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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 08.06.2004
Aktenzeichen: 2 BvR 785/04
(1)
Rechtsgebiete: GG
Vorschriften:
GG Art. 1 Abs. 1 | |
GG Art. 2 Abs. 2 Satz 1 | |
GG Art. 6 Abs. 1 | |
GG Art. 6 Abs. 4 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 785/04 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
gegen die Ladung der Großen Strafkammer 19 des Landgerichts Hamburg zur Hauptverhandlung am 10. Mai 2004 sowie zahlreichen und über den errechneten Geburtstermin hinausreichenden Fortsetzungsterminen in der Strafsache 619 Kls 3/04, die Versagung der Abtrennung des Strafverfahrens und der vorläufigen Verfahrenseinstellung
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 8. Juni 2004 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Freie und Hansestadt Hamburg hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerde-Verfahren zu erstatten.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Berücksichtigung einer Risikoschwangerschaft bei der Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit.
I.
1. Vor dem Landgericht ist ein Strafverfahren gegen die Beschwerdeführerin und drei weitere Angeklagte unter anderem wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen und wegen Geldwäsche in drei Fällen anhängig. Der geständigen und auf freiem Fuß befindlichen Beschwerdeführerin werden die Beteiligung an einer Betäubungsmitteltat und drei Vergehen der Geldwäsche zur Last gelegt. Die Mitangeklagten haben von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Sie befanden sich jedenfalls bis zum 17. Mai 2004 in der seit 24. Oktober 2003 vollzogenen Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft hatte das Ermittlungsverfahren gegen die Beschwerdeführerin zunächst getrennt geführt, die Verfahren bei Abschluss des Ermittlungsverfahrens aber wegen Sachzusammenhangs verbunden und einheitlich Anklage zum Landgericht erhoben.
a) Schon im Zwischenverfahren beantragte die Beschwerdeführerin unter Vorlage eines ärztlichen Attests ihres Gynäkologen die Abtrennung des gegen sie geführten Verfahrens und seine vorläufige Einstellung gemäß § 205 StPO. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor, dass sie sich in der 27. Woche einer "Risikoschwangerschaft" befinde. Sie habe bisher drei Kinder zur Welt gebracht, die sämtlich zu früh geboren worden seien; ihr zuletzt (im Jahr 2003) geborenes Kind sei im Alter von drei Monaten einem Nierenversagen erlegen. Seit Februar habe Wehentätigkeit eingesetzt, die medikamentös behandelt werde. Bei dieser Sachlage bedeute die Teilnahme an einer Hauptverhandlung eine unverhältnismäßige Gefährdung der Gesundheit der werdenden Mutter und des ungeborenen Kindes, die durch die Hinzuziehung eines Arztes während der Hauptverhandlung und eine zeitlich schonende Verhandlungsführung nicht aufgefangen werden könne. Die verfassungsrechtliche Pflicht zur Gewährleistung einer wirksamen Strafrechtspflege rechtfertige die Durchführung der Hauptverhandlung nicht, weil die zu befürchtenden Schäden für Mutter und Kind überwögen, zumal das Kind im Falle einer vorzeitig durch die Strapazen einer Hauptverhandlung ausgelösten Geburt wahrscheinlich nicht überlebensfähig sei oder zumindest bleibende Schäden davontragen könne. Die Hauptverhandlung könne gefahrlos nach der Geburt des Kindes durchgeführt werden.
b) Die Strafkammer holte ein Sachverständigengutachten zur Frage der Verhandlungsfähigkeit ein, das auf der Grundlage einer Untersuchung der Beschwerdeführerin am 19. April 2004 zu folgendem Ergebnis kam:
"In der Gesamtbeurteilung der geburtshilflichen Situation ergibt sich somit, daß bei der Patientin eine Risikoschwangerschaft vorliegt. Sie ist Zustand nach drei mal Frühgeburten in früheren Schwangerschaftszeiten. In der jetzigen Schwangerschaft besteht ebenfalls eine deutliche Cervixverkürzung und die Gefahr einer Muttermundseröffnung in der 33. Schwangerschaftswoche.
Aus medizinischer Sicht ist deshalb der Patientin eine stationäre Aufnahme mit entsprechender Beobachtung angeraten worden. Dies impliziert, daß (der) Patientin absolute Ruhe, überwiegend im liegenden Zustand, ggf. unterstützt mit wehenhemmenden Mitteln, anzuraten ist. Demzufolge ist eine gerichtliche Verhandlungsfähigkeit aus medizinischer Sicht nicht gegeben, da durch die entstehenden Stressmomente vorzeitige Wehentätigkeit und damit die Frühgeburt gefördert wird."
Nach der Unterschrift des Sachverständigen enthält das Gutachten das Postskriptum:
"Eine Verhandlungsfähigkeit besteht ab der 36. + 4. Schwangerschaftswoche, also ab dem 10. Mai".
c) Der Vorsitzende der Strafkammer hob die ursprünglich auf den 22. April 2004 anberaumte Hauptverhandlung auf und bestimmte neuen Termin auf den 10. Mai 2004 mit Fortsetzungsterminen bis einschließlich 16. Juni 2004 und damit über den errechneten Geburtstermin hinaus.
d) Die Verteidigerin der Beschwerdeführerin erhob gegen die Ladungsverfügung und die Ablehnung der Abtrennung und vorläufigen Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 205 StPO Gegenvorstellung, mit der sie vortrug, dass die vorgesehene Verfahrensweise der Strafkammer gegen den Grundsatz fairen Verfahrens verstoße und ihrer Mandantin den verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 4 GG verweigere. Zu dem geplanten Hauptverhandlungstermin am 10. Mai 2004 werde ihre Mandantin etwa vier Wochen vor dem geplanten Geburtstermin stehen; sie bedürfe deshalb des besonderen Schutzes durch den Staat.
e) Im Rahmen einer Entscheidung über die Haftfortdauer bezüglich der drei Mitangeklagten lehnte die Strafkammer die beantragte Abtrennung des Verfahrens und Einstellung gemäß § 205 StPO ab. Eine Abtrennung des Verfahrens komme nicht in Betracht; die Verbindung der Verfahren sei sachgerecht, weil es sich um eine zusammenhängende Strafsache handele. Die Beschwerdeführerin sei geständig und habe auch Angaben zu den Mitangeklagten gemacht. Eine Aufsplitterung des Verfahrens würde zu erheblichen Nachteilen führen, weil die Hauptverhandlung gegen die Beschwerdeführerin zu einem späteren Zeitpunkt, möglicherweise noch parallel zu der Verhandlung gegen die Mitangeklagten, durchgeführt werden müsse; eine umfangreiche und schwierige Hauptverhandlung müsse wiederholt werden; auch die Wahrheitsfindung könne beeinträchtigt werden; es bestünde "sogar die Gefahr abweichender Tatsachenfeststellungen und unterschiedlicher rechtlicher Beurteilungen des gleichen Lebenssachverhalts". Dieser Gefahr könne auch nicht dadurch begegnet werden, dass die Beschwerdeführerin in der Hauptverhandlung gegen die drei Mitangeklagten als Zeugin vernommen werde, weil sie sich möglicherweise auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO, jedenfalls aber auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen könne.
2. a) Mit ihrer fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und trägt im Wesentlichen vor:
Die Ladung zur Hauptverhandlung und die Ablehnung der Abtrennung des gegen sie geführten Verfahrens und der vorläufigen Verfahrenseinstellung nach § 205 StPO wegen vorübergehender Verhandlungsunfähigkeit verletzten Art. 6 Abs. 4 GG. Ein Eingriff in den Schutzbereich dieser Grundrechtsgarantie liege jedenfalls vor, wenn eine staatliche Maßnahme Leib und Leben des ungeborenen Kindes gefährde. So liege es hier: Das gynäkologische Sachverständigengutachten stelle einen deutlich pathologischen Befund des Kindes (beginnende Kopf-Thorax-Diskrepanz) fest, der ärztlicher Überwachung bedürfe. Daher sei die vom Sachverständigen in ein Postskriptum gefasste Aussage, ab dem 10. Mai 2004 bestehe Verhandlungsfähigkeit, nicht nachvollziehbar; eine mögliche Erklärung liege darin, dass ein nach der 37. Schwangerschaftswoche geborenes Kind nicht mehr als Frühgeburt gelte. Damit sei aber noch keine Aussage darüber getroffen, ob das Kind unter den Bedingungen einer Hauptverhandlung lebend zur Welt kommen werde. Die vom Sachverständigen festgestellte Wachstumsretardierung weise darauf hin, dass das Kind durch die Plazenta nicht mehr ausreichend versorgt werde. Mit fortschreitender Schwangerschaft steige das Risiko eines intrauterinen Kindstods, ohne dass dies ohne weiteres erkennbar sei.
Die Entscheidung der Kammer, die die Beschwerdeführerin als werdende Mutter einem solchen Risiko aussetze und allein auf das Risiko einer Frühgeburt abstelle, negiere den durch Art. 6 Abs. 4 GG verbürgten Schutzanspruch. Die verfassungsrechtliche Pflicht zur Gewährleistung einer effektiven Strafrechtspflege fordere die Durchführung der Hauptverhandlung zum geplanten Zeitpunkt nicht; ihr könne ohne weiteres mit einer Hauptverhandlung nach der Geburt des Kindes Genüge getan werden. Mögliche prozessökonomische Nachteile seien - wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter - hinzunehmen, zumal auch Strafverfahren gegen andere Tatbeteiligte getrennt geführt und verhandelt würden. Die Beschwerdeführerin stehe zum Zeitpunkt des Beginns der Hauptverhandlung etwa vier Wochen vor dem geplanten Geburtstermin und wäre als Arbeitnehmerin durch ein absolutes Beschäftigungsverbot geschützt. Auch wenn die Vorschriften des Mutterschutzgesetzes keine unmittelbare Anwendung finden könnten, dürfe eine schwangere Angeklagte im Strafverfahren nicht gänzlich schutzlos gestellt werden.
Darüber hinaus erweise sich die Entscheidung der Strafkammer als unverhältnismäßig und willkürlich, weil völlig offen sei, wie die Verhandlung durchgeführt werden solle und ob die Beschwerdeführerin an ihr überhaupt bis zum Ende werde teilnehmen können. Es sei insbesondere unzumutbar, sie über den geplanten Geburtstermin hinaus zur Teilnahme an einer Hauptverhandlung zu verpflichten, die gerade in diesem Zeitraum besonders intensiv (ganztägige Verhandlungen) geführt werden solle. Die Erwägung der Kammer, wonach die Beschwerdeführerin in einer Unterbrechung der Hauptverhandlung ihr Kind zur Welt bringen und fortan mit dem Kind - unter Zubilligung von Stillpausen - an der Hauptverhandlung teilnehmen solle, sei nicht nur unpraktikabel, sondern zugleich ein unzumutbarer Eingriff in Art. 6 Abs. 4 GG. Bei der von der Strafkammer geplanten Verfahrensweise könne die Angeklagte sich nicht sachgerecht verteidigen.
3. Wegen der Eilbedürftigkeit hat das Bundesverfassungsgericht - ohne vorherige Anhörung - im Wege einer einstweiligen Anordnung vom 3. Mai 2004 die Strafkammer angewiesen, bis zur Entscheidung in der Hauptsache keine Hauptverhandlung gegen die Beschwerdeführerin durchzuführen.
4. Die Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg hat mit Schreiben vom 17. Mai 2004 im Anhörungsverfahrens zur Hauptsache mitgeteilt, dass die Strafkammer die Hauptverhandlungstermine abgesetzt und von einer Verfahrensabtrennung abgesehen habe. Im Übrigen hat das Land von einer Stellungnahme zur Hauptsache abgesehen.
5. Die Beschwerdeführerin hat am 26. Mai 2004 entbunden.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind beantwortet (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG); denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>). Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Terminsladung wendet, hat sich die Hauptsache erledigt (1.). Soweit sie sich gegen die Ablehnung der Verfahrensabtrennung richtet, ist die Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend substantiiert (2.).
1. Mit der Absetzung der ab dem 10. Mai 2004 anberaumten Hauptverhandlungstermine hat sich die Hauptsache erledigt. Das Beschwerdevorbringen richtete sich nicht gegen die Durchführung einer Hauptverhandlung überhaupt, sondern nur gegen die Durchführung einer mehrtägigen Hauptverhandlung, die vor dem berechneten Geburtstermin beginnt und über diesen hinausgeht. Mit der Aufhebung der Ladungsverfügung durch die Strafkammer ist der die Beschwerdeführerin belastende hoheitliche Akt weggefallen. Die Verfassungsbeschwerde ist daher unzulässig geworden. Ein Rechtschutzbedürfnis für eine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der erfolgten Sachbehandlung besteht nicht mehr. Nach der Absetzung der Hauptverhandlungstermine und der Geburt des Kindes sind Anhaltspunkte für die Gefahr einer Wiederholung der beanstandeten Verfahrensweise und eine weitere Beeinträchtigung nicht erkennbar. Die Berücksichtigung der durch eine Hauptverhandlung verursachten Gesundheitsgefährdung und eine darauf beruhende Verhandlungsunfähigkeit wirft keine neuen verfassungsrechtlichen Fragen grundsätzlicher Art auf (BVerfGE 51, 324).
2. Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen die Ablehnung der Verfahrensabtrennung richtet, entspricht sie nicht den Mindestanforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG. Die Beschwerdeführerin hat nicht dargelegt, inwieweit sie allein durch die fortbestehende Verfahrensverbindung in ihren Grundrechten verletzt sein könnte. Aus dem Beschwerdevortrag erhellt vielmehr, dass die Verfahrensabtrennung lediglich begehrt wurde, um - unabhängig von den Mitangeklagten, deren Verhandlung wegen der bereits über die Frist des § 121 StPO hinaus andauernden Untersuchungshaft zeitnah hätte erfolgen müssen - einen Hauptverhandlungstermin, der die Zeitspanne der Schwangerschaft und des voraussichtlichen Geburtstermins nicht mehr tangierte, ermöglichen zu können. Nachdem das Kind zwischenzeitlich zur Welt gekommen ist, ist das mit der begehrten Verfahrensabtrennung erstrebte Fernziel entfallen. Sonstige Umstände, die eine Verfahrensabtrennung von Verfassungs wegen geboten hätten, hat die Beschwerdeführerin nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.
III.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34 a Abs. 3 BVerfGG (vgl. BVerfGE 85, 109 <114>). Danach ist über die Erstattung der Auslagen der Beschwerdeführerin nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden. Dabei kommt insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zu (vgl. BVerfGE 85, 109 <114 f.>; 87, 394 <397>). Maßgeblich kann etwa sein, ob die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt beseitigt, ob eine Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde unterstellt werden kann oder ob die verfassungsrechtliche Lage - etwa durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem gleich liegenden Fall - bereits geklärt ist (vgl. BVerfGE 85, 109 <115 f.>).
1. Nach diesen Grundsätzen ist es im vorliegenden Fall billig, die Auslagenerstattung anzuordnen, weil die Verfassungsbeschwerde im Zeitpunkt ihrer Erhebung zulässig und begründet war und die Erledigung durch die Absetzung der angegriffenen Hauptverhandlungstermine eingetreten ist (vgl. BVerfGE 69, 161 <168>; 72, 34 <37>). Die Absetzung wiederum war durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz ausgelöst worden. Hätte das Bundesverfassungsgericht zu diesem frühen Zeitpunkt bereits in der Hauptsache entscheiden können, so hätte die Verfassungsbeschwerde weitgehend Erfolg gehabt.
2. Die durch die Strafkammer bestätigte Terminsbestimmung durch den Vorsitzenden verletzte die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil das Landgericht die Ausstrahlungswirkung des Art. 6 Abs. 4 GG grundlegend verkannt hatte.
a) Nach Art. 6 Abs. 4 GG hat jede, insbesondere jede werdende Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der staatlichen Gemeinschaft (vgl. BVerfGE 32, 273 <277>; 52, 357 <365>; 55, 154 <157>; 88, 203 <258>). Der Schutz des Art. 6 Abs. 4 GG erfasst Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit. Neben dem verbindlichen Verfassungsauftrag an den Gesetzgeber, der vor allem die Gewährung einer Schonzeit vor und nach der Geburt fordert (vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl. 2004, Art. 6, Rn. 50), ist die Verfassungsnorm Ausdruck einer verfassungsrechtlichen Wertentscheidung, die für den gesamten Bereich des öffentlichen und privaten Rechts verbindlich ist (vgl. BVerfGE 32, 273 <277>; 47, 1 <20>; 52, 357 <365>; zustimmend Schmitt-Kammler, in: Sachs, Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 6, Rn. 81).
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht bislang noch nicht entschieden, ob die Verfassungsnorm ein echtes Grundrecht enthält (vgl. Gröschner, in: Dreier, GG, 2. Aufl., Art. 6, Rn. 140, 143; befürwortend Pieroth, a.a.O., Rn. 44; Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, GG, 5. Aufl., Art. 6, Rn. 105; in diesem Sinne auch BVerwGE 47, 23 <27>). Diese Frage kann auch hier offen bleiben. Denn als Ausdruck einer grundlegenden Wertentscheidung fordert Art. 6 Abs. 4 GG Beachtung auch bei Auslegung und Anwendung einfachen Gesetzesrechts durch die Gerichte.
b) Die Terminsbestimmung zeigt, dass die Strafkammer der besonderen Schutzbedürftigkeit der Beschwerdeführerin angesichts des unmittelbar bevorstehenden Geburtstermins nicht Rechnung getragen hatte.
Die Ausführungen der Strafkammer in dem Haftfortdauerbeschluss, mit dem sie zugleich die Abtrennung des Verfahrens gegen die Beschwerdeführerin abgelehnt hatte, legen nahe, dass sie aus Gründen der Prozessökonomie und aus Furcht vor möglicherweise abweichenden Sachverhaltsfeststellungen an der Verfahrensverbindung festgehalten hat. Divergierende Sachverhaltsfeststellungen gehören freilich zum strafrichterlichen Alltag und sind in der Natur des Strafprozesses angelegt. Dem Bestreben, abweichende Feststellungen zu vermeiden, kommt daher gegenüber grundrechtlich geschützten Belangen der Angeklagten grundsätzlich kein Vorrang zu. Wenn die Strafkammer dessen ungeachtet von einer Verfahrensabtrennung abgesehen hat, hätte sie berücksichtigen müssen, dass eine zeitnahe Hauptverhandlung, welche wegen der bereits über die Frist des § 121 StPO hinaus andauernden Untersuchungshaft bezüglich der Mittäter nach Auffassung der Strafkammer erforderlich gewesen war, die schutzwürdigen Belange der Beschwerdeführerin beeinträchtigte. Dass die Strafkammer sich bei der unverzüglichen Terminierung der Hauptverhandlung dessen bewusst gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Schon die Terminierung der Hauptverhandlung gegen die Beschwerdeführerin hatte daher gegen Art. 6 Abs. 4 GG verstoßen.
c) Zudem hatte die Strafkammer bei der ihr von Amts wegen obliegenden Prüfung der Verhandlungsfähigkeit die besondere Situation der Beschwerdeführerin nicht bedacht und auch damit die Ausstrahlungswirkung des Art. 6 Abs. 4 GG und des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG missachtet:
(1) Nach der vom Bundesverfassungsgericht gebilligten Ansicht bedeutet Verhandlungsfähigkeit im strafprozessualen Sinne, dass die Angeklagte in der Lage sein muss, ihre Interessen innerhalb und außerhalb der Verhandlung vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen und Prozesserklärungen abzugeben und entgegen zu nehmen (vgl. Pfeiffer, in: Karlsruher-Kommentar, StPO, 5. Aufl., Einl., Rn. 126). Beurteilungsmaßstab ist dabei jeweils der konkret anstehende Verfahrensabschnitt mit seinen spezifischen Anforderungen an die physische und psychische Leistungsfähigkeit des Betroffenen (vgl. Rieß, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 205, Rn. 14, 15). Verhandlungsunfähigkeit liegt auch vor, wenn die Fortführung des Verfahrens mit einer konkreten Lebens- oder schwerwiegenden Gesundheitsgefährdung verbunden ist (vgl. BVerfGE 51, 324 <346 f.>).
(2) Hier hatte die Beschwerdeführerin im fachgerichtlichen Verfahren substantiiert vorgetragen, dass die Fortsetzung der Hauptverhandlung mit einer konkreten Gesundheitsgefahr für sie selbst und mit einer Gefährdung ihres ungeborenen Kindes verbunden und dass sie auf Grund der weit fortgeschrittenen Risikoschwangerschaft physisch und psychisch nicht in der Lage sei, sich in der bevorstehenden Hauptverhandlung angemessen zu verteidigen. Zur Bekräftigung ihres Vorbringens hatte sie sich auf ein wissenschaftliches Werk zur psychiatrischen Begutachtung berufen, das die Schwangerschaft im letzten Trimenon als Sonderfall der Verhandlungsfähigkeit abhandelt.
(3) Die Strafkammer hatte sich mit diesen konkreten und eine uneingeschränkte Verhandlungsfähigkeit in Frage stellenden Besonderheiten des Einzelfalls nicht auseinander gesetzt und damit die grundrechtlich geschützten Positionen der Beschwerdeführerin nicht hinreichend bedacht. Die im Postskriptum der sachverständigen Stellungnahme enthaltene Einschätzung war nicht geeignet, die Bejahung der Verhandlungsfähigkeit zu tragen. Ohne Angabe der medizinischen Anknüpfungstatsachen lässt sich diese Einschätzung nicht ohne weiteres mit dem sonstigen Ergebnis des Gutachtens vereinbaren, welches die Verhandlungsunfähigkeit feststellte und aus medizinischer Sicht absolute Ruhe für erforderlich hielt. Soweit das Landgericht davon ausgegangen sein sollte, dass nach dem im Postskriptum genannten Zeitraum eine durch die Anstrengung der Hauptverhandlung ausgelöste, vorzeitige Wehentätigkeit nicht mehr die Gefahr berge, dass das Kind deutlich zu früh zur Welt komme, hätte es einer Auseinandersetzung darüber bedurft, welche Auswirkungen die Anstrengungen der Hauptverhandlung im Übrigen auf die Gesundheit von Mutter und Kind hätten haben können. Es kann mithin nicht festgestellt werden, ob sich die Strafkammer darüber im Klaren war, dass das Rechtsstaatsprinzip einer Sachaufklärung und Strafverfolgung um jeden Preis entgegenstehen kann (vgl. BVerfGE 51, 324 <345>).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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