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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 12.11.1997
Aktenzeichen: 2 BvR 615/97
Rechtsgebiete: GG, StVollzG
Vorschriften:
GG Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 (Resozialisierungsprinzip) | |
GG Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 (Rechtsstaatsprinzip) | |
GG Art. 2 Abs. 2 | |
GG Art. 3 Abs. 1 | |
GG Art. 104 Abs. 2 Satz 1 | |
StVollzG § 116 Abs. 1 | |
StVollzG § 11 Abs. 2 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 615/97 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde
des Herrn B ...
gegen a) den Beschluß des Oberlandesgerichts München vom 13. März 1997 - 3 Ws 143/97 -, b) den Beschluß des Landgerichts Augsburg - auswärtige Strafvollstreckungskammer mit dem Sitz in Landsberg am Lech - vom 8. Januar 1997 - StVK 590/96 -,
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Kruis, Winter gemäß § 93c in Verbindung mit §§ 93a, 93b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 12. November 1997 einstimmig beschlossen:
1. Der Beschluß des Landgerichts Augsburg - auswärtige Strafvollstreckungskammer mit dem Sitz in Landsberg am Lech - vom 8. Januar 1997 - StVK 590/96 - und der Beschluß des Oberlandesgerichts München vom 13. März 1997 - 3 Ws 143/97 - verletzen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 und aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes.
2. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
3. Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
G r ü n d e :
Der Beschwerdeführer, ein Strafgefangener, begehrt die Gewährung einer Ausführung aus der Haft nach langjährigem Strafvollzug.
I.
Der Beschwerdeführer verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes. Dem Urteil der Schwurgerichtskammer ist zu entnehmen, daß er eine frühere Freundin aus niedrigen Beweggründen getötet hat.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 6. September 1985 ununterbrochen in Haft. Mit Bescheid vom 6. Dezember 1995 lehnte die Justizvollzugsanstalt seinen Antrag auf Ausführung aus der Anstalt für eine bestimmte Tageszeit mit der Begründung ab, daß die Gewährung von Vollzugslockerungen nur im Hinblick auf eine Erprobung zur Vorbereitung der späteren Entlassung in Betracht käme. Eine solche Vorbereitung erscheine derzeit verfrüht, weil die zuständige Strafvollstreckungskammer noch keine Feststellungen über die besondere Schwere der Schuld und die voraussichtliche Dauer der Vollstreckung getroffen habe.
Auf den gerichtlichen Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 109 StVollzG hob die Strafvollstreckungskammer mit Beschluß vom 8. Juni 1996 den Bescheid der Justizvollzugsanstalt auf und verpflichtete die Vollzugsbehörde zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Es fehle in dem Bescheid an einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob die beantragte Ausführung nicht als selbständige Behandlungsmaßnahme unabhängig von einer späteren Entlassung genehmigt werden könne. Die Justizvollzugsanstalt lehnte mit Bescheid vom 1. August 1996 daraufhin erneut den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausführung ab. Es sei zu befürchten, daß der Beschwerdeführer die beantragte Vollzugslockerung trotz "der bald elfjährigen Haftdauer, seiner fünfjährigen erfreulichen Entwicklung in der hiesigen Anstalt, seiner fortgesetzt überdurchschnittlichen, kontinuierlichen, zufriedenstellenden Arbeitsleistung, seines tadelfreien Vollzugsverhaltens und anerkennenswerten Bemühens, sich in das Anstaltsleben zu integrieren und seiner intakten Beziehungen zu nahen Angehörigen" zur Flucht mißbrauchen werde. Die der strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegende Tat werde "unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Schuld nach aller bisheriger Erfahrung unserer summarischen Prüfung zufolge noch einen langjährigen Freiheitsentzug veranlassen, der bei dem relativ jungen und vitalen Gefangenen nach wie vor einen erheblichen Fluchtanreiz begründet". Darüber hinaus bestehe derzeit keine Besorgnis, daß der bisherige Strafvollzug bei dem Beschwerdeführer zu schädlichen Folgen geführt habe. Dieser sei ein "kerngesunder, ausgesprochen vitaler, kräftiger und zukunftsorientierter Mann von 33 Jahren".
Mit Beschluß vom 8. Januar 1997 wies die Strafvollstreckungskammer den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 StVollzG als unbegründet zurück. Die Justizvollzugsanstalt stütze ihren versagenden Bescheid zu Recht auf die Annahme einer Flucht- und Mißbrauchsgefahr gemäß § 11 Abs. 2 StVollzG. Die Strafvollstreckungskammer könne insofern nur überprüfen, ob die Anstalt von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen sei, ob der richtige Begriff des Versagensgrundes zugrunde gelegt und die Grenzen des Beurteilungsspielraums eingehalten worden seien. Die Vollzugsbehörde stütze ihre Entscheidung in erster Linie auf die besondere Schwere der Schuld und damit auf die besondere Gefährlichkeit des Beschwerdeführers. Dies sei nicht zu beanstanden und habe angesichts der Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils vom 21. September 1987 besonderes Gewicht. Auch soweit die Vollzugsbehörde darauf hinweise, daß es sich bei dem Beschwerdeführer um einen relativ jungen, vitalen und kräftigen Gefangenen handele, bei dem angesichts des noch zu erwartenden Strafrests ein erheblicher Fluchtanreiz bestehe, lägen Ermessensfehler nicht vor. Eine Verletzung des Gegensteuerungs- und Integrationsgrundsatzes sei ebenfalls nicht erkennbar. Der Beschwerdeführer habe im Strafvollzug die Bäcker-Gesellenprüfung abgelegt und nehme zudem an zahlreichen sportlichen Aktivitäten innerhalb des gesicherten Geländes der Anstalt teil.
Die Rechtsbeschwerde verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluß vom 13. März 1997 aus den als zutreffend erkannten Gründen des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer als unzulässig (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers lasse es § 11 Abs. 2 StVollzG auch bei einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen zu, daß die Fluchtgefahr während eines Ausgangs berücksichtigt werde. Darauf allein werde jedoch die ablehnende Entscheidung durch die Strafvollstreckungskammer auch nicht gestützt.
II.
1. Mit seiner rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluß der Strafvollstreckungskammer vom 8. Januar 1997 sowie gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts vom 13. März 1997. Er rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 (Resozialisierungsprinzip), Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip), Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1 und Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Strafvollstreckungskammer übernehme ungeprüft die Feststellungen der Justizvollzugsanstalt zur Schuldschwere und zur voraussichtlichen Dauer der Verbüßung, obwohl eine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über die besondere Schwere der Schuld gemäß § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB und über die Mindestdauer der Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe noch ausstehe. Die Annahme einer Fluchtgefahr beruhe zudem auf willkürlichen Erwägungen. Der Beschwerdeführer dürfe an Sportveranstaltungen außerhalb der Mauern auf einem nur mit Draht umfriedeten Anstaltsgelände teilnehmen, wofür nur besonders zuverlässige Strafgefangene in Betracht kämen. Die Ausführung sei notwendig, da er seit seinem 22. Lebensjahr inhaftiert und die Gefahr möglicher Haftschäden aufgrund seines jungen Alters sehr groß sei.
2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme, sah jedoch von einer solchen ab.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, da dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Kammer ist zur Entscheidung zuständig, da die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet i.S.d. § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist.
1. a) Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat bereits mit Beschluß vom 28. Juni 1983 (BVerfGE 64, 261 <272 f.>) entschieden, daß die Androhung und Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe ihre verfassungsrechtlich notwendige Ergänzung in einem sinnvollen Behandlungsvollzug findet (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Die Vollzugsanstalten sind mithin im Blick auf die Grundrechte der eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßenden Gefangenen verpflichtet, schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzugs, vor allem deformierenden Persönlichkeitsstörungen, die die Lebenstüchtigkeit ernsthaft in Frage stellen und es ausschließen, daß sich der Gefangene im Falle einer Entlassung aus der Haft im normalen Leben noch zurechtzufinden vermag, im Rahmen des Möglichen zu begegnen (vgl. ebenso BVerfGE 45, 187 <238 ff.>). Diesem Ziel dient auch der Urlaub, der nach § 13 Abs. 3 StVollzG einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen, der nicht in den offenen Vollzug überwiesen ist, dann gewährt werden kann, wenn er sich bereits zehn Jahre im Vollzug befunden hat (BVerfGE 64, 261 <273>). Auch ein mit Zustimmung des Gefangenen als Lockerung des Vollzugs angeordneter Ausgang oder eine Ausführung unter Aufsicht kann als Behandlungsmaßnahme der Vollzugslockerung Resozialisierungszielen dienen. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG läßt solche Maßnahmen auch bei zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten zu, die noch nicht zehn Jahre ihrer Strafe verbüßt haben.
Bei der Gewährung von Ausgang und Ausführung ist jedoch zu berücksichtigen, daß es sich um Vollzugslockerungen handelt, die tatsächlich einer befristeten Aufhebung des mit jeder Vollstreckung einer Freiheitsstrafe verbundenen Strafübels nahekommen. Es besteht mithin ein besonderes Spannungsverhältnis zwischen dem rechtsstaatlichen Interesse, die Vollstreckung rechtskräftig erkannter Freiheitsstrafen sicherzustellen und die Allgemeinheit vor Straftaten zu schützen (vgl. BVerfGE 46, 214 <222 ff.>), und dem Gebot der sozialen Integration des Gefangenen gemäß § 2 S. 1 StVollzG (vgl. BVerfGE 64, 261 <276>). Der Gewährung von derartigen vollzugslockernden Maßnahmen sind insbesondere dort Schranken gesetzt, wo die Befürchtung besteht, der Gefangene werde sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder eine Lockerung des Vollzugs zu Straftaten mißbrauchen (vgl. § 11 Abs. 2 StVollzG). Aus dem Resozialisierungsgebot und dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit allen staatlichen Handelns (vgl. BVerfGE 70, 297 <311 ff.>) folgt, daß das Interesse des Gefangenen, vor den schädlichen Folgen aus der langjährigen Inhaftierung bewahrt zu werden und seine Lebenstüchtigkeit im Falle der Entlassung aus der Haft zu behalten, um so höheres Gewicht hat, je länger die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bereits andauert (vgl. BVerfGE 64, 261 <272 f.>; 70, 297 <315>). Die Justizvollzugsanstalt darf sich in diesen Fällen nicht auf bloße pauschale Wertungen oder auf den Hinweis einer abstrakten Flucht- oder Mißbrauchsgefahr im Sinne von § 11 Abs. 2 StVollzG beschränken. Sie hat vielmehr im Rahmen einer Gesamtwürdigung nähere Anhaltspunkte darzulegen, welche geeignet sind, die Prognose einer Flucht- oder Mißbrauchsgefahr in der Person des Gefangenen zu konkretisieren (vgl. BVerfGE 64, 261 <277>; 70, 297 <312 ff.>). Das mit jeder Vollzugslockerung verbundene Risiko eines Entweichens aus der Haft oder eines Mißbrauchs der Maßnahme zu Straftaten muß aus diesen Gründen heraus unvertretbar, die Befürchtung einer Flucht- oder Mißbrauchsgefahr mithin unüberwindbar erscheinen (vgl. BVerfGE 70, 297 <313>).
b) Versagt die Justizvollzugsanstalt eine derartige Vollzugslockerung unter Berufung auf § 11 Abs. 2 StVollzG, prüfen die Vollstreckungsgerichte im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG, ob die Vollzugsbehörde die unbestimmten Rechtsbegriffe der Befürchtung von Flucht oder Mißbrauch richtig ausgelegt und angewandt hat. Jedoch eröffnet der Versagungsgrund der Flucht- oder Mißbrauchsgefahr als Prognoseentscheidung der Vollzugsbehörde einen - verfassungsrechtlich nicht zu beanstandendenen - Beurteilungsspielraum, in dessen Rahmen sie mehrere Entscheidungen treffen kann, die gleichermaßen rechtlich vertretbar sind (vgl. BGHSt 30, 320 <324 f.>). Der Beurteilungsspielraum entbindet die Vollstreckungsgerichte indes nicht von ihrer rechtsstaatlich fundierten Prüfungspflicht, den Sachverhalt umfassend aufzuklären und dabei festzustellen, ob die Vollzugsbehörde als Voraussetzungen ihrer Entscheidung alle Tatsachen zutreffend angenommen und den zugrunde gelegten Sachverhalt insgesamt vollständig ermittelt hat (vgl. BVerfGE 70, 297 <308>).
Legt das Strafvollstreckungsgericht diesen Maßstab seiner Entscheidung zugrunde, prüft das Bundesverfassungsgericht bei der vorliegenden Fallgestaltung auf Verfassungsbeschwerde hin nur nach, ob das Strafvollstreckungsgericht der Vollzugsbehörde nicht einen zu weiten Beurteilungsspielraum zugebilligt und damit Bedeutung und Tragweite des verfassungsrechtlich geschützten Resozialisierungsanspruchs (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verkannt hat, und ob die angegriffene Entscheidung unter Zugrundelegung des dargelegten fachgerichtlichen Maßstabs schlechthin nicht mehr nachvollziehbar ist und damit den aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abzuleitenden Anspruch auf willkürfreie Entscheidung (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt.
2. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer genügt den dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
a) Die Auffassung der Strafvollstreckungskammer, die Versagung der Ausführung könne auf eine Fluchtgefahr im Sinne des § 11 Abs. 2 StVollzG wegen einer noch langjährigen Inhaftierung des Beschwerdeführers gestützt werden, verkennt das Gewicht des Resozialisierungsprinzips. Zugleich mißachtet es den selbstgewählten Maßstab, daß es zu prüfen habe, ob die Vollzugsbehörde von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen sei. Es ist nicht nachvollziehbar, wie die Strafvollstreckungskammer bei Anwendung dieses Maßstabs zur Bestätigung der Entscheidung der Justizvollzugsanstalt kommen konnte.
aa) Der Beschwerdeführer befand sich, als ihm die Justizvollzugsanstalt die Ausführung abermals versagte, fast elf Jahre ununterbrochen im Strafvollzug. Er konnte somit auf eine Haftdauer von mehr als zehn Jahren verweisen, bei der das Strafvollzugsgesetz für Gefangene, die zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt sind, bereits die Vollzugslockerung des Urlaubs zuläßt und damit die abstrakte Gefahr in Kauf nimmt, daß von der dann noch mindestens fünf Jahre währenden Vollstreckung der Freiheitsstrafe ein Fluchtanreiz ausgeht. Das Gericht hätte bereits aus diesem Grunde im Blick auf die grundrechtlich geschützte Resozialisierung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) der Frage nachgehen müssen, ob die von der Anstalt vorgetragene generelle Erwägung, wegen der noch zu erwartenden langjährigen Freiheitsentziehung bestehe ein erheblicher Fluchtanreiz, einen hinreichenden Versagungsgrund darstellt.
bb) Das Gericht läßt ferner unbeachtet, daß die Anstalt dem Beschwerdeführer ein in jeder Hinsicht tadelfreies Vollzugsverhalten und anerkennenswertes Bemühen, sich in das Anstaltsleben zu integrieren sowie intakte Beziehungen zu nahen Angehörigen und Zukunftsorientiertheit bescheinigt hat. Die konkreten Umstände in der Person des Beschwerdeführers sprechen daher gerade gegen die bloße abstrakte Befürchtung, ein Gefangener mit so langer Straferwartung werde die Ausführung zur Flucht nützen. Auch der pauschale Hinweis, daß es sich um "einen relativ jungen, vitalen und kräftigen Gefangenen" handele, trägt offenkundig nicht die Annahme einer Fluchtgefahr in der Person des Beschwerdeführers.
b) Die Strafvollstreckungskammer verkennt das Gewicht des Resozialisierungsgebots und die Verfehlung ihres selbstgewählten Prüfmaßstabs auch insofern, als sie die Erwägung der Justizvollzugsanstalt, der Beschwerdeführer werde den langjährigen Freiheitsentzug aus Gründen der Schuldschwere (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) zu erwarten haben, ohne eigene rechtliche Würdigung übernimmt. Eine solche wäre indes gerade hier angezeigt gewesen.
aa) Die Justizvollzugsanstalt hat das Tatbestandsmerkmal der besonderen Schwere der Schuld bejaht, ohne sich näher mit dessen Voraussetzungen auseinanderzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 3. Juni 1992 hierzu festgestellt, daß eine besondere Schwere der Schuld nur angenommen werden könne, wenn das gesamte Tatbild einschließlich der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle so sehr abweiche, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheine (vgl. BVerfGE 86, 288 <314 f.>). Die Entscheidung über die Schuldschwere ist den Gerichten vorbehalten. Solange die Entscheidung eines Straf- oder Strafvollstreckungsgerichts über die besondere Schwere der Schuld nicht vorliegt, sind die Vollzugsbehörden zwar nicht gehindert, darüber im Rahmen ihrer Entscheidung über die Gewährung von Vollzugslockerungen eigene Erwägungen anzustellen, sie müssen aber vom Strafvollstreckungsgericht, wenn Vollzugslockerungen deshalb verweigert werden, voll nachgeprüft werden (vgl. BVerfGE 64, 261 <279>). Da gleichwohl eine verbindliche Entscheidung in diesem Verfahren nicht getroffen werden kann, ist bei der Annahme einer besonderen Schwere der Schuld größte Zurückhaltung geboten.
bb) Die Strafvollstreckungskammer hätte bei der Frage, inwieweit die Justizvollzugsanstalt eine Prognose über die weitere Dauer der Vollstreckung auf Erwägungen zur Schuldschwere stützen durfte, auch im Auge behalten müssen, daß die Schwere der Schuld nicht notwendigerweise zu einer Verlängerung der Vollstreckung über die Mindestvollstreckungsdauer von 15 Jahren führt, sondern dies nur insoweit bewirkt, als sie die weitere Vollstreckung gebietet (vgl. § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Insofern wäre eine vollstreckungsrechtliche Gesamtwürdigung im Vorgriff auf die Entscheidung über die Strafaussetzung (§ 462a Abs. 1 StPO i.V.m. § 454 StPO) vorzunehmen gewesen, bei der das Geschehen, das zu der Straftat geführt hat, und die Persönlichkeitsentwicklung des Verurteilten im Vollzug zu berücksichtigen gewesen wäre (vgl. BVerfGE 86, 288 <323>).
c) Schlechthin nicht mehr nachvollziehbar und mithin willkürlich gemäß Art. 3 Abs. 1 GG ist die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer insoweit, als sie der Vollzugsbehörde unterstellt, diese stütze ihre Entscheidung in erster Linie auf die besondere Schwere der Tat und damit auf die besondere Gefährlichkeit des Beschwerdeführers, was nicht zu beanstanden sei und angesichts der Feststellungen im Urteil des Landgerichts vom 21. September 1987 erhebliches Gewicht habe. Derartige Erwägungen sind indes von der Justizvollzugsanstalt überhaupt nicht vorgetragen worden. Es überschreitet offenkundig den Rahmen gerichtlicher Prüfung, eigene Erhebungen zu einem gesetzlichen Versagungsgrund - hier des Mißbrauchs der Vollzugslockerung zur Begehung neuer Straftaten - anzustellen, ohne daß die Vollzugsbehörde ihre Entscheidung hierauf gestützt hätte.
d) Die Strafvollstreckungskammer ist schließlich auch der Frage nach der besonderen Dringlichkeit von Vollzugslockerungen im Falle des Beschwerdeführers nicht weiter nachgegangen, obwohl sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung seit über elf Jahren ununterbrochen im Vollzug der Strafhaft befunden hat. Der pauschale Vortrag der Justizvollzugsanstalt, der Beschwerdeführer sei "kerngesund, ausgesprochen vital, kräftig und zukunftsorientiert", weshalb keine Besorgnis bestehe, der bisherige Strafvollzug hätte bei ihm zu schädlichen Folgen geführt, genügt nicht den Anforderungen des oben dargelegten Resozialisierungsgebots, wonach jedenfalls in den Fällen langjährig inhaftierter Gefangener eine Gesamtwürdigung der für und gegen die Gewährung von Vollzugslockerungen sprechenden Gesichtspunkte von Verfassungs wegen gefordert ist.
3. Auch der Beschluß des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem verfassungsmäßigen Recht auf Resozialisierung und willkürfreie gerichtliche Entscheidung. Das Oberlandesgericht hat zwar die Rechtsbeschwerde gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG als unzulässig verworfen, weil es nicht geboten sei, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Es begründet dies jedoch damit, daß die angegriffene Entscheidung zu Recht darauf abstelle, es könne lediglich überprüft werden, ob der Bescheid der Vollzugsbehörde von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgehe, ob der richtige Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob die Grenzen des Beurteilungsspielraums eingehalten seien. Die Einhaltung dieser Voraussetzungen habe die Strafvollstreckungskammer fehlerfrei bejaht. Damit stützt sich die Entscheidung auf dieselben verfassungsrechtlich zu beanstandenden Erwägungen wie die der Strafvollstreckungskammer.
4. Da der Beschluß der Strafvollstreckungskammer und die Rechtsbeschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, sind beide Beschlüsse aufzuheben. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Limbach Kruis Winter
Winter
Ende der Entscheidung
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