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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 24.09.2002
Aktenzeichen: 2 BvR 742/02
(1)
Rechtsgebiete: GG
Vorschriften:
GG Art. 2 Abs. 1 | |
GG Art. 1 Abs. 1 | |
GG Art. 3 Abs. 1 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 742/02 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde
gegen den Beschluss des Landgerichts Hildesheim vom 30. April 2002 - 21 AR 1/02 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93c in Verbindung mit §§ 93a, 93b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 24. September 2002 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Der Beschluss des Landgerichts Hildesheim vom 30. April 2002 - 21 AR 1/02 - verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Hildesheim zurückverwiesen.
Das Land Niedersachsen hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Voraussetzungen der Gewährung von Akteneinsicht an mutmaßlich Verletzte im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.
I.
Die Beschwerdeführer waren Vorstands- bzw. Aufsichtsratsmitglieder der M. AG, die sich mit der Entwicklung und Vermarktung so genannter Set-top-Boxen befasst. Gegen die Beschwerdeführer wird ein Ermittlungsverfahren geführt, das hinsichtlich des Beschwerdeführers zu 1. den Verdacht des Kursbetrugs (§§ 88 BörsG i.V.m. § 15 WpHG) und des Insiderhandels (§ 14 WpHG), hinsichtlich des Beschwerdeführers zu 2. den Verdacht eines verbotenen Insidergeschäfts (§ 14 WpHG) und der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) zum Gegenstand hat. Die Staatsanwaltschaft hat zahlreiche Unterlagen der M. AG und der Beschwerdeführer sichergestellt, die neben Geschäftsgeheimnissen auch Angaben über die Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführer und ihrer Familienangehörigen enthalten.
Im Zuge der Ermittlungen meldeten sich einzelne Aktienkäufer, die durch die Rechtsanwaltskanzlei "R. Rechtsanwälte" vertreten werden. Die Aktienkäufer machen geltend, sie hätten, veranlasst durch falsche Ad-hoc-Mitteilungen und Berichte ab dem 10. April 2000, Aktien der M. AG gekauft und durch später eingetretene Kursverluste einen Schaden erlitten. Die Rechtsanwaltskanzlei R. hat zur Vorbereitung einer zivilrechtlichen Schadensersatzklage Einsicht in die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten beantragt. Die Kanzlei vertritt inzwischen zehn Aktionäre; bislang sind allerdings nur in Bezug auf zwei Aktionäre Details über die den Ankauf von Aktien der M. AG auslösenden Umstände mitgeteilt worden.
Die Staatsanwaltschaft Hannover beabsichtigt, den Rechtsanwälten R. u.a. für die von ihnen vertretenen Aktionäre Akteneinsicht zu gewähren. Hiergegen haben die Beschwerdeführer Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Das Landgericht Hildesheim hat mit dem angefochtenen Beschluss dem Akteneinsichtsgesuch im Wesentlichen stattgegeben und den Rechtsanwälten R. u.a. lediglich aufgegeben,
"1. keinerlei Unterlagen aus den Akten ganz oder teilweise anderen Personen, auch nicht den Mandanten, zukommen zu lassen, ausgenommen sind nur Mitarbeiter der eigenen Kanzlei sowie jene Gerichte, bei denen die vorgenannten Rechtsanwälte als Prozessbevollmächtigte Klagen anhängig machen oder schon gemacht haben, und
2. in den Medien einschließlich Internet mit dem Besitz der Ermittlungsakten nicht zu werben".
Nach Auffassung des Landgerichts sind jedenfalls zwei von der Kanzlei "R. Rechtsanwälte" vertretene Aktienkäufer Verletzte im Sinne von § 406 e StPO, da der ihnen entstandene Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der möglicherweise verletzten Normen falle; als solche kämen § 88 BörsG und § 15 WpHG in Betracht, die auch dem Anlegerschutz dienten. Der gegenteiligen Auffassung schließe sich die Kammer nicht an, weil
"der Gesetzgeber im Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland (Viertes Finanzmarktförderungsgesetz, BTDrucks 14/8017) mit der Neuregelung in § 37 c Abs. 1 WpHG eine solche Schadensersatzpflicht nunmehr auch ausdrücklich schaffen will".
Es bestehe wegen der beabsichtigten Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche ein berechtigtes Interesse an der Gewährung von Akteneinsicht, dem keine gewichtigeren Interessen der Beschwerdeführer entgegen stünden.
II.
1. Mit der gegen den Beschluss des Landgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer einen Verstoß gegen ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG). Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor:
a) Die Akten enthielten zahlreiche Unterlagen, die aus den unterschiedlichsten Gründen geheimhaltungsbedürftig seien, sei es, weil sie Interna des Unternehmens oder der Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführer beträfen oder weil es sich um Bundeszentralregisterauszüge handele, oder sei es, weil es um Informationen über Dritte, am Verfahren Unbeteiligte, z.B. Familienangehörige der Beschwerdeführer, gehe. Da das Landgericht den Antragstellern ein uneingeschränktes Akteneinsichtsrecht zugebilligt habe, ohne derartige geheimhaltungsbedürftige Unterlagen herauszunehmen oder zu schwärzen, greife der angefochtene Beschluss in das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein. Dieser Eingriff sei nicht gerechtfertigt, da er ohne gesetzliche Grundlage erfolgt sei.
b) Die vom Landgericht vorgenommene Auslegung des § 406 e Abs. 1 StPO sei willkürlich. Die Kammer habe sich mit ihrer Auffassung, § 88 BörsG i.V.m. § 15 WpHG diene zumindest auch dem Anlegerschutz, auf eine "absolute Mindermeinung" gestützt und durch die Art der Darstellung versucht, das Gegenteil zu suggerieren, ohne sich mit den Argumenten der "herrschenden Meinung" auseinander zu setzen, die von der Verteidigung ausführlich dargelegt und begründet worden sei. Tatsächlich könnten für die Auffassung des Landgerichts keine Argumente herangezogen werden, da § 88 BörsG und § 15 WpHG keine anlegerschützende Bedeutung zukomme.
Zur Begründung der gegenteiligen Auffassung könne nicht auf einen vom Gesetzgeber noch nicht beschlossenen Gesetzentwurf zurückgegriffen werden. Dies zum einen deshalb, weil nicht klar sei, ob der Entwurf überhaupt Gesetz werde, und zum anderen, weil ihm unabhängig davon jedenfalls keine rückwirkende Kraft zukomme. Aus dem Vorliegen dieses Entwurfs könne allenfalls auf das Gegenteil geschlossen werden: Weil es bislang keine Haftungsvorschrift gebe, sei der Erlass überhaupt notwendig.
§ 88 BörsG sei - ebenso wie § 15 WpHG - kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Sinn und Zweck der Norm sei es vielmehr, die Zuverlässigkeit und Wahrheit der Preisbildung an Börsen und Märkten zu gewährleisten und damit deren Funktionsfähigkeit gegen manipulative Eingriffe zu sichern. Inhaber von Wertpapieren sowie potentielle Käufer bedürften nach Ansicht des Gesetzgebers in diesem Zusammenhang keines unmittelbaren Schutzes, da lediglich ihr Vertrauen betroffen sein könne, dass die Preise im Wertpapierhandel mit redlichen Mitteln zu Stande kämen. § 88 BörsG sei mithin deutlich von § 264 a StGB zu unterscheiden. Zudem könne § 15 Abs. 6 WpHG, der die Haftung für unrichtige Ad-hoc-Mitteilungen gerade ausschließe, durch eine entgegenstehende Auslegung von § 88 BörsG, der unrichtige Ad-hoc-Mitteilungen unter Strafe stelle, unterlaufen werden.
Aus denselben Gründen könne sich kein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht ergeben. Selbst wenn die Strafgerichte nicht im Einzelnen zu prüfen hätten, ob und inwieweit zivilrechtliche Schadensersatzansprüche bestünden, so müssten sie doch jedenfalls berücksichtigen, dass - wie hier - nach der zivilrechtlichen Gesetzeslage Schadensersatzansprüche offensichtlich ausgeschlossen seien. In einem solchen Fall könne das berechtigte Interesse mithin nicht mit einem derartigen Anspruch begründet werden.
c) Die Entscheidung sei weiterhin deshalb verfassungswidrig, weil das Landgericht bei der Gewährung der Akteneinsicht nicht nach den verschiedenen Beschuldigten und Tatvorwürfen differenziert habe. Die Akten enthielten zahlreiche Bestandteile, die für einen Kursbetrug irrelevant seien, weil sie sich ausschließlich auf die Frage des verbotenen Insidergeschäfts und auf die Frage der Untreue im Zusammenhang mit dem Verkauf von Anteilen an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung bezögen. Insoweit seien die Antragsteller nicht Verletzte im Sinne von § 406 e StPO. Das Landgericht sei auf den diesbezüglichen Vortrag der Beschwerdeführer nicht eingegangen.
Sollte demnach den Antragstellern grundsätzlich Akteneinsicht gewährt werden, so jedenfalls nicht in die Aktenbestandteile, die den Verdacht des verbotenen Insidergeschäfts und der Untreue beträfen, zumal gegen den Beschwerdeführer zu 2. nur wegen des Verdachts dieser Delikte ermittelt werde. Dieses Ergebnis dränge sich so offensichtlich auf, dass die Nichtberücksichtigung der genannten Umstände im angegriffenen Beschluss nur als grob fehlerhaft und willkürlich angesehen werden könne.
2. Auf Antrag der Beschwerdeführer hat die Kammer durch Beschluss vom 27. Mai 2002 im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung des angegriffenen Beschlusses bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, außer Kraft gesetzt.
III.
1. Das Land Niedersachsen hat von einer Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde abgesehen.
2. Die Rechtsanwaltskanzlei R. hat für die Akteneinsicht begehrenden mutmaßlich Geschädigten im Ausgangsverfahren (i.F.: Antragsteller) beantragt, die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt:
Das Interesse der Antragsteller an der Gewährung der Akteneinsicht wiege schwerer als das von den Beschwerdeführern geltend gemachte Geheimhaltungsinteresse. Es sei jedenfalls insoweit Akteneinsicht zu gewähren, als keine tatsächlich geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen vorlägen; gegebenenfalls müssten die entsprechenden Aktenteile geschwärzt werden.
a) Gegenstand des Ermittlungsverfahrens gegen die Verantwortlichen der M. AG sei der Verdacht von Straftaten gemäß § 88 BörsG, § 264 a StGB und § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG. Den Antragstellern stünden Schadensersatzansprüche gemäß § 826 und § 823 Abs. 2 BGB zu, da die strafrechtlichen Vorschriften Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB seien. Dies gelte im Besonderen für § 88 BörsG. Schutzgut dieser Norm sei auch das Vertrauen des Anlegerpublikums in die Lauterkeit der Preisfeststellung. Die Einordnung des § 88 BörsG als Schutzgesetz entspreche der historischen und gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung der Norm. Die Richtlinien 79/279/EWG und 89/592/EWG verfolgten ausdrücklich das Ziel, den Anlegerschutz zu gewährleisten. Das nationale Recht sei daher so auszulegen, dass die volle praktische Wirksamkeit des in der Richtlinie niedergelegten Gemeinschaftsrechts gesichert sei.
b) Die Antragsteller hätten zudem ein durch § 406 e StPO abgesichertes berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht, da sie zivilrechtliche Ansprüche gegen die Beschwerdeführer geltend machen wollten. Diesem Interesse stünden keine vorrangigen schutzwürdigen Interessen der Beschwerdeführer entgegen. Denn ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung stehe das Recht der Antragsteller auf Gewährleistung ihres Eigentums gegenüber. Bei den geltend zu machenden Schadensersatzansprüchen handele es sich um vermögenswerte Rechte, die vom Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG erfasst seien.
c) Anhaltspunkte für einen Missbrauch des Akteneinsichtsrechts durch die Prozessbevollmächtigten der Antragsteller lägen nicht vor.
IV.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist. Die Verfassungsbeschwerde ist in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer ergebenden Weise offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts verletzt Art. 3 Abs. 1 GG.
1. Prüfungsmaßstab für die hier entscheidende Frage der Auslegung der § 15 WpHG und § 88 BörsG als Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist vornehmlich Art. 3 Abs. 1 GG. Insoweit hat das aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ableitbare Willkürverbot die stärkere sachliche Beziehung zu dem zu prüfenden Sachverhalt (vgl. BVerfGE 13, 290 <296>; 64, 229 <238 f.>; 65, 104 <112 f.>; 75, 348 <357>). Im Rahmen dieses Grundrechts werden dann die spezifischen Gehalte des verdrängten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) mitberücksichtigt. Denn die Gewährung von Akteneinsicht für mutmaßlich Verletzte in strafrechtliche Ermittlungsakten greift in dieses Recht ein. Die Auslegung und Anwendung des § 406 e StPO hat sich daher an Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG zu orientieren.
Die Verfassungsbeschwerde gibt keinen Anlass zu einer grundsätzlichen Klärung der Frage, ob es unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Grundgesetz vereinbar sein kann, erstinstanzliche Entscheidungen der Strafgerichte, die nicht mit einem Rechtsmittel angefochten werden können, ohne Begründung zu erlassen. § 34 StPO stellt die Gerichte dann nicht von einer Begründung frei, wenn es sich um eine Entscheidung handelt, durch welche ein Antrag abgelehnt wird. Nach einfachem Recht bedarf der nach § 406 e Abs. 4 StPO ergehende Beschluss also einer nachvollziehbaren Begründung.
Verfassungsrechtlich ist eine Begründung jedenfalls dann geboten, wenn ein Gericht von dem eindeutigen Wortlaut oder von der höchstrichterlichen Auslegung einer Norm abweicht (vgl. BVerfGE 71, 122 <135 f.>; 81, 97 <106>). Diese Verpflichtung ist erforderlich, weil die Gerichte nur dem Gesetz unterworfen sind und bei der Auslegung und Anwendung von Normen weder einer vorherrschenden Meinung folgen noch den von einem übergeordneten Gericht vertretenen Standpunkt zu Grunde legen müssen, sondern ihre eigene Rechtsauffassung vertreten können (vgl. BVerfGE 87, 273 <278>). Mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gebundenheit des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) verlangt das Willkürverbot, dass die eigene Auffassung begründet wird (vgl. BVerfGE 71, 122 <135 f.>). Welche Anforderungen in einem solchen Fall an die Begründung im Einzelnen zu stellen sind, kann hier ebenso offen bleiben wie die Frage, welche weiter gehenden Anforderungen sich aus Art. 103 Abs. 1 GG ergeben (vgl. dazu BVerfGE 86, 133 <145 f.>). Jedenfalls muss die Begründung erkennen lassen, dass das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinander gesetzt hat; außerdem darf seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehren (vgl. BVerfGE 87, 273 <279>).
2. Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht.
a) Das Landgericht hat die für die Gewährung von Akteneinsicht nach § 406 e StPO notwendige Verletzteneigenschaft der Antragsteller nicht in verfassungsrechtlich tragfähiger Weise begründet. Es hat, ohne die hier gebotene Auseinandersetzung mit den widerstreitenden Argumenten, lediglich behauptet, § 15 WpHG und § 88 BörsG komme eine drittschützende Wirkung zu, und hierauf seine für die Antragsteller positive Entscheidung gegründet.
aa) Dies genügte für die Norm des § 15 WpHG schon deshalb nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, weil bereits der Gesetzestext die gegenteilige Auffassung der Beschwerdeführer bestätigt: § 15 Abs. 6 WpHG schließt zivilrechtliche Haftungsansprüche ausdrücklich aus. In den Gesetzesmateria-lien wird zudem klargestellt, die Vorschrift sei "kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB" (BTDrucks 12/7918, S. 96, 102). Sie diene nicht dem Schutz der Individualinteressen der Anleger, sondern "ausschließlich dem öffentlichen Inter- esse" an der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts und damit nur dem Anlegerpublikum als Gesamtheit der potentiellen Anleger (Anlegerschaft; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BTDrucks 12/7918, S. 102). Der Schutz von Individualinteressen der einzelnen Anleger wird demnach nur als eine mittelbare Folge dieses Schutzguts, gewissermaßen als ein Rechtsreflex, angesehen, und die die Ad-hoc-Meldepflicht normierende Vorschrift des § 15 WpHG gilt nach ganz herrschender Meinung in Rechtsprechung (obergerichtliche Rechtsprechung liegt hierzu nicht vor) und Literatur nicht als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB (vgl. Kümpel, in: Assmann/Schneider, Wertpapierhandelsgesetz, 2. Auflage, § 15 Rn. 188 f., der dies angesichts der Entstehungsgeschichte als nicht diskussionswürdig darstellt; ders., Bank- und Kapitalmarktrecht, 2. Auflage, Rn. 16.223 ff.; ebenso LG München, WM 2001, S. 1948 <1951>; AG München, WM 2002, S. 594 <595>; Schäfer, WuB I G 7. Börsen- und Kapitalmarktrecht 8.01; ders., EWiR 2002, S. 43 f.; Schwark, EWiR 2001, S. 1049 f.; Reichert/Weller, ZRP 2002, S. 49 <52 f.>; Groß, WM 2002, S. 477 <482>).
Das in der angegriffenen Entscheidung zitierte Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg (Urteil vom 24. September 2001 - 3 O 4995/00 -, WM 2001, S. 1944 <1945>) enthält ebenso wie Möllers/Leisch (BKR 2001, S. 78 <82>) keine Ausführungen zum Schutzzweck des § 15 WpHG; die Bezugnahme kann daher eine eigenständige Begründung nicht ersetzen. In der zitierten Literaturstelle von Rodewald/Siems (BB 2001, S. 2437 <2439>) wird, anders als von der angegriffenen Entscheidung nahe gelegt, die Schutzgesetzeigenschaft von § 15 WpHG unter Bezugnahme auf den Wortlaut der Vorschrift (§ 15 Abs. 6 Satz 1 WpHG) verneint.
bb) Die in der angegriffenen Entscheidung genannten Gründe für eine Schutzgesetzeigenschaft von § 88 BörsG sind verfassungsrechtlich nicht tragfähig.
(1) Schon der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers (BTDrucks 10/318, S. 45) spricht gegen eine drittschützende Wirkung der Norm (vgl. Groß, Kapitalmarktrecht, 2. Auflage, § 88 BörsG Rn. 1; LG Augsburg, 6. Zivilkammer, WM 2002, S. 592 <593 f.>). Die Vorschrift des § 264 a StGB wurde durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (BGBl I 1986 S. 721) eingeführt, um den Schutz des individuellen Vermögens der Kapitalanleger zu verbessern (vgl. die Gesetzesbegründung in BTDrucks 10/318, S. 45). Hierdurch wurden Folgeänderungen für den Tatbestand des § 88 BörsG ausgelöst, die ihm seine aktuelle Gestalt gegeben haben. Für das Verhältnis der beiden Vorschriften zueinander bestimmte der Gesetzgeber ausdrücklich, die Funktion, den Anleger vor Täuschungen und Vermögensverlusten zu schützen, solle künftig von § 264 a StGB übernommen werden; § 88 BörsG solle hingegen nur mittelbar die Anleger insoweit schützen, als es um ihr Vertrauen in einen mit redlichen Mitteln in geordneter Weise zu Stande gekommenen Börsen- oder Marktpreis gehe (BTDrucks 10/318, S. 45).
Die angefochtene Entscheidung beachtet diese Intention nicht und erschöpft sich in der Bezugnahme auf das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg (WM 2001, S. 1944 <1945>) und auf zwei Stimmen in der Literatur (Rodewald/Siems, BB 2001, S. 2437 <2439>; Möllers/Leisch, BKR 2001, S. 78 <82>); eine Auseinandersetzung mit den entgegenstehenden Argumenten der herrschenden Lehre (vgl. Groß, Kapitalmarktrecht, 2. Auflage, § 88 BörsG Rn. 1; ders., WM 2002, S. 477 <484>; ders. in: Ebenroth/Boujong/Joost, Handelsgesetzbuch, Band 2, BankR IX 324; Kümpel, in: Assmann/Schneider, Wertpapierhandelsgesetz, 2. Auflage, § 15 Rn. 186; Ledermann, in: Schäfer, Kommentar zum Wertpapierhandelsgesetz, Börsengesetz und Verkaufsprospektgesetz, § 88 BörsG Rn. 1; Schäfer, WuB I G 7. - 8.01, S. 1272; Schwark, Börsengesetz, 2. Auflage, § 88 Rn. 1; Schmitz, wistra 2002, S. 208 <211>) unterbleibt.
Die Bezugnahme genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, weil die zitierten Stellungnahmen selbst keine zureichenden Gründe für die zugrundegelegte Rechtsauffassung enthalten. Die 3. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg beruft sich für ihre Auffassung, § 88 Nr. 1 BörsG sei ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB, auf dieselben Aspekte, die die Gegenmeinung gerade dazu veranlasst, § 88 BörsG nicht als Schutzgesetz zu Gunsten des einzelnen Anlegers einzuordnen (vgl. Kümpel, a.a.O., Rn. 186), ohne diesen Widerspruch jedoch zu klären.
Als Normzweck des § 88 BörsG wird die im öffentlichen Interesse liegende Wahrung der Zuverlässigkeit und Wahrheit bei der Preisbildung an Börsen und Märkten angesehen, deren unredlicher Beeinflussung durch die Strafandrohung in § 88 BörsG entgegengewirkt werden soll. Nur mittelbar soll sich der Schutz der Allgemeinheit auch zu Gunsten des einzelnen Anlegers auswirken (vgl. Groß, a.a.O.; Kümpel, a.a.O.; Ledermann, a.a.O.; Schwark, a.a.O.; LG Augsburg, 6. Zivilkammer, WM 2002, S. 592 <593 f.>). Allgemein anerkannt ist aber, dass ein Schutzgesetz nur dann vorliegt, wenn die Norm wenigstens auch die Interessen des Einzelnen unmittelbar, d.h. gezielt schützen soll, ein Schadensersatzanspruch vom Gesetz tatsächlich erstrebt wird (vgl. BGHZ 84, 312 <314>; 116, 7 <13 f.> m.w.N.; 125, 366 <374>; Zielinski, wistra 1993, S. 6 ff.; zur früher vertretenen Gegenmeinung vgl. Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 172 Rn. 51 Fußnote 122). Dies lässt die Entscheidung der Zivilkammer ebenso außer Acht wie die Stellungnahmen von Möllers/Leisch (a.a.O.) und Rodewald/Siems (a.a.O.).
(2) Unabhängig von diesen für § 88 BörsG insgesamt angeführten Argumenten spricht die Gesetzeslage jedenfalls gegen die in der angegriffenen Entscheidung vertretene Rechtsauffassung zu § 88 Nr. 1 BörsG. Denn wenn § 88 Nr. 1 BörsG lediglich als strafrechtliche Bezugsnorm für einen Verstoß gegen § 15 Abs. 1 WpHG in Betracht kommt (vgl. Schäfer, in: Schäfer, Kommentar zum Wertpapierhandelsgesetz, Börsengesetz, Verkaufsprospektgesetz, § 15 WpHG Rn. 161; Ledermann, in: Schäfer, a.a.O., § 88 BörsG Rn. 8, S. 896), kann der börsenrechtlichen Vorschrift keine Schutzgesetzeigenschaft zukommen, ohne dass - worauf die Beschwerdeführer zutreffend hinweisen - der Haftungsausschluss des § 15 Abs. 6 WpHG seines Anwendungsbereichs beraubt werden und leer laufen würde.
(3) Die von der herrschenden Lehre gewählte Auslegung hätte nicht zur Konsequenz, dass die Anleger völlig schutzlos gestellt würden. Denn § 15 Abs. 6 Satz 2 WpHG stellt ausdrücklich klar, dass Schadensersatzansprüche, die auf anderen Rechtsgrundlagen beruhen, unberührt bleiben. Verletzt daher ein Emittent die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität und zugleich eine andere Rechtsvorschrift, die ein Schutzgesetz darstellt (z.B. § 263 StGB oder § 264 a StGB, zum Schutzcharakter dieser Norm vgl. BGHZ 116, 7 <13 f.>; Zielinski, wistra 1993, S. 6 ff. m.w.N.; Joecks, wistra 1986, S. 142 <143>), so sind hieraus resultierende Schadensersatzansprüche nicht ausgeschlossen. Dasselbe gilt, wenn durch die unterlassene Ad-hoc-Publizität ein sonstiger zivilrechtlicher Haftungstatbestand, insbesondere der einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung (§ 826 BGB), verwirklicht wird (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BTDrucks 12/7918, S. 102).
Der EG-Insider-Richtlinie 89/592/EWG vom 13. November 1989 (ABl Nr. L 334/30, Einleitung und Art. 13; sowie die in Art. 7 in Bezug genommene Richtlinie 79/279 EWG) oder der EG-Transparenz-Richtlinie 88/627/EWG vom 12. Dezember 1988 (ABl Nr. L 348/62) lässt sich kein Gebot entnehmen, § 15 WpHG oder § 88 Nr. 1 BörsG als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB auszugestalten.
(4) Das einzige in der angegriffenen Entscheidung konkret benannte Argument, die Bundesregierung plane eine von der bisherigen Gesetzeslage abweichende Regelung in § 37 c WpHG-E (BTDrucks 14/8017, S. 29; Begründung S. 93 ff.), ist nicht vertretbar. Die Beschwerdeführer weisen hierauf mit zutreffenden Gründen hin. Der Gesetzgeber hat zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er ein bestimmtes Rechtsgut mit den Mitteln des Strafrechts schützen will. Den Gerichten ist es verwehrt, seine Entscheidung zu korrigieren oder aber - wie hier - noch nicht in Kraft getretenen Gesetzesentwürfen vorzugreifen (zur unzulässigen Rechtsfortbildung vgl. BVerfGE 34, 269 <287, 291>; 56, 99 <107 ff.>; 61, 68 <72 f.>; 65, 182 <190 ff.>; 69, 315 <371 f.>; 82, 6 <11 ff.>). Dies gilt selbst dann, wenn der Rechtsgutschutz lückenhaft erscheint. Auch die Entscheidung, ob er eine Regelungslücke bestehen lassen oder schließen will, hat der Gesetzgeber zu treffen (vgl. BVerfGE 92, 1 <13>).
b) Die Entscheidung des Landgerichts ist insgesamt nicht nachvollziehbar begründet und daher objektiv willkürlich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht bei einer den Maßstäben des Art. 3 Abs. 1 GG genügenden Begründung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
3. Da die Verfassungsbeschwerde schon wegen der Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG begründet ist, bedarf es nicht der Entscheidung, ob der angegriffene Beschluss darüber hinaus einen Verstoß gegen den Anspruch der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) deshalb enthält, weil das Landgericht nicht auf die Argumentation der Beschwerdeführer eingegangen ist, es handele sich um verschiedene Beschuldigte, gegen die unterschiedliche Tatvorwürfe erhoben würden.
Sollte das Landgericht bei seiner erneuten Entscheidung an seiner Rechtsauffassung zur Schutzgesetzeigenschaft von § 15 WpHG und § 88 BörsG festhalten oder - trotz der Ausführungen der Staatsanwaltschaft zum derzeitigen Ermittlungsstand im Schreiben vom 26. August 2002 - zu dem von den Antragstellern vertretenen Ergebnis gelangen, dass andere, im angegriffenen Beschluss nicht erörterte, Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB oder ein zivilrechtlicher Anspruch nach § 826 BGB zu Gunsten der Antragsteller in Betracht kämen, so wird es bei der nach § 406 e Abs. 1 Satz 1 StPO vorzunehmenden Prüfung eines berechtigten Interesses der Antragsteller den genannten Vortrag zu erwägen und gegebenenfalls darzulegen haben, warum eine unterschiedliche Behandlung hier aus tatsächlichen oder rechtlichen Erwägungen nicht in Betracht kommt.
Des Weiteren wird das Gericht in die nach § 406 e Abs. 2 StPO vorzunehmende sorgfältige Abwägung aller entscheidungserheblichen Umstände nicht nur den derzeitigen Ermittlungsstand, wie er sich aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 26. August 2002 ergibt, einzustellen haben (vgl. hierzu Kurth, in: Heidelberger Kommentar, StPO, 3. Auflage, § 406 e Rn. 8), sondern auch die bislang im angegriffenen Beschluss unterlassene Überlegung, ob Gründe der Verhältnismäßigkeit es gebieten, als milderes Mittel zur Gewährung von Akteneinsicht in sämtliche Verfahrensunterlagen nur eine auszugsweise Akteneinsicht oder die Einsicht in anonymisierte Unterlagen zu bewilligen.
V.
Die angegriffene Entscheidung war gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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