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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 28.02.2007
Aktenzeichen: 2 BvR 2619/06
Rechtsgebiete: GG
Vorschriften:
GG Art. 19 Abs. 4 Satz 1 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2619/06 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
gegen den Beschluss des Kammergerichts vom 22. November 2006 - (3) 1 Ss 370/06 (93/06) -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richter Di Fabio und Landau gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 28. Februar 2007 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist in einem Strafverfahren.
I.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt er die Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Aus der richterlichen Fürsorgepflicht folge, dass bei Erteilung einer mündlichen Belehrung über das Rechtsmittel der Revision einem anwaltlich nicht vertretenen Angeklagten zudem ein Merkblatt auszuhändigen sei.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG liegt nicht vor. Die maßgeblichen Fragen zu den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend geklärt. Danach dürfen die Gerichte bei Auslegung und Anwendung des Verfahrensrechts den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. BVerfGE 74, 228 <234>; 77, 275 <284>). Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert in seinem Funktionsbereich auch das Recht auf ein faires Verfahren (vgl. BVerfGE 75, 183 <190 f.> zur entsprechenden Rechtslage bei Art. 103 Abs. 1 GG). Geht es um die Wahrung von Fristen, darf die Verantwortung für eine Säumnis nicht auf den Bürger abgewälzt werden, deren Ursache allein in der Sphäre des Gerichts liegt (vgl. BVerfGE 69, 381 <386 f.>).
Aus der richterlichen Fürsorgepflicht folgt, dass ein nicht anwaltlich vertretener, rechtsunkundiger Angeklagter ergänzend durch Aushändigung eines Merkblatts zu belehren ist, wenn es sich um eine schwierige Belehrung handelt (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesver-fassungsgerichts vom 21. Dezember 1995 - 2 BvR 2033/95 -, NJW 1996, S. 1811). Eine generelle Pflicht zur Aushändigung eines Merkblattes hat das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung nicht gefordert (insoweit irreführend: Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., 2006, § 35a Rn. 7; Weßlau, in: SK, StPO, 38. Aufbau-Lfg., April 2004, § 35a Rn. 12; Rotsch, in: Krekeler/Löffelmann, Anwaltskommentar, StPO, 2007, § 35a Rn. 5).
2. Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben wird die angegriffene Entscheidung gerecht.
Das Kammergericht hat seiner Entscheidung die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde gelegt und begründet, weshalb es bei der Belehrung über das Rechtsmittel der Revision vorliegend keiner Aushändigung eines Merkblattes bedurft habe. Zur Erfassung der Rechtsmittelfristen genüge ein durchschnittliches Denk- und Auffassungsvermögen. Es hätten keine Anhaltspunkte für die Annahme bestanden, der Beschwerdeführer sei außerstande, die mündliche Rechtsmittelbelehrung zu verstehen und im Gedächtnis zu behalten.
Hiergegen ist von Verfassungs wegen nichts zu erinnern.
Die nur mündliche Belehrung über die Revisionsmöglichkeit entsprach den Anforderungen des Strafverfahrensrechts. § 35a StPO schreibt für Rechtmittelbelehrungen keine bestimmte Form vor. Es besteht auch keine einheitliche fachgerichtliche Rechtsprechung, dass es sich bei der Belehrung über die Revision um eine schwierige Belehrung handelt, die es zwingend erfordert, einen nicht anwaltlich vertretenen Angeklagten ergänzend durch die Aushändigung eines Merkblattes zu belehren (dafür: OLG Zweibrücken, OLGSt <12. Oktober 1976>, § 44 StPO, S. 51 <52>; darauf verweisend: OLG Köln, OLGSt <24. April 1984>, § 35a StPO Nr. 1, S. 2; ebenso Paulus, in: KMR, StPO, 4. Erg. Lfg., August 1988, § 35a Rn. 12; Maul, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., 2003, § 35a Rn. 10; dagegen: OLG Saarbrücken, OLGSt <3. Juni 1966>, § 35a StPO, S. 5 <6>; Schleswig-Holsteinisches OLG, SchlHA VIII, 1990, S. 113 <114>).
Von Verfassungs wegen bestehen gegen eine Einordnung der Belehrung über das Rechtsmittel der Revision als nicht derart schwierig, dass eine zusätzliche schriftliche Belehrung stets zwingend erforderlich ist, keine Bedenken. Auch die alleinige mündliche Belehrung verdeutlicht dem Angeklagten hinreichend, dass ihm für die Einlegung der Revision nur eine Woche ab der in seiner Anwesenheit erfolgten Urteilsverkündung zur Verfügung steht. Der Richter muss auch nicht davon ausgehen, dass diese Information wegen der weiteren Belehrung, etwa hinsichtlich der Revisionsbegründung, ohne Aushändigung eines Merkblattes verloren geht oder falsch in Erinnerung bleibt. Nur soweit Anhaltspunkte dafür in der Person des Angeklagten vorhanden sind, gebietet es die Fürsorgepflicht, zusätzlich zur mündlichen Belehrung ein Merkblatt auszuhändigen. Dies war nach den Feststellungen des Kammergerichts vorliegend nicht der Fall.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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