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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 29.11.2004
Aktenzeichen: 2 BvR 414/02
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 14 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 414/02 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Januar 2002 - BVerwG 3 B 3.02 -,

b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 31. Juli 2001 - 13 K 1279/98 -,

c) das Unterlassen des Bundesgesetzgebers, ein Finanzvermögensaufteilungsgesetz nach Art. 22 Abs. 1 Sätze 3 und 4 des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag (EV) - vom 31. August 1990 (BGBl II S. 889) zu erlassen

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 29. November 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die eigentumsrechtliche Zuordnung ehemals volkseigenen Vermögens im Zuge der deutschen Wiedervereinigung. Mit ihrer auf die Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG gestützten Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Feststellung, dass zwei Grundstücke in ihrer Gemarkung als ehemals volkseigenes Vermögen der Bundesrepublik Deutschland zugeordnet wurden. Daneben macht die Beschwerdeführerin im Wege der Kommunalverfassungsbeschwerde geltend, der Bundesgesetzgeber habe es unterlassen, ein Finanzvermögensaufteilungsgesetz zu erlassen, wie es in Art. 22 Abs. 1 Sätze 3 und 4 des Einigungsvertragsgesetzes (EV) vorgesehen sei.

1. Die Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG ist unzulässig, weil die Beschwerdeführerin als Gemeinde nicht gemäß § 90 Abs. 1 BVerfGG antragsberechtigt ist. Sie kann die Verletzung eines eigenen Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht geltend machen.

a) Gemäß Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Bedeutung hat diese Regelung vor allem für die juristischen Personen des Privatrechts (vgl. BVerfGE 21, 362 <369> m.w.N.). Dagegen verneint das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, dass auch juristische Personen des öffentlichen Rechts materielle Grundrechte innehaben können, soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen (vgl. BVerfGE 21, 362 <368 ff.>; 45, 63 <78 f.>; 61, 82 <101>; 68, 193 <205 ff.>).

Diesen Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht im Fall der Gemeinden ausgedehnt: Einer Gemeinde steht das Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG auch außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben nicht zu (vgl. BVerfGE 61, 82 <100 ff.> "Sasbach"). Auch bei nicht-hoheitlicher Tätigkeit befindet sich die Gemeinde in keiner grundrechtstypischen Gefährdungslage. Wenngleich sie hierbei wie jede andere Person hoheitlichen Eingriffen unterworfen sein kann, bedarf sie insoweit des Grundrechtsschutzes aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht. Denn zum einen unterscheidet sich ihre Position von der Stellung Privater schon durch so genannte Fiskusprivilegien. Zum anderen untersagt das Gemeindewirtschaftsrecht weithin eine wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden ohne Bezug zu ihren öffentlichen Aufgaben. Vielmehr binden die Gemeindeordnungen die privatwirtschaftliche Tätigkeit regelmäßig an den öffentlichen Zweck der Gemeinde. Daher hat das Eigentum in der Hand einer Gemeinde nicht dieselbe Funktion wie in der Hand des Privaten, nämlich dem Eigentümer als Grundlage eigenverantwortlicher privater Initiative von Nutzen zu sein. Art. 14 GG als Grundrecht schützt nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater (BVerfG a.a.O. <108 f.>). Das Bundesverfassungsgericht hat offen gelassen, ob es "ganz besonders gelagerte Ausnahmefälle geben kann, in denen es denkbar ist, einer Gemeinde den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG oder einen gleichartigen Schutz zuzubilligen, wenn sie in ihrem Eigentum außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben beeinträchtigt wird" (BVerfG a.a.O. <109>).

b) Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, einen derartigen Ausnahmefall anzuerkennen. Die Beschwerdeführerin macht schon nicht geltend, außerhalb des Bereichs öffentlicher Aufgabenwahrnehmung auf den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG angewiesen zu sein. Sie gründet ihren Anspruch nach Art. 21, 22 EV auf die Notwendigkeit kommunalen Eigentums als Voraussetzung einer angemessenen Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben. Für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben stehen ihr als juristischer Person des öffentlichen Rechts die Grundrechte nicht zur Seite. Die kommunale Aufgabenerfüllung schützt das Grundgesetz durch Art. 28 Abs. 2 GG. Des Weiteren ist die Beschwerdeführerin durch die angegriffene Vermögenszuordnung nicht im Bereich ihrer kommunalen Aufgabenerfüllung betroffen. Nach den nicht substantiiert angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts hatte die Beschwerdeführerin die Grundstücke nicht überwiegend für gemeindliche Selbstverwaltungsaufgaben verwendet, sondern sie für gastronomische Zwecke einem privaten Dritten überlassen.

Die Beschwerdeführerin befindet sich auch sonst nicht in einer "grundrechtstypischen Gefährdungslage", die eine von BVerfGE 61, 82 abweichende Entscheidung rechtfertigen würde. Vorliegend geht es um die vermögensrechtliche Zuordnung von Grundflächen, die von der Beschwerdeführerin im streitigen Zeitraum zumindest nicht überwiegend für kommunale Zwecke genutzt wurden. Die fiskalische Nutzung der Grundstücke durch deren Verkauf kann eine Beschwerdebefugnis aus Art. 14 GG nicht begründen. Art. 21 und Art. 22 EV regeln die Vermögenszuordnung nach der deutschen Wiedervereinigung. Sie sollen vor allem eine Grundlage für die künftige Entwicklung des Staates schaffen. Die Ordnung der Vermögensverhältnisse hat dabei von der jeweils gegebenen konkreten Situation auszugehen und das hinterlassene öffentliche Vermögen auf die Träger öffentlicher Aufgaben in einer Weise zuzuordnen, die ihnen die Erfüllung der von ihnen wahrzunehmenden Aufgaben ermöglicht (vgl. BVerfGE 95, 250 <264>).

Maßgeblich ist danach das Verteilungsprinzip der Funktionsnachfolge. Den verschiedenen Verwaltungsträgern sind jeweils diejenigen Vermögensgegenstände aus dem Vermögen der Deutschen Demokratischen Republik rechtlich zuzuordnen, die sie zur Erfüllung ihrer Verwaltungsaufgaben benötigen. Zielsetzung ist es, das Vermögen von Ländern und Gemeinden als der primären Verwaltungsträger zu mehren, um sie in ihrer öffentlichen Funktion finanziell zu stützen. Schon dieser Regelungszusammenhang spricht dagegen, Art. 21 und Art. 22 EV mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu vergleichen und einen grundrechtsähnlichen Schutz gemeindlichen Eigentums aus diesen Normen abzuleiten. Der Streit über die Vermögenszuordnung stellt im Kern einen Kompetenzkonflikt zwischen Hoheitsträgern dar, der nicht im Wege der Individualverfassungsbeschwerde geklärt werden kann und soll (vgl. BVerfGE 21, 362 <370 f.>).

2. Die Kommunalverfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG ist unzulässig, weil unabhängig von der Frage, ob ein gesetzgeberisches Unterlassen Gegenstand einer Kommunalverfassungsbeschwerde sein kann, die Beschwerdeführerin nicht substantiiert dargelegt hat, dass sie in ihrem Selbstverwaltungsrecht verletzt sein könnte.

Zum Recht auf Selbstverwaltung gemäß Art. 28 Abs. 2 GG gehört auch die Finanzhoheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <208>; 23, 353 <365 ff.>; 26, 172 <180 ff.>; 26, 228 <244>; 52, 95 <117>; 83, 363 <385 f.>). Sie garantiert den Gemeinden und Gemeindeverbänden die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht nicht entschieden, ob über eine eigenverantwortliche Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft hinaus zu der durch Art. 28 Abs. 2 GG gewährleisteten kommunalen Finanzhoheit auch die angemessene Finanzausstattung oder jedenfalls eine finanzielle Mindestausstattung gehört (vgl. BVerfGE 26, 172 <181>; 71, 25 <36>; 83, 363 <386>). Für die Zulässigkeitsprüfung hat es jeweils unterstellt, Art. 28 Abs. 2 GG umfasse auch eine durch die Länder zu gewährleistende (vgl. BVerfGE 26, 172 <181>) angemessene Finanzausstattung.

Für die substantiierte Darlegung einer möglichen Verletzung der Gewährleistung einer insgesamt angemessenen Finanzausstattung ist notwendig, dass die beschwerdeführende Selbstverwaltungskörperschaft nähere Angaben darüber macht, welchen Gesamtumfang ihre Finanzausstattung hat und inwieweit diese durch die beanstandeten Vorschriften gemindert wird. Die Kommune muss vor allem geltend machen, dass sie durch die Minderung ihrer eigenen Einnahmen oder die Kürzung der Finanzzuweisungen die ihr obliegenden Aufgaben nicht mehr angemessen oder im erforderlichen Mindestmaß erfüllen kann (vgl. BVerfGE 71, 25 <37>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. September 1994 - 2 BvR 1547/85 -, NVwZ 1995, S. 370 <371>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 1999 - 2 BvR 1268/96 -, DVBl 1999, S. 840).

Diesen Anforderungen wird der Vortrag der Beschwerdeführerin nicht gerecht. Die Beschwerdeführerin hat nicht dargelegt, dass ihre Einnahmen im Verhältnis zu ihren Ausgaben nicht mehr ausreichen, ihre Aufgaben so zu erfüllen, wie es der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG entspricht. Außer der allgemeinen Aussage, sie sei zur Erfüllung ihrer Selbstverwaltungsaufgaben auf eine ausreichende Finanzmasse angewiesen, enthält die Verfassungsbeschwerde keine näheren Angaben, ob und inwieweit ihre Aufgabenwahrnehmung durch das Fehlen eines Ausgleichsgesetzes beeinträchtigt sein könnte. Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, ihr fehle eine ausreichende Finanzausstattung. Für eine Mehrung ihrer Finanzeinnahmen durch das geforderte Gesetz bietet Art. 28 Abs. 2 GG keine Stütze.

Im Übrigen geht die Verfassungsbeschwerde nicht darauf ein, dass die in Art. 22 Abs. 1 Satz 3 EV vorgesehene bundesrechtliche Verteilungsregelung für den Bereich des kommunalen Finanzvermögens nicht, zumindest nicht im gleichen Maße, erforderlich ist wie für das sonstige Finanzvermögen. Der Einigungsvertrag geht im Grundsatz davon aus, dass das ehemals volkseigene Vermögen, das nicht dem Verwaltungsvermögen unterfällt, der Treuhandverwaltung des Bundes unterliegt, bis es durch Bundesgesetz wertmäßig zur Hälfte zwischen dem Bund und den neuen Ländern aufgeteilt wird. Abweichend von diesem Grundsatz sollten die Kommunen bereits mit Wirksamwerden des Beitritts Eigentümer des Finanzvermögens werden, das kommunalen Zwecken und Aufgaben dient. Indem Art. 22 Abs. 1 Satz 1 EV auf § 1 Abs. 1 Sätze 2 und 3 TreuhandG verweist, hat der Gesetzgeber den Finanzbedarf der Kommunen anerkannt und eine Vorabzuweisung des kommunalen Finanzvermögens ermöglicht. Grund und Ziel des Kommunalisierungsvorbehalts in Art. 22 Abs. 1 Satz 1 EV ist es, die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften bereits vor Erlass des Aufteilungsgesetzes mit dem Vermögen auszustatten, das sie zur Wahrnehmung der ihnen obliegenden Aufgaben benötigen (vgl. BVerwGE 97, 240 <242>). Dass diese gesetzliche Regelung der Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 GG nicht genügen könnte, erläutert die Verfassungsbeschwerde nicht.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



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