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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 26.10.2005
Aktenzeichen: 2 BvR 1582/04
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 103 Abs. 1
GG Art. 104 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 2 BvR 1582/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 21. Oktober 2003 - 4 Ws 236-238/2003 -

hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Broß, die Richterin Lübbe-Wolff und den Richter Gerhardt gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a, § 93b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 26. Oktober 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 21. Oktober 2003 - 4 Ws 236-238/2003 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

2. Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zulässigkeit einer unter Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz zustandegekommenen Untätigkeitsbeschwerde eines Strafgefangenen.

Der Beschwerdeführer ist in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn inhaftiert. Am 25. Februar 2003 stellte der Vorsitzende der B... e.V., der in einer anderen Justizvollzugsanstalt inhaftierte Gefangene Sch., für den Beschwerdeführer unter Vorlage einer von diesem erteilten Vollmacht beim Landgericht Heilbronn den Antrag gemäß § 109 StVollzG, das Land Baden-Württemberg zu verpflichten, ihn in einem Haftraum mit räumlich fest abgetrennter, gesondert entlüfteter Toilette und einer ihm allein zustehenden Grundfläche von etwa 10 m2 brutto unterzubringen. Zur Begründung führte der Beschwerdeführer aus, er sei seit dem 21. November 2001 in einem mit insgesamt zwei Personen belegten Haftraum mit einer Grundfläche von 7,4 m2 und unverkleideter, nicht gesondert entlüfteter Toilette, die sich in unmittelbarer Nähe des Esstisches und der Schlafplätze befinde, werktags täglich 10 und am Wochenende 23 Stunden eingesperrt.

Am 9. September 2003 erhob der Gefangene Sch., der verschiedentlich in gerichtlichen Verfahren als Vertreter für andere Gefangene aufgetreten ist, für den Beschwerdeführer und die in derselben Anstalt wie dieser inhaftierten Mitgefangenen S. und H. Untätigkeitsbeschwerde beim Oberlandesgericht Stuttgart. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 21. Oktober 2003 verwarf das Oberlandesgericht "In der Strafvollzugssache" des im Rubrum namentlich aufgeführten Verfassungsbeschwerdeführers und seiner beiden Mitgefangenen die "Beschwerde des Sch.", der im Rubrum auch als Beschwerdeführer aufgeführt war, als unzulässig. Die Beschwerde sei unzulässig, da der Beschwerdeführer Sch. unter Verstoß gegen Art. 1 § 1 Rechtsberatungsgesetz ohne behördliche Erlaubnis die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten geschäftsmäßig betreibe. Folge eines Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz sei die Nichtigkeit der Vollmachterteilung. Dies habe, wie auch vom Landgericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes festgestellt, die Unzulässigkeit des für den Beschwerdeführer und seine Mitgefangenen gestellten Antrages zur Konsequenz. Infolge der Unzulässigkeit des vor dem Landgericht gestellten Antrags habe seither kein Anlass für eine Hauptsacheentscheidung seitens der Strafvollstreckungskammern bestanden, so dass - unabhängig von der Frage, ob in Strafvollzugssachen überhaupt eine Untätigkeitsbeschwerde statthaft sein könne - ein rechtswidriges Unterlassen seitens des Landgerichts Heilbronn nicht festzustellen sei.

Der Beschluss ging dem Beschwerdeführer eigenen Angaben zufolge am 12. Juni 2004 zu.

II.

1. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 und Art. 104 Abs. 1 Satz 2 GG.

2. Das Justizministerium Baden-Württemberg hat in seiner Stellungnahme dargelegt, dass dem Beschwerdeführer Angebote einer Verlegung zur Verbesserung seiner Unterbringungssituation gemacht worden seien, die er abgelehnt habe.

III.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), und gibt ihr statt. Die Entscheidungskompetenz der Kammer ist gegeben (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG), da das Bundesverfassungsgericht die für die Beurteilung maßgebenden verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden hat.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere fehlt es nicht an einer eigenen Betroffenheit des Beschwerdeführers durch die angegriffene Entscheidung. Jedenfalls aus den Gründen der angegriffenen Entscheidung ergibt sich, dass das Oberlandesgericht nicht nur - wie der Tenor des Beschlusses nahelegt - über eine Beschwerde des Gefangenen Sch. entschieden hat, sondern zugleich über die für den Beschwerdeführer eingelegte Beschwerde. Die erforderliche Beschwer ergibt sich daraus, dass das Oberlandesgericht die Beschwerde als für den Beschwerdeführer nicht wirksam eingelegt behandelt hat und auch nicht davon ausging, nach Ergehen seines Beschlusses stehe noch ein Rechtsbehelf des Beschwerdeführers, über den es zu entscheiden hätte, im Raum.

2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.

Der angegriffene Beschluss verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf wirksamen Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.

a) Der in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Anspruch des Bürgers auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise eingeschränkt werden (vgl. BVerfGE 40, 237 <256>; 74, 228 <234>; 77, 275 <284>; stRspr). Art. 19 Abs. 4 GG ist daher verletzt, wenn eine gerichtliche Sachentscheidung ohne nachvollziehbaren Grund versagt wird (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. März 2002 - 2 BvR 261/01 -, ZfStrVo 2002, S. 178). Die Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts vor allem auch darauf zu achten, dass der Zugang zu den Gerichten allen Bürgern auf möglichst gleichmäßige Weise eröffnet wird (BVerfGE 74, 228 <234>).

b) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Die Gerichte müssen zwar eine gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßende Vertretung nicht hinnehmen. Es entspricht gefestigter Rechtsauffassung, dass ein Prozessbevollmächtigter, der mit seiner rechtsbesorgenden Tätigkeit gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG verstößt, durch konstitutiven Beschluss vom weiteren Verfahren auszuschließen ist (vgl. BGH, NZI 2004, S. 510 <511>); hiergegen bestehen verfassungsrechtlich keine Bedenken (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. September 2003 - 2 BvR 1311/03 -, ZfStrVo 2003, S. 375 f.). Wird aber eine Rechtsbeschwerde, mit deren Einlegung der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßen hat, zulasten des Beschwerdeführers als unzulässig oder - wie hier - als unbeachtlich und deshalb für den Beschwerdeführer gar nicht erhoben behandelt, so läuft dies, wie bereits durch Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Dezember 2003 - 2 BvR 917/03 -, ZfStrVo 2004, S. 122 f. festgestellt, der Schutzrichtung des Rechtsberatungsgesetzes zuwider und verletzt den grundrechtlichen Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz.

c) Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem festgestellten Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Insbesondere fehlt diesem Grundrechtsverstoß die Entscheidungserheblichkeit nicht deshalb, weil das Oberlandesgericht ergänzend eine Erwägung angestellt hat, aus der sich ergibt, dass es die Untätigkeitsbeschwerde auch für unbegründet hält. Die ergänzende Erwägung, das Landgericht habe wegen Unzulässigkeit des dort gestellten Antrags keinen Anlass gehabt, über diesen zu entscheiden, ist gleichfalls verfassungsrechtlich nicht haltbar. Sie beruht ihrerseits auf der nicht haltbaren Auffassung, dass ein Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz bei der Einlegung eines Rechtsbehelfs diesen unzulässig mache. Zudem verkennt sie den Inhalt der grundgesetzlichen Garantie effektiven Rechtsschutzes auch insofern, als sie davon ausgeht, dass sich im Falle der Unzulässigkeit eines Rechtsbehelfs eine Entscheidung erübrige. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur die Prüfung des Streitbegehrens, sondern auch eine verbindliche gerichtliche Entscheidung (vgl. BVerfGE 107, 395 <401>). Die Annahme der Unzulässigkeit eines Antrags entbindet ein Gericht daher nicht von der Pflicht, über den Antrag zu entscheiden. Für die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde kommt es daher auch nicht darauf an, ob und unter welchen Voraussetzungen dem Beschwerdeführer für das Verfahren, auf das sich seine Untätigkeitsbeschwerde bezieht, ein Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen wäre, wenn sich feststellen ließe, dass er zumutbare alternative Unterbringungsangebote ausgeschlagen hat.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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