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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 16.03.2005
Aktenzeichen: 2 BvR 315/05
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 315/05 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 2005 - 15 B 2713/04 -,

b) den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 14. Dezember 2004 - 4 L 3236/04 -,

c) den Bescheid des Rhein-Sieg-Kreises vom 5. November 2004 - 10.4 -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 16. März 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin streitet um ihre Anerkennung als Fraktion im Kreistag eines nordrhein-westfälischen Kreises.

Bei der Wahl des Kreistages des Rhein-Sieg-Kreises im September 2004 entfielen auf die Wahlvorschläge der NPD, der PDS und des Bündnisses für Deutschland je ein Sitz. Die drei Kreistagsmitglieder von NPD, PDS und Bündnis für Deutschland, von denen das PDS-Mitglied zwischenzeitlich aus der Partei ausschied, beschlossen die Gründung der Beschwerdeführerin, einer Fraktion unter der Bezeichnung "Technische Fraktion".

Der Landrat teilte, zuletzt mit dem angegriffenen Bescheid, mit, "die Bildung einer Fraktion zu einer lediglich technischen Zusammenarbeit" erfülle nicht die Voraussetzungen des § 40 der Kreisordnung für das Land Nordrhein-Westfalen. In seinen ersten Sitzungen verfuhr der Kreistag bei der Wahl der Stellvertreter des Landrats, der Besetzung der gebildeten Ausschüsse und der Verteilung der Ausschussvorsitze so, als bestehe die Beschwerdeführerin nicht.

Den Antrag der Beschwerdeführerin, den Kreistag durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, sie wie eine Fraktion zu behandeln, lehnte das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss zurück. Es führte unter anderem aus, die grundsätzliche politische Übereinstimmung ihrer Mitglieder gehöre zum Begriff der Fraktion.

Die Beschwerdeführerin hat mit ihrer Verfassungsbeschwerde zugleich beantragt, einstweilen anzuordnen, dass sie bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens wie eine Fraktion zu behandeln sei.

Die Beschwerdeführerin sei in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Diese Norm schütze in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG ihre Organ- und Mitwirkungsrechte im Kreistag. Das Recht zur Bildung einer Fraktion folge unmittelbar aus dem freien Mandat ihrer Mitglieder. Es dürfe nicht durch einfaches Recht beschränkt werden, hänge nicht von einer Anerkennung durch ein anderes Organ ab und könne nicht entzogen werden. Die vom Oberverwaltungsgericht aufgeworfene Frage nach einer grundsätzlichen politischen Übereinstimmung zwischen den Mitgliedern der Beschwerdeführerin sei der gerichtlichen Kontrolle nicht zugänglich, weil die autonome Entscheidung der Gewählten sonst eingeschränkt wäre. Das Oberverwaltungsgericht habe eine ihm nicht zustehende politische Feststellung getroffen und damit willkürlich gehandelt.

Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, weil das Oberverwaltungsgericht den Vortrag der Beschwerdeführerin zur kommunalpolitischen Zusammenarbeit ihrer Mitglieder unbeachtet gelassen habe.

Eine einstweilige Anordnung sei erforderlich, damit die Beschwerdeführerin schon auf der nächsten Sitzung des Kreistages ihre Rechte als Fraktion wahrnehmen könne. Rechtsnachteile, die ihr bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens entstünden, könnten nicht mehr nachträglich beseitigt werden.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund fehlt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu, und sie dient auch nicht der Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführerin, denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

1. Soweit die Beschwerdeführerin sich auf Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG beruft, ist sie nicht antragsberechtigt, weil sie nicht behaupten kann, in einem ihr zustehenden Grundrecht verletzt worden zu sein (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG).

a) Auf eine Verletzung des Art. 38 Abs. 1 GG kann die Beschwerdeführerin eine Verfassungsbeschwerde nicht stützen.

aa) Das scheitert nicht daran, dass sie ein Statusrecht verteidigt und damit ins Organstreitverfahren verwiesen werden müsste (vgl. BVerfGE 43, 142 <148>). Im Streit steht nicht das Verhältnis zwischen Verfassungsorganen oder -organteilen, sondern stehen die organschaftlichen Beziehungen innerhalb einer kommunalen Körperschaft. Dieses Verhältnis wird durch einfaches Recht geregelt. Auf das einfachgesetzliche Kommunalverfassungsrecht hat das Verfassungsrecht bestimmenden Einfluss, etwa durch die Verpflichtung auf die repräsentative Demokratie durch Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Kommunalverfassungsstreit wird dadurch aber nicht zu einem Organstreit verfassungsrechtlicher Art, für den es einen Zugang zum Bundesverfassungsgericht gäbe. Er ist vor den Verwaltungsgerichten auszutragen, die die besondere verfassungsrechtliche Prägung bei ihren Entscheidungen zur Geltung zu bringen haben.

bb) Mit einer auf Art. 38 GG gestützten Verfassungsbeschwerde kann nur eine Verletzung von Rechten bei Wahlen zum Bundestag geltend gemacht werden. Auf Landtags- oder Kommunalwahlen ist die Vorschrift nicht, auch nicht entsprechend, anwendbar (vgl. BVerfGE 3, 383 <391>; 6, 121 <130>; 6, 376 <384>; 99, 1 <7>). Gleiches gilt deshalb auch für etwaige Statusrechte der Mitglieder kommunaler Vertretungen oder der von ihnen gebildeten Vereinigungen. Solche Rechte können nur aus der Wahl zu der Vertretung folgen und daher nicht auf Art. 38 GG beruhen.

b) Rechte aus Art. 28 GG können nicht mit der allgemeinen Verfassungsbeschwerde verteidigt werden (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG) (vgl. BVerfGE 3, 383 <390 f.>; 6, 121 <130>; 99, 1 <8>).

2. Ob die Beschwerdeführerin das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG geltend machen kann, kann offen bleiben. Jedenfalls ist gegen den Gleichheitssatz, in dem ein allgemeiner Rechtsgrundsatz zum Ausdruck kommt und aus dem das Willkürverbot folgt, nicht verstoßen worden. Es ist nicht evident sachfremd und daher nicht willkürlich, dass der Landrat und die befassten Gerichte die angegriffenen Entscheidungen darauf gestützt haben, eine Fraktion könne nur von Kreistagsmitgliedern mit in wesentlicher Hinsicht übereinstimmender politischer Überzeugung gebildet werden. Dies entspricht einem im deutschen Parlamentsrecht verwandten einheitlichen Begriff der Fraktion (Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 274). Da die Bündelungs-, Koordinierungs- und Organisationsfunktionen der Fraktionen in Parlamenten und kommunalen Vertretungskörperschaften einander gleichen, spricht nichts gegen eine dem Parlamentsrecht entlehnte Begriffsbildung auch im Kommunalverfassungsrecht.

3. a) Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde scheitert nicht an fehlender Antragsberechtigung, soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) rügt. Dieses grundrechtsähnliche Recht gilt auch für juristische Personen und andere Personenvereinigungen des öffentlichen Rechts (Art. 19 Abs. 3 GG), denn die durch die so genannten Justizgrundrechte garantierten objektiven Verfahrensgrundsätze müssen gegenüber jedem an einem Gerichtsverfahren Beteiligten eingehalten werden. Eine vermeintliche Verletzung dieser Rechte kann mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden (vgl. BVerfGE 6, 45 <49 f.>; 13, 132 <139>; 21, 362 <373>; 61, 82 <104>; 75, 192 <200>).

b) Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde aber unzulässig, weil der Rechtsweg nicht erschöpft ist (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Die Beschwerdeführerin hätte die Anhörungsrüge erheben können (§ 152a VwGO).

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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