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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 03.07.2006
Aktenzeichen: 2 BvR 2030/04
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 13 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

IM NAMEN DES VOLKES

- 2 BvR 2030/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 1. November 2004 - 6 Qs 292/04 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 16. September 2004 - 6 Qs 292/04 -,

c) den Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 3. Mai 2004 - 3 Gs 1178/04 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Broß, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 3. Juli 2006 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Beschlüsse des Landgerichts Braunschweig vom 1. November 2004 und vom 16. September 2004 - 6 Qs 292/04 - und der Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 3. Mai 2004 - 3 Gs 1178/04 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 13 Absätze 1 und 2 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Braunschweig zurückverwiesen.

Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Anordnung einer Durchsuchung in einem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren.

I.

1. Ein Betriebsprüfer des Finanzamtes führte bei den jeweils einzelkaufmännisch betriebenen Unternehmen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau Betriebsprüfungen durch. Der Beschwerdeführer betrieb sein Unternehmen in einer von seiner Ehefrau gemieteten Halle. Auf die Herkunft der Mittel, mit denen die Ehefrau des Beschwerdeführers dieses Gebäude errichten ließ, richtete der Betriebsprüfer sein Interesse. Der Beschwerdeführer erklärte ihm, der größte Anteil (530.000 DM) stamme aus einem Darlehen des Vaters seiner Ehefrau, der wiederum das Geld aus einem Grundstücksverkauf erlöst habe. Der Betriebsprüfer erstellte daraufhin anhand der Einkommensteuererklärungen der Eltern der Ehefrau des Beschwerdeführers eine "Geldverkehrsrechnung", gelangte dabei zu dem Ergebnis, die Herkunft von 830.000 DM ergebe sich aus den Steuererklärungen nicht, und teilte deshalb dem Finanzamt für Fahndung und Strafsachen den Verdacht mit, jener Betrag stamme tatsächlich aus nicht versteuerten Einnahmen des Beschwerdeführers.

2. In den nun geführten Ermittlungsverfahren ordnete das Amtsgericht mit dem angegriffenen Beschluss die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschwerdeführers an. Der Beschwerdeführer sei verdächtig, Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer für die Jahre 1997 bis 2002 bzw. 2004 hinterzogen zu haben, indem er Erlöse aus seinem gewerblichen Betrieb nicht in voller Höhe versteuert habe. Die Durchsuchung diene dem Auffinden von Buchführungsunterlagen, Aufzeichnungen über Einnahmen oder Ausgaben, Kontoauszügen, Bankbelegen, Schriftwechsel sowie sämtlicher Unterlagen, aus denen die Entstehung oder die Verwendung von Einkünften oder Vermögenswerten ersichtlich sei.

Am selben Tage ordnete das Amtsgericht auch die Durchsuchung der Geschäftsräume von Steuerberatern des Beschwerdeführers und die Beschlagnahme von Bankunterlagen bei mehreren Banken an, bei denen der Beschwerdeführer nach den Ermittlungen Konten oder Depots unterhielt.

3. Die nach der Durchsuchung eingelegte Beschwerde verwarf das Landgericht mit dem ersten seiner angegriffenen Beschlüsse. Die festgestellten Geldflüsse hätten den Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung begründet. Die Herkunft des Geldes, das der Vater der Ehefrau als Darlehen gegeben habe, habe nicht geklärt werden können, und zudem habe der Beschwerdeführer im Dezember 2001 eine Zahlung von 100.000 DM an das Finanzamt geleistet, einen dazu aufgenommenen Kredit aber nicht bilanziert. Die Durchsuchung sei verhältnismäßig gewesen, weil der Verdacht nicht anders habe aufgeklärt werden können. Zur Herkunft des Geldes hätte der Vater der Ehefrau des Beschwerdeführers nicht außerhalb eines Steuerstrafverfahrens befragt werden können, so dass er nicht auskunftspflichtig gewesen wäre. Eine Befragung sei aus ermittlungstaktischen Gründen nicht in Betracht gekommen.

Auf eine Gegenvorstellung des Beschwerdeführers lehnte das Landgericht mit dem zweiten seiner angegriffenen Beschlüsse eine Änderung seiner Beschwerdeentscheidung ab.

4. Bei einer Durchsuchung beim Vater der Ehefrau des Beschwerdeführers stellte das Finanzamt fest, dass der Vater 1999 und 2000 aus Grundstücksverkäufen insgesamt 1.848.000 DM erlöst hatte. Die Ermittlungsverfahren wurden eingestellt.

II.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG. Der Durchsuchungsbeschluss habe den Eingriff nicht messbar und kontrollierbar gestalten können, weil der Tatvorwurf zu wenig konkret und auch die zu suchenden Beweismittel zu allgemein beschrieben worden seien. Ein Tatverdacht habe nicht bestanden, so dass die Durchsuchung der Ausforschung gedient habe. Sie sei auch unverhältnismäßig gewesen, weil die Finanzbehörden ihren Verdacht durch weniger einschneidende Maßnahmen hätten aufklären und ausräumen können. Zur Aufklärung der Herkunft sowohl der Darlehensmittel als auch des an das Finanzamt gezahlten Geldes habe der Betriebsprüfer Auskünfte von dem Beschwerdeführer und dem Vater der Ehefrau fordern können. Er habe zudem den Grundstücksverkauf durch Nachfrage bei der Käuferin, einer Gemeinde, und den Zufluss der 100.000 DM durch Nachfrage bei der Bank klären können, über die die Zahlung veranlasst worden sei.

III.

1. Das Land Niedersachsen verteidigt die angegriffenen Beschlüsse. Bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses hätten greifbare Anhaltspunkte für eine von dem Beschwerdeführer begangene Steuerhinterziehung vorgelegen. Der Zufluss des Geldes vom Vater der Ehefrau des Beschwerdeführers sei nicht anders zu erklären gewesen, weil der hohe Erlös aus dem Grundstücksverkauf den Ermittlungsbehörden noch nicht bekannt gewesen sei. Die aufzusuchenden Gegenstände und der Tatvorwurf seien ausreichend konkret bezeichnet worden, so dass der Durchsuchungsbeschluss seiner Begrenzungfunktion habe gerecht werden können. Anders als mit einer Durchsuchung habe der Tatverdacht nicht aufgeklärt werden können, da ein Überraschungsmoment habe ausgenutzt werden müssen.

2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 2004/00263/4 und 2004/01582/8 des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen Braunschweig vorgelegen.

IV.

Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).

Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG, weil der empfindliche Eingriff einer Wohnungsdurchsuchung vorschnell und auf unzureichender Verdachtsgrundlage angeordnet wurde.

1. a) Damit die Unverletzlichkeit der Wohnung durch eine vorbeugende richterliche Kontrolle gewahrt werden kann, hat der Ermittlungsrichter die Durchsuchungsvoraussetzungen eigenverantwortlich zu prüfen. Erforderlich ist eine konkret formulierte, formelhafte Wendungen vermeidende Anordnung, die zugleich den Rahmen der Durchsuchung abstecken und eine Kontrolle durch ein Rechtsmittelgericht ermöglichen kann (vgl. BVerfGE 42, 212 <220 f.>; 96, 44 <51>; 103, 142 <151 f.>). Zu einer angemessenen Begrenzung der Zwangsmaßnahme kann ein Durchsuchungsbeschluss nicht beitragen, wenn er keinerlei tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs oder eine nur schlagwortartige Bezeichnung der mutmaßlichen Straftat enthält, obwohl eine konkretere Kennzeichnung nach dem Ergebnis der Ermittlungen möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich ist (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2000 - 2 BvR 2212/99 -, NStZ 2000, S. 601).

b) Das Gewicht des Eingriffs verlangt als Durchsuchungsvoraussetzung Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen (vgl. BVerfGE 44, 353 <371 f.>; 59, 95 <97>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2004 - 2 BvR 2043/03 u.a. -, NJW 2004, S. 3171 <3172>).

c) Eine Durchsuchung ist schließlich nur dann zulässig, wenn gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der in Frage stehenden Straftat erforderlich ist. Dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>).

2. Die angegriffenen Beschlüsse werden diesen Anforderungen nicht gerecht.

a) Ob der Beschluss des Amtsgerichts die Funktion noch erfüllen kann, den Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung des Beschwerdeführers angemessen zu begrenzen, ist bereits zweifelhaft, kann aber dahinstehen. Der geschilderte Tatvorwurf erlangt zwar durch das Benennen von drei Steuerarten und von Veranlagungszeiträumen eine gewisse Konkretisierung. Die Beschreibung der vorgeworfenen Tathandlung verliert sich aber in allzu allgemeinen Wendungen: das Amtsgericht teilt lediglich formelhaft mit, der Beschwerdeführer sei verdächtig, Steuern verkürzt zu haben, indem er unrichtige Angaben gemacht und Erlöse nicht in voller Höhe versteuert habe. Worauf das Amtsgericht die Annahme unrichtiger Angaben stützt, wird nicht mitgeteilt, hätte aber ohne Gefährdung des Ermittlungszwecks mitgeteilt werden und gegebenenfalls der Begrenzung des Durchsuchungsbeschlussses dienen können.

b) Die Verdachtsgründe, die sich gegen den Beschwerdeführer richteten, reichten allenfalls sehr geringfügig über bloße Vermutungen und vage Anhaltspunkte hinaus. Es ist äußerst bedenklich, den Verdacht der Steuerhinterziehung allein darauf zu gründen, dass eine dem Verdächtigen nahe stehende Person zu seinen Gunsten über einen großen Geldbetrag verfügt, der nicht aus versteuertem Einkommen stammt. Anderes hatte sich aus den Ermittlungen nicht ergeben: Der Vater der Ehefrau des Beschwerdeführers gab ein Darlehen, das letztlich dem Geschäftsbetrieb des Beschwerdeführers vorteilhaft war, ohne dass festgestellt werden konnte, dass der Kapitalbetrag dem Vater zuvor als versteuertes Einkommen zugeflossen war. Daraus abzuleiten, das Geld stamme aus dem Geschäftsbetrieb des Beschwerdeführers, lässt zu viele Varianten offen, die nicht auf von dem Beschwerdeführer begangene Straftaten hindeuten. Selbst ein Zufluss in das Vermögen des Vaters ohne jegliche strafbare Handlung lag nahe. Denn zum einen gibt es keinen Rechtssatz, nach dem jegliche Vermögensmehrung einer Steuer unterläge. Zum anderen hatten die Finanzbehörden von dem Beschwerdeführer eine plausible Möglichkeit benannt bekommen, die zu einem steuerfreien Zufluss in das Vermögen des Vaters der Ehefrau führen konnte, nämlich die Veräußerung von Grundstücken.

Auf dieser Grundlage durfte eine Durchsuchung bei dem Beschwerdeführer nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind; denn sie setzt einen Verdacht bereits voraus. Aus einem nicht strafbaren und auch darüber hinaus rechtmäßigen Verhalten auf das Begehen einer Straftat zu schließen, hätte weiterer Anhaltspunkte bedurft (vgl. BVerfGK 5, 84 <90 f.>). Es war Aufgabe der Ermittlungsbehörden, die plausible Angabe über die Herkunft des fraglichen Betrages zunächst ohne empfindliche Grundrechtseingriffe zu überprüfen, um Zwangsmaßnahmen erst dann in Betracht zu ziehen, wenn sich die Angabe als falsch oder nicht überprüfbar erwiesen hätte.

c) Selbst wenn man voraussetzen wollte, dass allein der dem Beschwerdeführer vorteilhaften Geldzahlung an seine Ehefrau ein Verdacht der Steuerhinterziehung entnommen werden könnte, so war die angeordnete Durchsuchung doch jedenfalls deshalb unverhältnismäßig, weil zur Aufklärung der Herkunft des Geldes andere Mittel zur Verfügung gestanden hätten, die gar nicht oder weniger empfindlich in Grundrechte des Beschwerdeführers oder anderer Grundrechtsträger eingegriffen hätten. Es ist nicht zu erkennen, weshalb die Ermittlungsbehörden der Angabe des Beschwerdeführers, der Vater seiner Ehefrau habe das als Darlehen gegebene Geld aus Grundstücksverkäufen erlöst, nicht nachgegangen sind, bevor sie eine Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen veranlasst haben. Da der Beschwerdeführer offensichtlich über die Verhältnisse des Vaters seiner Ehefrau auskunftsbereit war, hätten auch der Käufer und der ungefähre Zeitpunkt des Verkaufs nachgefragt werden können. So wäre beim zuständigen Grundbuchamt nicht nur eine Überprüfung dieser Angaben, sondern auch eine Ermittlung des vereinbarten Kaufpreises möglich gewesen. Über den Geldfluss hätten Auskünfte der Banken Aufschluss geben können, die in aller Regel ohne Eingriffe in deren Grundrechte zu erlangen sind. Auf diese Weise hätte mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Herkunft des vom Landgericht zur Bekräftigung des Tatverdachts herangezogenen Betrages von 100.000 DM geklärt werden können, den der Beschwerdeführer im Dezember 2001 an die Finanzkasse gezahlt hatte. Es mag für die Ermittlungsbehörden mühevoller sein, auf diese Weise durch Auskunftsersuchen und eventuell durch Zeugenvernehmungen die Hinweise auf ein strafbares Verhalten zu überprüfen; der hohe Wert der Integrität der Wohnung verlangt diese Mühewaltung jedoch, bevor ein empfindlicher Eingriff in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG zulässig sein kann. Das Amtsgericht hätte deshalb nicht am selben Tage die Beschlagnahme von Bankunterlagen und die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschwerdeführers anordnen dürfen, sondern es hätte die Ermittlungsbehörden zunächst auf die Bankauskünfte verweisen müssen, um erst nach einer Bestätigung des Verdachts durch diese Ermittlungen einen Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 13 Abs. 1 GG zu prüfen.

V.

Die angegriffenen Beschlüsse sind aufzuheben (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Die Sache wird an das Landgericht Braunschweig zurückverwiesen, das noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.

VI.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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