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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 03.06.2005
Aktenzeichen: 2 BvR 760/05
Rechtsgebiete: BVerfGG, StPO


Vorschriften:

BVerfGG § 23 Abs. 1 Satz 2
BVerfGG § 92
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
BVerfGG § 93b
StPO § 345 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 760/05 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 3. Mai 2005 - 1 Ws 153/05 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Hildesheim vom 10. März 2005 - 16 KLs 993b Js 59653/00 -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 3. Juni 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Sie ist unzulässig, weil sie nicht den Begründungsanforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG entspricht.

1. a) Soweit die Beschwerdeführer ihr Recht auf ein faires Verfahren dadurch verletzt sehen, dass die Mitglieder der Strafkammer für das vorliegende Verfahren freigestellt waren und für die Absetzung des schriftlichen Urteils einen Zeitraum von zehn Monaten zur Verfügung hatten, während die Strafverteidiger noch nicht einmal die Revisionsbegründungsfrist ausschöpfen könnten, weil sie auch noch in anderen Verfahren tätig seien, handelt es sich nicht um ein verfassungsrechtlich beachtliches Argument, denn die Schwerpunktbildung in der anwaltlichen Tätigkeit ist in die Verantwortung des einzelnen Strafverteidigers gestellt.

b) Die Rüge, die Übersendung der Übersetzung des Urteils sei zeitgleich mit der Zustellung des Urteils und der dadurch ausgelösten Revisionsbegründungsfrist unter Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren abgelehnt worden, und deshalb hätten Fragen des ukrainischen Rechts, insbesondere Fragen des ukrainischen Zivilrechts, nicht zwischen den Beschwerdeführern und ihren Verfahrensbevollmächtigten erörtert werden können, ist nicht hinreichend substantiiert erhoben. Es fehlen jegliche Ausführungen dazu, weshalb der ausländische Rechtskreis für die Bewertung der Handlungen als Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) nach deutschem Recht von Bedeutung sein soll. Das Vorbringen verdeutlicht nicht, weshalb die Beschwerdeführer oder ihre Rechtsanwälte aus diesem Grunde zur Wahrung ihrer Verteidigungsinteressen auf die Übersetzung der schriftlichen Urteilsgründe angewiesen sein sollten (vgl. Gollwitzer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 2005, Rn. 243 zu Art. 6 MRK). Offen bleibt ebenso, ob diese Rechtsfragen nicht bereits in der Hauptverhandlung oder der mündlichen Urteilsbegründung angesprochen wurden und somit einer die Revision vorbereitenden Erörterung zwischen den Beschwerdeführern und ihren Strafverteidigern zugänglich waren oder sind.

c) Soweit die Beschwerdeführer einen Verstoß gegen ihr Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Strafverfahren darin erblicken, dass eine Teilübersetzung des Urteils in der zur Verfügung stehenden Frist nicht möglich sei, ist das Vorbringen der Beschwerdeführer ebenfalls unsubstantiiert; die von ihnen genannten Zeiträume für das Durcharbeiten des Urteils und das Anfertigen einer Übersetzung sind vor einer Zustellung des Urteils bloße Vermutungen.

2. Im Übrigen ist eine Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführer nicht ersichtlich.

a) Es verletzt nicht das Recht der Beschwerdeführer auf ein faires Strafverfahren, wenn der Bundesgerichtshof über ihre Revision entschiede, ohne dass ihnen zuvor das schriftlich abgefasste Strafurteil in einer ihnen verständlichen Sprache mitgeteilt worden wäre. Eine nach Erschöpfung des Rechtswegs gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus diesem Grunde zulässig erhobene Verfassungsbeschwerde wäre jedenfalls unbegründet. Für den hier gegebenen Fall eines Angeklagten, der durch einen Rechtsanwalt verteidigt wird und über diesen Revision eingelegt hat, ist anerkannt, dass sich dem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren kein Anspruch des Angeklagten darauf entnehmen lässt, dass ihm das Gericht das schriftlich niedergelegte Urteil für die Zwecke der Revisionsbegründung in einer Übersetzung in eine ihm verständliche Sprache mitteilt (vgl. BVerfGE 64, 135 <143>).

b) Eine effektive Verteidigung des Angeklagten wird auch in der Revisionsinstanz dadurch ausreichend gewährleistet, dass der für die Revisionsbegründung verantwortliche Rechtsanwalt das schriftliche Urteil kennt. Er ist zur Rechtfertigung der Revision berufen und verpflichtet; auf rechtliche Hinweise des Angeklagten ist er nicht angewiesen. Soweit sich aufgrund der schriftlich niedergelegten Urteilsgründe eine Kommunikation mit dem Angeklagten zur sachgemäßen Interessenwahrnehmung als notwendig erweisen sollte, liegt es maßgeblich in der Verantwortung des Rechtsanwalts, in welchem Umfang er über einen Dolmetscher eine Verständigung herbeiführt. Hierbei mag es ausnahmsweise sinnvoll sein, einen Teil der Urteilsgründe zu übersetzen, wenn eine sinnvolle, die Begründung der Revision fördernde Kommunikation mit dem Angeklagten anders nicht möglich ist (BVerfG, a.a.O., <155>).

c) Die Vorstellung, es bedürfe deswegen der schriftlichen Übersetzung des angefochtenen Urteils, weil der rechtskundige Verteidiger seiner Aufgabe, die Revision sachgerecht zu begründen, nicht gewachsen sein könnte, wenn nicht der regelmäßig rechtsunkundige Angeklagte in den Stand gesetzt werde, von sich aus aufgrund eigener Kenntnis der Urteilsgründe Hilfen anzubieten, entbehrt auch im vorliegenden Fall ersichtlich der Grundlage (vgl. BVerfG, a.a.O.). Die Verfassungsbeschwerde verkennt die Rolle des Verteidigers in der Revision, wenn sie vorträgt, die Beschwerdeführer bestimmten allein, ob und in welchem Umfang eine Revisionsbegründung erstellt werden soll. Nicht die Beschwerdeführer haben unter Zuhilfenahme der Verteidiger die Revisionsbegründung zu verfassen, sondern die Verteidiger haben diese im Rahmen des Mandatsverhältnisses gegebenenfalls in Rücksprache auch über Grenzen des Vorbringens mit den Mandanten zu erstellen.

d) Die Übersetzung ist schließlich auch nicht deswegen geboten, weil der Angeklagte neben seinem Verteidiger die Revision selbst zu Protokoll der Geschäftsstelle begründen kann. Rechtsstaatlichen Anforderungen ist genügt, wenn der rechtskundige Verteidiger in den Stand gesetzt ist, für den Angeklagten und in Verbindung mit ihm die rechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils zu veranlassen, ohne hierbei rechtsstaatswidrige Behinderungen überwinden zu müssen (BVerfG, a.a.O., <155 f.>). Es bleibt den Beschwerdeführern überlassen, ob sie eine Übersetzung anfertigen lassen, um auf dieser Grundlage eine selbständige Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle zu geben (§ 345 Abs. 2 StPO).

3. Nach alledem können Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte der Beschwerdeführer auch nicht dadurch verletzt sein, dass die Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO auch dann zu laufen beginnt, wenn das Urteil nicht in übersetzter Form zugestellt wird.

4. Mit der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

5. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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