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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 23.09.2005
Aktenzeichen: 2 BvR 2441/04
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 2 BvR 2441/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 2. Dezember 2004 - 1 C 720/04 -,

b) das Urteil des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 19. Oktober 2004 - 1 C 720/04 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 23. September 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das Urteil des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 19. Oktober 2004 und der Beschluss vom 2. Dezember 2004 - 1 C 720/04 - verletzen Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Kaiserslautern zurückverwiesen.

Das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer die ihm im VerfassungsbeschwerdeVerfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 4.000 € (in Worten: viertausend Euro) festgesetzt.

Gründe:

I.

1. Im Ausgangsverfahren machte der Beschwerdeführer gegenüber dem Beklagten gemäß § 833 BGB Schadenersatzansprüche in Höhe von 376,31 € aus Tierhalterhaftung geltend, weil einer der Hunde des Beklagten die Fahrertür des Fahrzeugs des Beschwerdeführers beschädigt haben soll.

Mit Versäumnisurteil vom 1. Juni 2004 verurteilte das Amtsgericht Kaiserslautern den Beklagten zur Zahlung von 376,31 € nebst 5% Zinsen ab dem 22. März 2004. Hiergegen legte der Beklagte Einspruch ein. In der mündlichen Verhandlung vom 3. August 2004 schlossen die Parteien einen Vergleich, der binnen 14 Tagen (Eingang bei Gericht am 16. August 2004) widerrufen werden konnte. Der Vergleich hatte folgenden Inhalt:

1) Der Beklagte verpflichtet sich, den in Rede stehenden Schaden am Fahrzeug des Klägers binnen einer Frist von 14 Tagen nach Ablauf der Widerrufsfrist unter Mithilfe einer dritten Person zu beheben.

2) Die Parteien sind sich darüber einig, dass der Kläger das Fahrzeug zu diesem Zweck zur Autolackiererei A. (A.-M.-Ring, P.) verbringt.

3) Für den Fall, dass der Beklagte das Fahrzeug nicht ordnungsgemäß lackiert, verpflichtet er sich, den Betrag von 302,85 € zu zahlen.

4) Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

5) Dem Kläger bleibt vorbehalten, diesen Vergleich binnen 14 Tagen (Eingang bei Gericht am 16. August 2004) zu widerrufen.

Nachdem der Beschwerdeführer den Vergleich am 13. August 2004 widerrufen hatte, ordnete das Amtsgericht Kaiserslautern mit Verfügung vom 3. September 2004 das schriftliche Verfahren an und bestimmte den Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 19. Oktober 2004.

Mit Urteil vom 19. Oktober 2004 hob das Amtsgericht Kaiserslautern das Versäumnisurteil vom 1. Juni 2004 auf und wies die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte das Amtsgericht aus, dass die Klage nicht begründet sei. Dem Kläger stehe gegenüber dem Beklagten kein Schadensersatzanspruch wegen der behaupteten Beschädigung der Fahrertür an seinem Fahrzeug durch Hunde zu. Für die Klage fehle es am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis. Im Termin vom 3. August 2004 habe sich der Beklagte verpflichtet, innerhalb einer Frist von 14 Tagen den nebenstehenden Schaden zu beheben. Obwohl diese Frist nicht abgelaufen gewesen sei, habe der Kläger den Vergleich bereits am 13. August 2004 widerrufen. Er habe dadurch dem Beklagten die Möglichkeit genommen, den Schaden - wie im Vergleich vereinbart - zu beheben. Am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehle es insbesondere, weil der Beklagte sich in dem genannten Vergleich sogar verpflichtet habe, einen Betrag von 302,85 € an den Kl. zu zahlen, wenn die Arbeiten nicht ordnungsgemäß durchgeführt würden.

Am 3. November 2004 beantragte der Beschwerdeführer Fortführung des Prozesses gemäß § 321a Abs. 5 ZPO, Aufhebung des Urteils vom 19. Oktober 2004 und Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils vom 1. Juni 2004.

Mit Beschluss vom 2. Dezember 2004 wies das Amtsgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 321a Abs. 5 ZPO zurück. In den Gründen führte das Amtsgericht aus, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs schon deshalb nicht gegeben sei, weil - wie im Urteil angeführt - der Kläger dem Beklagten keine Gelegenheit gegeben habe, den Schaden zu beheben. Obwohl der Beklagte Zeit gehabt hätte, bis spätestens 17. August 2004 Maßnahmen zu treffen, habe der Kläger bereits am 13. August 2004 den Vergleich widerrufen.

2. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

3. Dem Ministerium der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz und dem Beklagten des Ausgangsverfahrens wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Anspruchs des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) und die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG vorliegen. Der Beschwerdeführer hat einen solchen Verstoß von Art. 3 Abs. 1 GG zwar nicht ausdrücklich gerügt, dies hindert das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht, im Rahmen der Verfassungsbeschwerde seine Prüfung hierauf zu erstrecken (vgl. BVerfGE 6, 376 <385>; 54, 117 <124>; 58, 163 <167>; 71, 202 <204>; stRspr).

Das Amtsgericht Kaiserslautern wies die Klage des Beschwerdeführers mit Urteil vom 19. Oktober 2004 ab, weil er den Vergleich vom 3. August 2004 innerhalb der vereinbarten Widerrufsfrist von 14 Tagen am 13. August 2004 widerrufen und es seiner Klage daher am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis gefehlt habe. Seine Gehörsrüge gemäß § 321a ZPO wies das Amtsgericht mit Beschluss vom 2. Dezember 2004 zurück, weil der Beschwerdeführer dem Beklagten keine Gelegenheit gegeben habe, den Schaden zu beheben. Diese Würdigungen sind schlechthin unhaltbar. Denn sie beruhen auf offensichtlich sachwidrigen und objektiv willkürlichen Erwägungen. Es ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar, dass das Amtsgericht dem Beschwerdeführer das Rechtsschutzbedürfnis für seine Klage allein deshalb abgesprochen hat, weil er von dem ihm im Vergleich ausdrücklich vorbehaltenen Widerrufsrecht Gebrauch gemacht hat. Ohne dass es auf subjektive Umstände oder ein Verschulden des Gerichts ankäme, stellen sowohl das Urteil als auch der Beschluss des Amtsgerichts gemäß § 321a ZPO Entscheidungen dar, die gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitende Willkürverbot verstoßen (vgl. BVerfGE 57, 39 <42>; 58, 163 <167 f.>).

III.

Gemäß § 93c Abs. 2 BVerfGG in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG waren das Urteil sowie der Beschluss aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Kaiserslautern zurückzuverweisen.

IV.

Gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG hat das Land Rheinland-Pfalz dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen im Verfahren der Verfassungsbeschwerde zu erstatten. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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