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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 29.07.2002
Aktenzeichen: 2 BvR 610/02
Rechtsgebiete: StGB, BVerfGG


Vorschriften:

StGB § 67d Abs. 2
BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
BVerfGG § 93d Abs. 1 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 610/02 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 7. März 2002 - 4 Ws 15/02 -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 29. Juli 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>). Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

Die unter Würdigung vielfältiger Umstände zu treffende Entscheidung, ob die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann, obliegt in erster Linie den Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht wacht nur darüber, dass der zuständige Richter der verfassungsrechtlichen Freiheitsgarantie des Untergebrachten bei seiner Entscheidungsfindung hinreichendes Gewicht beilegt; es hat nur dann einzuschreiten, wenn sich feststellen lässt, dass dies nicht der Fall war. Da es sich um eine wertende Entscheidung handelt, die nach ausfüllungsbedürftigen Kriterien und unter Prognosegesichtspunkten fällt, kann das Bundesverfassungsgericht sie nicht in allen Einzelheiten, sondern nur daraufhin nachprüfen, ob eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat und ob die dabei zugrunde gelegten Bewertungsmaßstäbe der Verfassung entsprechen, insbesondere Inhalt und Tragweite des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht verkennen (vgl. BVerfGE 27, 211 <219>; 70, 297 <314 f.>).

Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verlangt das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden Rechtsgutsverletzungen nach gerechtem und vertretbarem Ausgleich. Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, umso strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzuges sein (BVerfGE 70, 297 <315>). Daher haben sich die Gerichte eine ausreichende Tatsachengrundlage zu verschaffen, darzulegen, aufgrund welcher Tatsachen die Gefahr von Straftaten mit welcher Wahrscheinlichkeit besteht und aus welchen Gründen einer möglichen Gefahr von Straftaten nicht durch Hilfen außerhalb des Maßregelvollzugs in ausreichendem Maße begegnet werden kann (vgl. BVerfGE 70, 297 <311 ff.>).

Diesen Maßstäben genügt die angegriffene Beschwerdeentscheidung. Die Gerichte haben sich eine ausreichende Tatsachengrundlage dadurch verschafft, dass sie einen anstaltsfremden Sachverständigen hinzuzogen.

Die vom Oberlandesgericht getroffene Abwägung hält sich im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen und Gebotenen. Deren Ergebnis, die Unterbringung auch nach zwölfjähriger Vollzugsdauer noch nicht zur Bewährung auszusetzen, bewegt sich nicht außerhalb des Wertungsrahmens, der dem Beschwerdegericht - das im Verfahren über die sofortige Beschwerde eine eigene Sachentscheidung zu treffen hat (vgl. § 309 StPO) - im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitgrundsatz zukommt. Eine ins Einzelne gehende Überprüfung ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, denn es hat nicht seine eigene Wertung nach Art eines Rechtsmittelgerichts an die Stelle derjenigen des zuständigen Richters zu setzen. Ob die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte in jeder Hinsicht zutreffend gewichtet worden sind oder ob eine andere Beurteilung möglich gewesen wäre, unterfällt deshalb nicht seiner Entscheidung (vgl. BVerfGE 95, 96 <141>).

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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