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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 25.01.2005
Aktenzeichen: 2 BvR 2185/04
Rechtsgebiete: GewStG, BVerfGG, AO, GG


Vorschriften:

GewStG § 1
GewStG § 16 Abs. 4 Satz 2
BVerfGG § 32
BVerfGG § 32 Abs. 1
BVerfGG § 79 Abs. 2
BVerfGG § 91 Satz 2
BVerfGG § 95 Abs. 3 Satz 3
AO § 1 Abs. 2 Nr. 3
AO § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
GG Art. 28 Abs. 2 Satz 3
GG Art. 72 Abs. 2
GG Art. 105 Abs. 2
GG Art. 106 Abs. 6
GG Art. 106 Abs. 6 Satz 2
GG Art. 106 Abs. 6 Satz 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 2 BvR 2185/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen Art. 2 Nr. 1 und Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2922)

hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter Vizepräsident Hassemer, Jentsch, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt am 25. Januar 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe:

A.

Die Beschwerdeführerin, eine amtsangehörige Gemeinde in Brandenburg, wendet sich gegen die Verpflichtung, Gewerbesteuer zu erheben.

I.

Art. 2 Nr. 1 und Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2922) hat durch die Änderung des § 1 und die Einfügung des § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG die erstmals für das Erhebungsjahr 2004 geltende Pflicht der Gemeinden eingeführt, die Gewerbesteuer nach einem Mindesthebesatz von 200 v.H. zu erheben. Zuvor waren die Gemeinden berechtigt, die Gewerbesteuer zu erheben (§ 1 a.F. GewStG), konnten aber, da eine Untergrenze des Hebesatzes nicht geregelt war, durch die Festsetzung des Hebesatzes auf Null von der Steuererhebung absehen. Diese Möglichkeit nahmen im Erhebungsjahr 2003 vier Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland wahr, darunter die Beschwerdeführerin. 14 weitere Gemeinden setzten Hebesätze unter 200 v.H. fest.

II.

Die beschwerdeführende Gemeinde liegt nordöstlich von Berlin in einer Region, die sie als strukturschwach bezeichnet. Sie hat 640 Einwohner (2003). Versuche, ein vormaliges NVA-Gelände zur Ansiedlung von Gewerbebetrieben zu nutzen, scheiterten zunächst.

Von 1994 bis 2001 erhoben die beiden Gemeinden, die danach zu der Beschwerdeführerin vereinigt wurden, die Gewerbesteuer nach einem Hebesatz von 300 v.H. Die Gewerbesteuereinnahmen betrugen in jenen acht Jahren insgesamt etwa 13.600 Euro. Im Jahr 2002 nahm die Beschwerdeführerin nach einem Hebesatz von nun 20 v.H. ca. 1.200 Euro ein. Für die Jahre 2003 und 2004 setzte die Beschwerdeführerin den Hebesatz auf Null fest.

Mit dem Verzicht auf die Gewerbesteuer wollte die Beschwerdeführerin einen Anreiz zur Ansiedlung von Gewerbebetrieben schaffen. In der Folge siedelten sich mehr als 30 Unternehmen an. Aus Nutzungsentgelten und Sonderumlagen nahm die Beschwerdeführerin von diesen Unternehmen im Jahr 2003 16.200 Euro und im Jahr 2004 150.000 Euro ein.

III.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, die Verpflichtung, Gewerbesteuer zu erheben, verletze ihr Recht aus Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG. Zur Einführung von Mindesthebesätzen fehle dem Bund die Gesetzgebungskompetenz. Ein Mindesthebesatz verwehre es der Gemeinde, ihren Finanzbedarf selbst festzulegen und zu entscheiden, dass es der Einnahmen aus der Gewerbesteuer nicht bedürfe. Art. 106 Abs. 6 GG rechne das Hebesatzrecht zum Kernbereich der finanziellen Selbstverwaltung der Gemeinde. Die Einführung der Pflicht, Gewerbesteuer nach einem Mindesthebesatz zu erheben, sei nicht geeignet, die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele zu erreichen. Zu einer stetigen und verlässlichen Einnahmequelle könne die Gewerbesteuer auf diesem Wege nicht umgestaltet werden, weil die Abwanderung ansässiger Unternehmen ins steuergünstigere Ausland bewirkt werde. Übermäßige Finanzkraftunterschiede würden durch die angegriffene Regelung nicht verhindert und eine Angleichung der Lebensverhältnisse nicht erreicht, weil durch die Einführung der Gewerbesteuer ansässige Unternehmen verloren gingen, sodass die Finanzkraft der Gemeinde geschwächt werde. Ein Mindesthebesatz sei auch nicht geeignet, die Bildung von "Steueroasen" zu verhindern oder Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Gemeinden entgegenzuwirken. Gemeinden wie die Beschwerdeführerin könnten keinen anderen Anreiz zur Gewerbeansiedlung bieten als die Gewerbesteuerfreiheit. Nur so könne sie am Wettbewerb um die Ansiedlung von Unternehmen teilnehmen. Müsse sie Gewerbesteuer erheben, so werde sie aus dem Wettbewerb um Gewerbeansiedlungen wieder ausscheiden. Es werde ihr - wie früher, als sie Gewerbesteuer noch erhoben habe - an jeglicher Attraktivität fehlen.

Die Beschwerdeführerin hat beantragt, die Vollziehung der angegriffenen Regelungen durch einstweilige Anordnung bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen. Ihr drohten schwere Nachteile. Die Unternehmen würden auf die Erhebung der Gewerbesteuer mit Abwanderung reagieren. Einige Unternehmen hätten ihren Fortzug bereits angekündigt. Die Beschwerdeführerin habe keine Mittel, sie zum Bleiben oder zur Rückkehr zu bewegen. Die Durchführung der Mindesthebesatzregelung werde hingegen zu keinen Mehreinnahmen beim Bund führen.

IV.

Der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung hatten Gelegenheit, sich zu dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu äußern.

Für die Bundesregierung hat der Bundesminister der Finanzen Stellung genommen. Er erhebt Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde. Es sei zweifelhaft, ob die Beschwerdeführerin durch die angegriffenen Regelungen gegenwärtig betroffen sei, da sich die Gewerbesteuereinnahmen des Jahres 2004 erst im Jahre 2006 auf den kommunalen Finanzausgleich auswirkten. Die Beschwerdeführerin müsse sich zudem nach § 91 Satz 2 BVerfGG zunächst gegen die Durchführung des landesinternen Finanzausgleichs vor dem Landesverfassungsgericht beschweren.

Schwere Nachteile, die es rechtfertigen könnten, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, drohten nicht. Finanzpolitische Gründe für den Verzicht auf die Gewerbesteuer hätten für die Beschwerdeführerin nicht bestanden. Sie habe auch vor dem Verzicht auf die Gewerbesteuer und ohne die Einnahmen aus den Nutzungsentgelten und Sonderumlagen ihre Haushalte ausgleichen können.

Dagegen drohten der Allgemeinheit durch die Nichtanwendung des angegriffenen Gesetzes schwere Nachteile. Mit ihm werde dem zunehmenden Abwandern von Betrieben in "Gewerbesteueroasen" entgegengewirkt, das in den vom Wegzug betroffenen Gemeinden zu erheblichen Gewerbesteuerausfällen geführt habe. Allein die "Gewerbesteueroase" N. habe bislang Gewerbesteuerausfälle in Höhe von 400 Millionen Euro verursacht.

B.

Der Antrag ist unbegründet.

I.

Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Gesetzes sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache erhobene Verfassungsbeschwerde erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Für eine Sicherung der Hauptsacheentscheidung zu Gunsten des Antragstellers besteht dann kein Anlass (vgl. BVerfGE 88, 173 <179>; 89, 38 <43 f.>; 92, 130 <133>; 103, 41 <42>; 104, 23 <28>).

Ist das Begehren zur Hauptsache weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet, wägt das Bundesverfassungsgericht die Nachteile, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Maßnahme aber später für verfassungswidrig erklärt würde, gegen diejenigen Nachteile ab, die entstünden, wenn die Maßnahme nicht in Kraft träte, sie sich aber im Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß erwiese (vgl. BVerfGE 86, 390 <395>; 88, 173 <179 f.>; 104, 23 <28 f.>).

Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, gilt für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab. Soll der Vollzug eines Gesetzes ausgesetzt werden, so erhöhen sich diese Anforderungen noch. Schon im Regelfall müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen. Von seiner Befugnis, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, darf das Bundesverfassungsgericht nur mit noch größerer Zurückhaltung Gebrauch machen (vgl. BVerfGE 64, 67 <69>; 71, 350 <351>; 81, 53 <54>; 82, 310 <313>; 85, 167 <171>; 86, 390 <395>; 93, 181 <186>; 94, 334 <347 f.>; 96, 120 <128 f.>; 104, 23 <27>; 104, 51 <55>).

Würde die einstweilige Anordnung erlassen, so würde das angegriffene Gesetz allgemein und nicht nur in der Beziehung zur Beschwerdeführerin ausgesetzt. Deshalb sind bei der Folgenabwägung die Auswirkungen auf alle von dem Gesetz Betroffenen zu berücksichtigen, nicht nur die Verhältnisse der Beschwerdeführerin (Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Loseblatt <Januar 2004>, § 32 Rn. 112, 136).

II.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Die Beschwerdeführerin ist von der angegriffenen Regelung gegenwärtig betroffen. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2004 ist sie verpflichtet, Gewerbesteuer nach einem Mindesthebesatz zu erheben; der Verzicht auf die Gewerbesteuer oder die Steuererhebung nach einem niedrigeren Hebesatz sind ihr seitdem verwehrt. Auf die finanziellen Folgen, die die Bundesregierung für maßgeblich hält und die nach ihrer Auffassung erst ab 2006 zu erwarten sind, kommt es für eine mögliche Verletzung des Rechts auf gemeindliche Selbstverwaltung nicht an.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht offensichtlich unbegründet.

a) Zunächst wird in der Hauptsache die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage der Gesetzgebungskompetenz des Bundes zu prüfen sein. Auf eine Überschreitung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes kann eine Kommunalverfassungsbeschwerde gestützt werden, denn kompetenzwidrige Eingriffe in die Selbstverwaltung müssen die Kommunen nicht hinnehmen (vgl. BVerfGE 56, 298 <310>). Das Gesetzgebungsrecht des Bundes in Bezug auf die Gewerbesteuer hängt davon ab, ob die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt sind. Die Gewerbesteuer ist eine der "übrigen Steuern" (Art. 105 Abs. 2 GG), und ihr Aufkommen steht allein den Gemeinden zu (Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG). Die nach Art. 106 Abs. 6 Satz 4 GG mögliche und auch tatsächlich erhobene Gewerbesteuerumlage führt nicht dazu, dass das Aufkommen der Steuer teilweise dem Bund zustünde, sodass seine Gesetzgebungskompetenz von den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG gelöst wäre (Art. 105 Abs. 2 GG). Denn die Umlage begründet keine eigene Ertragskompetenz der Umlageberechtigten, sondern nur einen Anspruch gegen den Inhaber der Ertragshoheit, die Gemeinden (Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 10. Aufl. 2004, Art. 106 Rn. 20; Siekmann, in: Sachs, GG, 3. Aufl. 2003, Art. 106 Rn. 31; Heun, in: Dreier, GG, 2000, Art. 106 Rn. 38).

Die Befugnis des Bundes zur Regelung der Gewerbesteuer hängt deshalb vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG ab (Vogel/Walter, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK-GG, Loseblatt <November 2004>, Art. 105 Rn. 81, 83; Heun, a.a.O., Art. 105 Rn. 35). Die Frage, ob sich die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Gewerbesteuer aus Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG auch auf die Anordnung einer Untergrenze des Hebesatzes und damit auf den Zwang zur Erhebung der Gewerbesteuer erstreckt, ist nicht geklärt und bedarf näherer Prüfung im Hauptsacheverfahren.

b) Wenn der Bund zur Gesetzgebung befugt war, wird zu klären sein, ob das Recht auf Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG) die Befugnis umfasst, ohne gesetzliche Vorgaben allein entscheiden zu können, ob Gemeindesteuern überhaupt erhoben werden sollen. Das "Hebesatzrecht" wird zu den Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung gezählt, die von der Gewährleistung der Selbstverwaltung umfasst wird. Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG könnte eine neben der Finanzhoheit bestehende "Hebesatzhoheit" begründen, die das Recht umfasst, über die Steuererhebung selbst zu entscheiden. Wenn die "Hebesatzhoheit" zum Kernbereich der Selbstverwaltung gehören sollte, könnte das Recht, den Hebesatz festzusetzen, von Vorgaben des Gesetzgebers freizuhalten sein. Wäre nur der Randbereich betroffen, dann könnten Gründe des Gemeinwohls Eingriffe rechtfertigen.

Für eine weitgehende Autonomie bei der Festsetzung der Hebesätze und damit bei der Entscheidung, ob die Steuer überhaupt erhoben werden soll, könnte der Umstand sprechen, dass es sich bei der Gewerbesteuer um eine Gemeindesteuer handelt (Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG). Ob die Gemeinde diese in ihrer Ertragshoheit stehende Steuer zu ihrer Finanzausstattung benötigt, könnte ihrer eigenen, autonomen Entscheidung unterliegen. Andererseits wird die Bedeutung des Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG zu prüfen sein, der das Recht, Hebesätze festzusetzen, in den "Rahmen der Gesetze" stellt.

Diese mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen lassen sich weder anhand verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung noch mit Hilfe von Stellungnahmen des rechtswissenschaftlichen Schrifttums ohne weiteres beantworten.

III.

Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist über den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Grund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese führt zur Ablehnung des Antrags.

1. Die Nachteile, die dem gemeinen Wohl drohen, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht, die gesetzliche Bestimmung eines Mindesthebesatzes für die Gewerbesteuer sich aber später im Hauptsacheverfahren als verfassungswidrig und nichtig erweist, überwiegen nicht hinreichend deutlich diejenigen Nachteile, die entstünden, wenn die beantragte einstweilige Anordnung erginge, sich die angegriffene Regelung aber später als verfassungsgemäß herausstellen würde. Die der Beschwerdeführerin auf Grund der angegriffenen Regelung drohenden Nachteile können teilweise auch durch eine einstweilige Anordnung nicht beseitigt und andernteils von den betroffenen Gemeinden selbst durch verfahrensrechtliche Maßnahmen gemildert werden.

a) Die Pflicht, Gewerbesteuer zu erheben, würde bei Nichterlass einer einstweiligen Anordnung zunächst bis zur Hauptsacheentscheidung weiter gelten. Dann würde sie, wenn eine Nichtigerklärung ergehen sollte mit Rückwirkung, wieder entfallen.

Der vorübergehende Zwang, die Gewerbesteuer mit einem Hebesatz von mindestens 200 v.H. zu erheben, könnte in die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung der Gemeinden eingreifen. Sie wären verpflichtet, eine Steuer zu erheben, auch wenn sie Gewerbetreibende zur Ansiedlung in ihrem Gemeindegebiet nur damit gewinnen könnten, dass keine Gewerbesteuer erhoben wird. Die sich aus der Ansiedlung von Gewerbebetrieben vor allem in strukturschwachen Gebieten ergebenden Vorteile kämen den betroffenen Gemeinden nicht zugute.

Gewerbebetriebe könnten sich im Hinblick auf die Erhebung der Gewerbesteuer veranlasst sehen, ihre Standortentscheidung zu überprüfen, da der Vorteil einer Ansiedlung durch die gesetzlich angeordnete Gewerbesteuererhebungspflicht weggefallen ist. Sie könnten deshalb ihr Gewerbe an attraktivere Standorte in Deutschland oder ins Ausland verlagern. Dadurch könnte den betroffenen Gemeinden ein bleibender Schaden entstehen, wenn die Gewerbebetriebe nicht später wieder zurückkehren.

Die Veränderung im Unternehmensbestand kann damit vorübergehende, aber auch dauerhaft weit reichende Auswirkungen auf die Finanzausstattung der Gemeinden haben.

b) Die Einführung der Gewerbesteuererhebungspflicht nach Mindesthebesätzen ab dem Erhebungsjahr 2004 und die Rückkehr zu der Möglichkeit, auf die Steuererhebung zu verzichten, nach einer möglichen stattgebenden Hauptsacheentscheidung berührt die Dispositionssicherheit sowohl der Gemeinden als auch der steuerpflichtigen Unternehmer.

Die Gemeinden, die bislang auf die Erhebung der Gewerbesteuer verzichtet haben und an dieser Entscheidung auch festhalten wollen, müssten nach dem sich aus dem Bundesrecht ergebenden Mindesthebesatz mit der Steuererhebung beginnen. Der dafür erforderliche Einsatz von Verwaltungskraft würde schon nach kurzer Zeit wieder entbehrlich, wenn die Steuer nach einer Nichtigerklärung des angegriffenen Gesetzes zurückzuzahlen und künftig wiederum keine Steuer zu erheben wäre.

c) Eine einstweilige Anordnung, mit der der Vollzug der Pflicht, die Gewerbesteuer nach einem Mindesthebesatz zu erheben, bis zur Entscheidung über die Hauptsache nur ausgesetzt würde, könnte die Nachteile im Wesentlichen nicht beseitigen. Wenn sich nach der Aussetzung des Vollzugs die angegriffene Regelung als verfassungsgemäß erweist, dann müsste die Steuer auch für den Zeitraum der Geltung der einstweiligen Anordnung erhoben werden. Die Gemeinden könnten lediglich in der Übergangszeit auf die Steuererhebung verzichten und damit von zusätzlichem Sach- und Personaleinsatz absehen.

Die betroffenen Unternehmer könnten aber auch bei Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht mit der Steuerfreiheit rechnen und ihre Planungsentscheidungen nicht an der Erwartung ausrichten, die Steuer werde für die Übergangszeit nicht zu zahlen sein. Diese Sicherheit kann nicht eine einstweilige Anordnung, sondern erst eine die Nichtigkeit der angegriffenen Regelung aussprechende Hauptsacheentscheidung herbeiführen. Die Gewerbesteuer müsste zwar zunächst nicht gezahlt werden, Bilanz und Kalkulation wären aber mit zu bildenden Rückstellungen (§ 249 HGB) belastet.

d) Um sicherzustellen, dass die bis zur Entscheidung über die Hauptsache erhobene Steuer zurückgezahlt wird, wenn sich das angegriffene Gesetz als nichtig erweist, bedarf es der einstweiligen Anordnung nicht. Die Gemeinden können die Wirkung von § 95 Abs. 3 Satz 3, § 79 Abs. 2 BVerfGG durch eigene Maßnahmen verhindern.

Die Gemeinden brauchen auch nach der angegriffenen Regelung einen Hebesatz nicht festzusetzen. Liegt ihre Festsetzung darunter oder verzichten sie unter Berufung auf ihre Finanzautonomie gänzlich auf eine Hebesatzregelung, so gilt kraft des angegriffenen § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG ein Hebesatz von 200 v.H. Die darauf beruhende Steuer kann nach § 1 Abs. 2 Nr. 3, § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig festgesetzt werden. Entfällt § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG rückwirkend, so gilt die abweichende Hebesatzfestsetzung oder der Verzicht auf Gewerbesteuer durch die Gemeinde, und sie kann die Steuerfestsetzung aufheben oder ändern (§ 1 Abs. 2 Nr. 3, § 165 Abs. 2 Satz 1 AO).

2. Die Nachteile, die bei unterstellter Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Regelung mit dem Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden wären, wiegen wenigstens ebenso schwer wie jene im Fall des Nichtergehens einer einstweiligen Anordnung.

Wenn der Vollzug des angegriffenen Gesetzes ausgesetzt würde, die Verfassungsbeschwerde aber erfolglos bliebe, dann könnte Gewerbesteuer zunächst nicht erhoben werden.

Der aus einer Anwendung des Gesetzes folgende Anstieg der dem Bund und den Ländern zufließenden Gewerbesteuerumlage (§ 6 GFRG) bliebe zunächst aus. Die mit der angegriffenen Gesetzesänderung verbundene Einnahmeerwartung würde erhalten bleiben. Der Anstieg der Umlage würde aufgeschoben; denn sie wäre auch aus der nacherhobenen Steuer abzuführen. Zu bleibenden Umlageausfällen käme es zwar nicht, wenn sich die Gewerbesteuererhebungspflicht als verfassungsgemäß erweisen sollte. Auf kurzfristig eintretende Einnahmeverbesserungen müssten Bund und Länder allerdings verzichten. Darin läge ein aktueller und spürbarer Nachteil für deren Haushalte.

Das Anliegen des Gesetzgebers, das Ausweichen von Steuerpflichtigen in Gemeinden mit niedriger oder ganz fehlender Gewerbesteuer zu verhindern, würde durch einen Aufschub der Anwendung des Gesetzes jedenfalls vorübergehend entwertet. Das eingesetzte Mittel der Gewerbesteuererhebungspflicht nach Mindesthebesätzen könnte seine Wirkung erst später entfalten, wenn sich das angegriffene Gesetz als verfassungsgemäß erweist.

3. Die mit der Ablehnung einer einstweiligen Anordnung verbundenen Nachteile überwiegen die mit dem Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Nachteile nicht so deutlich, dass sie den Eingriff in vom Parlament gesetztes Recht unabdingbar erscheinen lassen.

Ende der Entscheidung

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