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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 06.05.2008
Aktenzeichen: 2 BvR 2419/06
Rechtsgebiete: GG
Vorschriften:
GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2419/06 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
gegen
a) den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 8. November 2006 - B 2 U 5/06 C -,
b) das Urteil des Bundessozialgerichts vom 9. Mai 2006 - B 2 U 34/05 R -,
c) das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. September 2005 - L 6 U 4639/03 -,
d) das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 23. Oktober 2003 - S 9 U 899/03 -,
e) die Beitragsbescheide der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft vom 18. April 2005, 21. April 2004, 23. April 2003 und 24. April 2002 - 84/0157/6267 BV07 -,
f) den Widerspruchsbescheid der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft vom 7. März 2003 - 84/0157/6267 -,
g) den Veranlagungsbescheid der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft vom 27. Juni 2001 - 84/0157/6267 BV07 -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richter Di Fabio und Landau gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 6. Mai 2008 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter mit der Begründung, das Bundessozialgericht hätte eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu der Frage herbeiführen müssen, ob das europäische Wettbewerbsrecht dem deutschen System der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft entgegensteht.
I.
Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Beitragsforderungen zur gesetzlichen Unfallversicherung der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft. Sie sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 121 Abs. 1, § 122 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit § 2, § 3 Abs. 1 Gruppe 40, § 4 der Satzung der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft verpflichtet, ihre angestellten Arbeitnehmer bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft gegen die Risiken eines Arbeitsunfalls, eines Wegeunfalls und einer Berufskrankheit zu versichern.
Die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft verlangte von den Beschwerdeführern die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung für die Jahre 2001 bis 2004. Im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht brachten die Beschwerdeführer vor, die Monopolstellung der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft verstoße gegen Art. 86 Abs. 1 EG in Verbindung mit Art. 82 EG, und regten eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof an. Mit Urteil vom 29. September 2005 wies das Landessozialgericht die Berufung der Beschwerdeführer zurück. Es ließ jedoch die Revision mit der Begründung zu, die Vereinbarkeit der deutschen Unfallversicherung mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht sei noch nicht abschließend geklärt. Im Revisionsverfahren trugen die Beschwerdeführer ergänzend vor, das Landessozialgericht habe nicht darauf abstellen können, dass der Europäische Gerichtshof die entscheidungserhebliche Rechtsfrage bereits in seinem Urteil INAIL (vom 22. Januar 2002, C-218/00, Slg. 2002, I-691) beantwortet habe. Der Fall der deutschen Berufsgenossenschaften liege anders als die dort behandelten italienischen Versicherungen. Die Beschwerdeführer regten erneut an, dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Vereinbarkeit des deutschen Systems der gesetzlichen Unfallversicherung mit Art. 81 ff. EG vorzulegen. Das Bundessozialgericht wies die Revision der Beschwerdeführer mit Urteil vom 9. Mai 2006 zurück. Es verwies auf seine Entscheidung vom 11. November 2003 und führte ergänzend aufgrund des Vortrags der Beschwerdeführer aus, unter zahlreichen Aspekten sei die gesetzliche Unfallversicherung durch das Solidarprinzip geprägt, sodass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Fall INAIL auf das deutsche Versicherungssystem angewandt werden könne.
Dagegen legten die Beschwerdeführer Gehörsrüge beim Bundessozialgericht ein mit der Begründung, ihr Recht auf den gesetzlichen Richter sei verletzt, da das Bundessozialgericht den Europäischen Gerichtshof nicht um eine Vorabentscheidung ersucht habe. Mit Beschluss vom 8. November 2006 verwarf das Bundessozialgericht die Gehörsrüge als unzulässig. Es führte aus, die Rüge der Beschwerdeführer sei nach dem Wortlaut des § 178a SGG kein zulässiges Vorbringen im Rahmen einer Anhörungsrüge.
II.
Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Sie begründen ihre Verfassungsbeschwerde zum einen damit, dass der Maßstab des Bundesverfassungsgerichts zur Prüfung einer Vorlagepflichtverletzung durch die Fachgerichte strenger zu fassen sei (1.). Zum andern tragen sie vor, dass auch nach dem bisherigen Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts ein Verstoß vorliege (2.).
1. Die Beschwerdeführer sind der Ansicht, der Maßstab einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter sei hier enger zu fassen als bisher.
Dies ergebe sich aus dem Plenumsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003 (BVerfGE 107, 395). Danach müsse das Recht auf den gesetzlichen Richter zumindest einer einmaligen gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Da die Verfassungsbeschwerde der einzige mögliche Rechtsbehelf sei, dürfe das Bundesverfassungsgericht die Überprüfung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter nicht auf Fälle der Willkür beschränken. Außerdem folge aus dem gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz, dass der Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts verschärft werden müsse. Die Beschwerdeführer sehen aufgrund eines engeren Maßstabs ihr grundrechtsgleiches Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt. Sie führen aus, das Bundessozialgericht hätte nach den Kriterien aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall CILFIT (Urteil vom 6. Oktober 1982, Rs. 283/81, NJW 1983, S. 1257 f.) die Frage der Unternehmenseigenschaft der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft dem Europäischen Gerichtshof vorlegen müssen.
In diesem Zusammenhang regen die Beschwerdeführer eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zu der Frage an, ob es mit Art. 10 EG vereinbar sei, dass ein Mitgliedstaat kein einfachgesetzliches Rechtsmittel zur Kontrolle der Befolgung der Vorlagepflicht aus Art. 234 EG zur Verfügung stelle und im Verfassungsbeschwerdeverfahren die Kontrolle auf einen Schutz vor Willkür beschränkt bleibe.
2. Zudem tragen die Beschwerdeführer vor, nach dem herkömmlichen Maßstab des Bundesverfassungsgerichts liege eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter vor.
Das Bundessozialgericht habe den Prüfungsmaßstab des Art. 234 EG völlig übergangen. Es habe die Kriterien des Europäischen Gerichtshofs aus dem Urteil CILFIT nur verkürzt wiedergegeben und stattdessen auf den Maßstab des Bundesverfassungsgerichts Bezug genommen.
Ihre rechtlichen Gründe für die Gemeinschaftswidrigkeit der Monopolstellung der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft seien zumindest ebenso vertretbar, wenn nicht gar besser zu vertreten, als die, die das Bundessozialgericht zur Ablehnung einer Vorlage in seiner Entscheidung dargelegt habe. Seien also ihre Gründe für die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gleichwertig, so hätte das Bundessozialgericht die Frage dem Europäischen Gerichtshof vorlegen müssen.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da sie weder grundsätzliche Bedeutung hat noch zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung, da die Maßstäbe zur Prüfung der Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter wegen einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof in der Rechtsprechung geklärt sind (vgl. BVerfGE 82, 159 <195 f.>). Der Fall gibt nicht dazu Anlass, den Maßstab zur Kontrolle der Entscheidung des Fachgerichts über eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zu verschärfen. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer angezeigt. Die Beschwerdeführer legen nicht dar, dass das Bundessozialgericht nach dem verfassungsrechtlichen Maßstab zur Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter willkürlich von der Vorlage abgesehen hätte.
1. Soweit die Beschwerdeführer vorbringen, bereits nach dem bisherigen Willkürmaßstab in der Fallgruppe der Unvollständigkeit der Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 82, 159 <195 f.>) verletze das Urteil des Bundessozialgerichts ihr Recht auf den gesetzlichen Richter, ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig. Zu den Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG zählt auch die substantiierte Darlegung, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 77, 170 <214 ff.>; 79, 292 <301>; 99, 84 <87>). Die Beschwerdeführer legen nicht dar, dass ihr Recht auf den gesetzlichen Richter nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts verletzt ist.
Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (BVerfGE 82, 159 <194>). Es stellt einen Entzug des gesetzlichen Richters im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar, wenn ein nationales Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofs im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nicht nachkommt (BVerfGE 75, 223 <245>). In der Rechtsprechung haben sich Fallgruppen herausgebildet, in denen die Vorlagepflichtverletzung einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darstellt. Die Vorlagepflicht nach Art. 234 EG wird danach insbesondere in den Fällen unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der - seiner Auffassung nach bestehenden - Entscheidungserheblichkeit der gemeinschaftsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Antwort auf die Frage hegt (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht). Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen von der Vorlagebereitschaft). Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit, wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (Unvollständigkeit der Rechtsprechung). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind (BVerfGE 82, 159 <194 ff.>). Zu verneinen ist in diesen Fällen ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG deshalb bereits dann, wenn das Gericht die entscheidungserhebliche Frage in zumindest vertretbarer Weise beantwortet hat (BVerfGK 4, 116 <118 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Dezember 2006 - 1 BvR 2868/06 -, Juris; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. Januar 2001 - 1 BvR 1036/99 -, NJW 2001, 1267 <1268>).
Die Beschwerdeführer legen nicht dar, dass das Bundessozialgericht seinen Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten habe. Sie tragen zusammenfassend vor, ihre Gründe für die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Monopolstellung der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft seien ebenso vertretbar, wenn nicht gar in rechtlicher Hinsicht besser zu vertreten als die, die das Bundessozialgericht darlege. Die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Urteils des Bundessozialgerichts suchen sie damit zu belegen, dass das Bundessozialgericht in unvertretbarer Weise von der Offenkundigkeit der Rechtsfrage ausgegangen sei und daher eine Vorlage abgelehnt habe. Die Darlegungen der Beschwerdeführer zur Vertretbarkeit beziehen sich damit auf die Frage der Vorlagepflicht, nicht dagegen auf die materielle gemeinschaftsrechtliche Frage.
Damit haben die Beschwerdeführer eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter nach dem verfassungsgerichtlichen Maßstab (BVerfGE 82, 159 <194 ff.>) nicht argumentativ untermauert. Vielmehr gehen sie von einem anderen Maßstab aus, der im Ergebnis einer Vollprüfung der Vorlagepflicht durch das Bundesverfassungsgericht gleich käme. So macht es einen Unterschied, ob die Prüfung an den Kriterien der Vorlagepflicht des Europäischen Gerichtshofs oder an den materiellrechtlichen Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs zur Wettbewerbswidrigkeit der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft ansetzt. Die Entscheidung, ob "die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt" (Leitsatz des EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, Rs. 283/81, NJW 1983, S. 1257 f. - <CILFIT>), kann schon dann unvertretbar sein, wenn vernünftige Zweifel im Raum stehen, wie die materiellrechtliche Frage des Gemeinschaftsrechts zu lösen ist. Die Kontrolldichte der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist demgegenüber geringer. Das Recht auf den gesetzlichen Richter ist in der Fallgruppe der Unvollständigkeit der Rechsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht schon verletzt, wenn an der Lösung des Fachgerichts vernünftige Zweifel bestehen, sondern erst dann, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der materiellen Frage des Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind (BVerfGE 82, 159 <196>). Aus verfassungsrechtlicher Sicht steht dem Fachgericht ein Beurteilungsrahmen zu, innerhalb dessen die Lösung der materiellrechtlichen Frage des Gemeinschaftsrechts möglicherweise zwar nicht offenkundig richtig (im Sinne der CILFIT-Kriterien), aber auch nicht offenkundig unrichtig (im Sinne des Willkürmaßstabs) ist.
Würde das Bundesverfassungsgericht jede Entscheidung eines Fachgerichts aufheben, dessen materiellrechtliche Prüfung des Gemeinschaftsrechts im Rahmen der Entscheidung über die Vorlagepflicht nicht offenkundig richtig ist, das heißt, die mit vernünftigen Argumenten angezweifelt werden kann, so würde es entgegen seiner eigentlichen Aufgabe zu einem "obersten Vorlagenkontrollgericht". Dementsprechend mahnt das Bundesverfassungsgericht die Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zur Vorlagepflicht zwar ausdrücklich an, beschränkt sich aber selbst auf eine Willkürkontrolle (Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. November 1987 - 2 BvR 808/82 -, NJW 1988, S. 1456 <1457>).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet, soweit die Beschwerdeführer vorbringen, das Bundessozialgericht habe seine Vorlagepflicht grundsätzlich verkannt. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer hat sich das Bundessozialgericht bei der Frage der gemeinschaftsrechtlichen Vorlagepflicht nicht am Willkürmaßstab des Bundesverfassungsgerichts, sondern an den Kriterien des Europäischen Gerichtshofs im Fall CILFIT orientiert. Dies zeigt der Obersatz des Bundessozialgerichts, wonach eine Vorabentscheidung entbehrlich sei, da das Urteil mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs übereinstimme. In seinem Urteil vom 11. November 2003, auf das das Bundessozialgericht in dem angegriffenen Urteil verweist, führt es die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Vorlagepflicht als Prüfungsmaßstab ausführlich aus.
3. Der Fall bietet keinen Anlass, von der Willkürkontrolle abzurücken. Weder der Plenumsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 107, 395 <407>) noch das Gemeinschaftsrecht geben vor, den Maßstab in der Frage der Vorlagepflichtverletzung zu verschärfen. Eine diesbezügliche Vorlage an den Europäischen Gerichtshof kommt nicht in Betracht.
a) Der Plenumsbeschluss bindet die Kammer nicht in Bezug auf die Kontrolle des Rechts auf den gesetzlichen Richter. Der Streitgegenstand des Plenumsbeschlusses BVerfGE 107, 395 ist auf die Frage der Kontrolle eines Gehörsverstoßes nach Art. 103 Abs. 1 GG beschränkt. Dies ergibt sich aus dem Tenor (<395>) sowie aus der Rüge im Ausgangsverfahren (<396>) und dem Vorlagebeschluss des Ersten Senats (<408>). Der Streitgegenstand des Plenumsbeschlusses ist damit klar begrenzt. Denn das Verfahren im Plenum ist gemäß § 16 Abs. 1 BVerfGG darauf zugeschnitten, eine bestimmte Rechtsfrage zu klären.
Auch könnten die Beschwerdeführer mittels der Vorgaben im Plenumsbeschluss nicht ihr begehrtes Rechtsschutzziel erreichen. Übertrüge man die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Plenumsbeschluss auf das Recht auf den gesetzlichen Richter, so müssten die Fachgerichte nicht nochmals die Vorlageentscheidung voll kontrollieren. Auch sie wären darauf beschränkt, anhand des verfassungsgerichtlichen Maßstabs zu prüfen, ob das Gericht das Verfahrensgrundrecht willkürlich gehandhabt hat.
b) Das Bundesverfassungsgericht sieht sich auch nicht gemeinschaftsrechtlich verpflichtet, selbst die Vorlagepflicht voll zu kontrollieren oder eine diesbezügliche Frage dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.
Zwar ist der Willkürmaßstab des Bundesverfassungsgerichts an den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets auszurichten. Dabei sind auch die gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands aus Art. 234 EG zu beachten, die der Einheit der Rechtsordnung dienen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. November 1987 - 2 BvR 808/82 -, NJW 1988, S. 1456 <1457>). Zudem hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit in besonderem Maße darauf zu achten, dass Verletzungen des Völkerrechts, die in der fehlerhaften Anwendung oder Nichtbeachtung völkerrechtlicher Normen durch deutsche Gerichte liegen und eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland begründen könnten, nach Möglichkeit verhindert oder beseitigt werden (vgl. BVerfGE 58, 1 <34>). Würden die Gerichte ihre Vorlagepflicht grundsätzlich verkennen oder bewusst missachten, könnte dies zur gemeinschaftsrechtlichen Haftung Deutschlands führen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. November 1987 - 2 BvR 808/82 -, NJW 1988, S. 1456 <1457>).
Das Rechtsschutzsystem der Gemeinschaft kennt jedoch kein Gebot zur lückenlosen Nachprüfung der Vorlagepflicht. Art. 234 EG fordert kein zusätzliches Rechtsmittel zur Überprüfung der Einhaltung der Vorlagepflicht. Ein letztinstanzliches Gericht gemäß Art. 234 EG ist definitionsgemäß die letzte Instanz, vor der der Einzelne die Rechte geltend machen kann, die ihm aufgrund des Gemeinschaftsrechts zustehen (EuGH, Urteil vom 30. September 2003, C-224/01, Slg. 2003, S.I-10239 <Köbler>, Rn. 34). Um die Vorlagepflicht durchzusetzen, bietet das Gemeinschaftsrecht andere Mittel: Gerade weil eine rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts, das seine Vorlagepflicht verletzt hat, regelmäßig nicht rückgängig gemacht werden kann, steht dem Einzelnen nach Gemeinschaftsrecht die Befugnis zu, den Staat haftbar zu machen, um auf diesem Wege den gerichtlichen Schutz seiner Rechte zu erlangen (EuGH, Urteil vom 30. September 2003 <Köbler>, a.a.O.). Sollte sich in der Rechtsprechung eines Mitgliedstaates abzeichnen, dass die Voraussetzungen der Vorlagepflicht missverstanden oder missachtet werden, so kann die Kommission dies als Vertragsverletzung nach Art. 226 EG verfolgen (vgl. Wegener, in: Callies/Ruffert, 3. Aufl. 2007, Art. 234 Rz. 30).
Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer nicht aus dem gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgebot. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dürfen Verfahren zur Durchsetzung von Rechten aus Gemeinschaftsrecht nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte aus Gemeinschaftsrecht unmöglich machen oder übermäßig erschweren (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1995, C-430/93, Rz. 17 <Schijndel und van Veen>). Besteht nach nationalem Verfahrensrecht die Möglichkeit, inzident überprüfen zu lassen, ob die Rechte aus Gemeinschaftsrecht gewahrt werden, so fordert das Gemeinschaftsrecht es darüber hinaus nicht, zusätzlich zu den bestehenden Rechtsbehelfen neue Klagemöglichkeiten zur Wahrung des Gemeinschaftsrechts einzuführen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist es grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, das gerichtliche Verfahren auszugestalten (vgl. Urteil des EuGH vom 13. März 2007, C-432/05, Leitsatz und Rn. 39 m.w.N. bis 42 - <Unibet>).
Nach dem Verfahrensrecht für die Sozialgerichtsbarkeit bestehen ausreichende Möglichkeiten, die materiellrechtlichen Fragen des Gemeinschaftsrechts zu klären. Das Rechtsmittelrecht gewährleistet, dass sich mehrere Instanzen mit den materiellrechtlichen Fragen des Gemeinschaftsrechts auseinandersetzen. Das Sozialgericht muss gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Berufung und das Landessozialgericht gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Revision zulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Der Rechtssache kommt insbesondere dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sich materiellrechtlich eine Frage des Gemeinschaftsrechts stellt, die der Europäische Gerichtshof noch nicht geklärt hat und die nicht unzweifelhaft ist oder wenn das Fachgericht von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs abweicht (Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl. 2005, § 41 Rz. 26). So wird die Durchsetzung der Rechte aus Gemeinschaftsrecht nach dem Verfahrensrecht nicht etwa erschwert oder unmöglich gemacht, sondern privilegiert.
Dementsprechend hatten die Beschwerdeführer die Möglichkeit, die Fachgerichte über drei Instanzen mit der Frage zu befassen, ob das Gemeinschaftsrecht dem berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherungssystem entgegensteht. Das Landessozialgericht hatte die Revision gerade wegen der gemeinschaftsrechtlichen Fragen zugelassen. Die Beschwerdeführer konnten eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof anregen und damit die unterinstanzlichen Fachgerichte, bezogen auf ihr Vorlagerecht, und das letztinstanzliche Fachgericht, bezogen auf seine Vorlagepflicht, dazu veranlassen, eine Nichtvorlage mit materiellen Erwägungen zu begründen.
c) Das Bundesverfassungsgericht sieht sich auch nicht veranlasst, dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob es Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und die etablierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Willkürkontrolle sowie die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG gemeinschaftsrechtskonform so auszulegen beziehungsweise unangewendet zu lassen hat, dass das Bundesverfassungsgericht jede letztinstanzliche Vorlageentscheidung voll kontrollieren muss.
Nach der Kompetenzzuweisung in den Verträgen zur Europäischen Gemeinschaft und Europäischen Union und nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist es grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, das gerichtliche Verfahren auszugestalten (vgl. Urteil des EuGH vom 13. März 2007, C-432/05, Leitsatz und Rn. 39 m.w.N. und 42 - <Unibet>). Der deutsche Gesetzgeber hat die Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und §§ 90 ff. BVerfGG so geregelt, dass sie keinen zusätzlichen Rechtsbehelf zum fachgerichtlichen Verfahren darstellt (vgl. Plenumsbeschluss BVerfGE 107, 395 <413-415>). Es ist grundsätzlich Sache der Fachgerichte, das Gemeinschaftsrecht materiell zu prüfen und gegebenenfalls dem Europäischen Gerichtshof eine Frage zur Auslegung oder Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts vorzulegen (vgl. zur Prüfung einer Richtlinie am Maßstab von Gemeinschaftsgrundrechten BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. März 2007 - 1 BvF 1/05 - Juris, Rz. 71). Es besteht kein Anlass, daran zu zweifeln, dass diese Ausgestaltung gemeinschaftsrechtskonform ist.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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