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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 15.05.2002
Aktenzeichen: 2 BvR 2292/00
Rechtsgebiete: GG
Vorschriften:
GG Art. 2 Abs. 2 Satz 2 | |
GG Art. 104 Abs. 1 | |
GG Art. 104 Abs. 2 |
2. Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG setzt dem Festhalten einer Person ohne richterliche Entscheidung mit dem Ende des auf das Ergreifen folgenden Tages eine äußerste Grenze, befreit aber nicht von der Verpflichtung, eine solche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2292/00 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde
gegen
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 18. Oktober 2000 - 17 W 10/00 -,
b) den Beschluss des Landgerichts Verden vom 18. Januar 2000 - 3 T 1/00 -,
c) den Beschluss des Amtsgerichts Syke vom 6. Dezember 1999 - 14 XIV 910 B -
und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts Hans Meyer-Mews
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter Vizepräsident Hassemer, Sommer, Jentsch, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff
am 15. Mai 2002 beschlossen:
Tenor:
Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Celle vom 18. Oktober 2000 - 17 W 10/00 -, des Landgerichts Verden vom 18. Januar 2000 - 3 T 1/00 - und des Amtsgerichts Syke vom 6. Dezember 1999 - 14 XIV 910 B - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 2 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Syke zurückverwiesen.
Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren zu erstatten. Damit erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.
Gründe:
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die ohne richterliche Anordnung erfolgte Festnahme und Ingewahrsamnahme im Rahmen einer Abschiebung.
I.
1. a) Der Beschwerdeführer, ein gambischer Staatsangehöriger, wurde unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Ihm wurde die Abschiebung in sein Heimatland für den Fall angedroht, dass er die Bundesrepublik Deutschland nicht bis zum 31. Dezember 1998 verlassen haben sollte.
b) Am Nachmittag des 20. Januar 1999 suchten zwei Polizeibeamte den Beschwerdeführer in seiner Wohnung auf, um Einzelheiten der Abschiebung zu besprechen. Aufgrund von Äußerungen des Beschwerdeführers und der Gesamtumstände seines Verhaltens sahen die Beamten seine Ingewahrsamnahme zur Sicherung der für den nächsten Morgen geplanten Abschiebung als notwendig an. Sie verbrachten den Beschwerdeführer auf ihre Dienststelle. Von dort aus versuchten sie nach ihren Angaben gegen 16.00 Uhr vergeblich, beim Amtsgericht Syke telefonisch einen Haftrichter zu erreichen. Der Beschwerdeführer wurde bis gegen 3.00 Uhr des folgenden Tages im Polizeigewahrsam fest gehalten. Sodann wurde er dem Bundesgrenzschutz übergeben und zum Flughafen Hannover transportiert. Von dort wurde er gegen 7.30 Uhr nach Gambia abgeschoben.
2. a) Der Beschwerdeführer beantragte beim Amtsgericht Syke festzustellen, dass seine Festnahme am 20. Januar 1999 um ca. 15.30 Uhr und die daran anschließende Ingewahrsamnahme ohne richterliche Bestätigung rechtswidrig gewesen seien; gleichzeitig beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Nach § 42 Abs. 7 AuslG dürfe die Polizei einen Ausländer nur dann zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausschreiben und festnehmen, wenn sein Aufenthalt unbekannt sei. Sein regelmäßiger Aufenthalt sei der Ausländerbehörde jedoch bekannt gewesen. Dementsprechend habe die Polizei ihn auch in seiner Wohnung angetroffen. Im Übrigen sei dem Ausländergesetz eine Ingewahrsamnahme ohne vorherige richterliche Anordnung fremd.
Eine vorläufige Freiheitsentziehung ohne vorherige richterliche Anordnung komme nur in Betracht, wenn der damit verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck anders nicht erreichbar sei. Dann müsse gemäß Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG jedenfalls nachträglich unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeigeführt werden. Die Freiheitsentziehung ohne richterliche Überprüfung habe hier mehr als 15 Stunden gedauert. Für eine so weit gehende eigenmächtige Freiheitsentziehung habe die Polizei nicht die erforderliche Ermächtigungsgrundlage. Die zusätzliche zeitliche Grenze des Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG, wonach die Freiheitsentziehung nur bis zum Ende des Tages andauern dürfe, der auf den Tag der Festnahme folge, ändere daran nichts. Nach dem Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz - NGefAG - müssten Polizei- und Verwaltungsbehörden unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der vorläufigen Freiheitsentziehung herbeiführen, es sei denn, dass mit einer solchen Entscheidung erst nach Beendigung der Maßnahme zu rechnen sei. Auch nach § 13 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen - FEVG - habe die Verwaltungsbehörde ohne jede Verzögerung eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Festnahme des Beschwerdeführers sei im Voraus geplant und eine rechtzeitige Einschaltung eines Richters daher möglich gewesen. Ein Verstoß gegen die Verfahrensgarantien im Freiheitsentziehungsverfahren mache die Maßnahme gemäß Art. 104 GG rechtswidrig.
b) Mit Beschluss vom 11. Oktober 1999 wies das Amtsgericht zunächst den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurück; die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Verwaltungsbehörde sei nicht verpflichtet gewesen, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Da die Festnahme des Beschwerdeführers gegen 15.30 Uhr und damit nach Dienstschluss des Amtsgerichts, die Abschiebung gegen 7.30 Uhr des folgenden Tages und damit vor Dienstbeginn erfolgt sei, sei mit einer richterlichen Entscheidung erst nach Beendigung der Maßnahme zu rechnen gewesen.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies das Landgericht mit Beschluss vom 8. November 1999 als unbegründet zurück. Die Festnahme des Beschwerdeführers wäre auf Antrag der beteiligten Verwaltungsbehörde gemäß § 57 Abs. 2 Satz 2 AuslG zulässig gewesen, weil gegen den Beschwerdeführer ein Abschiebungshaftbefehl hätte ergehen können. Vor Entlassung des Betroffenen aus der Haft und seiner Abschiebung sei eine richterliche Entscheidung nicht mehr möglich gewesen.
c) Mit Beschluss vom 6. Dezember 1999 wies das Amtsgericht den Feststellungsantrag unter Wiederholung der vom Landgericht im Prozesskostenhilfebeschluss angeführten Gründe zurück. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde wurde vom Landgericht mit Beschluss vom 18. Januar 2000 "aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses" verworfen.
Mit Beschluss vom 18. Oktober 2000 wies das Oberlandesgericht Celle die sofortige weitere Beschwerde zurück. Das in § 13 FEVG vorgeschriebene gerichtliche Verfahren erfasse auch Maßnahmen von Verwaltungsbehörden, die - wie hier - nach Landesrecht ergingen, aber eine Freiheitsentziehung aufgrund Bundesrechts sichern sollten. Abschiebungshaft nach § 57 AuslG dürfe gemäß § 3 FEVG nur das Amtsgericht auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde, nicht aber die Ausländerbehörde selbst anordnen. Auch Art. 104 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG ermächtige die Verwaltung nicht, von Eingriffsbefugnissen des Richters vorläufig Gebrauch zu machen. Er setze vielmehr Freiheitsentziehungen ohne vorherige richterliche Entscheidung als zulässig voraus und knüpfe daran bestimmte Rechtsfolgen. Aus diesem Grund sei der vom Amtsgericht gegebene Hinweis, dass die Festnahme zu Recht erfolgt sei, weil gegen den Beschwerdeführer Abschiebungshaft hätte verhängt werden dürfen, so nicht ganz richtig.
Wolle die Verwaltung aus eigener Machtvollkommenheit einen Ausländer zur Sicherung der Abschiebung vorläufig in Haft nehmen, bedürfe sie dafür gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 3, 104 Abs. 1 GG einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung. Bei der Festnahme des Beschwerdeführers habe es sich nicht um eine Fahndungsmaßnahme zur Ermittlung des unbekannten Aufenthalts nach § 42 Abs. 7 AuslG gehandelt. Die Festnahme sei jedoch nach § 18 Abs. 1 Nr. 2a NGefAG rechtmäßig. Danach könnten die Verwaltungsbehörden und die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerlässlich sei, um die Fortsetzung einer Straftat zu verhindern. Da der vollziehbar ausreisepflichtige Beschwerdeführer nicht zum vorgegebenen Zeitpunkt ausgereist sei und sich deshalb nach § 92 Abs. 2 Nr. 1b AuslG strafbar gemacht habe, sei die Ausländerbehörde mit Amtshilfe der Polizei berechtigt gewesen, ihn festzunehmen oder festnehmen zu lassen, um gegen ihn Abschiebungshaft zu beantragen oder ihn sogleich abzuschieben.
II.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und von Art. 104 Abs. 1 und 2 GG.
Nach Art. 104 Abs. 2 GG dürfe nur ausnahmsweise eine Freiheitsentziehung ohne vorherige richterliche Anordnung erfolgen. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung setze die Ingewahrsamnahme vor einer Abschiebung in der Regel eine vorherige richterliche Entscheidung voraus. Das Landeskriminalamt habe vermutlich lange gewusst, dass ein Flug für den 21. Januar 1999 gebucht gewesen sei. Mithin hätte wegen der beabsichtigten Freiheitsentziehung vorher eine richterliche Entscheidung eingeholt werden können und müssen. Insbesondere könne es nicht darauf ankommen, dass die - rechtswidrige - Festnahme erst nach "Dienstschluss" des Amtsgerichts erfolgt sei. Dies ändere nichts an der Rechtswidrigkeit der Festnahme. Überdies gebe es für Richter keine festen Dienststunden. Art. 104 Abs. 1 GG erhebe die Einhaltung der gesetzlichen Formvorschriften zum Verfassungsgebot.
Das Ausländergesetz regele die Voraussetzungen abschließend, unter denen ein Ausländer zum Zweck der Anordnung von Abschiebungshaft festgenommen werden dürfe. Diese bundesgesetzliche Regelung habe Vorrang vor den Gesetzen der Länder. Die Festnahme des Beschwerdeführers habe nicht der Wiederherstellung der Ordnung, sondern seiner Abschiebung am kommenden Tag gedient. Deshalb komme das Niedersächsische Gefahrenabwehrgesetz nicht zum Tragen, zumal das speziellere Gesetz ohnehin Vorrang gegenüber polizeirechtlichen Generalklauseln genieße.
Die Festnahme des Beschwerdeführers sei auch polizeirechtlich zu beanstanden. Aus Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG folge, dass nach einer Festnahme unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen sei. Das sei hier ohne tragfähigen Grund unterblieben. Des Weiteren verstoße die Festnahme gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Festnahme und die sich daran anschließende Freiheitsentziehung wären nur dann zur Erreichung eines verfassungsrechtlich gerechtfertigten Ziels geeignet gewesen, wenn dadurch der unerlaubte Aufenthalt hätte beendet werden können. Das sei hier nicht der Fall gewesen. Außerdem handele es sich beim unerlaubten Aufenthalt um ein echtes Unterlassungsdelikt, dessen Strafbarkeit entfalle, wenn dem Beschuldigten - wie hier - schuldhaftes Verhalten nicht vorgeworfen werden könne. Der Beschwerdeführer habe bei der Botschaft Gambias einen neuen Reisepass beantragt, den er vor der Festnahme aber noch nicht erhalten habe. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass die Ausländerbehörde schon im Besitz eines auf ihn ausgestellten gültigen Reisepasses gewesen sei.
III.
1. Das Niedersächsische Justizministerium hat eine Stellungnahme des Niedersächsischen Innenministeriums zur Verwaltungspraxis bei Abschiebungen im Allgemeinen und zur Vorgehensweise im vorliegenden Fall übermittelt.
Danach liegt die Dauer von Abschiebungsmaßnahmen in der Regel zwischen drei und zwölf Stunden. Der konkrete Zeitbedarf im Einzelfall hänge bei Flugabschiebungen von der Entfernung zum Flughafen, der Fahrtroute und den üblichen Eincheckzeiten (zwei bis vier Stunden) ab. Auch sei eine Vorlaufzeit einzurechnen, da die Abzuschiebenden häufig noch nicht reisefertig seien und die Beamten nicht selten umfangreiches Übergepäck packen müssten. Ausschließlich bei Flugabschiebungen - und zwar dann, wenn die Abflugzeit einen sehr frühen Abholungstermin verlange - könne es notwendig werden, zur Sicherstellung des Vollzuges der Maßnahme den Ausländer bereits in den Nachmittagsstunden des Vortages in Gewahrsam zu nehmen, da ein Eindringen in Wohnungen zur Nachtzeit nach dem Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz ohne Einwilligung des Betroffenen nicht zulässig sei. Besondere Vorgaben zur Sicherstellung einer einheitlichen Verwaltungspraxis gebe es nicht. Ein Richter werde immer dann eingeschaltet, wenn über die für die Durchführung der Abschiebung unmittelbar benötigte Zeit hinaus eine Freiheitsentziehung erfolge. Das sei in der Regel der Fall bei einer Ingewahrsamnahme am Vortag der Abschiebung, die insbesondere bei Sammelabschiebungen erforderlich werden könne.
Im vorliegenden Fall habe das Landeskriminalamt, das in Niedersachsen zentral mit der Durchführung von Flugabschiebungen beauftragt sei, das zuständige Polizeikommissariat gebeten, den Beschwerdeführer zum vorgesehenen Abschiebungstermin zum Flughafen zu transportieren. Zur Besprechung von Einzelheiten hätten zwei Polizeibeamte den Beschwerdeführer am Nachmittag des Vortages in seiner Wohnung aufgesucht. Da der Beschwerdeführer zur Nachtzeit hätte abgeholt werden müssen, habe ein reibungsloser Ablauf sichergestellt werden sollen. Die Beamten hätten zu diesem Zeitpunkt noch keine Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers beabsichtigt. Aufgrund seiner Äußerungen und der Gesamtumstände seines Verhaltens hätten sie dann aber davon ausgehen müssen, dass er sich einer Abschiebung entziehen werde, so dass die Ingewahrsamnahme erforderlich geworden sei, um die Abschiebung wie geplant durchführen zu können. Eine vorherige richterliche Entscheidung sei nicht eingeholt worden, weil eine Festnahme ursprünglich nicht beabsichtigt gewesen sei. Die Beamten hätten unverzüglich nach ihrer Rückkehr zur Dienststelle gegen 16.00 Uhr durch einen Anruf beim Amtsgericht versucht, einen Haftrichter zu erreichen. Da ihnen dies nicht gelungen sei, hätte eine richterliche Entscheidung erst am nächsten Tag gegen 9.00 Uhr (Beginn der Geschäftszeit des zuständigen Amtsgerichts) und damit erst nach dem Abflugtermin eingeholt werden können.
2. Nach Auffassung der zuständigen Ausländerbehörde begegnet die Festnahme des Beschwerdeführers durch die Polizei auf der Grundlage des § 18 NGefAG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere fehlt das erforderliche Rechtsschutzinteresse an einer Sachentscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht etwa deshalb, weil der Beschwerdeführer abgeschoben worden und der Freiheitseingriff beendet ist. Es würde der Bedeutung des Schutzes der persönlichen Freiheit, wie ihn das Grundgesetz garantiert, nicht entsprechen, wenn das Recht auf verfassungsgerichtliche Klärung der Rechtmäßigkeit eines Eingriffs in das Freiheitsrecht bei Wiedergewährung der Freiheit ohne Weiteres entfiele (vgl. BVerfGE 9, 89 <93 f.>; 10, 302 <308>; 53, 152 <157 f.>; 58, 208 <219>; 83, 24 <29 f.>; Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 1992 - 2 BvR 658/90 -, NVwZ 1992, S. 767, der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. März 1996 - 2 BvR 927/95 -, NVwZ-Beilage 1996, S. 49, und der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Februar 2000 - 2 BvR 453/99 -, NJW 2000, S. 1401; stRspr). Dies gilt unabhängig davon, ob der Eingriff bei Einlegung der Verfassungsbeschwerde noch andauert und erst im Laufe des verfassungsgerichtlichen Verfahrens beendet wird oder ob sich der Betroffene - wie hier - bereits bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht mehr in Haft befunden hat.
C.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 GG.
I.
Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bezeichnet die Freiheit der Person als "unverletzlich". Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung kennzeichnet das Freiheitsrecht als ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 29, 312 <316>; 32, 87 <92>; 65, 317 <322>). Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen (vgl. BVerfGE 94, 166 <198>; 96, 10 <21>), also vor Verhaftung, Festnahme und ähnlichen Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs (vgl. BVerfGE 22, 21 <26>).
1. Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Die formellen Gewährleistungen des Art. 104 GG stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in unlösbarem Zusammenhang (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 58, 208 <220>). Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, indem er neben der Forderung nach einem förmlichen Gesetz die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>; 29, 183 <195>; 58, 208 <220>). Freiheitsbeschränkungen, also Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit, bedürfen einer materiell-gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 2, 118 <119>; 29, 183 <195>), wobei ein Bundes- oder Landesgesetz in Betracht kommt. Inhalt und Reichweite der Formvorschriften eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes sind von den Gerichten so auszulegen, dass sie eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung entfalten (vgl. BVerfGE 65, 317 <322 f.>; 96, 68 <97>).
2. Freiheitsbeschränkung (Art. 104 Abs. 1 GG) und Freiheitsentziehung (Art. 104 Abs. 2 GG) grenzt das Bundesverfassungsgericht nach der Intensität des Eingriffs ab. Freiheitsentziehung ist die schwerste Form der Freiheitsbeschränkung (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>). Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich ist. Der Tatbestand der Freiheitsentziehung kommt nur in Betracht, wenn die - tatsächlich und rechtlich an sich gegebene - körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird (vgl. BVerfGE 94, 166 <198>).
3. Für den schwersten Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person, die Freiheitsentziehung, fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>). Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird (vgl. zu Art. 13 Abs. 2 GG BVerfGE 103, 142 <151 ff.>). Für den Staat folgt daraus die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters - jedenfalls zur Tageszeit (vgl. etwa § 188 Abs. 1 ZPO, § 104 Abs. 3 StPO) - zu gewährleisten und ihm auch insoweit eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zu ermöglichen (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 156).
a) Gemäß Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG hat über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden. Die Freiheitsentziehung setzt danach grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraus (vgl. nur BVerfGE 10, 302 <321>; 22, 311 <317>; Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104 Rn. 23; Grabitz, Freiheit der Person, in: HStR VI, § 130 Rn. 25).
b) Eine nachträgliche richterliche Entscheidung, deren Zulässigkeit in Ausnahmefällen Art. 104 Abs. 2 GG voraussetzt, genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste (vgl. BVerfGE 22, 311 <317>; Rüping, in: Bonner Kommentar (BK), Art. 104 Rn. 63; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 104 Rn. 41; Grabitz, a.a.O.). Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG fordert dann, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen (vgl. BVerfGE 10, 302 <321>; Grabitz, a.a.O.). "Unverzüglich" ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (vgl. BVerwGE 45, 51 <63>; Dürig, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 104 Rn. 38; Rüping, in: BK, Art. 104 Rn. 65; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 104 Rn. 42; Gusy, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, 4. Aufl., Art. 104 Rn. 47; Grabitz, a.a.O.). Nicht vermeidbar sind z.B. die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind (vgl. Dürig, a.a.O.). Die fehlende Möglichkeit, einen Richter zu erreichen, kann angesichts der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates, der Bedeutung des Richtervorbehalts durch geeignete organisatorische Maßnahmen Rechnung zu tragen, nicht ohne Weiteres als unvermeidbares Hindernis für die unverzügliche Nachholung der richterlichen Entscheidung gelten (vgl. BVerfGE 103, 142 <151 ff., 156>).
c) Die Nachholung der richterlichen Entscheidung ist auch dann nicht entbehrlich, wenn der Freiheitsentzug vor Ablauf der Frist des Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG endet. Diese Vorschrift setzt dem Festhalten einer Person ohne richterliche Entscheidung mit dem Ende des auf das Ergreifen folgenden Tages eine äußerste Grenze (vgl. BVerfGE 83, 24 <33>), befreit aber nicht von der Verpflichtung, eine solche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen (vgl. KG, Beschluss vom 11. April 1968, DVBl 1968, S. 470; Podlech, in: AK-GG, 2001, Art. 104 Rn. 36 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 104 Rn. 42; Rüping, in: BK, Art. 104 Rn. 66; Gusy, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, 4. Aufl., Art. 104 Rn. 58; Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 104 Rn. 39).
II.
1. Mit der Abschiebung des Beschwerdeführers ging hier eine Freiheitsentziehung einher. Dies folgt aus Intensität und Dauer der gegen ihn ergriffenen, seine körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufhebenden Maßnahmen. Der Beschwerdeführer ist nicht lediglich in dem zur Durchführung der Abschiebung unvermeidlichen Maße in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, sondern vor dem Vollzug der Abschiebung von 16.00 Uhr bis gegen 3.00 Uhr des folgenden Tages gegen seinen Willen in einen Haftraum eingeschlossen worden (vgl. § 2 Abs. 1 FEVG; vgl. zur Abgrenzung BVerwGE 62, 317 <318>; 62, 325 <328>). Der Senat lässt offen, ob eine auch diesen Eingriff umfassende Rechtsgrundlage in § 49 AuslG, der allgemeinen Regelung über die Abschiebung als Vollstreckungsmaßnahme zur Durchsetzung der Ausreisepflicht, oder in § 57 AuslG, der freilich von der vorherigen richterlichen Anordnung einer Inhaftnahme zur Vorbereitung oder Sicherung einer Abschiebung als Regel ausgeht (vgl. dazu BVerwGE 62, 317 <320>; BGH, NJW 1993, S. 3069 <3070>; OLG Frankfurt/Main, NVwZ 1998, S. 213 <214>; Remmel, in: GK-AuslR, § 57 AuslG Rn. 31), oder - wie das Oberlandesgericht in der angegriffenen Entscheidung gemeint hat - in der dem allgemeinen Polizeirecht angehörenden Vorschrift des § 18 des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes - NGefAG - in der Fassung vom 20. Februar 1998 (GVBl S. 101) gefunden werden kann. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen jedenfalls insoweit gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG, als sie es ohne weitere Aufklärung für rechtmäßig erachtet haben, dass der Beschwerdeführer elf Stunden im Polizeigewahrsam fest gehalten wurde, ohne dass eine richterliche Entscheidung wenigstens nachträglich eingeholt worden ist.
2. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG forderte, die vor der Inhaftnahme des Beschwerdeführers nicht eingeholte richterliche Anordnung unverzüglich nachzuholen. Dass diesem Verfassungsgebot hier genügt worden ist, wird durch die getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht belegt.
Die nachträgliche Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung war nicht etwa deshalb entbehrlich, weil wegen der für den nächsten Morgen vorgesehenen Abschiebung des Beschwerdeführers absehbar war, dass die Freiheitsentziehung vor Ablauf des 21. Januar 1999 beendet sein würde. Sachliche Gründe, die es rechtfertigen könnten, den Beschwerdeführer am 20. Januar 1999 ab 16 Uhr im Polizeigewahrsam fest zu halten, obwohl kein Richter über die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung befunden hatte, sind nach dem festgestellten Sachverhalt nicht erkennbar.
Die Polizei durfte nicht etwa nach § 19 Abs. 1 Satz 2 NGefAG von der Einholung einer richterlichen Entscheidung absehen. Nach dieser Vorschrift muss keine richterliche Entscheidung herbeigeführt werden, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes der Maßnahme ergehen wird. Zweck dieser Vorschrift ist es, die Fortdauer einer Freiheitsentziehung über den durch den sachlichen Grund der Maßnahme gerechtfertigten Zeitraum hinaus zu verhindern; eine sachlich nicht mehr gerechtfertigte Freiheitsentziehung soll nicht durch eine Vorführung vor den Haftrichter verlängert werden. Dies erfordert eine Prognoseentscheidung der handelnden Beamten. Ihr ist jedoch, dem Schutzzweck des Art. 104 Abs. 2 GG entsprechend, eine den verfassungsrechtlichen Erfordernissen entsprechende Gerichtsorganisation zu Grunde zu legen. Der Richtervorbehalt hat als Sicherung gegen unberechtigte Freiheitsentziehungen hohe Bedeutung; er erfordert deshalb - wie bereits dargelegt - besondere Bemühungen und Vorkehrungen.
Amtsgericht und Landgericht haben nicht hinreichend aufgeklärt und geprüft, warum hier wegen der gegen den Beschwerdeführer ergriffenen Maßnahme der Freiheitsentziehung auch nachträglich keine richterliche Entscheidung ergangen ist. Weder wurde ermittelt, welche Anstrengungen unternommen worden sind, einen Richter zu erreichen, noch wurde aufgeklärt, welche Vorkehrungen für die Erreichbarkeit eines Richters getroffen worden waren. Der bloße Hinweis auf den "Dienstschluss" des zuständigen Amtsgerichts reicht nicht aus, weil es allgemein festgelegte Dienstzeiten für Richter nicht gibt.
Die im Rechtsbeschwerdeverfahren (vgl. § 27 FGG) getroffene Entscheidung des Oberlandesgerichts, welche die Aufrechterhaltung des Gewahrsams ohne richterliche Bestätigung auf der Grundlage unzureichender tatsächlicher Feststellungen gebilligt hat, wird Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG ebenfalls nicht gerecht.
D.
Die angegriffenen Entscheidungen sind gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist zu erneuter Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen zu erstatten. Mit dieser Anordnung erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (vgl. BVerfGE 62, 392 <397>; 71, 122 <136 f.>).
Ende der Entscheidung
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