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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 09.10.2007
Aktenzeichen: 2 BvR 1671/07
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1671/07 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 27. Juni 2007 - I Ws 306/06 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 19. Juli 2006 - 23 Ns 39/06 -

hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richter Di Fabio und Landau gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 9. Oktober 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, welche Rechtsfolgen sich aus dem Unterlassen des in § 406h Abs. 1 StPO vorgeschriebenen Hinweises auf die Möglichkeit, sich der erhobenen öffentlichen Klage als Nebenkläger anzuschließen, ergeben.

I.

Durch Urteil des Amtsgerichts vom 26. Oktober 2005 ist der Angeklagte vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs der minderjährigen Beschwerdeführerin freigesprochen worden. Das Urteil ist seit dem 3. November 2005 rechtskräftig. Mit Schriftsatz vom 4. April 2006 beantragte die Beschwerdeführerin, gesetzlich vertreten durch ihre Mutter, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie die Zulassung als Nebenklägerin; gleichzeitig legte sie Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts ein. Zur Begründung wurde - unter Beifügung einer eidesstattlichen Versicherung der Mutter - vorgetragen, dass sie erst am 23. März 2006 Kenntnis vom Freispruch erhalten habe. Am 28. März 2006 sei sie von ihrer Rechtsanwältin darüber aufgeklärt worden, dass sich die Beschwerdeführerin als Nebenklägerin dem Verfahren hätte anschließen können und dass sie hierauf gemäß § 406h Abs. 1 StPO hätte hingewiesen werden müssen.

Das Landgericht Stralsund hat die Anträge abgelehnt. Das Wiedereinsetzungsgesuch erweise sich bereits als unzulässig, weil es nicht binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses gestellt worden sei. Denn aus der eidesstattlichen Versicherung ergebe sich, dass die Mutter der Beschwerdeführerin am 23. März 2006 Kenntnis von dem Urteil erhalten habe. Im Übrigen sei der Antrag auch unbegründet, weil ein Verstoß gegen die Hinweispflicht des § 406h Abs. 1 StPO nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur nicht dazu führe, dass den Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könne.

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde wies das Oberlandesgericht Rostock zurück. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist müsse schon deshalb verworfen werden, weil die Beschwerdeführerin keine Frist versäumt habe. Denn für einen Nebenklageberechtigten, der bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist keine Anschlusserklärung abgegeben habe, beginne - mangels Anfechtungsberechtigung - keine Rechtsmittelfrist zu laufen. Auch die Zulassung als Nebenklägerin komme nicht in Betracht, weil dies ein noch anhängiges, nicht rechtskräftig beendetes Verfahren voraussetze. Die bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss reichende Zeitspanne, innerhalb derer ein Anschluss als Nebenkläger zulässig sei, stelle auch keine Frist dar, gegen deren Versäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beansprucht werden könne. Hieran ändere auch die Missachtung der Hinweispflicht des § 406h Abs. 1 StPO nichts. Anderes ergebe sich auch nicht durch das Opferrechtsreformgesetz vom 24. Juni 2004, weil weder dem Gesetz selbst noch der Gesetzesbegründung zu entnehmen sei, welche Rechtsfolgen sich aus einer Verletzung der Hinweispflicht ergeben. Um die - systemfremde - Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu ermöglichen, habe es aber einer gesetzlichen Regelung bedurft.

II.

Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG.

Sie trägt im Wesentlichen vor, dass ihr gemäß § 395 Abs. 1 Nr. 1a StPO eine Nebenklageberechtigung zugestanden habe. Diese Einrichtung diene dazu, dass ein Straftatopfer nicht nur Objekt des Strafverfahrens werde, sondern selbst die Möglichkeit erhalte, im Strafprozess zu Wort zu kommen und Einfluss auf das Strafverfahren zu nehmen. Dies setze jedoch die Kenntnis von den verfahrensrelevanten Vorgängen voraus, so dass sich die Hinweispflicht des § 406h Abs. 1 StPO als verfahrenssichernde Maßnahme des Anspruchs auf rechtliches Gehör erweise. Die durch die Nebenklageberechtigung ermöglichte Wahrnehmung der Verfahrensrechte - und insbesondere die Möglichkeit der Rechtsmitteleinlegung - werde durch die angegriffenen Entscheidungen jedoch vereitelt. Soweit das Oberlandesgericht bereits die Rechtsmittelberechtigung verneint habe, liege dem deshalb ein unzutreffendes Verständnis des § 406h StPO zugrunde. Ähnlich wie im Falle des § 136 StPO bedürfe es auch bei der Nebenklageberechtigung zunächst einer Aufklärung, damit der Verletzte die ihm zustehenden Verfahrensrechte ausschöpfen könne. Diese Teilhabemöglichkeit sei angesichts der Grundrechtsrelevanz des Verfahrens geboten; insbesondere weil nur so erreicht werden könne, dass die von der Straftat Geschädigten im Strafverfahren eine Subjektstellung erhielten und nicht zum Opfer fremdbestimmter Handlungen würden. Genau dies sei auch Anliegen der Opferschutzgesetze gewesen. Die restriktive Auffassung des Oberlandesgerichts mache das gesetzgeberische Ziel daher zunichte. Auf diesem Fehler könne die Entscheidung auch beruhen, weil die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Zulassung die Vernehmung ihres Bruders als Zeugen beantragt hätte. Dadurch hätte die Annahme des Gerichts, die Beschwerdeführerin habe eventuell Beobachtungen, die sie bei ihrem eigenen Bruder gemacht habe, auf den Angeklagten übertragen, erschüttert werden können.

Soweit das Landgericht den Wiedereinsetzungsantrag bereits als verfristet bewertet hatte, habe es auf einen unzutreffenden Umstand abgestellt. Denn das Hindernis habe in der Unkenntnis gelegen, dass sich die Beschwerdeführerin als Nebenklägerin der Klage anschließen und gegebenenfalls auch Rechtsmittel einlegen könne. Dieses Hindernis sei jedoch erst durch das Informationsgespräch mit der Rechtsanwältin am 28. März 2007 entfallen.

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>; 96, 245 <248>). Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1. Soweit die Beschwerdeführerin ein fehlerhaftes Verständnis des "Hindernisses" im Sinne des § 45 Abs. 1 StPO und damit eine unzutreffende Bestimmung der Antragsfrist durch das Landgericht rügt, dürfte ihr allerdings beizupflichten sein. Auf diesem Umstand beruhen die angegriffenen Entscheidungen jedoch nicht, weil das Oberlandesgericht seine Entscheidung auf diesen Gesichtspunkt nicht gestützt und den Antrag aus eigenständig tragenden Erwägungen abgelehnt hat. Die Rüge ist insoweit prozessual überholt.

2. Soweit das Oberlandesgericht die Auffassung vertreten hat, der Beschwerdeführerin stehe eine Anfechtungsberechtigung nicht zu, weil sie eine Anschlusserklärung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens nicht abgegeben habe, entspricht dies ganz herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 27. März 2007 - 1 StR 98/07 -). Dies ist auch von der Beschwerdeführerin nicht in Abrede gestellt worden. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG scheidet daher aus.

3. Ein Verfassungsverstoß könnte den angegriffenen Entscheidungen daher nur dann vorgehalten werden, wenn aus Art. 103 Abs. 1 GG (oder anderen Verfassungsbestimmungen) abgeleitet werden könnte, dass ein Verstoß gegen die Hinweispflicht des § 406h Abs. 1 StPO zu einer Anschluss- und Rechtsmittelberechtigung des Nebenklageberechtigten auch nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens führt.

Anhaltspunkte hierfür sind jedoch nicht ersichtlich. Vielmehr würde diese Annahme bedeuten, dass der Gesetzgeber zur Einführung der Hinweispflicht in § 406h Abs. 1 StPO von Verfassungs wegen gezwungen gewesen wäre. Die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren vom 24. Juni 2004 geltende Rechtslage wäre demnach verfassungswidrig gewesen. Dies ist zum damaligen Zeitpunkt - soweit ersichtlich - jedoch nicht vertreten worden; auch der Gesetzesbegründung lassen sich entsprechende Hinweise nicht entnehmen. Das Opferrechtsreformgesetz bezweckte zwar die Stärkung der aktiven Teilnahme des Verletzten durch Verbesserungen bei der Nebenklage; es sah hierin jedoch eine rechtspolitische Entscheidung und nicht eine verfassungsrechtliche Verpflichtung (vgl. BTDrucks 15/1976, S. 1, 8, 18).

Das Fehlen einer entsprechenden Sanktionsregelung legt vielmehr die Vermutung nahe, dass der Gesetzgeber entsprechende Weiterungen für den Verstoß gegen die Hinweispflicht nicht statuieren wollte. Denn es liegt auf der Hand, dass ein derartiges Instrumentarium angesichts der weit reichenden und sogar die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidung betreffenden Maßnahmen einer gesetzlichen Grundlage bedurft hätte.

Es ist der Beschwerde daher zuzugeben, dass die Zielsetzung des Opferrechtsreformgesetzes umfassender umgesetzt worden wäre, wenn ein Verstoß gegen die Hinweispflicht des § 406h Abs. 1 StPO durch eine Wiedereinsetzungsregelung flankiert worden wäre. Das Unterlassen des Gesetzgebers mag deshalb rechtspolitisch bedauerlich sein, einen Verfassungsverstoß beinhaltet es indes nicht.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (vgl. § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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