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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 05.06.2002
Aktenzeichen: 2 BvR 2257/96
Rechtsgebiete: GG, BBG, BVerfGG
Vorschriften:
GG Art. 2 Abs. 1 | |
BBG § 54 Satz 3 | |
BBG § 77 Abs. 1 Satz 2 | |
BVerfGG § 93a Abs. 2 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2257/96 -
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde
gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. August 1996 - BVerwG 1 D 80.95 -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Sommer, Di Fabio und die Richterin Lübbe-Wolff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 5. Juni 2002 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
1. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer, ein Beamter der ehemaligen Deutschen Bundespost (Telekom), der nach Inkrafttreten der Postreform II (1. Januar 1995) nunmehr bei der Deutschen Telekom AG beschäftigt ist, gegen eine Gehaltskürzung um ein Zwanzigstel für die Dauer von fünf Monaten, die gegen ihn als Disziplinarmaßnahme wegen einer wiederholten außerdienstlichen Trunkenheitsfahrt verhängt worden ist.
Das Amtsgericht hatte den Beschwerdeführer wegen der am 5. Februar 1994 mit 2,43 Promille Blutalkoholgehalt begangenen Tat zuvor wegen vorsätzlichen Vollrausches (§ 323a StGB) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 70 DM und Entziehung der Fahrerlaubnis mit einer Sperrfrist von zehn Monaten verurteilt. Im Dezember 1994 wurde das Disziplinarverfahren gegen den Beschwerdeführer eingeleitet. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch das angegriffene Urteil vom 20. August 1996 (BVerwG 1 D 80.95 - BVerwGE 103, 375) die Berufung des Beschwerdeführers gegen seine Verurteilung durch das Bundesdisziplinargericht vom 18. Juli 1995 zurückgewiesen:
Die außerdienstliche Trunkenheitsfahrt sei ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten außerhalb des Dienstes gemäß § 54 Satz 3 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) und ein außerdienstliches Dienstvergehen im Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG, durch das das Ansehen des Beamten selbst und des Beamtentums in besonderem Maße beeinträchtigt werde. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats führe eine Trunkenheitsfahrt im Vollrausch bei einschlägiger Vorbelastung zu einer Gehaltskürzung.
An dieser rechtlichen Beurteilung habe auch die Postreform nichts geändert. Der Status des Beschwerdeführers als Beamter sei unverändert geblieben. Nach Art. 143b Abs. 3 GG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 des Postpersonalrechtsgesetzes (PostPersRG) seien die bei der Deutschen Telekom AG weiter beschäftigten Beamten trotz der Beleihung der neuen Aktiengesellschaft mit Dienstherrenbefugnissen Beamte des Dienstherrn Bund geblieben. Außerdem fingiere § 4 Abs. 1 PostPersRG die berufliche Tätigkeit der bei der AG beschäftigten Beamten (sog. AG-Beamten) als Dienst. Folgerichtig ordne § 2 Abs. 3 Satz 2 PostPersRG an, dass auf die AG-Beamten die für Bundesbeamte allgemein geltenden Vorschriften Anwendung finden, soweit das Gesetz nichts anderes bestimme. Einer Anwendung des Disziplinarrechts auf AG-Beamte stehe auch nicht das Diskriminierungsverbot des § 5 Abs. 1 PostPersRG entgegen, da diese Vorschrift für pflichtwidriges Verhalten eines AG-Beamten keine Aussage treffe. Ein Antrag auf eingeschränkte Anwendung der Bundesdisziplinarordnung (BDO) auf AG-Beamte habe im Gesetzgebungsverfahren keine Mehrheit gefunden.
Gegen diese Entscheidung hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der er vor allem die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG durch Anwendung der §§ 54 Satz 3, 77 Abs. 1 Satz 2 BBG auf sein außerdienstliches Verhalten als sog. AG-Beamter rügt.
II.
Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung sind nicht gegeben. Die Verfassungsbeschwerde hat weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch entsteht dem Beschwerdeführer durch die Nichtannahme ein besonders schwerer Nachteil; die Verfassungsbeschwerde hat jedenfalls keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>).
1. Das angegriffene Urteil verletzt durch die dort zugrunde gelegte Auslegung des § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG.
a) Zutreffend geht die Verfassungsbeschwerde davon aus, dass Grundrechtseinschränkungen im Sonderstatusverhältnis des Beamten nur insoweit in Betracht kommen, als dies verfassungsrechtlich positiv bestimmt oder doch stillschweigend vorausgesetzt ist. Art. 33 Abs. 5 GG lässt sie nur zu, wenn sie durch Sinn und Zweck des konkreten Dienst- und Treueverhältnisses gefordert werden (vgl. BVerfGE 19, 303 <322>). In diesem Rahmen billigt das Bundesverfassungsgericht die Verwendung von Generalklauseln (hier §§ 54 Satz 3, 77 Abs. 1 Satz 2 BBG) zur Bestimmung von grundrechtsbegrenzenden Beamtenpflichten (vgl. Beschluss des Vorprüfungsausschusses des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17. September 1984 - 2 BvR 1032/84 -, PersV 1985, S. 35 m.w.N.; vgl. auch BVerfGE 37, 167 <173 ff.>).
Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG in der Auslegung durch die Rechtsprechung der Disziplinargerichte betrifft vorrangig die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes und die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den Einzelfall. Dies ist zunächst Sache der Fachgerichte. Nur wenn die angegriffene Entscheidung auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Reichweite eines Grundrechts beruhte oder willkürlich wäre, könnte das Bundesverfassungsgericht eingreifen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 95>). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Das Bundesverwaltungsgericht hält ohne Verfassungsverstoß die allgemeine Gesetzestreue eines Beamten nach wie vor für eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums, dem nach Art. 33 Abs. 4 GG die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse obliegt. Auch nach heutiger Anschauung ist ein - auch außerdienstlicher - Verstoß gegen Rechtsnormen, die wichtige Gemeinschaftsinteressen schützen, geeignet, das Vertrauen in eine ordnungsgemäße Dienstausübung der Berufsbeamten zu erschüttern. Die Wertung der Trunkenheitsfahrt als Dienstvergehen von nicht unerheblichem Gewicht, das wegen der einschlägigen Vortat eine erhebliche Ansehensschädigung bewirke und eine disziplinarische Reaktion in Gestalt einer Gehaltskürzung erfordere, ist hiernach nachvollziehbar und frei von Willkür.
Soweit das Bundesverwaltungsgericht im angegriffenen Urteil zur Annahme eines Dienstvergehens auch ohne konkreten Bezug der außerdienstlichen Pflichtverletzung zur dienstlichen Tätigkeit des Beamten gelangt ist, hat es mit Urteil vom 30. August 2000 (1 D 37.99 - ZBR 2001, S. 39) seine Rechtsprechung allerdings modifiziert. Es ist damit der in der Verfassungsbeschwerde vertretenen Auffassung ein Stück entgegen gekommen. Auswirkungen auf die Verfassungsmäßigkeit des hier angegriffenen Urteils hat dies aber nicht: Der Beschwerdeführer ist Wiederholungstäter; hingegen war im Urteil vom 30. August 2000 eine erstmalige außerdienstliche Trunkenheitsfahrt zu beurteilen.
b) Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer auch nicht deshalb in seinem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG, weil er zur Zeit der Aburteilung bereits sog. AG-Beamter war. Im vorliegenden Fall werden dadurch insbesondere keine Fragen von grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung aufgeworfen (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 f.>).
Zur Tatzeit und auch bei Einleitung des Disziplinarverfahrens war der Beschwerdeführer noch "normaler" Beamter im Dienst der Deutschen Bundespost (Telekom). Er hatte ferner sowohl zur Tatzeit als auch zur Zeit der Aburteilung den Status eines Lebenszeitbeamten (vgl. Art. 143b Abs. 3 Satz 2 GG). Auf ihn findet deshalb auch in seiner Eigenschaft als sog. AG-Beamter das Disziplinarrecht grundsätzlich Anwendung. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 BDO kann ein Beamter auch wegen eines Dienstvergehens verfolgt werden, das er in einem früheren Dienstverhältnis als Beamter begangen hat. Beim Beschwerdeführer hat durch die Umwandlung des Sondervermögens Deutsche Bundespost in Unternehmen privater Rechtsform (Art. 143b Abs. 1 Satz 1 GG) kein Dienstherrenwechsel stattgefunden (vgl. Art. 143b Abs. 3 Satz 2 GG).
Das Disziplinarverfahren hat nicht vordergründig eine Reaktion auf eine einzelne Pflichtverletzung zum Ziel (vgl. Claussen/Janzen, BDO, 8. Aufl., Einleitung A. Rn. 2). Allerdings muss die Verfehlung zur Tatzeit für den Täter ein Dienstvergehen gewesen sein (Claussen/Janzen, § 2, Rn. 3b). Ist dies aber der Fall, dann steht der volle Maßnahmenkatalog des § 5 BDO auch dann zur Verfügung, wenn sich - ohne Dienstherrenwechsel - der Pflichtenstandard verändert haben sollte. Da die Beeinträchtigung des Vertrauens in die Integrität der Amtsführung und damit die Gefahr, der mit disziplinarischen Mitteln entgegengewirkt werden soll, hier schon durch die im Status des (normalen) Beamten begangene Tat eingetreten und durch das Inkrafttreten der Postreform nicht nachträglich geringer geworden ist, bestehen schon deshalb keine verfassungsrechtlichen Bedenken, die Notwendigkeit einer disziplinarrechtlichen Reaktion und die Angemessenheit der verhängten Maßnahme angesichts des fortbestehenden Beamtenstatus des Beschwerdeführers maßgeblich noch nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Tat zu beurteilen. Der Pflichtverstoß behält das Gewicht, das er zur Zeit der Tat hatte und das die Notwendigkeit einer Pflichtenmahnung ausgelöst hat.
Soweit sich der Beschwerdeführer demgegenüber auf das Günstigkeitsprinzip (vgl. § 2 Abs. 3 StGB) beruft, fehlt es dafür schon an der Voraussetzung einer Änderung des materiellen Disziplinarrechts (vgl. Art. 143b Abs. 3 Satz 1 GG, § 2 Abs. 3 Satz 1 und 2 PostPersRG). Ein im Gesetzgebungsverfahren gestellter Antrag, zu bestimmen, dass die Bundesdisziplinarordnung nur mit der einschränkenden Maßgabe der Gewährleistung einer Gleichstellung und Gleichbehandlung mit den Arbeitnehmern anzuwenden sei, wurde abgelehnt (vgl. Kurzprotokoll der 67. Sitzung des Ausschusses für Post und Telekommunikation <18. Ausschuss> vom 6. Juni 1994 über die Beratung des Entwurfs eines Postneuordnungsgesetzes <BTDrucks 12/6718>, S. 22, 26). Auch in dem ab 1. Januar 2002 geltenden Bundesdisziplinargesetz vom 9. Juli 2001 (BGBl I S. 1510) ist die Anwendung des Disziplinarrechts auf AG-Beamte nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen worden (vgl. dazu Müller-Eising, NJW 2001, S. 3587 <3592>).
2. Das angegriffene Urteil verletzt auch nicht das Recht auf Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Gleichbehandlung des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner außerdienstlichen Trunkenheitsfahrt mit Arbeitnehmern bei der Deutschen Telekom AG ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Die ungleiche Behandlung rechtfertigt sich nicht nur aus der wesentlichen Verschiedenheit seines Beamtenstatus, sondern hier auch noch dadurch, dass er zur Tatzeit noch normaler Beamter war. Der Gesetzgeber hat in Ausführung des Art. 143b Abs. 3 GG die Fortgeltung des Disziplinarrechts auch für AG-Beamte gewollt. Der Status dieser Beamten ist - ungeachtet gewisser Besonderheiten ihrer Funktionen - nicht so konzipiert, dass darin lediglich die Vorzüge zweier im Wesensgehalt verschiedener Systeme miteinander kombiniert wären.
Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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