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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 27.08.2003
Aktenzeichen: 2 BvR 1324/03
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1324/03 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 28. Juli 2003 - 2 Ws 735/03 H -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Jentsch, Broß und die Richterin Osterloh gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 27. August 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe:

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht ausgeschöpft hat (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Zur Erschöpfung des Rechtsweges gehört auch das Nutzen des Rechtsbehelfs, den § 33a StPO eröffnet. § 33a StPO ist dahingehend auszulegen, dass die Bestimmung jeden Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG im Beschlussverfahren erfasst (vgl. BVerfGE 42, 243 <247 ff.>; 42, 252 <255>; BVerfG, Vorprüfungsausschuss vom 5. März 1985 - 2 BvR 1715/83 -, NStZ 1985, S. 277). Der Beschwerdeführer, der auch die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG rügt, hätte daher vor der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zunächst mit Hilfe eines Antrages nach § 33a StPO den Versuch unternehmen müssen, eine Beseitigung der Verletzung rechtlichen Gehörs zu erreichen. Dieser Weg steht ihm, da der Antrag nach § 33a StPO nicht fristgebunden ist, nach wie vor offen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 1999 - 2 BvR 1911/99 -, NStZ-RR 2000, S. 110).

2. In der Sache wird das Oberlandesgericht München auf einen Antrag nach § 33a StPO hin, die Verletzung rechtlichen Gehörs zu beheben und unter Auseinandersetzung mit der Argumentation des Beschwerdeführers in den Schriftsätzen vom 7. und 17. Juli 2003 erneut die Frage zu prüfen haben, ob die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet werden kann.

a) Das Oberlandesgericht hat mit dem angegriffenen Beschluss vom 28. Juli 2003 das rechtliche Gehör verletzt. Art. 103 Abs. 1 GG gibt dem Beteiligten ein Recht darauf, sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Diesem Anspruch korrespondiert die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen des Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 11, 218 <220>; 14, 320 <323>; 18, 380 <383>; 22, 267 <273>). Dieser Pflicht ist das Oberlandesgericht nicht nachgekommen. Es erwähnt zwar in den Gründen des angegriffenen Beschlusses die Schriftsätze vom 7. und 17. Juli 2003 im Zusammenhang mit dem darin gerügten Verstoss gegen das Beschleunigungsgebot, dem es hinreichend Rechnung getragen sieht. Mit den einzelnen Argumenten des Beschwerdeführers setzt es sich jedoch nicht auseinander. Es listet vielmehr lediglich die Daten der einzelnen Geschehnisse auf, ohne diese unter der relevanten Frage des Vorliegens eines wichtigen Grundes im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO einer nachvollziehbaren Beurteilung zu unterziehen und sich der entsprechenden Bewertung des Beschwerdeführers zu stellen. Geht aber das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vorbringens eines Beteiligten nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung eben dieses Vortrages schließen (vgl. BVerfGE 86, 133 <146>). Dies gilt vorliegend umso mehr, als es die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung einer langen Dauer der Untersuchungshaft gebieten, dass sich das Oberlandesgericht bei der zu treffenden Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft mit deren Voraussetzungen auseinander zu setzen und seine Entscheidung detailliert zu begründen hat. Im Rahmen der besonderen Haftprüfung nimmt das Oberlandesgericht eine nur ihm vorbehaltene eigene Sachprüfung vor, wobei es zugleich erst- und letztinstanzlich entscheidet (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. September 2001 - 2 BvR 1316/01 -, NJW 2002, S. 207 f. <208>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 1999 - 2 BvR 171/99 -, NJW 1999, S. 2802 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. August 1998 - 2 BvR 962/98 -, StV 1999, S. 40). Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung abgesehen von der fehlenden Auseinandersetzung mit dem Vortrag des Beschwerdeführers nicht gerecht. Das Oberlandesgericht nimmt in unzulässiger Weise (vgl. BVerfG, a.a.O., StV 1999, S. 40; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Februar 2000 - 2 BvR 453/99 -, NJW 2000, S. 1401 f.) auf seinen früheren Beschluss Bezug und geht über bloß floskelhafte Formulierungen nicht hinaus. Eine aktuelle Bewertung des Verfahrensstandes unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens eines wichtigen Grundes im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO findet sich in dem angegriffenen Beschluss ebenso wenig wieder wie die Feststellung, dass der angenommene wichtige Grund auch die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigt. Auch fehlt es an der am konkreten Sachverhalt ausgerichteten Erörterung der Frage der Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Untersuchungshaft (§ 120 Abs. 1 StPO).

b) Bei der erneuten Befassung mit dieser Sache im Rahmen eines Antrages nach § 33a StPO wird das Oberlandesgericht die erforderliche Prüfung dieser Punkte nachzuholen und dabei der Bedeutung und Tragweite des Freiheitsrechts hinreichend Rechnung zu tragen haben.

aa) Art. 2 Abs. 2 GG garantiert die Freiheit der Person. In diesem Freiheitsgrundrecht ist das in Haftsachen geltende verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot angesiedelt (vgl. BVerfGE 46, 194 <195> m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht hat daher in ständiger Rechtsprechung betont, dass der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschwerdeführers den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen ständig als Korrektiv entgegenzuhalten ist (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 20, 45 <49 f.>) und sich sein Gewicht gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößern kann (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>) und regelmäßig vergrößern wird (vgl. BVerfGE 53, 152 <158 f.>). Das bedeutet, dass ein Eingriff in die Freiheit nur hinzunehmen ist, wenn und soweit der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters nicht anders gesichert werden kann als durch die vorläufige Inhaftierung des Verdächtigen (vgl. BVerfGE 19, 342, <347 f.>). Auch unabhängig von der zu erwartenden Strafe setzt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Haftdauer Grenzen. Dem trägt § 121 Abs. 1 StPO insoweit Rechnung, als der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Die Vorschrift des § 121 Abs. 1 StPO lässt nur in begrenztem Umfang eine Fortdauer der Untersuchungshaft zu und ist eng auszulegen (vgl. BVerfGE 20, 45 <50>; 36, 264 <270 f.>).

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen wird das Oberlandesgericht bei der erneuten Prüfung insbesondere die vom Beschwerdeführer in den Mittelpunkt seiner Argumentation gestellte Verletzung des Beschleunigungsgebotes besonderes Augenmerk zu schenken haben. Das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und die Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. BVerfGE 20, 45 <50>; 36, 264 <273>). Kommt es auf Grund vermeidbarer Fehler der Justizorgane zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens, so steht dies der Anordnung der Haftfortdauer entgegen. Dies gilt insbesondere, wenn es auf Grund von Kompetenzkonflikten, die ihre Ursache in grob fehlerhaften Entscheidungen haben, zu erheblichen Verfahrensverzögerungen kommt (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 1992 - 2 BvR 1305/92 -, StV 1992, S. 522; a.a.O., NJW 2000, S. 1401 f.). Der Beschwerdeführer hat gerade auch auf diesen Aspekt in seinen Schriftsätzen vom 7. und 17. Juli 2003 unter Auswertung von Literatur, die auch auf - vom Oberlandesgericht gleichfalls außer Acht gelassene - fachgerichtliche Rechtsprechung verweist, abgestellt. Ob die Bewertung des Beschwerdeführers zutreffend ist, wird das Oberlandesgericht unverzüglich nach Eingang eines Antrages nach § 33a StPO in Auseinandersetzung mit den einzelnen Argumenten zu prüfen haben.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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