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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 03.12.2003
Aktenzeichen: 2 BvR 1661/03
Rechtsgebiete: BVerfGG, StGB, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
BVerfGG § 93b in
StGB § 57 Abs. 1 Satz 1
StGB § 57 Abs. 1 Satz 2
StGB § 57 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 2 Satz 2
GG Art. 104 Abs. 1
GG Art. 104 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1661/03 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 19. August 2003 - 1 Ws 361/03 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 22. Juli 2003 - StVK 996/02 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 3. Dezember 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. a) Die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 104 Abs. 1 und 2 GG) darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Daraus ergeben sich für die Strafgerichte Mindesterfordernisse für eine zuverlässige Wahrheitserforschung, die auch bei den im Vollstreckungsverfahren zu treffenden Entscheidungen zu beachten sind. Sie setzen unter anderem Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für eine hinreichende tatsächliche Grundlage richterlicher Entscheidungen. Denn es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 70, 297 <307>).

b) Um eine diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen unterliegende Entscheidung handelt es sich, wenn darüber zu befinden ist, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird.

aa) Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 StGB setzt das Gericht die Vollstreckung des Rests einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn zwei Drittel der verhängten Strafe verbüßt sind, der Verurteilte einwilligt und dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Die in § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Umstände sind bei der prognostischen Gesamtwürdigung von den Fachgerichten zu berücksichtigen.

bb) Bei der nach § 57 Abs. 1 StGB zu treffenden Entscheidung handelt es sich zunächst um die Auslegung und Anwendung von Gesetzesrecht, die Sache der Strafgerichte ist. Sie wird vom Bundesverfassungsgericht nur daraufhin nachgeprüft, ob das Strafvollstreckungsgericht in objektiv unvertretbarer Weise vorgegangen ist oder die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite des durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 104 Abs. 2 GG verbürgten Freiheitsrechts verkannt hat (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 72, 105 <113 ff.>).

c) Die aus dem Freiheitsrecht abzuleitenden Anforderungen an die richterliche Aufklärungspflicht richten sich insbesondere an die Prognoseentscheidung. Für ihre tatsächlichen Grundlagen gilt von Verfassungs wegen das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung (vgl. BVerfGE 70, 297 <309>). Es verlangt, dass der Richter die Grundlagen seiner Prognose selbständig bewertet, verbietet mithin, dass er die Bewertung einer anderen Stelle überlässt. Darüber hinaus fordert es vom Richter, dass er sich ein möglichst umfassendes Bild über die zu beurteilende Person verschafft (vgl. BVerfGE 70, 297 <310 f.>).

2. Die angegriffenen Entscheidungen tragen diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben Rechnung.

a) Das Landgericht Frankenthal, auf dessen Beschluss das Pfälzische Oberlandesgericht vollumfänglich Bezug genommen hat, hat sich mit den für den Beschwerdeführer sprechenden Umständen - wenn auch in lediglich knapper Weise - auseinander gesetzt. In der mündlichen Anhörung wurden von dem Beschwerdeführer die von ihm durchgeführte Therapie, seine darauf bezogene Eigeninitiative sowie weitere positive Umstände vorgetragen und folglich vom Gericht und dem anwesenden Sachverständigen zur Kenntnis genommen. Der seit 6. Februar 2003 durchgeführte offene Vollzug wird in der landgerichtlichen Entscheidung ebenso gewürdigt wie die ordentliche Führung des Beschwerdeführers.

b) Eine positive Entscheidung gemäß § 57 Abs. 1 StGB setzt keine Gewissheit künftiger Straffreiheit voraus; dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit ist jedoch in angemessener Weise Rechnung zu tragen. Gegen die Auffassung der Gerichte, dass eine frühzeitige Entlassung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden kann, ist verfassungsrechtlich nichts zu erinnern. Bei der Gesamtwürdigung der relevanten Umstände durften neben den günstigen Aspekten insbesondere der schnelle - und einschlägige - Rückfall nach der vollständigen Erstverbüßung, die Erheblichkeit der jeweiligen Verurteilungen sowie der Widerruf der dem Beschwerdeführer zunächst ermöglichten Zurückstellung der Vollstreckung berücksichtigt werden. Die damit zusammenhängenden Verfehlungen hat der Beschwerdeführer ebenso eingeräumt wie verbale Aggressionen gegenüber einem Lehrer im Berufsförderungswerk. Es wird zudem nicht erkennbar, dass das zur Entscheidung berufene Landgericht Frankenthal gutachtliche Wertungen des Sachverständigen unkritisch übernommen hätte; die negative Prognose des Sachverständigen, der die vom Beschwerdeführer vorgetragenen Umstände in sein mündlich erstattetes Gutachten mit einbezogen hat, hat das Landgericht Frankenthal nur ergänzend zur gerichtlichen Beurteilung der Gefahrenprognose herangezogen.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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