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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 22.05.2009
Aktenzeichen: 2 BvR 287/09 (1)
Rechtsgebiete: GG, StPO


Vorschriften:

GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
StPO § 81g Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In den Verfahren

...

hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts

durch

die Richter Broß, Di Fabio und Landau

am 22. Mai 2009

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Die Beschlüsse des Amtsgerichts Augsburg vom 28. Oktober 2008 - 1 Gs 2897/08 - und des Landgerichts Augsburg vom 22. Dezember 2008 - 6 Qs 802/08 - verletzen Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Anordnung der Entnahme von Körperzellen und deren molekulargenetische Untersuchung im Zusammenhang mit gegen sie geführten Strafverfahren.

1.

a)

Der Beschwerdeführer zu 1) ist durch Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 20. Oktober 2005 wegen Unterschlagung in Tateinheit mit Verletzung des Briefgeheimnisses in Tatmehrheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Mit Beschluss vom 28. Oktober 2008 ordnete das Amtsgericht Augsburg gegen den Beschwerdeführer die Entnahme einer Speichelprobe oder einer Blutprobe und die molekulargenetische Untersuchung der dadurch erlangten Körperzellen zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren gemäß § 81f, § 81g, § 162 Abs. 1 StPO an. Zur Begründung führte das Gericht aus:

Der Betroffene wurde [...] zur Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr mit Bewährung [...] verurteilt. [...]

Die molekulargenetische Untersuchung dieses Spurenmaterials zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters sowie des Geschlechts ist zum Zweck der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren erforderlich.

Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Weil wegen der Art der Tat, wegen der Ausführung der Tat und wegen der Persönlichkeit des Betroffenen Grund zu der Annahme besteht, dass gegen den Betroffenen künftig erneute Strafverfahren wegen einer der in § 81g StPO genannten Straftaten zu führen sind.

Der Betroffene hat eine Vielzahl von Straftaten begangen, bei denen (z. B. Unterschlagung) auch mit Hinterlassung von DNA-Spuren zu rechnen ist. Die Voraussetzungen gem. § 81g Abs. 1 Satz 2 StPO liegen vor.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Landgericht Augsburg mit Beschluss vom 22. Dezember 2008 aus den im angefochtenen Beschluss angeführten, durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräfteten Gründen.

b)

Der am 1. August 1982 geborene Beschwerdeführer zu 2) ist durch nicht rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 3. Dezember 2008 wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen Hehlerei zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Mit Beschluss vom 30. Dezember 2008 ordnete das Amtsgericht Hannover auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 28. August 2006 gegen den Beschwerdeführer die Entnahme einer Speichelprobe oder einer Blutprobe und die molekulargenetische Untersuchung der dadurch erlangten Körperzellen zum Zweck der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren gemäß § 81a Abs. 1, Abs. 2 und § 81g Abs. 1 bis 3 StPO sowie § 8 Abs. 6 BKAG an. Zur Begründung führte das Gericht nach Wiedergabe der rechtlichen Maßstäbe aus:

Der Betroffene wurde durch noch nicht rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 03.12.2008 wie folgt verurteilt:

wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen Hehlerei zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten.

Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. [...]

Es besteht Grund zu der Annahme, dass gegen den Betroffenen zukünftig erneut Strafverfahren von erheblicher Bedeutung zu führen sind.

Der Betroffene wurde bereits 3-mal strafrechtlich zur Verantwortung gezogen, darunter in 2 Verfahren wegen Diebstahls (Ziff. 1 + 3 BZR). Dies spricht für eine geringe Hemmschwelle gegenüber der Verletzung jeglicher Rechtsgüter.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Landgericht Hannover mit Beschluss vom 21. Januar 2009 unter Bezugnahme auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses.

2.

Mit den fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG; der Beschwerdeführer zu 1) beruft sich zusätzlich auf Art. 19 Abs. 4 GG.

Auf Antrag der Beschwerdeführer hat die Kammer mit Beschlüssen vom 19. Februar und 10. März 2009 die Vollziehung der angefochtenen Beschlüsse bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden jeweils im Wege der einstweiligen Anordnung ausgesetzt.

Die Akten der Ausgangsverfahren und das Bewährungsheft des Beschwerdeführers zu 1) haben der Kammer vorgelegen. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und das Niedersächsische Justizministerium haben von der ihnen eingeräumten Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.

II.

Die Verfassungsbeschwerden werden zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die an die Zulässigkeit der Entnahme und molekulargenetischen Untersuchung von Körperzellen und die Begründung entsprechender richterlicher Anordnungen zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht hinreichend geklärt und wiederholt ausgesprochen worden (vgl. nur BVerfGE 103, 21; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. März 2001 - 2 BvR 1841/00 u.a. -, [...]; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2001 - 2 BvR 429/01 u.a. -, [...]; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Februar 2006 - 2 BvR 561/03 -, [...]; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 14. August 2007 - 2 BvR 1293/07 -, [...]). Danach sind die zulässigen Verfassungsbeschwerden in einem die Entscheidungszuständigkeit der Kammer eröffnenden Sinn offensichtlich begründet.

1.

Feststellung, Speicherung und (künftige) Verwendung eines DNA-Identifizierungsmusters greifen in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein (vgl. BVerfGE 103, 21 <32 f.>). Die Gerichte sind bei der Auslegung und Anwendung des § 81g StPO gehalten, die Bedeutung und Tragweite des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung angemessen zu berücksichtigen. Deswegen muss das Gericht im Fall einer Anordnung nach § 81g Abs. 1 Satz 2 StPO einzelfallbezogen darlegen, warum die wiederholte Begehung sonstiger Straftaten im Unrechtsgehalt einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleichsteht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 14. August 2007 - 2 BvR 1293/07 -, [...], Rn. 5). Es bedarf ferner einer Darlegung positiver, auf den Einzelfall bezogener Gründe, dass wegen der Art oder Ausführung der bereits abgeurteilten Straftaten, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Weiter erhöhte Begründungsanforderungen bestehen, wenn ein anderes Gericht bereits im Rahmen der Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung eine günstige Sozialprognose getroffen hat (vgl. nur BVerfGE 103, 21 <35 ff.>).

2.

Diesen Anforderungen genügen die gegen die Beschwerdeführer ergangenen Entscheidungen nicht.

a)

Die Beschlüsse des Landgerichts Augsburg vom 22. Dezember 2008 und des Amtsgerichts Augsburg vom 28. Oktober 2008 stützen sich auf § 81g Abs. 1 Satz 2 StPO. Eine einzelfallbezogene Darlegung, warum die wiederholte Begehung sonstiger Straftaten im Unrechtsgehalt einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleichstehe, enthalten die Entscheidungen jedoch nicht. Ferner ist nicht ersichtlich, welche Gründe die Gerichte zu der Annahme bewogen haben, dass der Beschwerdeführer zukünftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werde, obwohl im Rahmen der Verurteilung vom 20. Oktober 2005 eine positive Sozialprognose gestellt worden war.

b)

Die gegen den Beschwerdeführer zu 2) ergangenen Beschlüsse des Landgerichts Hannover vom 21. Januar 2009 und des Amtsgerichts Hannover vom 30. Dezember 2008 lassen nicht erkennen, ob sie sich auf Satz 1 oder Satz 2 des § 81g Abs. 1 StPO stützen. Eine einzelfallbezogene Darlegung, dass der Beschwerdeführer künftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, ist ihnen allenfalls insofern zu entnehmen, als im Beschluss des Amtsgerichts darauf hingewiesen wird, dass der Beschwerdeführer strafrechtlich schon zuvor in Erscheinung getreten sei. Dieser Hinweis dürfte jedoch schon deshalb nicht genügen, weil das Amtsgericht auf Eintragungen im Erziehungsregister (§ 60 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 7 i.V.m. § 5 Abs. 2 BZRG) Bezug genommen hat, obwohl die Voraussetzungen für eine Entfernung aus dem Erziehungsregister mit Vollendung des 24. Lebensjahres des Beschwerdeführers am 1. August 2006 vorlagen (§ 63 Abs. 1 BZRG). Die betreffenden Taten und Verurteilungen durften zum Nachteil des Beschwerdeführers mithin nicht mehr verwertet werden (§ 63 Abs. 4, § 51 Abs. 1 BZRG; vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 3 StR 164/91 -, [...], sowie LG Aachen, Beschluss vom 29. September 2003 - 65 Qs 99/03 -, StV 2004, S. 9). Hiermit setzen sich Amtsgericht und Landgericht nicht auseinander.

Abgesehen hiervon ist nicht ersichtlich, welche Anhaltspunkte das Amtsgericht am 30. Dezember 2008 zu der Annahme bewogen haben, dass der Beschwerdeführer zukünftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werde, nachdem der entscheidende Richter weniger als einen Monat vorher im Rahmen der mit Urteil vom 3. Dezember 2008 getroffenen Bewährungsentscheidung ausdrücklich ausgeführt hatte, das Gericht gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer sich die Verurteilung als solche zur Warnung dienen lassen und auch ohne den Vollzug der Freiheitsstrafe keine weiteren Straftaten mehr begehen werde. Auch der Beschluss des Landgerichts verhält sich hierzu nicht.

3.

Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 3 BVerfGG. Damit erledigt sich zugleich der Antrag des Beschwerdeführers zu 1) auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 und § 14 Abs. 1 RVG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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