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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 04.06.2004
Aktenzeichen: 2 BvR 1912/01
Rechtsgebiete: BVerfGG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
BVerfGG § 93b
GG Art. 13 Abs. 1
GG Art. 13 Abs. 2
GG Art. 13 Abs. 2, 1. Halbsatz
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1912/01 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beeschluss des Landgerichts Kie vom 9. August 2001 - 36 Qs 59/01 -,

b) den Beschluss des Amtsgerichts Norderstedt vom 11. Juni 2001 - 72 Gs 266/01 -,

c) die Durchsuchungsanordnung des Finanzamts Kiel-Süd vom 11. Dezember 2000 - ÜL: 1678/00 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 4. Juni 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG (vgl. 1.) und des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. 2.) kann nicht festgestellt werden.

1. Art. 13 Abs. 1 GG bestimmt die Unverletzlichkeit der Wohnung. Damit wird dem Einzelnen im Hinblick auf seine Menschenwürde und im Interesse der freien Entfaltung der Persönlichkeit ein elementarer Lebensraum gewährleistet (vgl. BVerfGE 42, 212 <219>). In seinen Wohnräumen hat er das Recht, in Ruhe gelassen zu werden (vgl. BVerfGE 51, 97 <107>). In diese grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwer wiegend ein (vgl. BVerfGE 51, 97 <107>; BVerfGE 96, 27 <40>). Dem Gewicht dieses Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2, 1. Halbsatz GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehält (vgl. BVerfGE 103, 142 <151>).

a) Wenngleich die Aufklärung und Bewertung des aktenkundigen Sachverhalts durch das Amtsgericht Norderstedt im Hinblick auf die gerichtliche Pflicht, den Akt der öffentlichen Gewalt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig zu überprüfen (vgl. BVerfGE 103, 142 <156>), verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, kann es von Verfassungs wegen offen bleiben, ob die Ermittlungsbehörde bereits vor dem Zeitpunkt der Durchsuchung am 11. Dezember 2000 die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Beschwerdeführerin hätte verfügen und einen gegen sie gerichteten gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss hätte erwirken müssen. Jedenfalls rechtfertigt die vorangegangene richterliche Durchsuchungsanordnung im Ermittlungsverfahren gegen den vormaligen Ehemann der Beschwerdeführerin das Eindringen in die räumliche Privatsphäre in dem vorliegenden Umfang. Die im Eigentum der Beschwerdeführerin stehenden und von der Durchsuchung erfassten Wohnräume befanden sich im Mitbesitz des vormaligen Ehemanns der Beschwerdeführerin. Gegen die Auffassung des Landgerichts Kiel, wonach § 102 StPO - und damit die gegen den vormaligen Ehemann der Beschwerdeführerin gerichtete Durchsuchungsanordnung - auch dann eine hinreichende Eingriffsgrundlage ist, wenn Dritte - wie hier die Beschwerdeführerin - Mitinhaber der zu durchsuchenden Räume sind, ist verfassungsrechtlich nichts zu erinnern (vgl. hierzu Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl., § 102 Rn. 8). Dies gilt hier auch deswegen, weil die Durchsuchung - nach Erweiterung des Strafvorwurfes gegen die Beschwerdeführerin - hinsichtlich beider Beschuldigter auf denselben Tatzeitraum und dieselben Beweismittel bezogen war.

b) Im Übrigen ist von Verfassungs wegen nichts dagegen zu erinnern, dass das Landgericht Kiel zwischen den unterschiedliche Zeiträume betreffenden Strafvorwürfen unterschieden hat. Es ist nicht erkennbar, dass hinsichtlich der Veranlagungsjahre 1995 bis 1998 bereits vor dem Vollzug der Durchsuchung ein Anfangsverdacht gegen die Beschwerdeführerin bestanden hat. Die Auffassung des Landgerichts Kiel steht in Einklang mit der zeitnahen Dokumentation der Umstände durch die Ermittlungsbehörde in den Durchsuchungsberichten vom 11. und 12. Dezember 2000 (vgl. BVerfGE 103, 142 <160> zu den Dokumentations- und Begründungspflichten der Strafverfolgungsbehörden). Danach wurden erst beim Vollzug des Durchsuchungsbeschlusses gegen den vormaligen Ehemann der Beschwerdeführerin Umstände bekannt - wie beispielsweise die Übertragung von Vermögen auf die Beschwerdeführerin im Rahmen der Scheidung im Jahre 1994 -, die für die folgenden und der Erweiterung des Strafvorwurfes zugrundegelegten Steuerjahre von Bedeutung sein konnten. Es kann auf dieser Grundlage nicht festgestellt werden, dass die Ermittlungsbehörde hinsichtlich dieser Steuerjahre so lange mit einem Antrag an den Ermittlungsrichter zugewartet hat, bis die Gefahr eines Beweismittelverlusts tatsächlich eingetreten und die Regelzuständigkeit des Richters unterlaufen war (vgl. BVerfGE 103, 142 <155>).

2. Soweit die Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG betroffen ist, sind keine besonderen Umstände dafür ersichtlich, dass das Landgericht Kiel das tatsächliche Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. BVerfGE 54, 86 <91 f.>). Aus der Entscheidung des Landgerichts Kiel wird deutlich, dass vor allem die nachvollziehbare Differenzierung nach den unterschiedlichen Tatzeiträumen sowie der Mitbesitz des vormaligen Ehegatten der Beschwerdeführerin an den Wohnräumen entscheidungserheblich waren. Die Beschwerdeführerin hat sich damit nicht hinreichend auseinandergesetzt; sie hat nicht vorgetragen, dass und auf welche Weise die von ihr gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs gleichwohl für die Entscheidung ursächlich gewesen sein soll (vgl. BVerfGE 62, 392 <396>). Auf dieser Grundlage kann nicht festgestellt werden, dass die letztinstanzliche Entscheidung auf der geltend gemachten Gehörsverletzung beruht.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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