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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 30.10.2000
Aktenzeichen: 2 BvR 736/00
Rechtsgebiete: GG, BVerfGG, StVollzG
Vorschriften:
GG Art. 3 Abs. 1 | |
BVerfGG § 93c | |
BVerfGG § 93a Abs. 2 Buchst. b | |
BVerfGG § 95 Abs. 2 | |
BVerfGG § 34a Abs. 2 | |
StVollzG § 19 | |
StVollzG § 70 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 736/00 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn L...
gegen
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 7. April 2000 - 3 Ws 195/00 -,
b) den Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 29. Februar 2000 - 2 NöStVK 8/00 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Hassemer, Di Fabio gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Absatz 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 30. Oktober 2000 einstimmig
beschlossen:
Tenor:
Der Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 29. Februar 2000 - 2 NöStVK 8/00 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit das Landgericht die Verpflichtung der Vollzugsanstalt zur Genehmigung des Bezugs einer Armbanduhr im Wert von 100 DM abgelehnt hat. Insoweit wird der Beschluss des Landgerichts aufgehoben, die Sache an das Landgericht Augsburg zurückverwiesen und ist der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 7. April 2000 - 3 Ws 195/00 - gegenstandslos.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Bayern hat dem Beschwerdeführer die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Genehmigung zum Erwerb und Besitz einer Armbanduhr im Strafvollzug.
I.
1. Der Beschwerdeführer beantragte die Genehmigung zur Zusendung einer Armbanduhr seiner Wahl für 100 DM über den Fachhandel als Ersatz für die Armbanduhr, die er bei der Aufnahme in die Vollzugsanstalt besessen habe und die inzwischen defekt sei.
2. Die Vollzugsanstalt lehnte die Erteilung der Genehmigung im Hinblick auf eine Allgemeinverfügung vom 19. April 1999 ab, mit der die Zusendung von Armbanduhren von außerhalb der Vollzugsanstalt generell untersagt worden sei. Allen Gefangenen würden ihre mitgebrachten Armbanduhren beim Zugang in die Justizvollzugsanstalt ausgehändigt, soweit sie nicht die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährdeten. Von einer solchen Gefährdung werde regelmäßig dann ausgegangen, wenn der Wert einer Uhr die Grenze von etwa 300 DM überschreite und daher die Gefahr bestehe, dass sie bestimmungswidrig für "subkulturelle" Geschäfte und unerlaubten Tauschhandel benutzt werden könne. Ersatz für eine defekte Uhr könne ein Gefangener nur durch Vermittlung der Kammer der Vollzugsanstalt beziehen. Die Kammerverwaltung sorge für ein Angebot preiswerter Uhren und biete über zuverlässige und erprobte Händler Armbanduhren im Wert von bis zu 40 DM an. Die Vermittlung der Anstalt beim Kauf von Ersatzuhren solle sicherstellen, dass der Wert der Uhren, der bei ihrer Übersendung direkt an den Gefangenen oft schwierig zu schätzen wäre, überprüfbar sei und dass die Zusendung der Uhr nicht zum Einbringen unerlaubter Gegenstände, insbesondere illegaler Betäubungsmittel, missbraucht werden könne.
3. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, eine Armbanduhr sei zu klein, als dass darin Drogen eingeschmuggelt werden könnten, eine Kontrolle der Uhr könne auch auf seine Kosten von einem Uhrmacher vorgenommen werden, und die festgesetzte Wertgrenze von 40 DM verletze den Gleichbehandlungs- ebenso wie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Rechtsprechung gehe von einer Wertgrenze von 300 DM aus, und auch bei der Aufnahme in die Vollzugsanstalt werde jedem Gefangenen eine Uhr bis zum Wert von 300 DM belassen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass er sich im Falle eines Defekts seiner Uhr keine gleichwertige Uhr über den Fachhandel besorgen dürfe.
4. Das Landgericht wies diesen Antrag als unbegründet zurück. Es führte aus, dass Gegenstände gemäß §§ 19, 70 StVollzG vom persönlichen Besitz des Gefangenen ausgeschlossen werden könnten, wenn ihr Besitz die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährde. Eine Uhr, die dem Beschwerdeführer ohne Vermittlung der Anstalt zugesandt werde, würde die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden. Gerade Uhren, die einerseits billig aussehen könnten, obwohl sie einen hohen Wert hätten, andererseits aber auch teuer aussehen könnten, obwohl sie minderwertig seien, seien innerhalb der Anstalt ein begehrtes Objekt für "subkulturellen" Tauschhandel. Dabei sei es unerheblich, ob der Beschwerdeführer selbst dazu neige, an solch illegalem Tauschhandel teilzunehmen, weil auch zuverlässige Gefangene von Mitgefangenen zur Herausgabe der Uhr oder zur Teilnahme am Tauschhandel genötigt werden könnten. Die Vollzugsanstalt habe den Erwerb einer Ersatzuhr daher zu Recht davon abhängig gemacht, dass dieser Erwerb über die Kammer der Anstalt erfolge. Allein durch diese Erwerbsform sei sichergestellt, dass preiswerte Uhren - andere Uhren seien innerhalb der Anstalt nicht erforderlich - ausgegeben und diese auch nicht zum Einschmuggeln von Gegenständen missbraucht würden. Die Möglichkeit, von außerhalb bezogene Uhren durch einen Uhrmacher oder Kammerbediensteten kontrollieren zu lassen, bedeute einen solchen Aufwand für die zur Kontrolle berufenen Vollzugsbediensteten, dass sie für anderweitige Aufgaben nicht mehr zur Verfügung stünden.
5. Die Rechtsbeschwerde, mit der der Beschwerdeführer im Wesentlichen seine Argumente aus dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung wiederholte, verwarf das Oberlandesgericht als unzulässig, weil es nicht geboten sei, die Nachprüfung der gerichtlichen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
II.
1. Mit seiner fristgerechten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Vollzugsanstalt habe mit ihrer Verfügung vom 19. April 1999 grundlos die von der Rechtsprechung als zulässig erachtete Wertgrenze von 300 DM auf 40 DM begrenzt. Jedem Gefangenen werde bei der Aufnahme in die Vollzugsanstalt eine Uhr bis zum Wert von 300 DM belassen. Daher sei es nicht nachvollziehbar, dass er eine defekte Uhr nicht durch eine gleichwertige Uhr aus dem Fachhandel ersetzen dürfe. Es könne auch nicht angehen, dass ihm vorgeschrieben werde, eine Uhr über die Vollzugsanstalt zu beziehen. Der Gefahr des Einschmuggelns von Drogen könne durch eine Kontrolle der ausgewählten Uhr durch einen Uhrmacher auf Kosten des Beschwerdeführers begegnet werden.
2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Es hält die Verfassungsbeschwerde für zulässig, aber unbegründet. Die Begrenzung des Wertes für neuerworbene Armbanduhren auf 40 DM beruhe darauf, dass bei Uhren höheren Wertes in besonderem Maße die Gefahr "subkultureller" Geschäfte und unerlaubten Tauschhandels bestehe. Für mitgebrachte Uhren werde diese Grenze wegen des Affektionsinteresses und der Tatsache, dass ein Gefangener bei seinem Zugang in die Vollzugsanstalt in der Regel noch nicht über die notwendigen Mittel an Hausgeld oder freiem Eigengeld verfüge, um sofort eine neue Uhr über die Kammer zu erwerben, ausnahmsweise auf 300 DM erhöht. Die Vermittlung der Anstalt beim Erwerb von Uhren sei gerade im Hinblick darauf, dass in der betreffenden Vollzugsanstalt etwa ein Drittel der Insassen hinsichtlich illegaler Betäubungsmittel als suchtgefährdet einzustufen seien, aus Gründen der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt erforderlich.
III.
1. Die Verfassungsbeschwerde wird in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gemäß § 93a Abs. 2 Buchst. b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Kammer ist zur Sachentscheidung berufen, weil das Bundesverfassungsgericht die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden hat und die Verfassungsbeschwerde, soweit sie zur Entscheidung angenommen wird, offensichtlich begründet ist (§§ 93b Satz 1, 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Entscheidung des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.
a) (1) Die Prüfung, ob ein Strafgefangener nach den Regelungen des Strafvollzugsgesetzes aus Gründen der Gefährdung von Sicherheit oder Ordnung der Anstalt zum Erwerb und Besitz eines Gegenstandes berechtigt ist, obliegt in erster Linie den dafür zuständigen Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht kann nur bei einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht durch die Gerichte eingreifen; eine solche liegt vor, wenn die angegriffene Entscheidung willkürlich ist oder auf Auslegungsfehlern beruht, die eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts erkennen lassen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>). Das ist hier der Fall. Das Landgericht hat Bedeutung und Tragweite des Gleichheitssatzes verkannt.
(2) Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als allgemeiner Gleichheitssatz verbietet, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders zu behandeln, wenn zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 65, 377 <384>; 78, 232 <247>; 79, 87 <98>; 92, 277 <318>). Auch die Gerichte dürfen im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften nicht zu einer dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung gelangen (BVerfGE 99, 129 <139>).
b) Dies verkennt die Strafvollstreckungskammer, soweit sie eine Verpflichtung der Vollzugsanstalt zur Genehmigung des Bezugs einer Armbanduhr für 100 DM ohne nähere Erwägungen zum Gleichheitsgrundsatz ablehnt. Sie missachtet, dass für Gefangene, die eine Uhr in die Vollzugsanstalt einbringen, eine Wertgrenze von 300 DM gilt und dass die Differenzierung durch eine Herabsetzung der Wertgrenze auf unter 100 DM für Gefangene wie den Beschwerdeführer, die sich Ersatz für eine defekte Uhr besorgen wollen, eines hinreichend gewichtigen rechtfertigenden Grundes bedarf. Die Prüfung, ob ein solcher Grund vorliegt, versäumt die Strafvollstreckungskammer.
Sie weist nur darauf hin, dass andere als preiswerte Uhren innerhalb der Anstalt nicht erforderlich seien. Diesem Hinweis ist ein rechtfertigender Grund für die Herabsetzung der Wertgrenze aber nicht zu entnehmen. Er verkennt, dass Einschränkungen, die einem Gefangenen auf Grund der Regelungen des Strafvollzugsgesetzes auferlegt werden, am verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot zu messen sind und verhältnismäßig, also im Hinblick auf die im Gesetz genannten Belange erforderlich sein müssen (BVerfGE 89, 315 <322>; Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 1996 - 2 BvR 222/96 - NStZ-RR 1996, S. 252 und vom 14. August 1996 - 2 BvR 801/96 - StV 1996, S. 683).
Danach hängt das Recht zum Besitz eines Gegenstandes nicht davon ab, dass dieser für den Gefangenen innerhalb der Anstalt erforderlich ist (vgl. Schwind/Böhm, StVollzG, 3. Aufl., § 19, Rn. 4; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 8. Aufl., § 19, Rn. 4, OLG Celle, Beschluss vom 7. Oktober 1982, ZfStrVO 1983, S. 181).
c) Soweit die Strafvollstreckungskammer die Verpflichtung der Vollzugsanstalt zur Genehmigung des Bezugs einer Armbanduhr im Wert von 100 DM ohne Prüfung sachlich rechtfertigender Differenzierungsgründe abgelehnt hat, ist ihre Entscheidung wegen Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
2. Soweit das Landgericht darüber hinaus die Verpflichtung der Vollzugsanstalt zur Genehmigung des Bezugs einer Uhr ohne Vermittlung der Anstalt verneint hat, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Insoweit ist die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Die Kammer hat ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, dass die Zusendung von Uhren direkt an die Gefangenen ohne Vermittlung der Vollzugsanstalt Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährde und nach §§ 19, 70 StVollzG ausgeschlossen werden könne (vgl. dazu Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 1996 - 2 BvR 222/96 -, ZfStrVO 1997, S. 367 und vom 14. August 1996 - 2 BvR 801/96 -, StV 1996, S. 683).
IV.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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