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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 26.10.2000
Aktenzeichen: 2 BvR 1280/99
Rechtsgebiete: AuslG, AsylVfG, BVerfGG, GG


Vorschriften:

AuslG § 51 Abs. 3
AuslG § 51 Abs. 1
AuslG § 53
AsylVfG § 30 Abs. 4
BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1
GG Art. 16a Abs. 1
GG Art. 16 Abs. 2 Satz 2
GG Art. 18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1280/99 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des türkischen Staatsangehörigen Ö ...

- Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Ingeborg Eisele und Koll., Hildesheimer Straße 52 A, Hannover -

gegen a) das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 1999 - BVerwG 9 C 23.98 -,

b) das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. November 1997 - 11 L 4327/97 -,

c) mittelbar § 51 Abs. 3 AuslG

d) mittelbar § 30 Abs. 4 AsylVfG

und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

und Beiordnung des Rechtsanwalts Werner Schindler

hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Sommer, Broß und die Richterin Osterloh gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 26. Oktober 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Schindler wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, wurde vom Oberlandesgericht Celle als führender PKK-Funktionär zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Er wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, mit dem unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils seine Asylanerkennung aufgehoben und sein Antrag auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG abgelehnt wurde sowie gegen das die Revision hiergegen zurückweisende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 109, 12 ff.). Der Beschwerdeführer beanstandet im Wesentlichen, dass er wegen des sogenannten "Terrorismusvorbehalts" vom Asylgrundrecht ausgeschlossen worden ist; mittelbar rügt er die Verfassungswidrigkeit von § 30 Abs. 4 AsylVfG und § 51 Abs. 3 AuslG.

II.

Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, da die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Demgemäß kommt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht in Betracht.

1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht deshalb in seinem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör oder in seinem Asylgrundrecht, weil sie der von 1986 bis 1992 dauernden Ausbürgerung die Asylrechtsrelevanz absprechen.

a) Eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch das Oberverwaltungsgericht liegt nicht darin, dass sich in den Urteilsgründen keine Ausführungen zur Ausbürgerung des Beschwerdeführers finden. Das Bundesverfassungsgericht kann lediglich dann feststellen, dass ein Gericht seine Pflicht, den ihm unterbreiteten Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, verletzt hat, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles ergibt. An solchen Anhaltspunkten fehlt es hier. Das Oberverwaltungsgericht hat die Ausbürgerung des Beschwerdeführers zur Kenntnis genommen und auch ausführlich im Tatbestand des angegriffenen Urteils dargestellt. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte nicht, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfGE 5, 22 <24>; 22, 267 <274>; 96, 205 <217>; stRspr). Aus dem nachfolgend unter b) genannten Grunde könnte das Urteil des Oberverwaltungsgerichts zudem auch nicht auf der gerügten Nichtberücksichtigung der Ausbürgerung des Beschwerdeführers beruhen.

b) Es ist mit dem Asylgrundrecht vereinbar, dass sowohl das Oberverwaltungsgericht wie auch das Bundesverwaltungsgericht der zeitweisen Ausbürgerung des Beschwerdeführers keine asylrechtliche Bedeutung mehr beigemessen haben. Ohne Verfassungsverstoß hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass die Anerkennung des Beschwerdeführers als Asylberechtigter wegen der - zwischenzeitlich wieder rückgängig gemachten - Ausbürgerung bereits aus tatsächlichen Gründen nicht mehr in Betracht kommt. Der Beschwerdeführer hat nicht substantiiert geltend gemacht, dass ihm eine Wiederholung der Maßnahme droht oder aus der zeitweisen Ausbürgerung fortbestehende Nachteile entstanden sind. Insofern ist die Ausbürgerung auch nicht mit den vom Beschwerdeführer angeführten Beispielen, insbesondere einer dauerhaften Verweigerung der Wiedereinreise, vergleichbar.

2. Art. 16a Abs. 1 GG ist auch nicht dadurch verletzt, dass die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer in Anwendung des sogenannten "Terrorismusvorbehalts" vom Grundrecht auf Asyl ausgeschlossen haben.

a) Eine solche Verletzung folgt zunächst nicht daraus, dass - wie der Beschwerdeführer geltend macht - seine exilpolitischen Aktivitäten nicht ausnahmslos terroristisch geprägt waren. Er weist in diesem Zusammenhang auf seine friedliche Tätigkeit für den Kurdischen Arbeiterverein Celle und die Organisation "Feyka" sowie seine Kandidatur und Wahl zum Abgeordneten des Kurdischen Nationalparlaments 1992 hin.

Der Beschwerdeführer kann sich für seine Auffassung nicht auf den Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. April 1991 - 2 BvR 1437/90 - (InfAuslR 1991, S. 257 <260>) berufen. Dieser Kammerbeschluss stützt sich ausdrücklich auf die bisherige Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts. Im Beschluss vom 20. Dezember 1989 - 2 BvR 958/86 - (BVerfGE 81, 142 <152 f.>) ist im Anschluss an BVerfGE 80, 315 (338 f.) die Grenze der Asylverheißung dort gezogen worden, wo der Asylsuchende seine politische Überzeugung unter Einsatz terroristischer Mittel betätigt, da eine solche Art des politischen Kampfes von der Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung mit der von ihr mitgetragenen Völkerrechtsordnung grundsätzlich missbilligt wird. Maßnahmen des Staates zur Abwehr des Terrorismus sind deshalb keine politische Verfolgung, wenn sie dem aktiven Terroristen, dem Teilnehmer im strafrechtlichen Sinne oder demjenigen gelten, der im Vorfeld Unterstützungshandlungen zu Gunsten terroristischer Aktivitäten vornimmt, ohne sich an diesen Aktivitäten zu beteiligen. Allerdings kann auch in derartigen Fällen eine asylerhebliche Verfolgung vorliegen, sofern zusätzliche Umstände, etwa die besondere Intensität der Verfolgungsmaßnahmen, für eine solche Annahme sprechen. Unabhängig davon gilt nach der genannten Entscheidung des Zweiten Senats aber, dass es außerhalb des Asylrechts liegt, wenn für terroristische Aktivitäten nur ein neuer Kampfplatz gesucht wird, um sie dort fortzusetzen oder zu unterstützen. Demgemäß kann Asyl nicht beanspruchen, wer terroristische Aktivitäten oder deren Unterstützung von der Bundesrepublik Deutschland aus in den hier möglichen Formen fortzuführen trachtet. Ob ein asylsuchender Flüchtling, der in seinem Heimatland seine politische Überzeugung mit terroristischen Mitteln betätigt hat, sein bisheriges, dem Bereich des Terrorismus zuzurechnendes, gegen den Heimatstaat gerichtetes Tun fortsetzen will, beurteilt sich insbesondere auch danach, inwieweit sein Handeln in der Bundesrepublik Deutschland geprägt ist durch die Betätigung in oder für Organisationen oder Vereinigungen, die ihrerseits die Durchführung oder Unterstützung terroristischer Aktivitäten zum Ziel haben. Hierbei ist zu beachten, dass der Flüchtling seine politische Überzeugung in der Bundesrepublik Deutschland bekunden und im Rahmen der Grenzen, die ihm die hier geltende Rechtsordnung zieht, auch betätigen darf (a.a.O. S. 153).

Im Kammerbeschluss vom 25. April 1991 - 2 BvR 1437/90 - (a.a.O.) wird allerdings ausgeführt, dass der Ausschluss des sich terroristisch betätigenden Ausländers vom Asylgrundrecht die Asylrelevanz anderer - außerhalb der Abwehr oder Ahndung des terroristischen Beitrags liegender - Verfolgungsmaßnahmen unberührt lasse; die der Asylverheißung gezogenen Grenzen ergäben sich unmittelbar aus dem Gewährleistungsinhalt des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG (jetzt Art. 16a Abs. 1 GG) selbst und dürften nicht als Fälle der Verwirkung des Grundrechts im Sinne von Art. 18 GG missverstanden werden. Dies steht aber in Zusammenhang mit der unmittelbar vorangehenden Erwägung, über das in BVerfGE 81, 142 (152) ausdrücklich Gesagte hinaus könne regelmäßig auch derjenige Ausländer Asyl nicht beanspruchen, der ohne vorherige terroristische Betätigung (schon) im Herkunftsstaat von diesem wegen (erstmals) außerhalb verübten, gegen ihn gerichteten Terrors strafrechtlich verfolgt werde.

Hiervon ausgehend müssen die Fachgerichte sämtliche exilpolitischen Aktivitäten des Asylbewerbers in den Blick nehmen und in einer wertenden Gesamtschau entscheiden, ob diese wegen ihrer terroristischen Prägung den Ausschluss vom Asylgrundrecht rechtfertigen. Der Beschwerdeführer geht von der unzutreffenden Annahme aus, bei mehreren Verfolgungsgründen - terroristische Unterstützung der PKK und nicht-terroristisches Engagement in der Exilpolitik ( könne das Asylrecht gleichsam "geteilt" werden. Dies ist aber jedenfalls hinsichtlich seines abwehrrechtlichen Kerns - Verbot der Abschiebung in den Verfolgerstaat - nicht möglich. Kommt das Fachgericht aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung und der von ihm anzustellenden Prognose zu dem Ergebnis, dass ein Asylbewerber wegen als terroristisch zu qualifizierender Aktivitäten ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellt und die asylrechtliche Schutzgewährung für die Bundesrepublik Deutschland deshalb nicht zumutbar erscheint, so greift der "Terrorismusvorbehalt" ein, unabhängig davon, ob neben den das Gesamtbild prägenden terroristischen Aktivitäten auch sonstige Exilpolitik betrieben worden ist oder wird.

Sowohl das Oberverwaltungsgericht wie auch das Bundesverwaltungsgericht haben ausweislich der Darstellung in den Tatbeständen der angegriffenen Urteile auch die Tätigkeiten des Beschwerdeführers im Kurdischen Arbeiterverein Celle und in der "Feyka" gewürdigt. Das Oberverwaltungsgericht hat dabei die genannten verfassungsrechtlichen Vorgaben beachtet und auf die Prägung des Handelns des Asylbewerbers in der Bundesrepublik Deutschland abgestellt. Auch das Bundesverwaltungsgericht führt zutreffend aus, maßgebend sei, ob das Verhalten des Asylbewerbers bei einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des einzelnen Falles sich als aktive Unterstützung terroristischer Aktivitäten darstellt; an einer terroristischen Prägung des Gesamtverhaltens könne es fehlen, wenn sich die Betätigung auf Geldspenden, die Verteilung von Zeitungen und Flugblättern, die Teilnahme an friedlichen Demonstrationen, an Hungerstreiks und nicht gewalttätigen Besetzungsaktionen beschränkt (vgl. dazu auch Kammerbeschluss vom 25. April 1991 - 2 BvR 1437/90 -, a.a.O., S. 261). An diesem Maßstab misst das Bundesverwaltungsgericht dann die Aktivitäten des Beschwerdeführers zwischen 1987 bis zu seiner Festnahme Anfang 1996 und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass dieser aufgrund seiner hochrangigen Funktionärstätigkeit für die PKK eine qualifizierte Mitverantwortung für deren kriminelle und terroristische Aktivitäten in Deutschland trage. In den genannten Zeitraum fallen zwar auch sowohl der Vorsitz des Beschwerdeführers bei der "Feyka" von Februar 1987 bis Mai 1988 wie auch die Kandidatur und Wahl zum sog. Kurdischen Nationalparlament 1992. Wenn das Bundesverwaltungsgericht auch diese Aktivitäten der terroristischen Betätigung für die PKK zugeordnet hat, begegnet dies indes keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und wurde vom Beschwerdeführer im Übrigen auch nicht substantiiert angegriffen: Die "Feyka" wurde im November 1993 vom Bundesminister des Innern zusammen mit der PKK verboten; das gilt auch für das Kurdische Nationalparlament als Exilorganisation der PKK. Dies steht der Annahme entgegen, dass es sich hierbei um "friedliche Organisationen" handeln könnte. Als sonstige nicht-terroristische exilpolitische Betätigung könnte damit allenfalls noch der Vorsitz des Beschwerdeführers beim Kurdischen Arbeiterverein von November 1981 bis März 1984 angesehen werden. Auf diesen Zeitraum hat das Bundesverwaltungsgericht den "Terrorismusvorbehalt" aber gerade nicht angewandt. Davon abgesehen nennt auch das Schreiben der Türkischen Botschaft vom 27. Juni 1996 als Gründe für eine Strafverfolgung in der Türkei allein die Teilnahme des Beschwerdeführers an den Wahlen zum Kurdischen Nationalparlament und seine Arbeit für die PKK.

b) Für den Ausschluss vom grundrechtlichen Asylanspruch wegen terroristischer Aktivitäten im Zufluchtsland als neuem Kampfplatz gilt nach den Ausführungen in BVerfGE 81, 142 (152 f.) keine "Rückausnahme" für den Fall, dass im Verfolgerstaat deswegen eine härtere Bestrafung droht als die sonst zur Verfolgung ähnlicher - nicht politischer - Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit übliche; dies ist gegenüber dem Kammerbeschluss vom 25. April 1991 - 2 BvR 1437/90 - (a.a.O.) klarzustellen. Ohne Verfassungsverstoß hat das Bundesverwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass die vom Beschwerdeführer beanspruchte "Rückausnahme" nur für die Beantwortung der Frage gilt, ob Maßnahmen des Staates zur Abwehr des Terrorismus wegen zusätzlicher Umstände, etwa ihrer besonderen Intensität, als politische Verfolgung zu qualifizieren sind.

Soweit allerdings Folter, Todesstrafe oder menschenrechtswidrige Behandlung oder Bestrafung in Rede stehen, bleibt - wie auch die angegriffenen Entscheidungen nicht verkannt haben - ein möglicher Anspruch auf anderweitigen ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG unberührt.

3. Soweit die angegriffenen Entscheidungen die Anerkennung des Beschwerdeführers als Asylberechtigten auch gemäß § 51 Abs. 3 AuslG und § 30 Abs. 4 AsylVfG abgelehnt haben, beruhen sie auf dieser zusätzlichen Begründung nicht. Die insoweit erhobene Rüge des Beschwerdeführers (vgl. dazu auch Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 13. Dezember 1999, NVwZ-Beilage I 9/2000, S. 102 <105 ff.>) bedarf deshalb hinsichtlich der geltend gemachten Verletzung von Art. 16a Abs. 1 GG keiner verfassungsrechtlichen Prüfung.

Soweit die Verfassungsbeschwerde sich mit ihrem Vorbringen im Zusammenhang mit der Anwendung des § 51 Abs. 3 AuslG auch gegen die Verneinung von Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG wendet, ist schon nicht substantiiert dargelegt, inwiefern hierdurch - insbesondere angesichts der in beiden angegriffenen Entscheidungen ausdrücklich vorbehaltenen Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG - Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt sein könnten.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



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