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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 12.02.2004
Aktenzeichen: 2 BvR 1709/02
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 20 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1709/02 -

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen a) die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. Oktober 2002 und vom 23. September 2002 - 4 Ws 230/2002 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Ulm (Donau) vom 13. August 2002 - StVK 279/01 c -

hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Jentsch, Broß und die Richterin Lübbe-Wolff gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Absatz 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 12. Februar 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss des Landgerichts Ulm (Donau) vom 13. August 2002 - StVK 279/01 c - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes, soweit er den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angeordneten Disziplinarmaßnahme zurückweist.

2. Insoweit wird der Beschluss des Landgerichts aufgehoben und die Sache an das Landgericht Ulm (Donau) zurückverwiesen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23. September 2002 - 4 Ws 230/2002 - ist insoweit gegenstandslos.

3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

4. Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zur Hälfte zu erstatten.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft gerichtliche Entscheidungen über einen Antrag, die Rechtswidrigkeit der Ablösung aus dem offenen Vollzug und der Anordnung einer Disziplinarmaßnahme festzustellen.

I.

1. Der Beschwerdeführer befand sich bis Anfang November 2003 in der Justizvollzugsanstalt Ulm in Strafhaft. Am 26. Juni 2001 gab ein Mitgefangener gegenüber dem stellvertretenden Anstaltsleiter an, der Beschwerdeführer habe ihn in der Nacht vom 15. auf den 16. Juni 2001 sexuell belästigt. Beim Verlassen der Toilette sei der Beschwerdeführer auf ihn zugekommen, habe ihn mit beiden Armen umfasst und mit der Hand sein Geschlechtsteil über der Hose berührt. Er - der Mitgefangene - habe sich nur unter Einsatz von Gewalt aus dieser Lage befreien können. Der Beschwerdeführer wurde am 28. Juni 2001 zu diesem Vorwurf angehört. Er bestritt den Vorfall und gab an, der Mitgefangene belaste ihn zu Unrecht, weil dieser ihn nicht leiden könne.

Am 29. Juni 2001 ordnete die Justizvollzugsanstalt die Ablösung des Beschwerdeführers aus dem offenen Vollzug und seine Verlegung in den geschlossenen Vollzug sowie die Verhängung eines fünftägigen Arrests an, der in der Zeit vom 2. bis zum 7. Juli 2001 vollzogen wurde. Zur Begründung dieser Maßnahmen führte die Justizvollzugsanstalt ohne nähere Darlegungen an, dass die tatbestreitende Einlassung des Beschwerdeführers nicht glaubhaft sei. Der vom Beschwerdeführer gegen diese Entscheidung eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg.

2. Am 18. Juli 2001 stellte der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer beim zuständigen Landgericht den Antrag, die Verfügung vom 29. Juni 2001 aufzuheben, soweit sie nicht bereits vollstreckt sei, und festzustellen, dass die Ablösung des Betroffenen aus dem offenen Vollzug und die Verhängung und Vollstreckung von fünf Tagen Arrest rechtswidrig gewesen sei. Ferner beantragte er, gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG seine Ablösung aus dem offenen Vollzug vorläufig auszusetzen. Zur Begründung seines Antrags führte er im Wesentlichen aus, es sei nicht nachvollziehbar, warum seine Einlassung als unglaubhaft und die Angaben des Mitgefangenen als glaubhaft bewertet würden. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass der Mitgefangene den angeblichen Vorfall erst mit einer zeitlichen Verzögerung von 13 Tagen gemeldet habe. Auch sei er - der Beschwerdeführer - im Hinblick auf Sexualdelikte niemals auffällig geworden und habe im bisherigen Vollzugsverlauf keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben.

3. Mit Verfügung der Justizvollzugsanstalt Ulm vom 27. Juli 2001 wurde der Beschwerdeführer wieder in den offenen Vollzug zurückverlegt. Zur Begründung wurde in der Verfügung ausgeführt, bei der bestehenden Beweislage könne nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einer Einstellung des wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung gegen den Beschwerdeführer eingeleiteten Strafverfahrens oder im Falle einer Anklageerhebung zu einem Freispruch komme.

4. Der Beschwerdeführer erklärte hierauf mit Schriftsatz vom 7. August 2001 den Aufhebungsantrag sowie mit Schriftsatz vom 1. Februar 2002 den Eilantrag für erledigt. Das gegen den Beschwerdeführer eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Ulm am 14. Januar 2002 in Anbetracht der widersprechenden Aussagen mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.

5. Den nicht für erledigt erklärten Feststellungsantrag des Beschwerdeführers wies das Landgericht Ulm (Donau) mit Beschluss vom 13. August 2002 zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass angesichts der Zeugenaussage des Mitgefangenen die vorübergehende Ablösung des Beschwerdeführers aus dem offenen und seine Verlegung in den geschlossenen Vollzug rechtmäßig gewesen sei. Auch die Verhängung des fünftägigen Arrests sei nicht zu beanstanden. Die Justizvollzugsanstalt sei am 29. Juni 2001 nach Anhörung des Beschwerdeführers, der den ihm vorgeworfenen Sachverhalt bestritten hatte, von einem vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen. Mehr sei von ihr zum damaligen Zeitpunkt nicht zu verlangen gewesen. Dabei sei nicht von Bedeutung, dass die Staatsanwaltschaft Ulm am 14. Januar 2002 das Verfahren gegen den Beschwerdeführer gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt habe. Aufgrund der Aussage des Mitgefangenen habe die Vollzugsanstalt zu Recht Strafanzeige erstattet und sei damit ihrer Pflicht zur vollständigen Ermittlung des Sachverhalts nachgekommen.

6. Die gegen diese Entscheidung des Landgerichts eingelegte Rechtsbeschwerde wurde vom Oberlandesgericht Stuttgart mit Beschluss vom 23. September 2002 als unzulässig verworfen. Das Landgericht habe den Feststellungsantrag zu Recht zurückgewiesen, weil es an der substantiierten Darlegung eines Feststellungsinteresses gefehlt habe.

II.

1. Mit seiner rechtzeitig eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG. Das Landgericht sei ohne eigene Prüfung und ohne jede nachvollziehbare Begründung von der Rechtmäßigkeit der - ihrerseits nicht nachvollziehbar begründeten - Verfügung des stellvertretenden Anstaltsleiters vom 29. Juni 2001 ausgegangen. Dabei habe es insbesondere verkannt, dass die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme auf der Grundlage eines bloßen Verdachts nach § 102 StVollzG unzulässig sei.

2. Das Justizministerium des Landes Baden-Württemberg erhielt Gelegenheit zur Äußerung; es hat von einer Stellungnahme abgesehen.

III.

1. Soweit die Verfassungsbeschwerde sich dagegen wendet, dass das Landgericht den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablösung aus dem offenen und Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug zurückgewiesen hat, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen, unter denen eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), liegen nicht vor, denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>; 96, 245 <248>). Das Landgericht ist ohne Verfassungsverstoß davon ausgegangen, dass eine Ablösung aus dem offenen Vollzug auch auf der Grundlage eines bloßen Verdachts einer neuen strafbaren Handlung möglich ist (vgl. Ittel, in: Schwind/Böhm, StVollzG, 3. Aufl. 1999, § 10 Rn. 12; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 9. Aufl. 2002, § 10 Rn. 10 sowie Lesting, in: Feest <Hrsg.>, AK-StVollzG, 4. Aufl. 2000, § 10 Rn. 23; aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung siehe OLG Stuttgart, NStZ 1986, S. 45 f.; KG, ZfStrVo 1989, S. 116 und KG, NStZ 2003, S. 391 f.). Die Ablösung aus dem offenen Vollzug ist, wie sich auch aus der abschließenden Aufzählung in § 103 Abs. 1 StVollzG ergibt, weder eine Disziplinarmaßnahme (vgl. nur Lesting, a.a.O.) noch sonst eine strafähnliche Sanktion und setzt daher nicht den Nachweis eines schuldhaften Fehlverhaltens voraus. Sie unterliegt aber, wie alles grundrechtseingreifende staatliche Handeln, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Ablösung aus dem offenen Vollzug stellt für den betroffenen Gefangenen einen stark belastenden Eingriff dar. Wird sie auf einen Verdacht strafbaren Handelns gestützt, darf sich daher der Verdacht nicht allein auf bloße Vermutungen, vage Hinweise oder nur entfernte Indizien stützen. Der Tatverdacht muss vielmehr auf konkreten Anhaltspunkten beruhen (vgl. KG, ZfStrVo 1989, S. 116 und KG, NStZ 2003, S. 391 f.; Callies/Müller-Dietz, a.a.O.; Lesting, a.a.O.). Die Justizvollzugsanstalt ist außerdem verpflichtet, den Sachverhalt aufzuklären, soweit dies mit den begrenzten Befugnissen, die ihr dafür zu Gebote stehen, möglich ist (vgl. KG, NStZ 2003, S. 391 f.).

Die Annahme des Landgerichts, die von der Anstaltsleitung nach Anhörung des Beschwerdeführers verfügte Ablösung aus dem offenen Vollzug sei rechtmäßig erfolgt, läßt nach diesen Maßstäben greifbare Anhaltspunkte für eine willkürliche Überschreitung des fachgerichtlichen Wertungsrahmens nicht erkennen. Der gegen den Beschwerdeführer entstandene Verdacht, eine strafbare Handlung begangen zu haben, gründete sich auf eine nicht offenkundig unglaubhafte Aussage eines Mitgefangenen. Dieser Verdacht rechtfertigte eine Rückverlegung des Beschwerdeführers in den geschlossenen Vollzug. Dem Beschwerdevorbringen ist nichts dafür zu entnehmen, dass die Justizvollzugsanstalt ihrer Pflicht zur eigenständigen Aufklärung des Vorfalls in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise nur unzureichend nachgekommen wäre, indem sie etwa weitere ihr mögliche und erfolgversprechende Ermittlungsschritte unterließ.

2. Soweit die Verfassungsbeschwerde sich dagegen richtet, dass das Landgericht den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angeordneten Disziplinarmaßnahme zurückgewiesen hat, ist es zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt, sie zur Entscheidung anzunehmen (§§ 93b, 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Über die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde insoweit maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (s. unter 4. a).

3. Die Verfassungsbeschwerde ist im dargelegten Umfang zulässig. Ihrer Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass die Disziplinarmaßnahme, die Gegenstand des Feststellungsantrags des Beschwerdeführers ist, inzwischen vollständig vollzogen ist. Das Bundesverfassungsgericht geht in Fällen tiefgreifender und schwerwiegender Grundrechtseingriffe vom Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses trotz Erledigung aus (vgl. BVerfGE 104, 220 <233>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 1994 - 2 BvR 1958/93 -, ZfStrVo 1995, S. 372 ff.). Die Verhängung von Arrest stellt als erhebliche Verschärfung der Bedingungen der Freiheitsentziehung, die dem Strafgefangenen auferlegt ist, einen tiefgreifenden und schwerwiegenden Eingriff dar (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 2003 - 2 BvR 1724/02 -).

4. Die Verfassungsbeschwerde ist im bezeichneten Umfang auch offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Der Beschluss des Landgerichts Ulm (Donau) vom 13. August 2002 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG.

a) Verstößt ein Strafgefangener schuldhaft gegen Pflichten, die ihm durch das Strafvollzugsgesetz auferlegt sind, so kann die Anstalt nach § 102 StVollzG gegen ihn Disziplinarmaßnahmen anordnen und vollstrecken. Welche Disziplinarmaßnahmen zulässig sind, ergibt sich abschließend aus § 103 Abs. 1 StVollzG. Innerhalb dieses gesetzlich vorgegebenen Rahmens ist bei Ausübung des der Anstalt eingeräumten Ermessens zu berücksichtigen, dass es sich bei Disziplinarmaßnahmen um strafähnliche Sanktionen handelt, für die der aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Schuldgrundsatz gilt. Dieser Grundsatz verbietet es, eine Tat ohne Schuld des Täters strafend oder strafähnlich zu ahnden (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 45, 187 <228>; 50, 125 <133>; 50, 205 <214 f.>; 81, 228 <237>; 86, 288 <313>). Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme auf der Grundlage eines bloßen Verdachts stellt daher einen Verstoß gegen den Schuldgrundsatz dar. Disziplinarmaßnahmen dürfen nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei geklärt ist, ob ein schuldhafter Pflichtverstoß überhaupt vorliegt (vgl. auch Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Januar 1994 - 2 BvR 1723/93 -, StV 1994, S. 263 f.).

Die Prüfung, ob der Verhängung der Disziplinarmaßnahme hinreichende Tatsachenfeststellungen zugrundeliegen, ist in erster Linie Sache der dafür zuständigen Fachgerichte. Die Entscheidungen der Fachgerichte unterliegen ihrerseits keiner allgemeinen Rechtskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht, wohl aber einer Kontrolle auf spezifisch verfassungsrechtliche Fehler hin. Um solche handelt es sich, wenn das Willkürverbot verletzt ist oder Fehler erkennbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.> stRspr).

b) Nach diesen Maßstäben kann der angegriffene Beschluss des Landgerichts im bezeichneten Umfang keinen Bestand haben. Das Landgericht stützt seine Entscheidung maßgeblich darauf, dass die Justizvollzugsanstalt von einem vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen sei, der eine Disziplinarmaßnahme rechtfertige; daher sei die Verhängung und Vollstreckung von fünf Tagen Arrest rechtmäßig gewesen. Damit verkennt das Gericht die Anforderungen an die verfassungsrechtlich gebotene Tatsachenfeststellung bei der Festsetzung von Disziplinarmaßnahmen. Die Annahme, ein schuldhafter Pflichtverstoß, der nach § 102 Abs. 1 StVollzG mit der Anordnung einer Disziplinarmaßnahme geahndet werden kann, habe im vorliegenden Fall nachweislich vorgelegen, ist nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer hat den ihm zur Last gelegten Sachverhalt nachdrücklich bestritten. Die Disziplinarmaßnahme wurde allein auf die Aussage eines Mitgefangenen gestützt, obwohl der Beschwerdeführer Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Mitgefangenen geäußert hatte, die nicht offenkundig haltlos sind. Er hat zum Ausdruck gebracht, dass der Mitgefangene ihn nicht leiden könne und er deshalb von diesem zu Unrecht belastet werde. In seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung wies er insbesondere darauf hin, dass der Mitgefangene den behaupteten Vorfall erst nach 13 Tagen gemeldet hatte. Ferner hat er sich darauf berufen, dass sein Vollzugsverhalten bislang zu keinerlei Beanstandungen Anlass gegeben habe und er bisher insbesondere auch nicht wegen Sexualdelikten aufgefallen sei. Unter diesen Umständen kann von einem hinreichend festgestellten Sachverhalt, der den Nachweis eines schuldhaften Pflichtverstoßes trägt, nicht die Rede sein. Die Einschätzung des stellvertretenden Anstaltsleiters, die Einlassung des Beschwerdeführers sei unglaubhaft, rechtfertigte keine andere Beurteilung, da sie nicht begründet war. Der Entscheidung des Landgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es sich der Notwendigkeit, sich vom Vorliegen eines schuldhaften Pflichtverstoßes eine eigene Überzeugung zu bilden, überhaupt bewusst war. Das Landgericht war an der gebotenen Prüfung der Tragfähigkeit der Tatsachenfeststellungen, die der Arrestanordnung zugrundelagen, auch nicht dadurch gehindert, dass es hier einen Ermessensspielraum des Anstaltsleiters zu respektieren gehabt hätte. Das Ermessen des Anstaltsleiters beschränkt sich auf die Frage, ob und gegebenenfalls welche Disziplinarmaßnahmen wegen eines festgestellten Pflichtverstoßes verhängt werden sollen. Die dargestellten Anforderungen in Bezug auf die Feststellung, ob überhaupt ein Pflichtverstoß stattgefunden hat, sind dagegen rechtlicher Natur. Diese Feststellung unterliegt daher in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung (vgl. auch Böhm, in: Schwind/Böhm, a.a.O., § 102 Rn. 9; Walter, in: Feest <Hrsg.>, a.a.O., § 106 Rn. 10).

5. Da die Entscheidung des Landgerichts, soweit sie die Zurückweisung des Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angeordneten Disziplinarmaßnahme betrifft, auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß beruht, ist sie gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache an das Landgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Im gleichen Umfang ist damit die Prozessentscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23. September 2002 gegenstandslos.

6. Weil die Verfassungsbeschwerde nur teilweise erfolgreich ist, sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen nur zur Hälfte zu erstatten (§ 34a Abs. 2 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

Ende der Entscheidung

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