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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 02.04.2006
Aktenzeichen: 2 BvR 237/06
Rechtsgebiete: BVerfGG, EGGVG, StPO, VwGO


Vorschriften:

BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93b
EGGVG §§ 23 ff.
StPO § 98 Abs. 2 Satz 2
StPO § 161 a
StPO §§ 483 ff.
StPO § 489 Abs. 2
VwGO § 40 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 237/06 - - 2 BvR 246/06 - - 2 BvR 256/06 -

In den Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerden

1. gegen a) den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 9. Dezember 2005 - 614 Qs 70/05 -,

b) die Beschlüsse des Amtsgerichts Hamburg vom 8. April 2005 und 12. Januar 2005 - 162 Gs 31/05 -

- 2 BvR 237/06 -,

2. gegen a) den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 9. Dezember 2005 - 614 Qs 69/05 - (Beschwerdeführer zu a),

b) den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 9. Dezember 2005 - 614 Qs 72/05 - (Beschwerdeführerinnen zu b) und c),

c) die Beschlüsse des Amtsgerichts Hamburg vom 8. April 2005 und 12. Januar 2005 - 162 Gs 31/05 -

- 2 BvR 246/06 -,

3. gegen a) den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 9. Dezember 2005 - 614 Qs 68/05 -,

b) die Beschlüsse des Amtsgerichts Hamburg vom 8. April 2005 und 12. Januar 2005 - 162 Gs 31/05 -

- 2 BvR 256/06 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Broß, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 2. April 2006 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nicht gegeben ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung kommt den Verfassungsbeschwerden nicht zu, und sie dienen auch nicht der Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführer; denn sie haben keine Aussicht auf Erfolg. Die Verfassungsbeschwerden sind unzulässig.

1. Die Beschwerdeführer sind nicht selbst und unmittelbar in ihren Grundrechten betroffen, soweit sie sich gegen die Durchsuchungsanordnung vom 12. Januar 2005 wenden, die sich auf die Räume der Anwalts- und Steuerberatersozietät bezog.

2. Soweit die beschlagnahmten Beweismittel personenbezogene Daten über die Beschwerdeführer enthalten, können sie zwar Fehler der Beschlagnahme der Unterlagen rügen (vgl. Schäfer, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Stand: 1.10.2003, § 98 Rn. 49). Zutreffend hat jedoch das Landgericht darauf hingewiesen, dass der Beschlagnahmebeschluss vom 8. April 2005 bereits durch die aufhebende Entscheidung des Landgerichts vom 30. August 2005 gegenstandslos geworden ist.

3. Soweit sich die Beschwerdeführer gegen die fortdauernde Datenspeicherung wenden, wird lediglich am Rande mitgeteilt, die Staatsanwaltschaft Hamburg habe sich mit Schreiben vom 5. Januar 2006 trotz Aufforderung nicht dazu bereit gefunden, die 12 DVD-Datenträger herauszugeben. Der nähere Inhalt dieses Schreibens und die Gründe der Ablehnung werden im Einzelnen jedoch nicht vorgetragen. Dies wird den bei Einlegung einer Verfassungsbeschwerde zu beachtenden Begründungsanforderungen (§ 23 Abs. 1, § 92 BVerfGG) nicht gerecht.

4. Die Beschwerdeführer haben den in Betracht kommenden Rechtsbehelf gemäß §§ 23 ff. EGGVG nicht eingelegt und damit den Rechtsweg nicht erschöpft (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Die Beschwerdeführer sind - auch wenn sich die Maßnahme nicht unmittelbar gegen sie richtete - möglicherweise in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt (§ 24 Abs. 1 EGGVG).

a) Geht es dem Betroffenen - dies kann nach dem Dateninhalt auch ein anderer als der Beschuldigte oder der letzte Gewahrsamsinhaber sein - nach Herausgabe der Beweismittel darum, den Zugriff der Ermittlungsbehörden auf die von ihnen gespiegelten Datenbestände zu unterbinden, steht ihm seit Inkrafttreten des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1999 (BGBl I 2000 S. 1253) gemäß § 489 Abs. 2 StPO ein Anspruch auf Datenlöschung zur Seite, wenn die Speicherung der Daten unzulässig ist oder sich aus Anlass einer Einzelfallbearbeitung ergibt, dass deren Kenntnis für den jeweils gesetzlich bezeichneten Zweck nicht mehr erforderlich ist. Diese auf die Aufhebung der Informationsfunktion zielende Regelung korrespondiert mit der strengen Zweckbindung des Datenzugriffs sowie mit der gesetzlich geregelten Bindung der Befugnis zur Informationsspeicherung und -verarbeitung gemäß § 483 StPO an den verfahrensbezogenen Erhebungszweck (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. April 2005 - 2 BvR 1027/02 -, NJW 2005, S. 1917 <1922>; BTDrucks 14/1484 S. 34; Hilger, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Stand: 1.9.2001, § 483 Rn. 4 und § 489 Rn. 5). Danach hat eine Prüfung stattzufinden, ob die gespeicherten Daten noch für den auf das konkrete Verfahren bezogenen Ermittlungszweck erforderlich sind oder nach den §§ 483 ff. StPO eine weitere Grundlage für die Fortdauer der Speicherung gegeben ist. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass die §§ 483 ff. StPO in allen Abschnitten des Strafverfahrens auch auf die Dateien anwendbar sind, die von den Ermittlungsbehörden aufgrund der Auswertung beschlagnahmter Beweismittel erstellt wurden (vgl. BTDrucks 14/1484 S. 1 f., 31 f.).

b) Kommt die Staatsanwaltschaft einem auf Datenlöschung gerichteten Antrag nicht nach, so ist hiergegen der Rechtsweg zum Oberlandesgericht gemäß §§ 23 ff. EGGVG eröffnet (vgl. Franke, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2003, § 489 Rn. 7; Hilger, a.a.O., § 489 Rn. 16, sowie zu entsprechenden Begehren bezogen auf gefertigte Ablichtungen von Schriftstücken OLG Stuttgart, NJW 1977, S. 2276 <2277>; OLG Frankfurt am Main, NJW 1999, S. 73; Schoreit, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2003, § 23 EGGVG Rn. 49; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. 2005, § 23 EGGVG Rn. 15; Kissel/Mayer, GVG, 4. Aufl. 2005, § 23 EGGVG Rn. 101; in diese Richtung auch Böttcher, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Stand: 1.8.1998, § 23 EGGVG Rn. 27 f.). Bei der Entscheidung der Staatsanwaltschaft handelt es sich um einen Justizverwaltungsakt auf dem Gebiet der Strafrechtspflege. Die Auffassung, es sei auch eine entsprechende Anwendung von § 161 a StPO zu erwägen (vgl. Hilger, a.a.O., § 489 Rn. 16: §§ 23 ff. EGGVG oder § 161 a StPO) ist - soweit ersichtlich - vereinzelt geblieben.

Welchen Rechtsbehelf der Beschwerdeführer zu wählen hat, bedarf überdies keiner endgültigen Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht; denn dem Beschwerdeführer wäre die Beschreitung eines Rechtswegs grundsätzlich auch dann zumutbar, wenn die Zulässigkeit des Rechtsmittels unterschiedlich beurteilt werden könnte (vgl. BVerfGE 68, 376 <379 f.>; 91, 93 <106>).

c) Da es den Beschwerdeführern nicht um die Herausgabe beschlagnahmter Beweismittel, sondern um die Löschung der kopierten Dateien geht, kann dahinstehen, ob für die Durchsetzung des auf Beweismittel bezogenen Herausgabeanspruchs nach Erlöschen oder Aufhebung der Beschlagnahme zunächst das Amtsgericht gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog anzurufen ist, weil es sich insoweit auch um Modalitäten der Beschlagnahme handeln könnte (so Schäfer, a.a.O., § 98 Rn. 65 und Rn. 73; Hoffmann/Knierim, NStZ 2000, S. 461 <463>; ähnlich FG Bremen, EFG 1999, S. 1092: Finanzrechtsweg nach der Rechtsnatur des Klagebegehrens), oder ob insoweit mit Blick auf die Rechtswegverweisung in § 40 Abs. 2 Satz 2 VwGO für Ansprüche aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung die Zivilgerichte zuständig sind (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ 1990, S. 202; OLG Stuttgart, NStZ 1989, S. 39; LG Mannheim, NStZ-RR 1998, S. 113).

5. Werden Einwände gegen Maßnahmen in einem Ermittlungsverfahren erhoben, das sich gegen einen anderen richtet, und der Ausspruch eines Beweisverwertungsverbotes begehrt, bedarf es besonderer Darlegungen, ob und inwiefern eine strafrechtlich nachteilige Verwertung der Beweismittel zu Lasten der Drittbetroffenen zu befürchten steht. Daran fehlt es hier. Die Entscheidung über die Verwertbarkeit eines gewonnenen Beweismittels bedarf regelmäßig einer Abwägung zwischen den schutzwürdigen Belangen des Betroffenen und dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung (vgl. BVerfGE 34, 238 <248 ff.>; 80, 367 <375 f.>; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. 2005, Einl. Rn. 55 m.w.N.; Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2003, vor § 94 Rn. 9 m.w.N.). Dabei wäre auch zu prüfen, ob bestimmte Beweismittel, wenn auch nicht für die Führung des Strengbeweises im Hauptverfahren, so doch als Ansätze für weitere Ermittlungen möglicherweise in Betracht kommen könnten (vgl. zur so genannten Fernwirkung des Beweisverwertungsverbotes Nack, a.a.O., Rn. 10 m.w.N; Meyer-Goßner, a.a.O., Einl. Rn. 57 m.w.N.). Auch dies wollen die Beschwerdeführer ausschließen. Ohne Kenntnis der Verwendungsweise sowie von Art und Schwere der möglicherweise aufzuklärenden Taten kann eine Abwägungsentscheidung über die Verwertung von Verfassungs wegen nicht im Voraus getroffen werden.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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