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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 02.05.2002
Aktenzeichen: 2 BvR 613/02
Rechtsgebiete: BVerfGG, StPO, StGB


Vorschriften:

BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
StPO § 81g
StPO § 267
StPO § 309 Abs. 2
StPO § 140 Abs. 2
StPO § 454 Abs. 3 Satz 1
StPO § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
StGB § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 613/02 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 26. März 2002 - 2 Ws 267, 268/02 -,

b) die Beschlüsse des Landgerichts Koblenz vom 27. Februar 2002 - 7 StVK 2027/01 -,

c) mittelbar § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 2. Mai 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Die Entscheidungen über die Ablehnung der Strafrestaussetzung zur Bewährung sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Entgegen der Annahme des Beschwerdeführers ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, dass Beschlüsse im Strafvollstreckungsverfahren gleichen Begründungsanforderungen wie ein Strafurteil (§ 267 StPO) unterliegen. Insbesondere ist dies nicht erforderlich, um eine Rechtskontrolle wie in einem Rechtsbeschwerde- oder Revisionsverfahren zu ermöglichen; denn das Rechtsmittelgericht im Verfahren über die sofortige Beschwerde gemäß § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO hat eine eigene Sachentscheidung zu treffen (vgl. § 309 Abs. 2 StPO).

Bezugnahmen in einem Beschluss auf frühere Entscheidungen zur gleichen Frage sind deshalb in den Gründen des Beschlusses nicht ausgeschlossen. Die vom Landgericht in Bezug genommene frühere Entscheidung hat der Beschwerdeführer nicht mitgeteilt; der sich daraus ergebende Substantiierungsmangel der Verfassungsbeschwerde wird nicht dadurch geheilt, dass früher bereits Verfassungsbeschwerden (vgl. Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 2001 - 2 BvR 250/01 - und vom 9. November 2001 - 2 BvR 1700/01 -) zu den nunmehr in Bezug genommenen Entscheidungen erhoben worden waren (vgl. für Bezugnahmen auf Schriftsätze in anderen Verfahren BVerfGE 78, 320 <327>).

Die Annahme des Beschwerdeführers, die Strafrestaussetzung zur Bewährung sei nur deshalb abgelehnt worden, weil er inzwischen die Tatbegehung bestreite, geht fehl; dies belegt bereits die Bezugnahme des Landgerichts auf weitere Ablehnungsgründe in anderen Entscheidungen. Lagen aber auch andere entscheidungserhebliche Gründe für die Versagung der Strafrestaussetzung als die Leugnung der Begehung der abgeurteilten Taten vor, dann war das Gericht von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, ausdrücklich darauf einzugehen, dass sich der Beschwerdeführer einer zur Beweissicherung für künftige Strafverfahren durchgeführten molekulargenetischen Untersuchung nach § 2 DNA-IFG in Verbindung mit § 81g StPO unterzogen hatte.

b) Ein Verstoß der Fachgerichte gegen die Pflicht zur bestmöglichen Sachaufklärung (vgl. BVerfGE 70, 297 <308 ff.>) ist nicht substantiiert dargelegt worden. Der zuständige Richter hat autonom zu entscheiden. Auf die Unterstützung eines Sachverständigen ist er nach Aufklärungsgesichtspunkten nur angewiesen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine ergänzende Befunderhebung oder sachverständige wissenschaftliche Bewertung erforderlich sein könnte, für die ihm die Sachkunde fehlt. Dies ist mit Blick auf psychiatrische oder psychologische Sachverständigengutachten nur dann der Fall, wenn Anhaltspunkte für eine entscheidungserhebliche psychische Fehlhaltung oder gar Erkrankung vorliegen (vgl. BVerfGE 70, 297 <309>). Anknüpfungspunkte dafür, dass dies bei dem Beschwerdeführer der Fall sein könnte, hat dieser nicht dargelegt. Insbesondere sind die Feststellungen im Urteil des Landgerichts Koblenz vom 12. August 1998 - 110 Js 14010/98 KLs -, welches die Grundlage der Strafvollstreckung bildet, nicht mitgeteilt worden.

2. Die gesetzliche Regelung des § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten durch diese Bestimmung trägt der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar vor.

Die Vorschrift geht über die genannten Maßstäbe für die gerichtliche Aufklärungspflicht hinaus. Ein allgemeiner Anspruch eines Verurteilten, dass bei der Entscheidung über die Strafrestaussetzung zur Bewährung stets ein Sachverständiger eingeschaltet wird, besteht von Verfassungs wegen nicht. Das Grundgesetz kennt keinen Anspruch eines Verfahrensbeteiligten auf Benutzung eines bestimmten Beweismittels durch ein Gericht (stRspr, vgl. BVerfGE 1, 418 <429>; 57, 250 <274>; 63, 45 <60>). Warum vor diesem Hintergrund die Vorschrift des § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO den Beschwerdeführer in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt haben soll, ist der Verfassungsbeschwerde-Begründung nicht substantiiert zu entnehmen.

Die mittelbare Rechtssatz-Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers ist im Übrigen deshalb unzulässig, weil der Grundsatz der Subsidiarität nicht beachtet wurde (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat seine diesbezügliche Beanstandung im Ausgangsverfahren nicht geltend gemacht. Dies war ihm zumutbar (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG), zumal er zumindest bei der Beschwerdebegründung anwaltlich beraten war.

3. Eine Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten durch die Ablehnung der Verteidigerbestellung ist nicht substantiiert dargelegt worden.

Prozessuale "Waffengleichheit" der Verfahrensbeteiligten (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 63, 45 <61>) wird im Strafprozess vor allem für die als kontradiktorisches Verfahren ausgestaltete Hauptverhandlung verlangt. Auch dort besteht indes kein unbedingter Anspruch auf Mitwirkung eines Verteidigers zu Gunsten des Angeklagten in allen Strafverfahren, sondern nur in solchen Verfahren, in denen das Gesetz die Verteidigung wegen der Bedeutung der Sache oder wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage für erforderlich erachtet (vgl. § 140 StPO, Art. 6 Abs. 3 Buchstabe c MRK). Dadurch soll der Angeklagte in der Hauptverhandlung unter anderem in Bezug auf die für eine sachgerechte Verteidigung gegen den Anklagevorwurf erforderliche Akten- und Rechtskenntnis der Anklagebehörde gleichgestellt werden. Das Vollstreckungsverfahren sieht für Entscheidungen über die Frage der Strafrestaussetzung zur Bewährung ein Beschlussverfahren vor (§ 454 Abs. 1 StPO), das nicht in gleicher Weise kontradiktorisch ausgestaltet ist. Die gerichtliche Entscheidung ergeht dort ohne mündliche Verhandlung im Freibeweisverfahren. Die Staatsanwaltschaft als Strafvollstreckungsbehörde wird zwar angehört; sie hat aber keine ebenso weit reichenden prozessualen Befugnisse wie in der Hauptverhandlung des Erkenntnisverfahrens. Geht es bei dem Beschluss über die Strafrestaussetzung zur Bewährung um eine Tatsachenentscheidung in Form einer Prognose gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, die namentlich auf die dem Verurteilten bekannten Urteile, auf sein Verhalten im Strafvollzug und auf seine dortige Persönlichkeitsentwicklung gestützt ist, dann ist ein Verteidigerbeistand zur Erlangung von Akteneinsicht und zur Beratung über Sach- und Rechtsfragen sowie zur schriftsätzlichen Stellungnahme gegenüber dem Gericht nicht in gleichem Maße erforderlich wie ein Verteidigerbeistand in der Hauptverhandlung des Erkenntnisverfahrens (§ 140 StPO). Dass nicht jedem Verurteilten im Verfahren über die Strafrestaussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ein Verteidiger zu bestellen ist, kann deshalb verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden. Vielmehr ist von Fall zu Fall zu entscheiden (vgl. BVerfGE 103, 21 <41>). Warum die angegriffenen Entscheidungen im konkreten Fall bei der Auslegung und entsprechenden Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO spezifisches Verfassungsrecht verletzt haben sollen, trägt der Beschwerdeführer nicht unter Berücksichtigung der Gründe der angegriffenen Entscheidungen vor.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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