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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 01.02.2006
Aktenzeichen: 2 BvR 178/06
Rechtsgebiete: BVerfGG, StPO, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 23 Abs. 1 Satz 2
BVerfGG § 90 Abs. 2 Satz 1
BVerfGG § 92
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
BVerfGG § 93b
StPO § 140
StPO § 142 Abs. 1 Satz 1
GG Art. 2 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 178/06 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Landgerichts Frankfurt/Oder vom 4. Januar 2006 - 22 Qs 318/05 -,

b) den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt/Oder vom 23. Dezember 2005 - 4.5 Gs 210/05 -,

c) den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt/Oder vom 20. Dezember 2005 - 4.5 Gs 210/05 -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richter Di Fabio und Landau gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 1. Februar 2006 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist.

1. Die Entscheidungen des Amtsgerichts sind durch die Entscheidung des Landgerichts prozessual überholt. Es fehlt an einer Beschwer.

2. Soweit sich das Vorbringen des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Landgerichts richtet, genügt es den Begründungsanforderungen gemäß §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG nicht.

a) Das Recht des Beschuldigten, sich im Strafverfahren von einem Anwalt seiner Wahl und seines Vertrauens verteidigen zu lassen, ist durch Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes verfassungsrechtlich verbürgt (vgl. BVerfGE 110, 226 <253> m.w.N.). Dem ungehinderten und vertrauensvollen Umgang mit dem Strafverteidiger kommt dabei auch die zur Wahrung der Menschenwürde wichtige Funktion zu, darauf hinwirken zu können, dass der Beschuldigte nicht zum bloßen Objekt im Strafverfahren wird (vgl. BVerfGE 109, 279 <322>).

Eine Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips mit dem Ziel einer sachgerechten Verteidigung des Beschuldigten enthält die Vorschrift des § 140 StPO (vgl. BVerfGE 46, 202 <210>; 63, 380 <390>; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Oktober 1985 - 2 BvR 1150/80 u.a. -, NJW 1986, S. 767 <771>). Mit dem Institut der notwendigen Verteidigung und mit der Bestellung eines Verteidigers ohne Rücksicht auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschuldigten sichert der Gesetzgeber das Interesse, das der Rechtsstaat an einem prozessordnungsgemäßen Strafverfahren hat (Meyer-Goßner, 48. Aufl., § 140 Rn. 1 m.w.N.). Nach § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO wird der zu bestellende Verteidiger durch den Vorsitzenden des Gerichts nach pflichtgemäßem Ermessen möglichst aus der Zahl der bei einem Gericht des Gerichtsbezirks zugelassenen Rechtsanwälte ausgewählt. Einen Anspruch auf die Bestellung eines von ihm vorgeschlagenen Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger hat der Beschuldigte grundsätzlich nicht (vgl. BVerfGE 9, 36 <38>). Aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren, der das Recht des Beschuldigten umfasst, sich im Strafprozess von einem gewählten Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen, kann sich aber ein solcher Anspruch ergeben, wenn der Beschuldigte in schwer wiegenden Fällen die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufzubringen vermag (vgl. BVerfGE 39, 238 <243>; 46, 202 <210 f.>; 63, 380 <391>).

b) Im Hinblick auf diesen Prüfungsmaßstab hat es der Beschwerdeführer versäumt, darzulegen, dass er die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufzubringen vermag, und dass es sich um einen schwer wiegenden Fall handelt, in dem die Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers beeinträchtigt werden, wenn seine Verteidigung nicht durch den von ihm gewünschten Strafverteidiger wahrgenommen wird. So teilt der Beschwerdeführer schon den näheren Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs nicht mit. Die bloße, nicht näher belegte Behauptung, er werde entgegen seinem ausdrücklichen Willen von einem Rechtsanwalt verteidigt, dem er nicht vertraue, und daher bestehe die Gefahr von irreparablen Schäden, reicht nicht aus, zumal der Beschwerdeführer den Bevollmächtigten des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens inzwischen als Wahlverteidiger beauftragt hat.

3. Der Beschwerdeführer hat außerdem den Rechtsweg nicht erschöpft. Gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss ein Beschwerdeführer die Beseitigung des vermeintlich verfassungswidrigen Hoheitsaktes zunächst mit anderen, vom Gesetz zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfen versuchen (vgl. BVerfGE 22, 287 <290>). Hier kann der Beschwerdeführer die Auswahl des Pflichtverteidigers trotz des isoliert zulässigen Beschwerderechtszuges noch im weiteren fachgerichtlichen Verfahren zur Nachprüfung stellen und insbesondere im Falle seiner Verurteilung dem Revisionsgericht unterbreiten (vgl. BGH, NJW 2001, S. 237; 1997, S. 3385). Diese Vorgehensweise ist dem Beschwerdeführer auch zuzumuten, ohne dass ihm durch die Verweisung auf den Rechtsweg zu den Fachgerichten unabwendbare Nachteile entstünden (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG). Insbesondere reicht die abstrakte Gefahr einer Wiederholung der Hauptverhandlung wegen eines Verfahrensfehlers nicht aus, um eine Unzumutbarkeit des fachgerichtlichen Verfahrens zu begründen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Dezember 2003 - 2 BvR 2000/03 -, juris; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. April 1995 - 2 BvR 62/95 und 2 BvR 765/95 -, juris).

4. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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