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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 23.01.2008
Aktenzeichen: 2 BvR 2491/07
Rechtsgebiete: BVerfGG, StPO, EMRK


Vorschriften:

BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
BVerfGG § 93b
StPO § 252
EMRK Art. 6 Abs. 3 Buchstabe d
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 2491/07 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10. Oktober 2007 - 1 StR 458/07 -,

b) das Urteil des Landgerichts München II vom 6. Juni 2007 - 1 KLs 50 Js 668/07 - hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richter Di Fabio und Landau gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 23. Januar 2008 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg; sie ist teilweise unzulässig und ansonsten unbegründet.

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die Aussage des Ermittlungsrichters, der die Geschädigte im Ermittlungsverfahren vernommen hatte, habe nicht verwertet werden dürfen. Der Beschwerdeführer legt eine Verletzung von Verfassungsrecht nicht substantiiert dar.

1. Unter welchen Voraussetzungen Beweismittel einem - nicht einfachgesetzlich vorgeschriebenen - Verwertungsverbot unterliegen, ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten (vgl. statt vieler Jäger, Beweisverwertung und Beweisverwertungsverbote im Strafprozess, 2003, m.w.N.). In Fällen der nachträglichen Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechts nimmt der Bundesgerichtshof unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 252 StPO an, die Verwertung von Erkenntnissen aus früheren Vernehmungen des betroffenen Zeugen sei grundsätzlich unzulässig; eine Ausnahme gelte für ermittlungsrichterliche Vernehmungen, da der Richter in besonderer Weise einen präventiven Rechtsschutz des Zeugen gewährleisten könne (vgl. BGHSt 21, 218; 32, 25 <29>; 45, 342 <345>; stRspr). Von Verfassungs wegen kann die Unverwertbarkeit beweisrelevanter Erkenntnisse geboten sein, wenn durch ihre Erlangung die Menschenwürde Betroffener gefährdet oder verletzt wurde (vgl. BVerfGE 80, 367 <374 f.>). Es ist hingegen verfassungsrechtlich nicht geboten, darüber hinaus dem Interesse an der Wahrheitserforschung beziehungsweise den dadurch berührten Persönlichkeitsrechten Betroffener generell einen Vorrang gegenüber den jeweils widerstreitenden Rechtspositionen einzuräumen (vgl. BVerfGE 107, 299 <332 f.>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. September 2003 - 2 BvR 1337/03 -, NStZ-RR 2004, S. 18, und vom 27. Oktober 2003 - 2 BvR 2211/00 -, NStZ-RR 2004, S. 83).

2. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, warum die Unverwertbarkeit der Erkenntnisse des Ermittlungsrichters hier verfassungsrechtlich geboten sei. Die Ungleichbehandlung von Aussagen vor einem Ermittlungsrichter und vor nichtrichterlichen Vernehmungspersonen findet in der Tatsache, dass der Ermittlungsrichter in besonderer Weise geeignet - und in vielfältiger Weise vom Gesetzgeber dafür vorgesehen - ist, präventiven Rechtsschutz zu gewährleisten, einen nachvollziehbaren und sachlichen Grund. Ob eine andere Handhabung ermittlungsrichterlicher Vernehmungen rechtspolitisch wünschenswert sei, wie der Beschwerdeführer annimmt, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden. Unabhängig von der grundsätzlichen Frage, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen, ein Verwertungsverbot verfassungsrechtlich aus Verhältnismäßigkeitserwägungen hergeleitet werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. März 2000 - 2 BvR 2017 und 2039/94 -, NStZ 2000, S. 489 f.), trägt der Beschwerdeführer jedenfalls keine im konkreten Fall hierfür sprechenden Gesichtspunkte vor. Sein Vortrag erschöpft sich in dem pauschalen Hinweis auf schützenswerte Persönlichkeitsrechte der Geschädigten, ohne Ausprägung, Gewicht und mögliche Berührung dieser Rechte durch die Aussage einer anderen Person - des Ermittlungsrichters - darzulegen, und ohne den Grad des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung, namentlich die Tatsache, dass die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten - wie der vorliegenden - einen wesentlichen Auftrag des rechtsstaatlichen Gemeinwesens darstellt (vgl. BVerfGE 109, 279 <336> m.w.N.), in den Blick zu nehmen.

II.

Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, ihm sei ein Pflichtverteidiger nicht rechtzeitig bestellt worden und er habe keine Möglichkeit gehabt, bei der Vernehmung der Geschädigten anwesend zu sein und ihr Fragen zu stellen, ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.

1. Prüfungsmaßstab ist insoweit das Recht auf ein faires Verfahren in seiner Ausprägung als Konfrontationsrecht des Beschuldigten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2000 - 2 BvR 591/00 -, NJW 2001, S. 2245 <2246>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juli 2006 - 2 BvR 1317/05 -, NJW 2007, S. 204 <205>; jeweils m.w.N.). Unter Berücksichtigung des - von den deutschen Gerichten bei der Auslegung des nationalen Rechts zu beachtenden (vgl. BVerfGE 111, 307 <323 f.>) - Rechts auf Befragung gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchstabe d EMRK muss dem Angeklagten danach die effektive Möglichkeit verschafft werden, einen Zeugen zu befragen und seine Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit in Frage zu stellen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2002 - 1 StR 111/02 -, NJW 2003, S. 74 <75> m.w.N.). Dabei liegt ein Konventionsverstoß aber nur vor, wenn diese Möglichkeit bei einer Betrachtung des Verfahrens in seiner Gesamtheit nicht gegeben war (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 - 1 StR 169/00 -, NJW 2000, S. 3505 <3506> m.w.N.). Defizite bei der Ermöglichung der Befragung können durch das erkennende Gericht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, NJW 2000, S. 3505 <3509 f.>; BGH, Beschluss vom 29. November 2006 - 1 StR 493/06 -, NJW 2007, S. 237 <239> m.w.N.) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. Monika Haas/Bundesrepublik Deutschland, Entscheidung vom 17. November 2005 - 73047/01 -, NJW 2006, S. 2753 <2755> m.w.N.) durch eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung ausgeglichen werden.

2. Verfassungsrechtlich ist diese "Beweiswürdigunglösung" angesichts der für die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens zentralen Bedeutung der Idee der Gerechtigkeit, an der sie sich orientiert und an der sich jedwede Rechtspflege messen lassen muss (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; BVerfGK 1, 145 <150>), nicht zu beanstanden (vgl. bereits BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2000 - 2 BvR 591/00 -, NJW 2001, S. 2245 <2246>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juli 2006 - 2 BvR 1317/05 -, NJW 2007, S. 204 <205>). Eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung, die neben der Aussage des Ermittlungsrichters eine Vielzahl weiterer gewichtiger, nicht mit Angaben der Geschädigten in Zusammenhang stehender Beweismittel berücksichtigt, hat das Tatgericht hier erkennbar vorgenommen.

3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BverfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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