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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 11.06.2004
Aktenzeichen: 2 BvR 473/04
Rechtsgebiete: StPO, BVerfGG, BRAGO, GG


Vorschriften:

StPO § 467 Abs. 1
StPO § 467 a
StPO § 467 a Abs. 1
StPO § 467 a Abs. 2
StPO § 170 Abs. 2
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
BVerfGG § 93b
BRAGO § 84 Abs. 2
GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 473/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Landgerichts Würzburg vom 4. Februar 2004 - 5 Qs 20/2004 -,

b) den Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 7. Januar 2004 - Gs 4/04 -,

c) mittelbar: § 467 a StPO

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 11. Juni 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Versagung einer Auslagenerstattung. Sie begehrt die analoge Anwendung des § 467 a Abs. 1 StPO auf Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft vor Anklageerhebung das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO einstellt.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind beantwortet (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG); denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>).

Die angegriffenen Entscheidungen lassen einen Verfassungsverstoß nicht erkennen. Auch die ihnen zu Grunde liegende Vorschrift des § 467 a Abs. 1 StPO, die eine Auslagenerstattung bei Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft nur unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, ist, selbst bei einer engen Auslegung, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. a) Es besteht kein verfassungsrechtlich geschützter Anspruch darauf, dass demjenigen, der von einem Ermittlungsverfahren betroffen worden ist, seine Auslagen auf jeden Fall ersetzt werden müssen, gleichgültig in welchem Stadium das Verfahren geendet hat (Beschluss des Vorprüfungsausschusses des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Oktober 1979 - 2 BvR 968/79 -, EuGRZ 1979, S. 638 <639>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Februar 2002 - 2 BvR 9/02 -, JURIS; Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 25. August 1987 - Nr. 9/1986/107/155 -, NJW 1988, S. 3257 f.). Ein Erstattungsanspruch besteht nur nach Maßgabe der gesetzlichen Regelung (Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Februar 1995 - 2 BvR 2588/93 -, NStZ-RR 1996, S. 45).

b) Die Versagung der Auslagenerstattung bei einer Verfahrenseinstellung vor Anklageerhebung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

(1) Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet es dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln. Was als im Wesentlichen gleich und was als verschieden anzusehen ist, hat regelmäßig der Gesetzgeber zu entscheiden. Er muss die Merkmale bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind. Die Gestaltungsfreiheit, die ihm Art. 3 Abs. 1 GG belässt, besteht in erster Linie darin, aus der Vielzahl der Lebenssachverhalte die Tatbestände auszuwählen, die für die Gleich- oder Ungleichbehandlung maßgebend sein sollen. Auch bei vergleichbaren Tatbeständen verbietet der allgemeine Gleichheitssatz nicht jegliche Differenzierung; er ist erst dann verletzt, wenn für die gesetzliche Unterscheidung keine sachlich einleuchtenden Gründe vorliegen; die Unterschiede müssen gewichtig genug sein, um die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen (BVerfGE 35, 263 <272>; 92, 277 <318> unter Hinweis auf BVerfGE 82, 126 <146>).

(2) Die Strafprozessordnung gewährt bei einer Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO grundsätzlich keine Auslagenerstattung. Demgegenüber findet nach Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft - falls der Beschuldigte nicht verurteilt wird - eine Auslagenerstattung im Regelfall statt. Lehnt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens ab oder spricht es den Angeklagten frei, so folgt dies aus § 467 Abs. 1 StPO. Die Anklageerhebung dient demnach als gesetzliches Differenzierungskriterium. Dies ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, weil die Anklageerhebung voraussetzt, dass die Staatsanwaltschaft die Tragfähigkeit der Verdachtslage geprüft und einen hinreichenden Tatverdacht bejaht hat. Die Anklageerhebung stellt eine verdichtete Verdachtslage fest, an die die Frage der Erstattung von Auslagen anknüpfen kann. Hiergegen spricht nicht, dass derjenige Beschuldigte, bei dem die Staatsanwaltschaft das Verfahren sofort einstellt, gegenüber demjenigen schlechter gestellt werde, bei dem diese Erkenntnis bei der Staatsanwaltschaft erst nach Anklageerhebung eintritt. Denn im zweiten Fall ist der Tatvorwurf bereits zur gerichtlichen Überprüfung vorgelegt worden.

(3) Ausgehend von diesem - auf dem Willen des Gesetzgebers beruhenden - Differenzierungskriterium stellt § 467 a Abs. 1 StPO keine Privilegierung der von ihm erfassten Sachverhalte gegenüber dem Regelfall der Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft dar. Die Regelung bezieht ihre Rechtfertigung daraus, dass die Staatsanwaltschaft in diesen Verfahren bereits Anklage erhoben, mithin den hinreichenden Tatverdacht bejaht hatte und die Anklage später zurücknimmt. § 467 a Abs. 1 StPO gewährleistet demnach, dass alle Beschuldigten, gegen die Anklage erhoben worden war, grundsätzlich Auslagenerstattung erhalten, wenn der im Anklagesatz enthaltene Tatvorwurf im weiteren Verfahren nicht aufrecht erhalten bleiben kann, ohne dass es auf die konkrete Erledigungsart ankäme.

Mit der 1974 erfolgten Streichung des § 467 a Abs. 2 StPO alter Fassung, der eine Auslagenerstattung bereits an die Mitteilung des Abschlusses der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft knüpfte, hat der Gesetzgeber das Differenzierungskriterium der Anklageerhebung klargestellt.

2. Die Anwendung des § 467 a Abs. 1 StPO durch die Fachgerichte ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Sie ist insbesondere nicht willkürlich. Die Vorschrift ist nach verbreiteter Meinung eng auszulegen, so dass eine analoge Anwendung auf Verfahrenseinstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO vor Anklageerhebung ausscheidet (BGHSt 30, 152 <157>; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 467 a Rn. 2; Franke, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 467 a Rn. 1; Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Stand: 1. April 2000, § 467 a Rn. 23 f.; Paulus, in: KMR, StPO, Stand: 25. Oktober 2000, § 467 a Rn. 3 f.; a.A.: AG Heidelberg, NZV 1993, S. 85 mit ablehnender Besprechung von Schmehl).

Die Änderung des § 84 Abs. 2 BRAGO gebietet von Verfassungs wegen keine weite Auslegung des § 467 a StPO. Der Gesetzgeber hat es bei der Änderung der BRAGO unterlassen, zugleich das System der Auslagenerstattung neu zu gestalten. Er hat eine solche Änderung nicht nachgeholt, obgleich die Gebührenvorschrift seit dem 1. Juli 1994 in Kraft ist. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass eine Gesetzeslücke vorliegt, die nach dem Willen des Gesetzgebers durch eine weite Auslegung des § 467 a StPO zu schließen sei.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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