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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 13.11.2007
Aktenzeichen: 2 BvR 1781/07
Rechtsgebiete: BVerfGG, StGB, BZRG, GG
Vorschriften:
BVerfGG § 93a | |
BVerfGG § 93a Abs. 2 | |
BVerfGG § 93b | |
StGB § 164 Abs. 1 | |
BZRG § 32 Abs. 2 | |
GG Art. 3 Abs. 1 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1781/07 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 23. März 2007 - 29 Ns 122/06 -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richter Di Fabio und Landau gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 13. November 2007 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg; sie ist unbegründet, soweit der Beschwerdeführer die Rechtsanwendung des Tatgerichts im Hinblick auf die subjektive Tatseite angreift, und unzulässig, soweit die ihr zugrunde liegende Beweiswürdigung Angriffsgegenstand ist.
1. a) Prüfungsmaßstab für die Frage, ob das Landgericht die Vorschrift des § 164 Abs. 1 StGB, auf die es die Verurteilung des Beschwerdeführers stützt, in verfassungskonformer Weise angewandt hat, ist Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt vor, wenn die der angegriffenen Entscheidung zugrunde liegende Rechtsanwendung unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 80, 48 <51>; 83, 82 <84>; 86, 59 <63>; stRspr).
b) Die Rechtsanwendung des Landgerichts lässt willkürliche Erwägungen nicht erkennen.
aa) Nach § 164 Abs. 1 StGB wird unter anderem derjenige wegen falscher Verdächtigung bestraft, der einen anderen bei einer Behörde wider besseres Wissen einer rechtswidrigen Tat in der Absicht verdächtigt, ein behördliches Verfahren gegen ihn herbeizuführen. In objektiver Hinsicht setzt die Strafnorm eine objektiv falsche Verdächtigung voraus; in subjektiver Hinsicht muss der Täter insoweit wider besseres Wissen handeln, das heißt, er muss im Zeitpunkt der Verdächtigung bestimmte Kenntnis von der Unwahrheit des Angezeigten haben. Bedingter Vorsatz genügt insoweit - anders als für die übrigen Tatbestandsmerkmale - nicht (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 164 Rn. 6, 12; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Dezember 1990 - 2 BvR 1892/89 -, NJW 1991, S. 1285).
Eine falsche Verdächtigung kann objektiv auch in der Angabe wahrer Tatsachen liegen, wenn zugleich Umstände verschwiegen werden, die für die Beurteilung durch den Adressaten von wesentlicher Bedeutung sind. In diesem Fall liegt ein Handeln wider besseres Wissen nur vor, wenn der Täter diese wesentliche Bedeutung der verschwiegenen Tatsachen sicher erkannt hat (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., Rn. 4; Zopfs, in: Münchener Kommentar, StGB, 2005, § 164 Rn. 20, 40 m.w.N.).
Umstritten ist, ob sich die Unwahrheit der Verdächtigung auf die dem Adressaten unterbreiteten Tatsachen oder auf die sich daraus ergebende Beschuldigung beziehen muss. Während die Rechtsprechung und Teile des Schrifttums eine unwahre Verdächtigung nur dann annehmen, wenn ein Unschuldiger einer rechtswidrigen Tat beschuldigt wurde (sog. Beschuldigungstheorie), bezieht die überwiegende Auffassung im Schrifttum die Unwahrheit der Verdächtigung auf das unterbreitete Tatsachenmaterial, ohne dass es auf die Schuld oder Unschuld des Verdächtigten entscheidend ankäme (sog. Unterbreitungstheorie, vgl. zum Theorienstreit BGHSt 35, 50 <52 ff.>; Zopfs, a.a.O., Rn. 33 f.; jeweils m.w.N. zu Rechtsprechung und Schrifttum).
bb) Um einen Fall des wissentlichen Verschweigens wesentlicher Tatsachen handelt es sich hier. Der Beschwerdeführer hat mit seiner Strafanzeige gegenüber der Staatsanwaltschaft angegeben, sein Mandant sei nicht vorbestraft, und zum Beleg dieser Tatsache der Anzeige das Führungszeugnis des Mandanten beigegeben, das keine Eintragungen enthielt. Nach den Feststellungen des Landgerichts teilte der Beschwerdeführer den Strafverfolgungsbehörden nicht mit, dass der Mandant schon mehrfach strafrechtlich verurteilt worden war, obwohl er dies wußte, weil er den Mandanten in diesen Strafsachen vertreten hatte. Dabei, so das Landgericht, sei dem Beschwerdeführer klar gewesen, dass der zuständige Staatsanwalt aufgrund der Anzeige davon ausgehen musste, der Mandant sei überhaupt noch nicht strafrechtlich verurteilt worden, und deshalb Ermittlungen einleiten würde. Damit stellt das Landgericht in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise fest, der Beschwerdeführer habe Kenntnis von den verschwiegenen Tatsachen gehabt und auch gewusst, dass diese für die rechtliche Beurteilung der Anzeige von wesentlicher Bedeutung waren.
Dass das Landgericht diese Feststellungen für die Begründung einer Strafbarkeit gemäß § 164 Abs. 1 StGB auch angesichts der Einlassung des Beschwerdeführers, er habe das Verhalten des Angezeigten irrtümlich für strafbar gehalten, ausreichen lässt und damit im Grundsatz der Unterbreitungstheorie folgt, ist ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese Auffassung ist durch den möglichen Wortlaut der Strafnorm gedeckt und lässt willkürliche oder sachfremde Erwägungen nicht erkennen. Vor diesem Hintergrund kommt es auf die Einlassung des Beschwerdeführers nur insoweit an, als der darin liegende Subsumtionsirrtum bei Verkennung des sozialen Bedeutungsgehalts des Anzeigens den Vorsatz ausschließen oder ansonsten einen unvermeidbaren Verbotsirrtum begründen konnte (vgl. Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. 2006, § 12 Rn. 101, 104). Beide Konsequenzen lehnt das Landgericht ab. Dass der Beschwerdeführer "sicher davon überzeugt gewesen sei, alle in ein Führungszeugnis nach § 32 Absatz 2 BZRG nicht aufzunehmenden früheren Verurteilungen dürften dem Straftäter nicht von Dritten vorgehalten werden", und der Beschwerdeführer also den sozialen Sinn seines Tuns nicht erkannt habe, schließt das Landgericht aus, weil es die Motivation für die Anzeigeerstattung darin erkennt, der Beschwerdeführer habe keine "zeitaufwändige Prüfung" der Strafwürdigkeit des angezeigten Verhaltens durchführen und andererseits "eine 'schlüssige' Strafanzeige erstatten" wollen. Ein etwaiger Verbotsirrtum sei ihm als Rechtsanwalt vermeidbar gewesen. Auch diese Bewertungen sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Soweit der Beschwerdeführer die zu den tatsächlichen Feststellungen der äußeren und inneren Tatseite führende Beweiswürdigung des Landgerichts unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren angreift, ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig. Der Beschwerdeführer verkennt insoweit, dass nicht jeder Verstoß des Tatgerichts gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung das Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts rechtfertigt. Voraussetzung ist, dass sich das Tat- und gegebenenfalls das Revisionsgericht so weit von der Verpflichtung entfernt haben, in Wahrung der Unschuldsvermutung bei jeder als Täter in Betracht kommenden Person auch die Gründe, die gegen die mögliche Täterschaft sprechen, wahrzunehmen, aufzuklären und zu erwägen, dass der rationale Charakter der Entscheidung verloren gegangen scheint und sie keine tragfähige Grundlage mehr für die mit einem Schuldspruch einhergehende Freiheitsentziehung sein kann (vgl. BVerfGK 1, 145 <152>). Dies ist hier nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich.
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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