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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 24.11.2005
Aktenzeichen: 2 BvR 1667/05
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 2
GG Art. 104 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1667/05 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 4. Oktober 2005 - 1052 AR 35/05 -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richter Di Fabio und Landau gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 24. November 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer, ein dänischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Auslieferung von Spanien an Deutschland.

Das Amtsgericht Hamburg erließ am 7. Juli 2005 einen deutschen Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer. Am 12. Juli 2005 stellte die Staatsanwaltschaft Hamburg einen Europäischen Haftbefehl aus und übersandte ihn am 25. Juli 2005 an SIRENE Deutschland (nationale Zentralstelle des Schengener Informationssystems - SIS), um die internationale Fahndung einzuleiten. Am 22. September 2005 nahm die spanische Polizei den Beschwerdeführer fest. Daraufhin bat SIRENE Spanien um die Übermittlung des Europäischen Haftbefehls innerhalb einer Frist von sieben Tagen. Die Staatsanwaltschaft Hamburg übersandte fristgemäß den Europäischen Haftbefehl. Sie bat darum, falls Spanien gegenüber Deutschland den Europäischen Haftbefehl nicht anerkennen sollte, die vorläufige Auslieferungshaft gemäß dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk) gegen den Beschwerdeführer anzuordnen und die Dauer der vorläufigen Auslieferungshaft auf 40 Tage zu verlängern, damit die notwendigen Unterlagen gemäß dem EuAlÜbk auf dem diplomatischen Weg zugesandt werden könnten. Das spanische Gericht beschloss am 29. September 2005, den Beschwerdeführer auf Grund des Europäischen Haftbefehls den deutschen Behörden zu übergeben, ohne weitere Unterlagen nach dem EuAlÜbk anzufordern.

Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin beim Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Hamburg, den Europäischen Haftbefehl aufzuheben. Der zuständige Staatsanwalt vertrat die Auffassung, der Europäische Haftbefehl sei als Fahndungsinstrument weiterhin zulässig. Schließlich beantragte der Beschwerdeführer am 3. Oktober 2005 bei der Staatsanwaltschaft, den spanischen Behörden mitzuteilen, der Europäische Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer sei wegen des Urteils des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 (- 2 BvR 2236/04 -, NJW 2005, S. 2289 ff.) unwirksam, und sie zu ersuchen, den Beschwerdeführer aus der Haft zu entlassen. Er führte aus, da das Europäische Haftbefehlsgesetz vom 21. Juli 2004 - EuHbG - (BGBl I S. 1748) nichtig sei, gelte das EuAlÜbk, nach dessen Art. 12 ein ausdrückliches Ersuchen auf diplomatischem Weg hätte übermittelt werden müssen.

Die spanischen Behörden überstellten den Beschwerdeführer am 7. Oktober 2005 an Deutschland.

II.

Mit seinem Antrag auf einstweilige Anordnung und seiner Verfassungsbeschwerde vom 5. Oktober 2005 rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG.

Die Staatsanwaltschaft habe das Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 nicht beachtet und damit § 31 BVerfGG und Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Der Europäische Haftbefehl dürfe als Festnahme-, Haft- und Übergabeersuchen nach Fortfall seiner gesetzlichen Grundlage nicht mehr verwendet werden.

Der Beschwerdeführer beantragt, die Staatsanwaltschaft anzuweisen, das Auslieferungsverfahren nicht mehr nach den Vorschriften des Europäischen Haftbefehlsgesetzes fortzuführen und die spanischen Behörden davon zu unterrichten sowie die spanischen Behörden zu ersuchen, den Beschwerdeführer freizulassen.

III.

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

Dem Beschwerdeführer fehlt das Rechtsschutzinteresse, da ihn die beantragte Entscheidung nicht in seinen Rechten besser gestellt hätte. Das Rechtsschutzinteresse muss in jeder Lage des Verfahrens gegeben sein (BVerfGE 30, 54 <58>). Es fehlte bereits bei Einlegung der Verfassungsbeschwerde.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers wäre er auch dann nicht freigelassen worden, wenn die Staatsanwaltschaft angewiesen worden wäre, die Auslieferung nicht mehr auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls fortzuführen. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Staatsanwaltschaft die spanischen Behörden nicht mit Hilfe eines Europäischen Haftbefehls hätte ersuchen dürfen, wäre der Beschwerdeführer weiter in Auslieferungshaft geblieben. Denn die Ausschreibung im SIS gilt nach Art. 16 Abs. 3 EuAlÜbk als Ersuchen um vorläufige Verhaftung (vgl. Schomburg/Lagodny, 3. Aufl. 1998, Art. 16 EuAlÜbk Rn. 1 a). Da die Staatsanwaltschaft gemäß Art. 16 Abs. 4 Satz 1 2. Halbsatz EuAlÜbk um Verlängerung der Frist auf 40 Tage gebeten hatte, ist davon auszugehen, dass die spanischen Behörden ab der Festnahme am 22. September 2005 40 Tage, also bis zum 31. Oktober 2005, auf die Auslieferungsunterlagen gewartet hätten. Die Staatsanwaltschaft hätte die erforderlichen Unterlagen nach Art. 12 Abs. 2 lit a-c EuAlÜbk den spanischen Behörden auf Wunsch gemäß Art. 12 Abs. 1 EuAlÜbk auf diplomatischem Weg wie angekündigt übersandt. Der Beschwerdeführer konnte demnach mit seiner Verfassungsbeschwerde von Anfang an nur erreichen, dass seine Auslieferungshaft verlängert wird. Inwiefern ihn dies rechtlich besser gestellt hätte, hat der Beschwerdeführer nicht dargetan.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist im Übrigen auch unbegründet. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat nicht gegen § 31 BVerfGG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG verstoßen. Denn das nichtige EuHbG regelte nicht, wie deutsche Behörden andere Staaten der Europäischen Union um Rechtshilfe ersuchen müssen.

Es ist zu trennen zwischen dem innerstaatlichen und dem zwischenstaatlichen Verfahrensabschnitt: Zunächst muss nach innerstaatlichem Recht ein Haftbefehl nach § 112 StPO vorliegen. Weitere innerstaatliche Voraussetzungen können sich aus der Strafprozessordnung und anderen nationalen Rechtssätzen sowie dem Grundgesetz ergeben (vgl. Schomburg/Lagodny, 3. Aufl. 1998, Vor § 68 Rn. 2). Der zwischenstaatliche Abschnitt des Verfahrens ist dagegen weitgehend nicht gesetzlich geregelt. Das Ersuchen an einen anderen Staat ist in den §§ 68-72 des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG - (BGBl I 1982 S. 2071) nur teilweise erfasst. Der vorliegende Normalfall ist nicht normiert. Nach § 74 IRG liegt es demnach im pflichtgemäßen Ermessen des Bundesministeriums der Justiz, über die Stellung der Ersuchen zu entscheiden (vgl. Schomburg/Lagodny, 3. Aufl. 1998, Vor § 68 IRG Rn. 3). Entsprechend dem Ergebnisprotokoll einer Besprechung von Bundes- und Landesbehörden vom 22. Juli 2005, in dem Folgerungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Europäischen Haftbefehl vom 18. Juli 2005 gezogen wurden, wird sich Deutschland weiterhin bei Auslieferungsersuchen an Mitgliedstaaten der Europäischen Union der Form des Europäischen Haftbefehls bedienen.

Damit widersetzen sich das Bundesministerium der Justiz beziehungsweise die ausführende Staatsanwaltschaft nicht, wie der Beschwerdeführer annimmt, dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005. Denn das EuHbG enthielt keine Vorgaben für die Form eines deutschen Auslieferungsersuchens an einen anderen Staat. Nur zwei Regelungen betrafen die Ersuchen an Mitgliedstaaten der Europäischen Union: § 83h IRG zur Spezialität und § 83i IRG zur Unterrichtung über Fristverzögerungen. Beide Vorschriften betreffen nicht den vorliegenden Fall.

Es liegt dagegen nahe, dass sich Deutschland bei Ersuchen an andere Mitgliedstaaten weiterhin an dem Rahmenbeschluss des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten vom 13. Juni 2002 (ABl Nr. L 190 vom 18. Juli 2002, S. 1 ff.) orientiert. Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Urteil vom 18. Juli 2005 nicht die Vorgaben des Rahmenbeschlusses in Frage, sondern erklärte nur das EuHbG als deutsches Umsetzungsgesetz für nichtig. Der Rahmenbeschluss bindet weiterhin als völkerrechtlicher Vertrag nach Art. 34 Abs. 2 lit. b EU die Mitgliedstaaten der Europäischen Union hinsichtlich des zu erreichenden Ziels. Soweit dies nach innerstaatlichem Recht zulässig ist, soll der Rahmenbeschluss bei der Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts beachtet werden (vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 16. Juni 2005, C-105/03 - Pupino). Indem die deutschen Behörden die standardisierten Formulare zum Europäischen Haftbefehl nach Art. 8 in Verbindung mit dem Anhang des Rahmenbeschlusses anwenden und die Übermittlungswege nach dessen Art. 9 und 10 nutzen, erleichtern sie es den Behörden der anderen Mitgliedstaaten, das deutsche Auslieferungsersuchen zu bearbeiten. Dies dient dem Ziel des Rahmenbeschlusses, Auslieferungen zu vereinfachen und zu beschleunigen, um den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts weiter zu entwickeln (vgl. 5. Begründungserwägung des Rahmenbeschlusses).

Dagegen spricht auch nicht, dass Deutschland nach dem geltenden Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen keine Ersuchen anderer Staaten in Form des Europäischen Haftbefehls ausreichen lassen darf. Völkerrechtliche Übereinkommen sind zwar ihrer Natur nach grundsätzlich vom Gedanken der Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten der beteiligten Staaten getragen. Der Rahmenbeschluss legt jedoch nicht fest, dass die nationalen Regelungen zum Europäischen Haftbefehl ausschließlich im Rechtshilfeverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gelten sollen, die den Rahmenbeschluss bereits umgesetzt haben. Außerdem liegt es allein in der Hand des ersuchten Mitgliedstaats, sich gegenüber Deutschland auf die fehlende Gegenseitigkeit zu berufen. Im Übrigen könnte sich der Beschwerdeführer als natürliche Person auch deshalb nicht auf den Grundsatz der Reziprozität berufen, weil dieser nur zwischen den Staaten als Vertragspartner gilt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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