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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 08.12.2005
Aktenzeichen: 2 BvR 799/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 136 a
StPO § 338 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 799/05 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 8. Februar 2005 - 3 StR 452/04 -,

b) das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 5. Juli 2004 - 22 Kls 13/03 -

hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richter Di Fabio und Landau gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 8. Dezember 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor.

I.

1. Das Landgericht hat den Beschwerdeführer wegen eines Betäubungsmitteldeliktes zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt und seine Sicherungsverwahrung angeordnet. Mit seiner Revision hat der Beschwerdeführer u.a. folgendes Prozessgeschehen beanstandet:

Im Rahmen eines nach Beginn der Hauptverhandlung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung geführten Gesprächs über Möglichkeiten einer die Beweisaufnahme abkürzenden Verfahrenserledigung hatte der Vorsitzende mitgeteilt, dass bei einer geständigen Einlassung eine Obergrenze von zwölf Jahren Freiheitsstrafe in Aussicht gestellt werden könne, während bei streitiger Durchführung der Hauptverhandlung die - in der Anklageschrift nicht erwähnte - Anordnung von Sicherungsverwahrung "im Raum" stünde. Einen solchen Vorschlag nahm der Beschwerdeführer nicht an.

2. Auf Antrag des Generalbundesanwalts hat der Bundesgerichtshof die Revision des Beschwerdeführers verworfen (veröffentlicht in NStZ 2005, S. 526). Sollte der Vorsitzende versucht haben, die Sicherungsverwahrung zum Gegenstand einer Urteilsabsprache zu machen, so läge hierin zwar ein schwerwiegender Rechtsverstoß. Die vom Beschwerdeführer geäußerte Besorgnis, die Strafkammer könne im Anschluss in ihrer Entscheidung über die Anordnung nicht mehr frei gewesen sein, begründe aber keine den Bestand des Urteils gefährdende Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren. Insofern seien die Regeln über die Richterablehnung vorgreiflich. Die behaupteten Vorgänge hätten berechtigterweise Anlass zu einem Ablehnungsgesuch geben können, ein solches habe der Beschwerdeführer aber nicht gestellt. Im Übrigen lasse die Anordnung der Sicherungsverwahrung keinen Verstoß gegen sachliches Recht erkennen.

II.

Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung des Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung als Willkürverbot, die Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz sowie seines Anspruchs auf ein faires Verfahren. Der Bundesgerichtshof habe den Verfahrensverstoß perpetuiert und durch das Zulässigkeitserfordernis eines vorherigen Befangenheitsantrags sachwidrig und willkürlich den Zugang zum Rechtsmittelgericht erschwert.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.

1. Ein Verstoß gegen den Anspruch des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren liegt nicht vor, weil das angegriffene Urteil nicht auf der geltend gemachten Verfahrensverletzung beruht. Der Versuch, eine verfahrensbeendende Absprache zu treffen, schlug fehl. Zur Abgabe eines Geständnisses kam es nicht. Das Gericht hätte auch ohne den geltend gemachten Verfahrensverstoß untersuchen müssen, ob die Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungsverwahrung vorlagen. Ein Absehen von dieser Prüfung konnte der Beschwerdeführer nicht beanspruchen. Die Versagung eines unrechtmäßigen Vorteils begründet keine Rechtsverletzung.

2. Soweit der Beschwerdeführer in seiner Revisionsrüge auch beanstandet hatte, wegen ihres Verhaltens bei der versuchten Anbahnung der Absprache seien die Richter in ihrer Entscheidungsfindung innerlich nicht mehr frei gewesen, hat der Bundesgerichtshof in der Sache nicht entschieden. Grundrechte des Beschwerdeführers sind hierdurch aber nicht verletzt. Denn ein Verstoß gegen die insoweit vorrangig zu prüfende, aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie ist nicht gegeben.

a) Die Rechtsschutzgarantie gewährleistet nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offen steht, sondern garantiert auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 88, 118 <123>; 94, 166 <226>). Das Gericht darf ein von der Verfahrensordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leer laufen" lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 <99>; 96, 27 <39>). Das Rechtsstaatsgebot verbietet es dem Gericht, bei der Auslegung und Anwendung der verfahrensrechtlichen Vorschriften den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen von Voraussetzungen abhängig zu machen, die unerfüllbar oder unzumutbar sind oder den Zugang in einer Weise erschweren, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 63, 45 <70 f.>; 74, 228 <234>; 77, 275 <284>; 78, 88 <99>).

b) Hieran gemessen liegt kein Grundrechtsverstoß vor. Der Bundesgerichtshof hat das Revisionsvorbringen des Beschwerdeführers nicht sachwidrig verkürzt.

aa) Der Beschwerdeführer hat gerügt, die unfaire Verfahrensgestaltung habe Einfluss auf den Rechtsfolgenausspruch gehabt; das vorgetragene Prozessgeschehen habe eine innere Festlegung der Richter bedingt, weil sie sich durch das unrechtmäßige Verhalten im Rahmen der versuchten Absprache einem Erwartungsdruck ausgesetzt hätten, eine bestimmte Entscheidung zu treffen. Damit hat er der Sache nach eine Voreingenommenheit der erkennenden Richter beanstandet. Eine Befangenheit ist gegeben, wenn die innere Haltung eines Richters seine erforderliche Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit gegenüber den Verfahrensbeteiligten störend beeinflussen kann (vgl. BVerfGE 21, 139 <146>). Danach ist die Annahme des Bundesgerichtshofs, insoweit stellten die (über den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO gesicherten) strafprozessualen Regelungen über die Ablehnung von Richtern wegen der Besorgnis der Befangenheit den spezielleren Rechtsbehelf dar, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

bb) Die Möglichkeit, eine unfaire Verfahrensgestaltung einschließlich eines Verstoßes gegen § 136 a StPO zu rügen, wird damit nicht eingeschränkt. Ein Beschwerdeführer kann in diesen Fällen sowohl den Verfahrensverstoß unter dem Gesichtspunkt des § 337 StPO als auch, nach Anbringung eines Ablehnungsgesuchs in der Hauptverhandlung, die unzulässige Mitwirkung eines abgelehnten Richters nach § 338 Nr. 3 StPO geltend machen. Diese Möglichkeiten stehen selbständig nebeneinander: Im ersten Fall bedarf es eines vorangegangenen Ablehnungsgesuchs nicht. Will sich der Beschwerdeführer hingegen auf die fehlende Neutralität des Gerichts berufen, so hat dies, unabhängig von der gleichzeitigen Rüge eines aus dem beanstandeten Verhalten folgenden (durchgreifenden) Verfahrensverstoßes, unter den Voraussetzungen des § 338 Nr. 3 StPO zu geschehen. Hat es der Beschwerdeführer dagegen, wie hier, versäumt, einen Befangenheitsantrag zu stellen, so kann er die richterliche Voreingenommenheit nicht noch im Gewande einer allgemeinen Revisionsrüge geltend machen. Die speziell auf diese Fälle zugeschnittene Rügemöglichkeit nach § 338 Nr. 3 StPO würde sonst ihres selbständigen Anwendungsbereichs beraubt. Zugleich liefen die Regelungen der §§ 24 ff. StPO leer, welche eine schnelle und umfassende Aufklärung des tatsächlichen Geschehens ermöglichen und wegen der größeren Beweisnähe gegenüber nachträglichen Ermittlungen im Revisionsverfahren eine zuverlässigere Entscheidungsgrundlage gewährleisten sollen.

cc) Da sich die jeweiligen Zielrichtungen der Rügen hinreichend klar abgrenzen lassen, sind Rechtsschutzlücken nicht zu besorgen. Zudem gewährt das Instrument der Richterablehnung dem Angeklagten einen umfassenden Schutz gegen richterliche Handlungen, die von Parteilichkeit gekennzeichnet sind, zumal es insoweit nicht auf den schwerlich zu erbringenden Nachweis einer Voreingenommenheit, sondern lediglich auf die bloße Besorgnis der Befangenheit ankommt.

dd) Schließlich waren die vom Bundesgerichtshof verlangten Zulässigkeitserfordernisse für den Beschwerdeführer sowohl vorhersehbar als auch in zumutbarer Weise erfüllbar.

3. Danach scheidet auch eine Verletzung des nachrangig zu prüfenden Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) aus. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) ist ebenfalls nicht gegeben.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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