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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 10.01.2008
Aktenzeichen: 2 BvR 1229/07
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 2
GG Art. 19 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 2 BvR 1229/07 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 16. Mai 2007 - 4 VAs 6/07 -

hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Broß, die Richterin Lübbe-Wolff und den Richter Gerhardt gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Absatz 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 10. Januar 2008 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 16. Mai 2007 - 4 VAs 6/07 - verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 5 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Stuttgart zurückverwiesen.

Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die tägliche Unterbrechung der Elektrizitätsversorgung in dem Haftraum eines Untersuchungsgefangenen in der Zeit von 0.30 Uhr bis 6.00 Uhr.

1. Der 1977 geborene Beschwerdeführer befand sich in der Justizvollzugsanstalt U. in Untersuchungshaft. Er beantragte am 2. April 2007 schriftlich, die nächtliche Abschaltung von Licht, Strom und Radio aufzuheben, da hierdurch seine Grundrechte in unzulässiger Weise eingeschränkt würden. Der Antrag wurde laut Vermerk der Anstalt auf dem Antragsformular mündlich "unter Hinweis auf Ordnung der Anstalt (Nr. 1 Abs. 2 UVollzO) abgelehnt".

2. Hiergegen stellte der Beschwerdeführer beim Oberlandesgericht Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG. Es sei nicht nachvollziehbar, dass er nachts keinen Rundfunk empfangen und nachts auch nicht mittels einer Leselampe lesen dürfe. Sein Mitgefangener in dem Gemeinschaftshaftraum würde sich dadurch nicht beeinträchtigt fühlen.

Die Justizvollzugsanstalt nahm dahingehend Stellung, dass die Regelung der Vermeidung von Streitigkeiten in mehrfach belegten Hafträumen wegen möglicher unterschiedlicher Ruhebedürfnisse der Insassen diene. Daneben seien jedoch auch Einzelhafträume sowie die umliegenden Anwohner von der Schutzwirkung erfasst, da auch dort Störungen der Nachtruhe durch lautstarken Radio- und Fernsehempfang aus anderen Hafträumen vermieden würden. Die Zulässigkeit der Abschaltung ergebe sich im Umkehrschluss aus Nr. 54 Abs. 2 der Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO). Aufgrund der gegebenen Stromleitungsverteilung im Gebäude könne die Stromzufuhr für die Hafträume jeweils nur stockwerksweise an- und abgeschaltet werden. Es gebe nur einen separat steuerbaren Haftraum. In diesem würden gemäß Nr. 59 UVollzO (Abweichen von Vollzugsvorschriften) Gefangene untergebracht, die aus gesundheitlichen Gründen auf die nächtliche Stromzufuhr angewiesen seien. Gemäß Nr. 18 Abs. 4 UVollzO seien Gefangene an die Tageseinteilung in der Anstalt, somit auch an die allgemeine Nachtruhe, gebunden. Der Vergleich mit dem freien Bürger könne daher nicht greifen.

Der Beschwerdeführer erwiderte, die Maßnahme missachte den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Um Ruhestörungen entgegenzuwirken, stünden der Antragsgegnerin Disziplinarmaßnahmen nach Nr. 67 ff. UVollzO zur Verfügung. Bei Streitigkeiten wegen unterschiedlicher Ruhebedürfnisse in mehrfach belegten Hafträumen stehe es ihr frei, die betreffenden Gefangenen zu trennen. Schwierigkeiten der Anstalt bei der Unterbringung der Gefangenen berechtigten sie nicht, deren Rechte einzuschränken. Zur Einschränkung von Grundrechten bedürfe es gesetzlicher Regelungen; bloße Verwaltungsanordnungen wie die Untersuchungshaftvollzugsordnung genügten nicht. Er selbst sei - wohl: inzwischen - in einer Einzelzelle untergebracht.

Das Oberlandesgericht verwarf den Antrag mit angegriffenem Beschluss vom 16. Mai 2007 als unbegründet. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt sei für die Regelung der Stromzufuhr in den Hafträumen zuständig; denn es handele sich um eine allgemein für alle Untersuchungsgefangenen geltende Anordnung. Diese finde ihre Rechtsgrundlage im Institut der Untersuchungshaft. Sie sei zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung notwendig. Wie vom Leiter der Vollzugsanstalt in seiner Stellungnahme zu Recht ausgeführt, diene sie der Vermeidung von Streitigkeiten innerhalb mehrfach belegter Hafträume wegen der unterschiedlichen Ruhebedürftigkeit der Insassen. Sofern ein Haftraum nur mit einem Gefangenen belegt sei, gelte es, mögliche Störungen der Nachtruhe durch lautstarken Radio- oder Fernsehempfang zu vermeiden. Insoweit müsse auch die Nachbarschaft der Justizvollzugsanstalt vor Lärm geschützt werden. Dem Vorbringen des Antragstellers, einem Missbrauch der Stromzufuhr könne durch Disziplinarmaßnahmen begegnet werden, könne nicht gefolgt werden; denn allein durch repressive Maßnahmen ließen sich nächtliche Ruhestörungen durch Lärm nicht verhindern. Eine Ausnahme für den Beschwerdeführer (Nr. 54 Abs. 2 UVollzO) sei schon aus technischen Gründen nicht möglich. Es sei ihm zumutbar, fünfeinhalb Stunden am Tag auf Radioempfang und auf die Lektüre von Zeitungen usw. zu verzichten.

II.

1. Mit seiner am 8. Juni 2007 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1, 2 und 4 GG. Das Oberlandesgericht habe verkannt, dass es zur Einschränkung seiner Grundrechte einer gesetzlichen Grundlage bedürfe. Diese ergebe sich nicht aus Nr. 1 Abs. 2 UVollzO, da es sich hierbei um eine bloße Verwaltungsanordnung und somit um eine nicht den Anforderungen des Art. 19 Abs. 1 GG und des Art. 5 Abs. 2 GG genügende Rechtsgrundlage handele. Der angegriffene Beschluss verletze zudem den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Disziplinarmaßnahmen reichten aus, um Ruhestörungen entgegenzutreten. Schwierigkeiten, die die Anstaltsleitung bei der Unterbringung von Gefangenen habe, berechtigten sie nicht, deren Rechte einzuschränken. Die nächtliche Benutzung des WC ohne Licht sei menschenunwürdig; eine ausreichende Hygiene sei nicht gewährleistet.

2. Das Justizministerium Baden-Württemberg hat wie folgt Stellung genommen: Die Anstalt liege in der Kernstadt; die Hafträume grenzten zum Teil unmittelbar an die anliegenden Straßen an. Die Stromabschaltung diene der Einhaltung der Nachtruhe und der Vermeidung von Streitigkeiten innerhalb mehrfach belegter Hafträume. Daneben profitierten andere Gefangene in Einzelhafträumen und die Anwohner der Nachbarschaft von der Schutzwirkung der Regelung. Störungen der Nachtruhe durch lautstarken Radio- oder Fernsehempfang könnten nur durch Stromabschaltung vermieden werden; Disziplinarmaßnahmen reichten nicht aus. Es gebe nur einen Haftraum, in dem die Stromzufuhr separat an- und abgeschaltet werden könne. In diesem Haftraum würden Gefangene untergebracht, die aus gesundheitlichen Gründen auf nächtliche Stromzufuhr angewiesen seien. Eine Notbeleuchtung bestehe nicht. Lichtmessungen hätten aber ergeben, dass in den Hafträumen durchschnittlich vier bis fünf Lux Restlicht herrschten. Möbelumrisse seien schemenhaft erkennbar, so dass eine Unfallgefahr ausgeschlossen werden könne. Die Alarmierung von Bediensteten sei dem Beschwerdeführer jederzeit über den Alarmknopf des Haftraumterminals möglich gewesen.

Die Angelegenheit habe sich allerdings insofern erledigt, als derzeit eine Generalsanierung laufe, so dass die Hafträume seit Mitte Juli 2007 nicht mehr belegt seien. Nach Abschluss der Sanierung würden die baulich vollständig abgetrennten Nassbereiche in Mehrfachhafträumen eine separate Beleuchtung mit einer Nachtautomatik aufweisen, die es ermöglichen werde, mehrere Minuten lang die Beleuchtung anzuschalten. Diese Automatik werde einen Manipulationsschutz erhalten, so dass auch bei Festklemmen des Lichtschalters keine dauerhafte Beleuchtung erreicht werden könne. Eine solche Nachtautomatik mit Manipulationsschutz werde auch in den Einzelhafträumen programmiert werden.

3. Der Beschwerdeführer hat hierauf erwidert, Disziplinarmaßnahmen reichten sehr wohl aus, um Störungen zu beseitigen. Dies werde in den meisten deutschen Vollzugsanstalten erfolgreich so gehandhabt. Der sehr geringe Außenlichteinfall mache eine ordentliche Nutzung der WC-Anlage unmöglich. Dies gelte insbesondere für die Gemeinschaftshafträume, da dort die Toiletten noch von einer Schamwand umgeben seien.

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG.

Ob allgemeine nächtliche Stromabschaltungen in der Untersuchungshaft generell oder unter Bedingungen, wie sie in der Justizvollzugsanstalt U. vorliegen, von Verfassungs wegen hinzunehmen wären, wenn der Gesetzgeber selbst eine klare Entscheidung in diesem Sinne getroffen hätte, steht nicht zur Entscheidung. Als Rechtsgrundlage der Maßnahme kam hier allein § 119 Abs. 3 StPO in Betracht, wonach den Untersuchungsgefangenen - nur - solche Beschränkungen auferlegt werden dürfen, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordert. Die grundrechtlichen Anforderungen, die sich für die Rechtfertigung einer solchen Maßnahme auf der Grundlage dieser Generalklausel ergeben, hat das Oberlandesgericht verkannt.

a) Jedenfalls soweit es um den Ausschluss des nächtlichen Rundfunkempfangs durch die Unterbrechung der Stromzufuhr geht, ist der Schutzbereich der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) berührt, deren Beschränkung auch Untersuchungsgefangene nur nach Maßgabe der Schrankenregelung des Art. 5 Abs. 2 GG hinzunehmen haben (vgl. BVerfGE 15, 288 <293 ff.>; 35, 307 <309>).

Es kann offenbleiben, ob die grundrechtlich geschützte Informationsfreiheit auch betroffen ist, soweit der Beschwerdeführer durch die nächtliche Stromabschaltung stundenweise gehindert wird, sich aus allgemein zugänglichen Druckwerken wie Büchern und Zeitschriften lesend zu informieren, oder ob diese Beeinträchtigung außerhalb des Schutzbereichs der Informationsfreiheit liegt, weil dem Beschwerdeführer insoweit keinerlei Information vorenthalten, sondern nur eine geringfügige, im Hinblick auf den Schutzzweck des Grundrechts belanglose zeitliche Verschiebung der Informationsaufnahme zugemutet wird. Denn soweit das speziellere Grundrecht der Informationsfreiheit nicht einschlägig ist, berührt die Einschränkung von Verhaltensmöglichkeiten durch nächtliche Unterbrechung der Stromzufuhr jedenfalls das Recht des Beschwerdeführers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG). Auf eine eindeutige Zuordnung aller mit der Stromabschaltung verbundenen grundrechtserheblichen Beeinträchtigungen entweder zu dem spezielleren Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 GG oder dem allgemeineren des Art. 2 Abs. 1 GG kommt es im vorliegenden Fall nicht an, da die Unterschiede zwischen beiden Grundrechten - einschließlich der Unterschiede zwischen den jeweiligen Schrankenregelungen (Art. 5 Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 1 GG) - für die verfassungsrechtliche Beurteilung des angegriffenen Beschlusses keine entscheidungserhebliche Bedeutung haben. Der Beschluss erweist sich als grundrechtswidrig nach Maßstäben, die für beide genannten Grundrechte ohne Unterschied gelten.

b) In Grundrechte darf nur auf gesetzlicher Grundlage eingegriffen werden. Dieser allgemeine rechtsstaatliche Grundsatz gilt auch für den Vollzug der Untersuchungshaft. Für Einschränkungen grundrechtlicher Freiheiten des Untersuchungsgefangenen bildet zwar nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts § 119 Abs. 3 StPO eine verfassungsrechtlich zureichende gesetzliche Grundlage (vgl. BVerfGE 34, 369 <379>; 34, 384 <395>; 35, 307 <309>; 35, 311 <316>; 57, 170 <177>). Dies gilt jedoch nur im Hinblick darauf, dass es sich um eine strikt auf die Abwehr von Gefahren für die Haftzwecke oder die Ordnung der Anstalt beschränkte Ermächtigung handelt, deren Anwendung in besonderem Maße dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet ist. Für darüber hinausgehende Eingriffe nach Maßgabe vollzugspolitischer Zweckmäßigkeiten und nicht gefahrenabwehrrechtlich begründeter Abwägungen bietet § 119 Abs. 3 StPO keine ausreichende Grundlage.

Die Auslegung der Vorschrift hat dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht rechtskräftig verurteilt ist und deshalb allein den unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf (vgl. BVerfGE 15, 288 <295>; 34, 369 <379>; 42, 95 <100>). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss daher den Vollzug der Untersuchungshaft in besonderem Maße beherrschen (vgl. BVerfGE 34, 369 <380>; 35, 5 <9>; 35, 307 <309>). Voraussetzung für die Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen auf der Grundlage des § 119 Abs. 3 StPO ist eine reale Gefährdung der in dieser Bestimmung bezeichneten öffentlichen Interessen (vgl. BVerfGE 15, 288 <295>; 34, 384 <398>; 35, 5 <9 f.>; 35, 307 <309>).

Für das Vorliegen einer solchen Gefahr müssen konkrete Anhaltspunkte bestehen (vgl. BVerfGE 35, 5 <10>; 42, 234 <236>; 57, 170 <177>). Die bloße Möglichkeit, dass ein Untersuchungsgefangener seine Freiheiten missbraucht, reicht nicht aus (vgl. BVerfGE 35, 5 <10>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juli 1994 - 2 BvR 806/94 -, NJW 1995, S. 1478 <1480>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Juni 1996 - 2 BvR 634/96 -, NStZ-RR 1997, S. 7 f.).

Dabei kommt es grundsätzlich auf den konkreten Einzelfall an (vgl. BVerfGE 15, 288 <297>; 35, 5 <11>); alle Umstände des Einzelfalls sind abzuwägen (vgl. BVerfGE 35, 5 <11>). Dies schließt generelle Anordnungen - auch solche, die im Prinzip für alle Untersuchungsgefangenen gelten - nicht aus. Eine über Einzelmaßnahmen im konkreten Fall hinausgehende generelle Beschränkung ist aber nur dann zulässig, wenn eine reale Gefährdung der in § 119 Abs. 3 StPO bezeichneten öffentlichen Interessen nicht jeweils durch einzelne Maßnahmen hinreichend abgewehrt werden kann (vgl. BVerfGE 34, 369 <380>; 34, 384 <399 f.>). In solchen Fällen ist zudem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung zu tragen, dass im Einzelfall Ausnahmen zugelassen werden, soweit dies ohne konkrete Gefährdung der in § 119 Abs. 3 StPO genannten Interessen möglich ist (vgl. BVerfGE 15, 288 <294 f.>; 34, 384 <398, 400>; 34, 384 <398>; 42, 95 <102>). Je weniger konkret die Gefährdung der Ordnung in der Anstalt ist, desto größeres Gewicht kommt der Handlungsfreiheit des Untersuchungsgefangenen zu und desto zurückhaltender muss der Richter bei grundrechtlichen Eingriffen sein (vgl. BVerfGE 57, 170 <177>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Juni 1996 - 2 BvR 2137/95 -, NStZ 1996, S. 509 <510>).

Schwierigkeiten bei der Überwachung der Gefangenen sind Lästigkeiten, die grundsätzlich hingenommen werden müssen; denn Grundrechte bestehen nicht nur nach Maßgabe dessen, was an Verwaltungseinrichtungen üblicherweise vorhanden oder an Verwaltungsbrauch "vorgegeben" ist (vgl. BVerfGE 15, 288 <296>; 34, 369 <380 f.>; 35, 307 <310>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juli 1994 - 2 BvR 806/94 -, a.a.O., S. 1478 <1479>). Der Hinweis auf eine Üblichkeit entbindet nicht von der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juli 1995 - 2 BvR 1439/95 -, NStZ 1995, S. 566 <567>). Es ist Sache des Staates, im Rahmen des Zumutbaren alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet und nötig sind, um Verkürzungen der Rechte von Untersuchungsgefangenen zu vermeiden; die dafür erforderlichen sächlichen und personellen Mittel hat er aufzubringen, bereitzustellen und einzusetzen (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>; 42, 95 <101 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juli 1994 - 2 BvR 806/94 -, a.a.O., S. 1479).

Für das Vorliegen einer Gefährdung der Schutzgüter des § 119 Abs. 3 StPO kann allerdings eine Rolle spielen, wie hoch unter den in der Anstalt gegebenen Verhältnissen der Überwachungs- und sonstige Aufwand ist, der getrieben werden müsste, um eine solche Gefährdung auszuschließen. Auch Untersuchungsgefangene können nicht verlangen, dass unbegrenzt personelle und sonstige Mittel aufgewendet werden, um zu vermeiden, dass wegen anderenfalls drohender Gefährdung der Schutzgüter des § 119 Abs. 3 GG eine Beschränkung ihrer grundrechtlichen Freiheiten erforderlich wird (vgl. BVerfGE 34, 369 <380 f.>; 34, 384 <402>; 42, 95 <100 f.>). Bei der Bestimmung dessen, was einerseits dem Gefangenen an Beschränkungen, andererseits der Anstalt und dem für die angemessene Ausstattung der Anstalt verantwortlichen Staat an Aufwand zumutbar ist, spricht es etwa für die Zulässigkeit einer Einschränkung, wenn es sich um einen für die Anstalt mit außerordentlichen Schwierigkeiten verbundenen Aufwand handeln würde, der Gefangene dagegen ohne unzumutbaren Aufwand sein Ziel gleichermaßen oder weitgehend auch auf eine Weise erreichen kann, die für die Anstalt mit wesentlich geringerem Aufwand verbunden ist (vgl. BVerfGE 34, 369 <380 f.>). Das von der Anstalt Erwartbare ist aber, wie ausgeführt, nicht auf das Anstaltsübliche begrenzt, und bei der abwägenden Bestimmung des beiderseits Zumutbaren muss der Umstand berücksichtigt werden, dass der Untersuchungsgefangene nicht rechtskräftig verurteilt ist (vgl. BVerfGE 15, 288 <295>; 34, 369 <379>; 42, 95 <100>), für die Zumutbarkeit der Haftbedingungen also der Gesichtspunkt keine Rolle spielen kann, dass der Betroffene sich durch strafbares Verhalten selbst unter diese Bedingungen versetzt habe.

Den durch § 119 Abs. 3 StPO eröffneten Möglichkeiten des Eingriffs in Grundrechte des Untersuchungsgefangenen sind nach alledem auch bei voller Ausschöpfung der Generalklausel vergleichsweise enge Grenzen gesetzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juli 1994 - 2 BvR 806/94 -, a.a.O., S. 1478 <1480>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juli 1995 - 2 BvR 1439/95 -, a.a.O., S. 566 <567>).

c) Diesen Maßstäben trägt die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht Rechnung.

aa) Das Ziel der Anstalt, Störungen der Nachtruhe sowohl zum Schutz der Gefangenen als auch - aufgrund der innerstädtischen Lage der Anstalt - zum Schutz der Nachbarschaft zu vermeiden, stellt zwar grundsätzlich einen legitimen Zweck dar, der sowohl nach verfassungsrechtlichen Maßstäben als auch nach der einfachgesetzlichen Bestimmung des § 119 Abs. 3 StPO grundsätzlich geeignet ist, grundrechtsbeschränkende Maßnahmen zu rechtfertigen. Zur Ordnung in der Vollzugsanstalt im Sinne des § 119 Abs. 3 StPO zählt auch der Schutz der Mitgefangenen vor unnötigen zusätzlichen Belastungen durch Lärm und Unruhe (vgl. BVerfGE 35, 311 <317>).

bb) Schon die Erforderlichkeit der ergriffenen Maßnahme hat das Gericht jedoch nicht in der gebotenen Weise festgestellt. Zur Begründung dafür, dass Verhaltensvorschriften und deren Überwachung und eine eventuelle disziplinarische Ahndung von Übertretungen als milderes Mittel nicht ausreichen, hat es nur pauschal angemerkt, dass nächtliche Ruhestörungen sich allein durch repressive Maßnahmen nicht verhindern ließen. Eine konkrete Grundlage für diese Einschätzung wird nicht erkennbar. Auch dem ablehnenden Bescheid der Justizvollzugsanstalt und ihrer im fachgerichtlichen Verfahren abgegebenen Stellungnahme war hierzu nichts Näheres zu entnehmen.

Ebensowenig wie eine Gefahr für die Ordnung in der Anstalt ohne konkrete Anhaltspunkte einfach unterstellt werden darf (vgl. BVerfGE 35, 5 <10>; 42, 234 <236>; 57, 170 <177>), kann es aber zulässig sein, naheliegende schonendere Mittel der Gefahrenabwehr ohne konkrete Anhaltspunkte für ihre Untauglichkeit zugunsten schärferer Instrumente zu verwerfen. Sollte das Gericht nur darauf haben verweisen wollen, dass repressive Maßnahmen und deren präventive Androhung nicht jegliche Übertretung von Vorschriften zur Nachtruhe mit hundertprozentiger Sicherheit ausschließen können, trifft das zwar zu, beantwortet aber nicht die entscheidende Frage, ob ein im Hinblick auf die Schutzzwecke des § 119 Abs. 3 StPO ausreichendes Maß an nächtlicher Ruhe nicht auch auf andere, für die unterschiedlichen grundrechtlichen Belange der Gefangenen schonendere Weise als mittels einer generellen nächtlichen Stromsperre zu erreichen wäre. Hierzu hat das Gericht Erfahrungen, die konkrete Anhaltspunkte für die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit milderer Abwehrmaßnahmen gegen nächtliche Ruhestörungen und den dazu erforderlichen Aufwand geben könnten, weder bei der Antragsgegnerin abgefragt noch hat es sich um Erkenntnisse über Erfahrungen in anderen Anstalten bemüht. Das wird den Anforderungen an die Prüfung der Erforderlichkeit (vgl. zu den Anforderungen bei entsprechenden Maßnahmen im Maßregelvollzug LG Stendal, Beschluss vom 10. Juli 2003 - 504 StVK 39/03 - RuP 2005, S. 36 <38 f.>; Wagner, RuP 2005, S. 39 f.) nicht gerecht.

Das Gericht hat auch nicht geprüft, inwieweit neben oder anstelle von Überwachungsmaßnahmen sonstige aus anderen Gemeinschaftseinrichtungen bekannte Maßnahmen wie Kopfhörergebote oder die Regulierung der Lautstärkeregler an Fernseh- und Radiogeräten eine vollständige Stromsperre zur Nachtzeit entbehrlich machen könnten.

Die Berufung der Anstalt darauf, dass die Stromversorgung in der Haftanstalt nur stockwerksweise an- oder abgeschaltet werden könne, gab Anlass, zu prüfen, ob ein derartiger technischer Zustand mit der grundsätzlich gebotenen Ausrichtung eingreifender Maßnahmen nach § 119 Abs. 3 StPO auf den konkreten Einzelfall (vgl. BVerfGE 15, 288 <297>; 35, 5 <11>) und mit der Verpflichtung vereinbar ist, bei Maßnahmen genereller Art gegenüber Untersuchungsgefangenen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung zu tragen, dass im Einzelfall Ausnahmen zugelassen werden, soweit dies ohne konkrete Gefährdung der in § 119 Abs. 3 StPO genannten Interessen möglich ist (vgl. BVerfGE 15, 288 <294 f.>; 34, 384 <398, 400>; 34, 384 <398>; 42, 95 <102>). Auch damit hat das Gericht sich nicht auseinandergesetzt. Seine Feststellung, eine Ausnahme für den Beschwerdeführer gemäß Nr. 54 Abs. 2 der Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) sei schon aus technischen Gründen nicht möglich, geht an der Frage vorbei, inwieweit die Anstalt berechtigt sein kann, sich auf technische Unmöglichkeiten zu berufen, die technisch problemlos behebbar wären. Da der Staat einerseits verpflichtet ist, die Vollzugsanstalten in der zur Wahrung der Grundrechte erforderlichen Weise auszustatten (vgl. BVerfGE 40, 246 <284>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juli 1994 - 2 BvR 806/94 -, a.a.O., S. 1478 <1479 f.>), andererseits aber die Wahrung der Grundrechte keinen unbegrenzten, unzumutbaren Aufwand erfordert (vgl. BVerfGE 34, 369 <380 f.>; 34, 384 <402>; 42, 95 <100 f.>), ist dies eine Frage der Verhältnismäßigkeit der Beeinträchtigungen, die von dem gegebenen technischen Zustand ausgehen, und - was auf dasselbe hinausläuft - der Zumutbarkeit des Mitteleinsatzes für technische Veränderungen. Eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende Beantwortung dieser Frage hätte nähere Informationen erfordert, die das Gericht nicht eingeholt hat. Die vom Ministerium in seiner Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde mitgeteilten Renovierungspläne zeigen, dass nähere Informationen zur Beschaffenheit der Elektrotechnik in der Anstalt und zum Aufwand für Veränderungen, die es erlauben würden, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besser Rechnung zu tragen, ohne weiteres verfügbar gewesen wären, und dass aus dortiger Sicht die technischen Verhältnisse in praktikabler und zumutbarer Weise veränderbar sind.

Die Untersuchungshaftvollzugsordnung geht allerdings mit der Regelung, wonach der Anstaltsleiter gestatten kann, dass der Haftraum über die vorgeschriebene Zeit hinaus beleuchtet wird (Nr. 54 Abs. 2 UVollzO; vgl. auch Nr. 68 Abs. 1 Nr. 3 UVollzO), offenbar davon aus, dass eine Beleuchtung der Hafträume vorbehaltlich solcher Gestattung nicht durchgehend verfügbar sein muss. Zur Rechtfertigung einer generellen nächtlichen Stromsperre ist die Untersuchungshaftvollzugsordnung jedoch ungeeignet. Es handelt sich um eine allgemeine Verwaltungsanordnung, die den Richter nicht bindet (vgl. BVerfGE 15, 288 <294>; 34, 369 <379>) und der Beachtung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht enthebt.

cc) In der Entscheidung des Oberlandesgerichts fehlt es auch an jeder erkennbaren, gewichtenden Berücksichtigung des Umstandes, dass die Maßnahme Grundrechte des Beschwerdeführers nicht unerheblich beeinträchtigt. Auch wenn von der Unterbrechung der Stromzufuhr ausschließlich Nachtstunden betroffen sind, in denen üblicherweise geschlafen wird, kann der Eingriff nicht als völlig geringfügig angesehen werden. Die Möglichkeit, Rundfunk zu empfangen und sich bei Licht zu beschäftigen - etwa zu lesen oder zu schreiben - und die Möglichkeit, dies auch in den Nachtstunden zu tun, ist gerade für einen Untersuchungsgefangenen von besonderer Bedeutung. Untersuchungshaft ist für die Betroffenen hochgradig belastend. Untersuchungsgefangene sind in besonderem Maße - noch mehr als andere Inhaftierte - suizidgefährdet (vgl. GBE - Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Gesundheitsbericht für Deutschland 1998, Kapitel 5.16, unter "Risikogruppen" - http://www.gbe-bund.de; Konrad, Psychiatrische Probleme im Justizvollzug, in: Venzlaff/Foerster <Hrsg.>, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. 2004, S. 371 <379>). Es liegt auf der Hand, dass die in der Untersuchungshaft rechtlich möglichen und notwendigen besonderen Kontaktbeschränkungen, das Warten auf den Strafprozess und die besondere Ungewissheit der Haftdauer nicht nur mit Risiken für die psychische Stabilität verbunden sind, sondern auch den Schlaf-Wach-Rhythmus stören können, und dass es daher gerade in dieser Lage eine besondere zusätzliche Belastung darstellt, nachts weder elektrische Geräte noch auch nur das Licht einschalten zu können. Die generelle Stromabschaltung in den bezeichneten Nachtstunden bedurfte daher sorgfältiger Prüfung auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Dem Vorbringen der Justizvollzugsanstalt und den Gründen der hierauf gestützten Entscheidung des Oberlandesgerichts sind Sachverhaltsfeststellungen und eine Abwägung, die die Beurteilung der angegriffenen Maßnahme als mit Blick auf die Grundrechte des Beschwerdeführers angemessen rechtfertigen könnten, nicht zu entnehmen (vgl. zur Frage der Verhältnismäßigkeit einer Nachtstromsperre im Maßregelvollzug LG Stendal, Beschluss vom 10. Juli 2003 - 504 StVK 39/03 -, a.a.O., S. 36 <38 f.>; Wagner, a.a.O.; für den Untersuchungshaftvollzug Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 2004, § 119 Rn. 120).

Soweit das Gericht die Berechtigung der nächtlichen Stromsperre damit begründet, dass sie in mehrfach belegten Hafträumen der Vermeidung von Streitigkeiten wegen unterschiedlicher Ruhebedürfnisse der Insassen diene, ist darauf hinzuweisen, dass das Gesetz für Untersuchungsgefangene einen Anspruch auf Einzelunterbringung vorsieht. Ein Untersuchungsgefangener darf zusammen mit anderen Untersuchungsgefangenen nur untergebracht werden, wenn er es ausdrücklich schriftlich beantragt (§ 119 Abs. 2 Satz 1 StPO). Der Antrag kann jederzeit in gleicher Weise zurückgenommen werden (§ 119 Abs. 2 Satz 2 StPO). Etwas anderes ist nur für den Sonderfall vorgesehen, dass der körperliche oder geistige Zustand des Gefangenen eine gemeinschaftliche Unterbringung erfordert (§ 119 Abs. 2 Satz 3 StPO). Da das Gesetz demnach für die Untersuchungshaft grundsätzlich von der Unzumutbarkeit einer unfreiwilligen Unterbringung in mehrfach belegten Hafträumen ausgeht, können auch grundrechtsbeschränkende Maßnahmen, die an eine Mehrfachbelegung anknüpfen, jedenfalls bei unfreiwilliger Unterbringung unter solchen Verhältnissen schwerlich ohne weiteres - und wenn überhaupt, dann allenfalls vorübergehend - als zumutbar gelten.

2. Ob durch die angegriffene Entscheidung weitere Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt sind, kann angesichts des festgestellten Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 GG offenbleiben.

3. Die Entscheidung beruht auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Sie ist daher gemäß § 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist zur Entscheidung über die Kosten an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.

IV.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Ende der Entscheidung

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