Zeit von 2.00 Uhr bis 21.00 Uhr nicht erreichbar gewesen sein sollte, was nicht vorstellbar sei, hätte der Beschwerdeführer dem Richter vorgeführt werden müssen, der die Freiheitsentziehung jedenfalls im Hinblick auf den Grund der Festnahme hätte überprüfen können.

Weiterhin verstoße der Beschluss des Oberlandesgerichts gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Beschwerdeführer habe mehrfach auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Schleswig vom 28. April 2003 (InfAuslR 2003, S. 292 ff.) hingewiesen, in dem ausgeführt werde, dass das Gebot unverzüglicher Richtervorführung auch dann gelte, wenn der Betroffene zunächst wegen des Verdachts einer Straftat festgenommen und zum Zwecke der Identitätsfeststellung festgehalten worden sei. Das Oberlandesgericht sei verpflichtet gewesen, diese Frage dem Bundesgerichtshof vorzulegen, weil es von dieser Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Schleswig abgewichen sei.

6. Das Niedersächsische Justizministerium hat in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, dass die Ausländerbehörde bereits am Morgen des 28. Oktober 2003 Kontakt mit dem zuständigen Haftrichter aufgenommen habe. Der Richter habe erklärt, dass für die Vorführung des Beschwerdeführers die Beiziehung eines Dolmetschers für die somalische Sprache zwingend erforderlich sei. Das Amtsgericht habe an diesem Tag keinen geeigneten Dolmetscher erreichen können. Die Ausländerbehörde habe daher auf einen ihr bekannten somalischen Staatsangehörigen, der in ihrem Zuständigkeitsbereich wohne, zurückgegriffen. Dieser habe aber aus beruflichen Gründen erst am 29. Oktober 2003 in Anspruch genommen werden können. Die somalische Sprache werde in Deutschland nur sehr selten gesprochen; auch in Niedersachsen würden nur sehr wenige Personen sowohl diese als auch die deutsche Sprache beherrschen.

7. In seiner Gegenerklärung weist der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers darauf hin, dass sich aus den Akten kein Kontakt der Ausländerbehörde mit dem zuständigen Haftrichter am 28. Oktober 2003 ergebe. Die Ausländerbehörde habe sich in den gerichtlichen Verfahren zu keinem Zeitpunkt auf Schwierigkeiten bei der Beiziehung eines Dolmetschers berufen. Aus den angegriffenen Entscheidungen ergäben sich auch keine Feststellungen zu etwaigen Bemühungen des Haftrichters, einen Dolmetscher schon am 28. Oktober 2003 beizuziehen. Die fehlende Aufklärung derartiger Bemühungen verletze Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Dass am 28. Oktober 2003 ein Dolmetscher nicht erreichbar gewesen sei, sei zu bezweifeln. Eine Nachfrage bei einem 75 km vom Amtsgericht entfernt ansässigen Dolmetscherbüro habe ergeben, dass an diesem Tag die kurzfristige Vermittlung eines Dolmetschers möglich gewesen wäre.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zum Gebot der unverzüglichen Nachholung einer richterlichen Entscheidung nach einer vorhergehenden polizeilichen Festnahme bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist danach zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.

Die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG.

1. Die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) ist ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 29, 312 <316>). Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor Eingriffen wie Verhaftung, Festnahme und ähnlichen Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs (vgl. BVerfGE 22, 21 <26>; 94, 166 <198>; 96, 10 <21>).

Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Die formellen Gewährleistungen des Art. 104 GG stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in unlösbarem Zusammenhang (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 58, 208 <220>). Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, indem er neben der Forderung nach einem förmlichen Gesetz die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>; 29, 183 <195 f.>; 58, 208 <220>).

Für den schwersten Eingriff in das Recht der Freiheit der Person, die Freiheitsentziehung, fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>). Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird (BVerfGE 105, 239 <248>; vgl. zu Art. 13 Abs. 2 GG BVerfGE 103, 142 <151 ff.>).

Die Freiheitsentziehung erfordert nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung, deren Zulässigkeit in Ausnahmefällen Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG voraussetzt, genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste (vgl. BVerfGE 22, 311 <317>). Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG gebietet in einem solchen Fall, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen (vgl. BVerfGE 10, 302 <321>). "Unverzüglich" ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (vgl. BVerfGE 105, 239 <249>). Nicht vermeidbar sind zum Beispiel Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind (vgl. BVerfGE 103, 142 <156>; 105, 239 <249>).

Mit Blick auf die hohe Bedeutung des Richtervorbehalts sind alle an der freiheitsentziehenden Maßnahme beteiligten staatlichen Organe verpflichtet, ihr Vorgehen so zu gestalten, dass dieser als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird (vgl. BVerfGE 103, 142 <151 ff.>; 105, 239 <248>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 2005 - 2 BvR 447/05 -, NVwZ 2006, S. 579 <580> m.w.N.). Daraus kann nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls die Verpflichtung der beteiligten Behörden folgen, ihrerseits dafür zu sorgen, dass ein für die Ermittlung des Sachverhalts und die Durchführung einer unverzüglichen richterlichen Anhörung erkennbar notwendiger Dolmetscher baldmöglichst zur Verfügung steht (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 2006 - 2 BvR 129/04 -, InfAuslR 2006, S. 462 <466>).

Unvermeidbare Verzögerungen sind von den an der freiheitsentziehenden Maßnahme beteiligten staatlichen Organen zu dokumentieren. Nur so kann gewährleistet werden, dass der von der Maßnahme in seinen subjektiven Rechten Betroffene den Rechtsweg in effektiver Weise beschreiten und bei einer späteren gerichtlichen Überprüfung noch festgestellt werden kann, ob aus sachlich zwingenden Gründen vom Gebot der Herbeiführung einer unverzüglichen richterlichen Entscheidung abgesehen werden durfte (vgl. BVerfGE 103, 142 <159 ff.> für nichtrichterliche Durchsuchungsanordnungen).

Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG setzt weiterhin Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für die Anforderungen in Bezug auf die tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen. Es ist unverzichtbare Voraussetzung rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 70, 297 <308>; 83, 24 <32>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 1998 - 2 BvR 2270/96 -, NJW 1998, S. 1774 <1775>). Angesichts des hohen Ranges des Freiheitsgrundrechts gilt dies in gleichem Maße, wenn die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme in Rede steht (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 2005, a.a.O.).

2. Den sich aus diesen Maßstäben ergebenden Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht.

Es ist nichts dafür ersichtlich, dass Polizei und Ausländerbehörde sich ihrer aus Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG ergebenden Verpflichtung zur Sicherung einer unverzüglichen richterlichen Haftentscheidung durch eigene Bemühungen um möglichst frühzeitige Einschaltung eines Dolmetschers bewusst waren. Die Gerichte gehen auf diese sich aus Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG ergebenden Vorwirkung für das der gerichtlichen Entscheidung vorausgehende Verwaltungsverfahren nicht ein. Dem entsprechend haben sie sich mit der Erreichbarkeit eines Dolmetschers am 28. Oktober 2003 nicht befasst. Es kann hier indes dahingestellt bleiben, ob eine Verletzung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG bereits daraus folgt, dass die Gerichte eine Aufklärung dieser für die Rechtmäßigkeit der behördlichen Freiheitsentziehung offenkundig erheblichen Umstände unterlassen haben.

Denn ausweislich des in den beigezogenen Akten der Ausländerbehörde und des Amtsgerichts dokumentierten Geschehensablaufs ist das Freiheitsrecht des Beschwerdeführers jedenfalls dadurch verletzt worden, dass die Behörden ihre Pflichten zur Sicherung des Richtervorbehalts in verfassungsrechtlich erheblicher Weise vernachlässigt haben. Die Annahme der Gerichte, dass sachlich zwingende Gründe der Vorführung des Beschwerdeführers vor den Richter am 28. Oktober 2003 entgegengestanden hätten, ist danach unzutreffend. Die Ausländerbehörde wurde unmittelbar nach dem Aufgriff des Beschwerdeführers am 28. Oktober 2003 um 1.40 Uhr durch die Polizei beteiligt. Schon bei der ersten Vernehmung des Beschwerdeführers unmittelbar nach seiner Festnahme wurde deutlich, dass die Beiziehung eines Dolmetschers für die somalische Sprache unumgänglich war. Im Hinblick auf die Verpflichtung aller staatlichen Organe, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 GG als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird (vgl. BVerfGE 105, 239 <248>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 2005, a.a.O.), hätten Polizei und Ausländerbehörde sich spätestens am Morgen des 28. Oktober 2003 um einen Dolmetscher bemühen müssen. Dass ein derartiger Versuch seitens der Behörden unternommen wurde, ist nicht aktenkundig. Wegen der erkannten Verständigungsschwierigkeiten durften sie sich nicht darauf beschränken, das Ergebnis der Überprüfung der Fingerabdrücke des Beschwerdeführers abzuwarten, ohne zugleich in Rechnung zu stellen, dass dessen vermeintliche Weigerung, seine wahre Identität preiszugeben, die Folge dieser Verständigungsschwierigkeiten sein könnte. Es hätte auch aus diesem Grund nahe gelegen, mit der Beiziehung eines Dolmetschers nicht zuzuwarten und damit das Problem der Erreichbarkeit eines Dolmetschers am selben Tag noch zu verschärfen.

Die weitere Vorgehensweise entsprach entgegen der Ansicht der Gerichte in den angefochtenen Entscheidungen ebenfalls nicht den Erfordernissen des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Behörden sahen von der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung sogar dann noch ab, als feststand, dass die Identität des Beschwerdeführers durch Polizei und Ausländerbehörde in absehbarer Zeit nicht mehr würde geklärt werden können. Sind weitere kurzfristig erfolgversprechende Maßnahmen zur Ermittlung der Identität des Festgenommenen nicht mehr ersichtlich, darf die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung nicht weiter zurückgestellt werden (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 28. April 2003 - 2 W 207/02 -, InfAuslR 2003, S. 292 <293>). Spätestens am 28. Oktober 2003 gegen 16.00 Uhr, als die Überprüfung der Fingerabdrücke des Beschwerdeführers sich als ergebnislos erwiesen hatte, lag eine solche Situation vor. Inwiefern weitere strafrechtliche Ermittlungen der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung entgegengestanden haben könnten, ist nicht erkennbar. Aus den gerichtlichen Feststellungen und den beigezogenen Akten ergibt sich ferner nichts dafür, dass eine vorläufige richterliche Entscheidung nach § 11 FreihEntzG - ausgehend von den bis dahin ermittelten Umständen - am 28. Oktober 2003 nicht mehr möglich gewesen wäre. Auch wenn an diesem Tag bereits die am Morgen des 29. Oktober 2003 durchgeführte erneute polizeiliche Befragung des Beschwerdeführers geplant gewesen sein sollte, ist kein Grund greifbar, der es rechtfertigen konnte, von der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung am 28. Oktober 2003 abzusehen; insbesondere gibt es nicht einmal einen Anhalt dafür, dass diese Befragung ohne Dolmetscher geeignet gewesen sein könnte, die Identität des Beschwerdeführers aufzuklären und damit das gerichtliche Freiheitsentziehungsverfahren auf eine verlässlichere Grundlage zu stellen.

III.

1. Mit Rücksicht auf die gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG festzustellende Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG ist die Erörterung der von ihm weiter erhobenen Rüge eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entbehrlich. Die Sache ist zur abschließenden Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers vom 3. Februar 2004 an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts findet ihre Grundlage in § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <369> und Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 1994 - 2 BvR 1542/94 -, NJW 1995, S. 1737).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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