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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 19.12.2000
Aktenzeichen: 2 BvR 143/98
Rechtsgebiete: BVerfGG, AuslG, VwGO, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93c
BVerfGG § 90 Abs. 1
BVerfGG § 93a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG § 34a Abs. 2
AuslG § 53 Abs. 4
AuslG § 51 Abs. 1
AuslG § 53
AuslG § 51
VwGO § 138 Nr. 3
GG Art. 16a
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 143/98 -

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

der türkischen Staatsangehörigen

1. A...,

2. A...

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Ralf Fischer, Kirchhofstraße 45, Berlin -

gegen

a) den Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 1997 - A 4 S 182/97 -,

b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 3. März 1997 - A 7 K 31277/95 -

hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Sommer, Broß und die Richterin Osterloh gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Absatz 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 19. Dezember 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 3. März 1997 - A 7 K 31277/95 - verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Chemnitz zurückverwiesen.

Der Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 1997 - A 4 S 182/97 - ist damit gegenstandslos.

Der Freistaat Sachsen hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

A.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen der Gewährung rechtlichen Gehörs in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf Klage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten gegen einen Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.

I.

1. Die 1975 und 1972 geborenen Beschwerdeführer, ein Ehepaar türkischer Staats- und kurdischer Volkszugehörigkeit, reisten im September 1994 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten politisches Asyl. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen aus, ein Cousin des Beschwerdeführers zu 1. habe sich der PKK angeschlossen, der Beschwerdeführer zu 1. selbst sei 1989 und 1992 verhaftet und gefoltert worden. Im Januar 1994 sei er wiederum für 15 Tage inhaftiert, nach dem Aufenthaltsort seines Cousins befragt und der Unterstützung der PKK bezichtigt worden, wobei man ihn erneut gefoltert habe. Danach habe er sich bis zu seiner Ausreise bei einer Tante und dann in Istanbul aufgehalten. Sein Vater sei verhaftet und unter Folter nach seinem Aufenthaltsort befragt worden; auch die Beschwerdeführerin zu 2. sei geschlagen und beschimpft worden.

2. a) Mit Bescheid vom 12. Dezember 1994 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) die Anerkennung der Beschwerdeführer als Asylberechtigte wegen der Einreise auf dem Landweg ab, stellte jedoch die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich der Türkei fest. Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehene Bescheid wurde dem Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) ausweislich eines Vermerks in den Behördenakten am 14. Dezember 1994 "formlos zugeleitet" und den Beschwerdeführern per Einschreiben zugestellt.

b) Wegen der abgelehnten Asylanerkennung erhoben die Beschwerdeführer Klage beim Verwaltungsgericht Chemnitz; die Klageschrift wurde dem Bundesbeauftragten mit Schreiben des Gerichts vom 30. Dezember 1994 übersandt.

c) Nachdem die Beschwerdeführer im November 1995 vom Bundesamt eine Bestandskraftmitteilung bezüglich der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG erbeten hatten, wurde der Bescheid vom 12. Dezember 1994 dem Bundesbeauftragten am 21. Dezember 1995 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.

3. a) Am 29. Dezember 1995 erhob auch der Bundesbeauftragte Klage. Er beanstandete die Feststellungen zu den §§ 51 Abs. 1, 53 Abs. 4 AuslG mit der Begründung, es sei dem Beschwerdeführer zu 1. jedenfalls möglich und zumutbar gewesen, sich durch einen Umzug in den Westen der Türkei eventuellen Repressalien zu entziehen; die Beschwerdeführerin zu 2. sei von keinen asylerheblichen Maßnahmen betroffen gewesen. Auch eine landesweite Gruppenverfolgung von Kurden finde in der Türkei nicht statt.

b) Zu der vom Gericht aufgeworfenen Frage einer Verwirkung seines Klagerechts trug der Bundesbeauftragte vor, er habe erstmals am 21. Dezember 1995 von der Entscheidung des Bundesamtes Kenntnis erhalten. Im Übrigen sei das Rechtsinstitut der Verwirkung zu Lasten des Bundesbeauftragten nicht anzuwenden.

c) Die Beschwerdeführer nahmen im August 1996 hierzu Stellung und führten aus, der Bundesbeauftragte habe spätestens mit Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 30. Dezember 1994 von dem Asylbescheid Kenntnis erhalten. Mit seiner Klageerhebung mehr als ein Jahr nach der Zuleitung des Bescheides an ihn habe er gegen das im Asylverfahren geltende besondere öffentliche Interesse an der Verfahrensbeschleunigung verstoßen und daher sein Klagerecht verwirkt. Sie - die Beschwerdeführer - hätten auf den Bestand des im Bescheid gewährten Abschiebungsschutzes vertraut, sich deshalb zu einem weiteren Kind entschlossen und sich zudem beim Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin in Therapie begeben.

d) Mit Schriftsatz vom 16. September 1996 wiesen die Beschwerdeführer ergänzend darauf hin, dass der Bundesbeauftragte nicht erst im Rahmen des von ihnen angestrengten Klageverfahrens, sondern bereits durch die formlose Zuleitung des Asylbescheides am 14. Dezember 1994 davon Kenntnis erhalten habe, dass die Voraussetzungen der §§ 51, 53 AuslG festgestellt worden seien. Ferner machten die Beschwerdeführer weitere Angaben zu ihrem persönlichen Verfolgungsschicksal in der Türkei, und trugen u.a. mit - in der mündlichen Verhandlung vorgelegtem - Schriftsatz vom 28. Februar 1997 vor, eine Rückkehr in ihr Heimatgebiet sei für sie weder möglich noch zumutbar. Eine inländische Fluchtalternative sei für solche Menschen aus den Notstandsgebieten, die - wie sie - der Unterstützung der PKK verdächtigt worden seien, nicht gegeben. Der Beschwerdeführer zu 1. habe zudem auch wegen der Entziehung vom Wehrdienst mit politischer Verfolgung zu rechnen.

Weder der Schriftsatz vom 16. September 1996 noch der vom 28. Februar 1997 befinden sich in der vom Bundesverfassungsgericht beigezogenen Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts.

4. Am 3. März 1997 führte das Verwaltungsgericht Chemnitz in den zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Klagen der Beschwerdeführer und des Bundesbeauftragten eine mündliche Verhandlung durch. Während die Klagen der Beschwerdeführer wegen der Einreise auf dem Landweg abgewiesen wurden, hob das Verwaltungsgericht Chemnitz mit dem von der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteil vom 3. März 1997 auf die Klage des Bundesbeauftragten die Feststellung der Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 Abs. 4 AuslG auf. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Zulässigkeit der Klage begegne unter dem Gesichtspunkt einer Verwirkung des Klagerechts keinen Bedenken. Es könne dahingestellt bleiben, ob die zur Verwirkung entwickelten Grundsätze auf das Klagerecht des Bundesbeauftragten Anwendung fänden und ob insoweit die Voraussetzungen einer Vertrauensgrundlage und eines Vertrauenstatbestandes gegeben seien. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung sei die für die Annahme einer Verwirkung zugrunde zu legende Frist von mindestens einem Jahr noch nicht abgelaufen, da der Bundesbeauftragte frühestens mit dem gerichtlichen Mitteilungsschreiben vom 30. Dezember 1994 Kenntnis von dem ergangenen Bescheid erhalten habe. Die Klage sei auch begründet, weil die Beschwerdeführer Vorfluchtgründe nicht hätten glaubhaft machen können und auch im Falle einer Rückkehr in die Türkei keine politische Verfolgung zu befürchten hätten.

5. a) Den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil begründeten die Beschwerdeführer mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und einem Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO). Zur Gehörsrüge trugen sie vor, das Verwaltungsgericht habe den Inhalt der Klageerwiderungsschriften nicht erkennbar zur Kenntnis genommen und insbesondere in seinen Entscheidungsgründen nicht verarbeitet. Unter anderem habe es den Schriftsatz vom 16. September 1996 nicht zur Kenntnis genommen, weil das Gericht davon ausgegangen sei, dass der Bundesbeauftragte frühestens mit dem gerichtlichen Mitteilungsschreiben vom 30. Dezember 1994 von dem Bescheid Kenntnis erlangt habe. Bei Berücksichtigung ihres Vorbringens hätte das Verwaltungsgericht nicht von der Einhaltung der Jahresfrist ausgehen können.

b) Mit von der Verfassungsbeschwerde ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 15. Dezember 1997 lehnte das Sächsische Oberverwaltungsgericht den Berufungszulassungsantrag ab. Das Vorbringen der Beschwerdeführer zeige keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auf, die aufgeworfenen Fragen seien in der Rechtsprechung des Senats geklärt. Auch eine Versagung rechtlichen Gehörs liege nicht vor. Besondere Umstände, aus denen sich ergebe, dass das Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden sei, seien vorliegend nicht ersichtlich. Im Tatbestand des Urteils werde u.a. auf den Inhalt der Gerichtsakte und die Sitzungsniederschriften verwiesen. Dies zeige, dass das Gericht das Vorbringen der Beschwerdeführer zur Kenntnis genommen habe. Das Vorbringen sei auch erwogen worden, denn das Gericht habe die Zulässigkeit der Klage und die Frage, ob die Beschwerdeführer ihr Heimatland vorverfolgt verlassen hätten, umfassend geprüft.

II.

1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 2, 3 Abs. 1, 16a Abs. 1, 19 Abs. 4 i.V.m. 20 Abs. 3 und 103 Abs. 1 GG.

Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht eine inländische Fluchtalternative angenommen; denn es habe ins Verfahren eingeführte Erkenntnismittel nicht verwertet, aus denen das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht geschlossen habe, dass für bestimmte Kurden eine inländische Fluchtalternative in der Türkei nicht bestehe. Das Gericht habe zudem gegen ihren Anspruch auf rechtliches Gehör und gegen das Willkürverbot verstoßen, weil es den Inhalt der Klageerwiderungsschriften vom 23. Mai 1996 und 28. Februar 1997, den Vortrag der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung und den Schriftsatz vom 16. September 1996 nicht erkennbar zur Kenntnis genommen und insbesondere nicht in seinen Entscheidungsgründen verarbeitet habe. Dies betreffe das Vorbringen der Beschwerdeführer zu einer drohenden politischen Verfolgung des Beschwerdeführers zu 1. wegen Wehrdienstentziehung, zu den Gründen für dessen Festnahmen, zu der Weigerung des Beschwerdeführers zu 1., Dorfschützer zu werden, sowie den Hinweis der Beschwerdeführer darauf, dass die Zuleitung des Asylbescheids an den Bundesbeauftragten bereits am 14. Dezember 1994 erfolgt sei.

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts habe ihnen den Zugang zur Berufung in unzumutbarer Weise erschwert.

2. Das Sächsische Staatsministerium der Justiz, der Leiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hatten Gelegenheit zur Äußerung.

a) Der Bundesbeauftragte hat ausgeführt, es lasse sich nicht erkennen, dass das Verwaltungsgericht den Vermerk bezüglich der formlosen Zuleitung des Bescheides nicht erwogen habe. Denkbar sei vielmehr, dass sich das Gericht von der nahe liegenden Erwägung habe leiten lassen, dass aus der beabsichtigten Absendung eines Schriftstückes noch nicht zwingend auf dessen Zugang beim Empfänger geschlossen werden könne. Selbst wenn ein Zugang des Bescheides beim Bundesbeauftragten im Dezember 1994 unterstellt werden könne, könne aufgrund der besonderen Umstände des Falles nicht davon ausgegangen werden, dass der Bundesbeauftragte auch Kenntnis vom Inhalt des Bescheides erlangt habe. Bescheide des Bundesamtes, welche einen Asylanspruch oder das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 51, 53 AuslG bejahten, würden dem Bundesbeauftragten förmlich gegen Empfangsbekenntnis und mit vollständigen Behördenakten zugestellt. Dies diene zum einen der verlässlichen Berechnung der Rechtsmittelfristen und führe zum anderen dazu, dass der Bundesbeauftragte leichter erkennen könne, dass es sich hier um eine Entscheidung handele, die möglicherweise sein Tätigwerden erforderlich mache. Ablehnende Bundesamtsbescheide würden dem Bundesbeauftragten dagegen formlos übersandt; eine Überprüfung erfolge hier nur bei Hinzutreten besonderer Umstände. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Übersendung des Bescheides im vorliegenden Fall - sofern sie überhaupt im Dezember 1994 erfolgt sei - formlos geschehen sei mit der Folge, dass keine Veranlassung bestanden habe, den Inhalt der Entscheidung zur Kenntnis zu nehmen. Entsprechendes gelte für die Übersendung der Klageschrift. Dem Bundesbeauftragten sei es schon im Hinblick auf seine personelle Ausstattung nicht möglich, von den oftmals sehr umfangreichen Klageschriften näher Kenntnis zu nehmen. Hierfür bestehe auch kein Anlass. Abschließend sei darauf hinzuweisen, dass sich nach zutreffender Ansicht die Frage einer Verwirkung des Klagerechts nicht stelle.

b) Auf Anfrage des Gerichts hat das Bundesamt zur Bekanntgabe von Bescheiden an den Bundesbeauftragten mitgeteilt: Bescheide, die eine Asylanerkennung nach Art. 16a GG oder nur Feststellungen nach den §§ 51, 53 AuslG enthielten, würden dem Bundesbeauftragten in Form einer mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen, gesiegelten und beglaubigten Kopie gegen Empfangsbekenntnis zugestellt, wobei bei sogenannten "Mischbescheiden" die §§ 51, 53 AuslG zur Kenntlichmachung besonders angegeben würden. Zugleich werde dem Bundesbeauftragten die Verfahrensakte vorgelegt. Bei einer Verpflichtungsanerkennung (aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung) erhalte der Bundesbeauftragte eine gesiegelte und beglaubigte Kopie ohne Rechtsbehelfsbelehrung zugestellt. Von einer Ablehnung als offensichtlich unbegründet oder unbeachtlich werde er nicht benachrichtigt. In den sonstigen Fällen der Ablehnung werde dem Bundesbeauftragten eine Kopie des Bescheides mit Rechtsbehelfsbelehrung über die Amtspost zugeleitet. Wie es im vorliegenden Fall zu der von dieser Praxis abweichenden formlosen Zuleitung gekommen sei, sei nicht mehr feststellbar.

B. - I.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und - in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer begründenden Weise - auch offensichtlich begründet; die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

II.

1. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Gerichte brauchen sich dabei jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinander zu setzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Damit das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen kann, müssen deshalb im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 22, 267 <274>; 96, 205 <216 f.>; stRspr). Geht das Gericht allerdings auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 86, 133 <146>).

2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Verfassungsbeschwerde begründet. Das Verwaltungsgericht hat erhebliches Vorbringen der Beschwerdeführer bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt.

a) Die Beschwerdeführer haben mit Schriftsatz vom 16. September 1996 ausdrücklich darauf hingewiesen, nach den Akten des Bundesamtes sei davon auszugehen, dass der Bundesbeauftragte nicht erst durch die Zuleitung der Klageschrift Ende Dezember 1994, sondern bereits durch die am 14. Dezember 1994 verfügte formlose Zuleitung des Bescheides vom 12. Dezember 1994 Kenntnis von diesem erhalten habe mit der Folge, dass bei der Klageerhebung durch den Bundesbeauftragten am 29. Dezember 1995 bereits mehr als ein Jahr verstrichen gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hat zwar die Zuleitung des Bescheides am 14. Dezember 1994 im Tatbestand des angegriffenen Urteils erwähnt, in den Entscheidungsgründen jedoch ausgeführt, der Bundesbeauftragte habe "frühestens" mit dem gerichtlichen Mitteilungsschreiben vom 30. Dezember 1994 Kenntnis von dem ergangenen Bescheid erhalten, so dass bei Erhebung der Klage durch den Bundesbeauftragten die für die Annahme einer Verwirkung zugrunde zu legende Frist von mindestens einem Jahr noch nicht abgelaufen gewesen sei. Diese Erwägung widerspricht bereits den Feststellungen im Tatbestand des Urteils und lässt darüber hinaus den ausdrücklichen Hinweis der Beschwerdeführer in ihrem Schriftsatz vom 16. September 1996 außer Acht, so dass der Schluss nahe liegt, dass das Gericht den Zeitpunkt der formlosen Zuleitung bei der Abfassung der Entscheidungsgründe aus den Augen verloren und daher nicht erwogen hat. Bestärkt wird diese Schlussfolgerung durch den besonderen Umstand, dass der besagte Schriftsatz zwar zusammen mit einem Anschreiben des Gerichts an das Bundesamt übersandt wurde und daher Bestandteil der vom Gericht beigezogenen umfänglichen Beiakten war, er sich jedoch nicht in den vom Bundesverfassungsgericht beigezogenen Gerichtsakten befindet, so dass anzunehmen ist, dass er auch bis zum Zeitpunkt der Urteilsfindung keinen Eingang in die Gerichtsakten gefunden hatte. Dies rechtfertigt den Schluss, dass das Verwaltungsgericht die von den Beschwerdeführern ausdrücklich vorgetragene formlose Zuleitung des Asylbescheids an den Bundesbeauftragten am 14. Dezember 1994 bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Klage nicht in Erwägung gezogen hat. Soweit der Bundesbeauftragte meint, das Verwaltungsgericht habe sich möglicherweise von der Überlegung leiten lassen, eine beabsichtigte Absendung lasse noch nicht zwingend auf einen Zugang beim Empfänger schließen, ist diese Erwägung rein spekulativ und hätte seitens des Verwaltungsgerichts einer ausdrücklichen Erörterung bedurft, zumal der Behördenvermerk dafür spricht, dass es tatsächlich zu einer Absendung des Bescheides gekommen ist, und auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Bescheid auf dem Weg zum Bundesbeauftragten verloren gegangen sein könnte. Vielmehr ist anzunehmen, dass der Bundesbeauftragte den Bescheid nicht zur Kenntnis genommen hat, weil er ihn aufgrund der formlosen Zuleitung entsprechend der vom Bundesamt mitgeteilten Praxis der Bekanntgabe von Bescheiden für einen ablehnenden Bescheid gehalten hat, der sein Tätigwerden nicht veranlasse.

b) Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auch auf dem festgestellten Gehörsverstoß, denn es lässt sich nicht ausschließen, dass das Gericht bei Berücksichtigung der am 14. Dezember 1994 vermerkten formlosen Zuleitung des Bescheides zu einem für die Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage gelangt wäre, die Klage also möglicherweise als unzulässig abgewiesen hätte. Wie den Ausführungen des Verwaltungsgerichts selbst zu entnehmen ist, hätte es sich bei Annahme eines Zeitraums von über einem Jahr seit Kenntniserlangung vom Bescheid mit den im Urteil offen gelassenen Fragen beschäftigen müssen, ob der Bundesbeauftragte sein Klagerecht verwirken kann und ob die Voraussetzungen einer Verwirkung im Falle der Beschwerdeführer vorlagen. Hierbei handelt es sich um Fragen einfachen Rechts, über die das Bundesverfassungsgericht nicht abschließend zu entscheiden hat, so dass ein anderes Ergebnis jedenfalls nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann (vgl. BVerfGE 7, 275 <281 f.>).

c) Es ist auch nicht deutlich abzusehen, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben könnten mit der Folge, dass ihnen durch eine Versagung der Entscheidung zur Sache im Verfassungsbeschwerde-Verfahren kein besonders schwerer Nachteil entstünde (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG, vgl. dazu BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

Legt man den Eingang des Bescheids beim Bundesbeauftragten in den Tagen nach dem 14. Dezember 1994 zugrunde, so hätte das Verwaltungsgericht nach eigener Auffassung die Möglichkeit einer Verwirkung des Klagerechts des Bundesbeauftragten näher prüfen müssen, weil der Bundesbeauftragte bei Erhebung seiner Klage am 29. Dezember 1995 schon länger als ein Jahr vom Klagegrund hätte Kenntnis haben müssen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Einwand des Bundesbeauftragten, er habe jedenfalls von dem formlos zugeleiteten Bescheid keine Kenntnis genommen. Denn der Bundesbeauftragte ist verpflichtet, auch ablehnende Asylbescheide zur Kenntnis zu nehmen. Die Praxis des Bundesamtes, nur stattgebende Bescheide förmlich an den Bundesbeauftragten zuzustellen, und damit korrespondierend die Auffassung des Bundesbeauftragten, formlos zugeleitete Bescheide nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen, verkennen die Aufgaben des Bundesbeauftragten. Diese Institution soll nach ihrem Sinn und Zweck als Korrektiv gegenüber den weisungsungebundenen Entscheidungen des Bundesamtes dienen, auf eine einheitliche Entscheidungspraxis der Gerichte hinwirken sowie Fragen grundsätzlicher Bedeutung einer ober- oder höchstrichterlichen Klärung zuführen (vgl. BTDrucks 12/2718, S. 55 f.; BVerwGE 99, 38 <43 f.>). Dies schließt ein Tätigwerden sowohl zu Lasten wie auch zu Gunsten von Asylbewerbern ein. Auch Entscheidungen, die eine Asylanerkennung ablehnen, können grundsätzliche Fragen aufwerfen, deren Klärung der Rechtssicherheit dient. Die zu beobachtende einseitige Praxis des Bundesbeauftragten, nur zu Lasten der Asylbewerber gegen ganz oder teilweise stattgebende behördliche oder gerichtliche Entscheidungen vorzugehen (vgl. dazu kritisch Renner, AuslR, 7. Aufl. 1999, § 6 Rn. 2, 5; so auch schon Rothkegel in: GK-AsylVfG a.F., Stand: März 1992, § 5 Rn. 2 f.) und dabei gelegentlich auch einzelfallbezogene Sachverhalts- und Glaubwürdigkeitsaspekte geltend zu machen, wird dem gesetzgeberischen Auftrag nicht gerecht. Allein der Hinweis auf eine beschränkte personelle Ausstattung vermag das einseitige Tätigwerden des Bundesbeauftragten nicht zu rechtfertigen.

Das Verwaltungsgericht wird mithin zu prüfen haben, ob der Bundesbeauftragte sein Klagerecht verwirken konnte (eine Verwirkungsmöglichkeit bejahend z.B. Marx, AsylVfG, 4. Aufl. 1999, § 6 Rn. 7; verneinend Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 18. März 1996 - 3 L 1061/96 -) und ob die sonstigen Voraussetzungen einer Verwirkung im vorliegenden Fall erfüllt sind.

Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten wird das Verwaltungsgericht zudem zu prüfen haben, ob der Bundesbeauftragte bereits vor seiner Klageerhebung im Dezember 1995 seine Beteiligung am Asylverfahren der Beschwerdeführer erklärt hat und - falls er zuvor nicht Beteiligter war - ob er noch zulässig Klage erheben und damit seine Beteiligung erklären konnte (vgl. dazu auch BVerwGE 99, 38 <40 f.>), nachdem die im Bescheid vom 12. Dezember 1994 getroffenen Feststellungen zu den §§ 51 Abs. 1 und 53 Abs. 4 AuslG gegenüber den Beteiligten, nämlich den Beschwerdeführern, bestandskräftig geworden waren (vgl. dazu Schenk in: Hailbronner, AuslR, Stand: September 2000, § 6 AsylVfG Rn. 11; Marx, AsylVfG, 4. Aufl. 1999, § 6 Rn. 11; siehe auch VG Berlin, Urteil vom 13. September 1988 - VG 20 A 280.85 -, InfAuslR 1988, S. 342 <343>; BVerwGE 67, 64 <65>).

Sollte das Verwaltungsgericht zu der Überzeugung gelangen, die Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten sei zulässig, wird es bei der Beurteilung der Begründetheit der Klage Gelegenheit haben, die von den Beschwerdeführern im Laufe des Klageverfahrens geltend gemachten Asylgründe zu berücksichtigen und im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller vorgetragenen Umstände auch den Vortrag aus dem - nicht in den Gerichtsakten befindlichen - Schriftsatz vom 28. Februar 1997 in Erwägung zu ziehen.

III.

1. Wegen des festgestellten Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben, ohne dass es einer Entscheidung über die weiteren Grundrechtsrügen bedarf. Die Sache ist an das Verwaltungsgericht Chemnitz zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

2. Damit ist der ebenfalls angegriffene Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts gegenstandslos.

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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