Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 30.01.2002
Aktenzeichen: 2 BvR 1970/01
Rechtsgebiete: BVerfGG, StGB, StPO


Vorschriften:

BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
StGB § 21
StGB § 20
StPO § 33a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1970/01 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Landgerichts Hannover vom 16. Oktober 2001 - 30 Qs 31/01 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Hannover vom 21. Juni 2001 - 30 Qs 31/01 -,

c) den Beschluss des Amtsgerichts Hameln vom 30. April 2001 - 11 Ds 144 Js 62902/97 (47/01) -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Hassemer, Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 30. Januar 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil sie unbegründet ist.

1. Strafgerichtliche Entscheidungen unterliegen nicht einer unbeschränkten tatsächlichen und rechtlichen Nachprüfung auf die Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen und auf die Ordnungsmäßigkeit der Rechtsanwendung. Die Gestaltung des Strafverfahrens, die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung des Straf- und Strafprozessrechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür zuständigen Strafgerichte und der Nachprüfung des Bundesverfassungsgerichts entzogen. Das Bundesverfassungsgericht kann nur dann eingreifen, wenn die Gerichte Verfassungsrecht verletzt haben. Dies ist aber nicht schon dann der Fall, wenn eine Entscheidung, am Straf- oder Strafprozessrecht gemessen, objektiv fehlerhaft ist. Der Fehler muss gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen. Das ist in der Regel erst dann der Fall, wenn ein Fehler sichtbar wird, der auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruht, oder wenn die fehlerhafte Rechtsanwendung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist (stRspr, vgl. BVerfGE 57, 250, <272>; 95, 96 <127 f.>). Daran gemessen sind die angegriffenen Entscheidungen nicht zu beanstanden.

Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Fachgerichte das Wiederaufnahme- und Beschwerdevorbringen des Beschwerdeführers inhaltlich nicht zur Kenntnis genommen oder willkürlich bewertet haben. Sie haben sich vielmehr auf die höchstrichterliche Rechtsprechung gestützt. Danach begründet die Abhängigkeit eines Straftäters von Suchtmitteln und eine daraus folgende Persönlichkeitsstörung nur ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB (vgl. BGH, NStZ 2001, S. 82 <83>; 2001, S. 83 <84>; 2001, S. 85). Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB scheidet regelmäßig aus. Da im konkreten Fall keine psychodiagnostischen Beurteilungskriterien zum Leistungsverhalten des Beschwerdeführers beim Tatgeschehen vorlagen (vgl. BGH, NStZ 2000, S. 24 <25>), die für eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit sprechen konnten, war Schuldunfähigkeit demnach im Erstverfahren nicht erörterungsbedürftig. Aus der Anwendung des § 21 StGB durch das Erstgericht ergibt sich jedoch, dass es die für §§ 20, 21 StGB gleichermaßen relevanten Umstände geprüft und gewichtet hatte. Der Hinweis der Wiederaufnahmegerichte darauf lässt keinen Fehler erkennen, der verfassungsrechtliche Bedeutung haben könnte.

Die Annahme der Wiederaufnahmegerichte, dass das psychiatrische Sachverständigengutachten als neues Beweismittel zur Erreichung des Wiederaufnahmeziels ungeeignet sei, unterliegt gleichfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie beruht im Einklang mit der genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung auf der Annahme, dass die Prüfung der Erheblichkeit einer Verminderung der Steuerungsfähigkeit durch Drogenabhängigkeit, Entzugserscheinungen oder Persönlichkeitsstörungen eine Rechtsfrage sei, die der zuständige Richter in eigener Verantwortung zu entscheiden habe, die folglich nicht Gegenstand des Sachverständigenbeweises sei. Gleiches gilt nach Meinung der Wiederaufnahmegerichte für die Prüfung der Aufhebung der Steuerungsfähigkeit. Auf dieser Grundlage konnten die Wiederaufnahmegerichte davon ausgehen, dass die Wertung des Sachverständigengutachtens unerheblich sei, wenn sie von Befundtatsachen ausging, die dem Erstgericht bereits bekannt waren. Bei dieser Einschätzung handelt es sich um eine Auslegung und Anwendung einfachen Rechts, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Eine Persönlichkeitsstörung ist nur dann als schwere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB anzusehen, wenn mit Bezug auf das konkrete Tatgeschehen Symptome von beträchtlichem Gewicht festzustellen sind, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen - auch sozialen - Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (vgl. BayObLGSt 1998, S. 27 <31> m.w.N.). Dafür waren weder im Wiederaufnahmeantrag noch in dem Sachverständigengutachten konkrete Anhaltspunkte angeführt worden. Das Sachverständigengutachten hat sich mit dem eigentlichen Tatgeschehen nicht näher befasst und eine unabhängig davon diagnostizierte "emotional labile Persönlichkeitsstörung" als Ergebnis einer Wertung behauptet, ohne die maßgeblichen Befundtatsachen und deren psychiatrische Bewertung und Gewichtung näher zu erläutern. Zu den Folgen der HIV-Erkrankung hat es sogar darauf hingewiesen, dass eine Überprüfung der Hirnleistungsfähigkeit und eine apparative Diagnostik gerade nicht stattgefunden hätten. Im Übrigen hat es dazu bemerkt, "einige Hinweise" sprächen für eine Akzentuierung der Persönlichkeitsstörung durch die HIV-Infektion; dies wurde jedoch nicht näher erläutert.

2. Dem Landgericht lag nach der Ankündigung eines Schriftsatzes zur Beschwerdebegründung eine ausführliche schriftliche Stellungnahme des Beschwerdeführers vor. Dass eine zusätzliche Beschwerdebegründung durch Anwaltsschriftsatz angebracht werden sollte, war nicht angekündigt worden. Damit scheidet eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, auf dem die Beschwerdeentscheidung und die dazu ergangene Entscheidung über den Antrag nach § 33a StPO beruhen könnten, aus.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

Zurück