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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 23.06.1999
Aktenzeichen: 2 BvR 762/98
Rechtsgebiete: VOB/B, BGB, ZPO, BVerfGG
Vorschriften:
VOB/B § 13 | |
BGB § 273 | |
ZPO § 139 | |
ZPO § 519 Abs. 3 | |
ZPO § 520 Abs. 2 Satz 2 | |
ZPO § 277 | |
BVerfGG § 93a Abs. 2 Buchstabe b | |
BVerfGG § 93c Abs. 1 | |
BVerfGG § 34a Abs. 2 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 762/98 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über die Verfassungsbeschwerde
der Frau O. - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Edwin J. Bulach, Talamtstraße 6, Halle -
gegen
das Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom 26. März 1998 - 4 U 1983/97 -
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Jentsch, Hassemer
am 23. Juni 1999 einstimmig beschlossen:
Das Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom 26. März 1998 - 4 U 1983/97 - verletzt Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Das Land Sachsen-Anhalt hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Gewährung rechtlichen Gehörs im Berufungsverfahren.
1. An dem Neubau eines Wohnhauses der Beschwerdeführerin führte die Klägerin des Ausgangsverfahrens auf der Grundlage zweier Bauverträge Glaserarbeiten, den Einbau von Haustüren und Fenstersimsen sowie Rolladenarbeiten aus. Die Wohnungen wurden im März 1995 bezogen. Im darauffolgenden Monat rügte die Beschwerdeführerin gegenüber der Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Werkleistung sei in bestimmten Punkten mangelhaft. Daraufhin führte die Klägerin des Ausgangsverfahrens im Juli 1995 Nachbesserungsarbeiten durch. Im November des gleichen Jahres erstellte die Klägerin des Ausgangsverfahrens eine Schlußrechnung, in der die bis dahin gestellten Teilrechnungen sowie die darauf geleisteten Abschlagszahlungen aufgelistet wurden. Die Rechnung wies einen noch offenen Restbetrag in Höhe von 12.784,57 DM auf.
Auf die Zahlung dieses Rechnungsbetrages richtete sich die Klage im Ausgangsverfahren. Die Beschwerdeführerin trat der Klage im wesentlichen mit dem Vorbringen entgegen, es liege weder eine prüfbare Schlußrechnung noch eine Abnahme vor und die Werkleistung sei in vielfacher Hinsicht mangelhaft. Das Landgericht Halle wies die Klage durch Teilurteil vom 22. Oktober 1997 in Höhe von 6.315,97 DM ab mit der Begründung, daß der Restwerklohn in dieser Höhe mangels einer prüffähigen Schlußrechnung nicht fällig sei. Das Verfahren betreffend die übrige Klageforderung ist noch beim Landgericht Halle anhängig, das diesbezüglich Beweis erhoben hat über die von der Beschwerdeführerin behauptete Mangelhaftigkeit der Leistung.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens legte gegen das Teilurteil Berufung ein. Das Vorbringen der Parteien im Berufungsverfahren betraf allein die Frage des Vorliegens einer prüffähigen Schlußrechnung. Durch das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Urteil vom 26. März 1998 verurteilte das Oberlandesgericht Naumburg die Beschwerdeführerin unter Abänderung des erstinstanzlichen Teilurteils zur Zahlung des darin abgeurteilten Werklohns in Höhe von 6.315,97 DM. In den Entscheidungsgründen führt es aus: Die Leistungen seien erbracht worden und gälten gemäß Nr. 12.2 der zusätzlichen Vertragsbedingungen als abgenommen, da die damit errichteten Wohnungen im März 1995 bezogen worden seien und erst danach die erste Mängelrüge erhoben worden sei. Die erstellten Teilrechnungen seien in ihrer Gesamtheit als prüfbare Schlußrechnung anzusehen, so daß es auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin gegen die Prüffähigkeit der nachfolgend unter der Bezeichnung "Schlußrechnung" übersandten Aufstellung nicht ankomme. Gegenrechte gemäß § 13 VOB/B, insbesondere auf Mängelbeseitigung, habe die Beschwerdeführerin nicht hinreichend dargelegt. Ihre ursprüngliche Mängelrüge habe unstreitig zu Nachbesserungsarbeiten geführt. Die unsubstantiierte Erklärung, die Mängel seien nach wie vor vorhanden, sei angesichts dieses Umstandes nicht ausreichend.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Anspruches auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, da ihr Vortrag und ihre Beweisanträge zur Mangelhaftigkeit der Werkleistung nicht hinreichend berücksichtigt worden seien. Sie habe im erstinstanzlichen Verfahren dargelegt, daß mit Datum vom 24. April 1995 eine detaillierte Mängelrüge hinsichtlich des Auftrags Haustüren- und Rolladenarbeiten sowie Fenstersimse erfolgt sei. Ferner habe sie vorgetragen, daß durch die Reparaturen seitens der Klägerin zwar eine Funktionsfähigkeit in beschränktem Umfang hergestellt, keinesfalls aber der Mangel beseitigt worden sei. Im folgenden habe sie die weiterhin bestehenden Mängel der Rolladenarbeiten sowie der Haustüranlage unter Beweisantritt aufgeführt. Das Oberlandesgericht habe auch zu Unrecht ihren Vortrag hinsichtlich der Mängel der Glaserarbeiten außer acht gelassen, die Gegenstand der Beweiserhebung im noch beim Landgericht anhängigen Teil des Rechtsstreits seien. Dieser Vortrag sei für die Durchsetzbarkeit der hier streitgegenständlichen Ansprüche aus dem Werkvertrag Haustüren, Fenstersims- und Rolladenarbeiten ebenfalls rechtlich relevant, da ein einheitliches Rechtsverhältnis vorliege und im erstinstanzlichen Verfahren vorsorglich die Einrede des Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB erhoben worden sei. Mit diesem Vortrag habe sie ihrer Substantiierungspflicht genügt; jedenfalls hätte das Oberlandesgericht sie gemäß § 139 ZPO darüber aufklären müssen, wenn es eine weitere Spezifizierung des Vorbringens für erforderlich gehalten hätte.
3. Das Justizministerium des Landes Sachsen-Anhalt hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Klägerin und Berufungsklägerin des Ausgangsverfahrens hat sich ebenfalls nicht zur Verfassungsbeschwerde geäußert.
Der Bundesgerichtshof hat auf Anfrage wie folgt Stellung genommen: Der Bundesgerichtshof wende § 519 Abs. 3 ZPO auf das Vorbringen des Berufungsbeklagten nicht an. Nach der Rechtsprechung des Hauses genüge die pauschale Bezugnahme des Berufungsbeklagten auf erstinstanzliches Vorbringen, auf das es aus der Sicht des Erstrichters nicht angekommen sei, um dieses Vorbringen zum Gegenstand des Berufungsverfahrens zu machen. Selbst eine pauschale Bezugnahme dürfte jedoch nicht zu fordern sein, wenn aus dem Gesamtzusammenhang des Verhaltens des Berufungsbeklagten ersichtlich sei, daß sein bisheriger Vortrag (zur hilfsweisen Verteidigung) nicht fallengelassen worden sei.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. insbesondere BVerfGE 11, 218 <220>; 47, 182 <187>; 83, 24 <35>; 86, 133 <146>; 96, 205 <216>).
1. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Urteilsfindung in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 11, 218 <220>; 83, 24 <35>; stRspr). Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen nicht jedes Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann nur dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles ergibt, daß das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfGE 47, 182 <187>; 86, 133 <146>; 96, 205 <216 f.>; stRspr).
Solche Umstände liegen hier vor. Das Oberlandesgericht stützt seine Feststellung, die Beschwerdeführerin habe Gegenrechte nach § 13 VOB/B, insbesondere auf Mängelbeseitigung, nicht hinreichend dargelegt, darauf, daß Nachbesserungsarbeiten stattgefunden hätten und die unsubstantiierte Erklärung der Beschwerdeführerin, die Mängel seien nach wie vor vorhanden, nicht ausreichend sei. Hieraus wird klar erkennbar, daß das Berufungsgericht das Vorbringen der Beschwerdeführerin in dem im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Schriftsatz vom 24. Juli 1997 auf S. 5 f. außer acht gelassen hat. Dort stellte die Beschwerdeführerin weiterhin bestehende Mängel im einzelnen dar und trat hierfür Beweis an. Dafür, daß das Gericht auch diesen Sachvortrag für nicht ausreichend substantiiert gehalten habe, liegen keine Anhaltspunkte vor.
Art. 103 Abs. 1 GG gewährt allerdings keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (vgl. BVerfGE 21, 191 <194>; 46, 315 <319>; 51, 188 <191>; 62, 249 <254>; 96, 205 <216>; stRspr). Solche Gründe sind vorliegend nicht ersichtlich. Das Berufungsgericht geht, indem es den einen Teil des allein im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemachten Verteidigungsvorbringens in seiner Entscheidung verwertet, erkennbar davon aus, daß dieses nicht aus formellen Gründen im Berufungsverfahren unberücksichtigt zu lassen ist. Das Berufungsgericht ist an der Berücksichtigung des allein in der ersten Instanz eingeführten Sachvortrags auch nicht aus Rechtsgründen gehindert. Eine Regelung, die es dem Berufungsbeklagten auferlegte, erstinstanzliches Vorbringen zu wiederholen oder jedenfalls in Bezug zu nehmen, existiert - anders als für den Berufungskläger, § 519 Abs. 3 ZPO - nicht. Dem Berufungsbeklagten obliegt es gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 277 ZPO nur, seine Verteidigungsmittel insoweit vorzubringen, als es nach der Prozeßlage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozeßführung entspricht. Danach darf er sich in erster Linie darauf beschränken, die zu seinen Gunsten ergangene Entscheidung zu verteidigen und neue Angriffsmittel des Berufungsbeklagten abzuwehren (vgl. BGH, NJW 1982, S. 581 <582>).
Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Oberlandesgericht hinsichtlich der entscheidungserheblichen Frage einer Mangelhaftigkeit der Werkleistung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es das Vorbringen der Beschwerdeführerin berücksichtigt und - eventuell nach einem Hinweis zur Notwendigkeit weiterer Substantiierung - eine Beweisaufnahme durchgeführt hätte. Damit beruht die Entscheidung auch auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs.
2. Gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG sind der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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