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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 13.04.1999
Aktenzeichen: 2 BvR 827/98
Rechtsgebiete: BVerfGG, StVollzG
Vorschriften:
BVerfGG § 93c | |
BVerfGG § 93a | |
BVerfGG § 93b | |
BVerfGG § 93a Abs. 2 Buchstabe b | |
BVerfGG § 93c Abs. 1 | |
BVerfGG § 95 Abs. 2 | |
BVerfGG § 93d Abs. 1 Satz 3 | |
BVerfGG § 34a Abs. 2 und 3 | |
StVollzG § 89 | |
StVollzG § 88 | |
StVollzG § 4 Abs. 2 | |
StVollzG § 81 Abs. 2 | |
StVollzG § 109 | |
StVollzG § 88 Abs. 1 | |
StVollzG § 108 | |
StVollzG § 85 | |
StVollzG § 88 Abs. 5 | |
StVollzG § 89 Abs. 1 | |
StVollzG § 82 Abs. 2 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 827/98 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über die Verfassungsbeschwerde des Herrn S...
gegen
a) den Beschluß des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 20. April 1998 - 2 VollzWs 131/98 -,
b) den Beschluß des Landgerichts Lübeck vom 18. Februar 1998 - 5 b StVK 240/97 -,
c) den Bescheid des Ministeriums für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein vom 4. November 1997 - II 210b/4514 E - 166/97 -,
d) die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt Lübeck vom 24. Juli 1997
und
Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Winter, Hassemer gemäß § 93c in Verbindung mit §§ 93a, 93b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 13. April 1999 einstimmig beschlossen:
1. Der Beschluß des Landgerichts Lübeck vom 18. Februar 1998 - 5 b StVK 240/97 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben.
Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Beschluß des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 20. April 1998 - 2 VollzWs 131/98 - ist damit gegenstandslos. Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
3. Das Land Schleswig-Holstein hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) bei der Aufrechterhaltung von Einzelhaft (§ 89 StVollzG) und besonderen Sicherungsmaßnahmen (§ 88 StVollzG) über einen längeren Zeitraum.
I.
Der Beschwerdeführer ist Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt Lübeck. Er verbüßt langjährige Freiheitsstrafen mit anschließender Sicherungsverwahrung. Zwei-Drittel-Zeitpunkt ist der 2. Januar 2003, das Strafende ist auf den 14. Juli 2009 notiert.
1. Zwischen 1991 und 1995 versuchte der Beschwerdeführer mehrfach, aus der Haft zu fliehen, oder traf Vorbereitungen hierzu. Wegen eines mit einem Mitgefangenen unternommenen Ausbruchsversuchs wurde er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren wegen Gefangenenmeuterei in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung verurteilt.
Aufgrund der Fluchtgefahr wurden gegen den Beschwerdeführer in wechselndem Umfang allgemeine und besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet (vgl. §§ 4 Abs. 2, 81 Abs. 2, 88 StVollzG). Diese wurden mit Verfügung vom 28. Januar 1994 neu gefaßt, und zusätzlich wurde nach § 89 StVollzG Einzelhaft angeordnet. Die Maßnahmen führten zu einer umfassenden Isolation des Beschwerdeführers von seinen Mitgefangenen.
Sie bestehen seitdem im Kern unverändert fort.
2. a) Im Jahr 1994 waren die gegen den Beschwerdeführer angeordneten Sicherungsmaßnahmen erstmals Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens nach § 109 StVollzG. Zu einer Überprüfung in der Sache kam es allerdings nur hinsichtlich der vorübergehenden Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Schlichtzelle.
b) Im Januar 1995 beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung der gegen ihn verhängten Sicherungsmaßnahmen. Bezüglich der Anordnung der Einzelhaft und der Zuweisung eines besonders gesicherten Haftraums wurde von einer förmlichen Bescheidung abgesehen, da es sich um bloße Wiederholungen früherer Anträge handele. Im übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Anträge auf gerichtliche Entscheidung und Rechtsbeschwerde hatten keinen Erfolg.
c) Später wurden ergänzend noch weitere Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer angeordnet.
II.
1. Im Juni 1997 beantragte der Beschwerdeführer erneut die Aufhebung aller gegen ihn angeordneten Sicherungsmaßnahmen. Die Justizvollzugsanstalt lehnte dies mit Bescheid vom 24. Juli 1997 ab.
2. Hiergegen legte der Beschwerdeführer beim zuständigen Fachministerium Beschwerde nach dem Schleswig-Holsteinischen Vollzugsbeschwerdegesetz ein. Der Anstaltsarzt führte in seiner Stellungnahme aus, daß erhebliche Bedenken bestünden, ob der Beschwerdeführer unter diesen Bedingungen noch weiter überleben könne. Es seien Zeichen einer tiefen Depression zu sehen. Eine Depression könne auch ohne Selbstmord zum Tode führen. Die Depression könne durch eine Gesprächstherapie oder durch Medikamente nicht behoben werden.
Mit Bescheid vom 4. November 1997 wurde die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
3. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung wies das Landgericht als unbegründet zurück. Der Katalog der Sicherungsmaßnahmen sei nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen des § 88 Abs. 1 StVollzG lägen vor, es bestünden genügend Indikatoren für die Annahme von Fluchtgefahr.
Daß der Justizminister von einer förmlichen Entscheidung hinsichtlich der bereits zum Zeitpunkt des letzten gerichtlichen Verfahrens angeordneten Maßnahmen abgesehen habe, sei nicht zu beanstanden. Die erneute Beschwerde des Antragstellers sei insoweit lediglich als bloße Wiederholung im Sinne der Nr. 2 Abs. 1 der Verwaltungsvorschrift zu § 108 StVollzG anzusehen, weshalb eine förmliche Entscheidung entbehrlich gewesen sei. Über diese Maßnahmen habe der Justizminister bereits mit Bescheiden aus den Jahren 1994 und 1995 entschieden. Dagegen gerichtete Anträge auf gerichtliche Entscheidung seien rechtskräftig zurückgewiesen worden.
Lediglich ergänzend werde darauf hingewiesen, daß die Maßnahmen noch verhältnismäßig seien. Eine Begrenzung durch strikte Fristen sei im Gesetz nicht vorgesehen. Die Maßnahmen würden zudem unter ärztlicher Aufsicht vollzogen. Geringere Maßnahmen stünden nicht zur Verfügung, zumal der Beschwerdeführer selbst die angebotene schrittweise Rücknahme der Maßnahmen ablehne und auf der vollständigen Aufhebung der Maßnahmen bestehe. Dies aber sei ohne eine erhebliche Gefährdung der Sicherheit der Justizvollzugsanstalt nicht möglich.
An der Rechtmäßigkeit der übrigen Maßnahmen, die noch nicht Gegenstand gerichtlicher Überprüfung waren, bestünde kein Zweifel.
4. Die Rechtsbeschwerde verwarf das Oberlandesgericht als unzulässig.
III.
Mit seiner fristgemäß eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 3, Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 104 GG.
1. Soweit die Strafvollstreckungskammer den Antrag als bloße Wiederholung im Sinne von Nr. 2 Abs. 1 der Verwaltungsvorschriften zu § 108 StVollzG angesehen habe, verstoße dies gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Angesichts der gesundheitlichen Auswirkungen und der Schwere der Grundrechtseingriffe sei sein Antrag ein adäquates Rechtsmittel gewesen. Die Auffassung der Strafvollstreckungskammer hätte zur Konsequenz, daß er auch in Zukunft keinen effektiven Rechtsschutz erhalten könne.
2. Die angegriffenen Entscheidungen vernachlässigten den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dessen Prüfung erschöpfe sich in der Feststellung, die Maßnahmen seien "noch" verhältnismäßig. Wenn ausgeführt werde, daß der reduzierte psychische und physische Gesundheitszustand des Beschwerdeführers dessen Gefährlichkeit nicht mindere, so zeige dies, daß sein Recht auf körperliche Unversehrtheit dem Sicherheitsinteresse ohne weiteres untergeordnet werde. Der Hinweis darauf, daß die Maßnahmen unter ärztlicher Aufsicht vollzogen würden, sei absurd angesichts der vom Anstaltsarzt geäußerten erheblichen Bedenken an einer Überlebensmöglichkeit bei weiterem Vollzug der Maßnahmen.
IV.
Das Ministerium für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein hat zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen und unter anderem ausgeführt, daß wegen des hohen Betreuungsaufwandes die Zustimmung eines anderen Bundeslandes zur Übernahme des Beschwerdeführers nach § 85 StVollzG kaum zu erreichen sein werde.
B.
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts Lübeck vom 18. Februar 1998 richtet, nimmt die Kammer sie gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers zur Entscheidung an und gibt ihr gemäß § 93c Abs. 1 BVerfGG statt. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet. Die maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 94, 166 <213>; 96, 27 <39>; Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfas-sungsgerichts vom 16. Februar 1993 - 2 BvR 594/92 -, NJW 1993, S. 3188 f., und vom 1. Juli 1998 - 2 BvR 1758/97 -, NStZ-RR 1999, S. 28 f.).
I.
Der Beschluß der Landgerichts Lübeck vom 18. Februar 1998 verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.
1. a) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verbietet es, eine besondere Sicherungsmaßnahme oder Einzelhaft länger aufrechtzuerhalten als es notwendig oder angemessen ist (vgl. §§ 88 Abs. 5, 89 Abs. 1, 81 Abs. 2 StVollzG). Demnach sind solche Maßnahmen aufzuheben, wenn die gegebenen Anhaltspunkte die aktuelle Prognose einer Fluchtgefahr in erhöhtem Maße nicht mehr stützen können oder wenn nunmehr mildere Mittel in Betracht kommen. Außerdem werden die Beeinträchtigungen, die besondere Sicherungsmaßnahmen für die Grundrechte des Strafgefangenen bedeuten (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG), mit zunehmender Dauer des Vollzugs immer schwerwiegender. Dies ist bei der näheren Bestimmung der von Art. 19 Abs. 4 GG geforderten effektiven Rechtsschutzmöglichkeit gegen besondere Sicherungsmaßnahmen zu berücksichtigen. Auch die Fachgerichtsbarkeit hat die individuellen Grundrechte zu wahren und durchzusetzen (vgl. BVerfGE 94, 166 <213>).
b) Art. 19 Abs. 4 GG verlangt Vorkehrungen dafür, daß der Einzelne staatliche Eingriffe im Regelfall nicht ohne fachgerichtliche Prüfung zu tragen hat (vgl. BVerfGE 94, 166 <213>; 96, 27 <39>). Im Bereich des Strafvollzugsrechts wird Art. 19 Abs. 4 GG durch §§ 109 ff. StVollzG auf der Ebene des einfachen Rechts konkretisiert. Dieses Prozeßrecht ist im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG auszulegen und anzuwenden (vgl. Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 1993 - 2 BvR 594/92 -, NJW 1993, S. 3188 f., und vom 1. Juli 1998 - 2 BvR 1758/97 -, NStZ-RR 1999, S. 28 f.).
Für den Vollzug von besonderen Sicherungsmaßnahmen gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Strafgefangenen das Recht, durch Anrufung der Gerichte sicherzustellen, daß die vorstehend aufgezeigten grundrechtlichen Grenzen auch beachtet werden. Dazu ist es erforderlich, daß der Strafgefangene eine regelmäßige gerichtliche Überprüfung erwirken kann, ob die weitere Aufrechterhaltung von Maßnahmen nach §§ 88 oder 89 StVollzG noch mit den Grundrechten vereinbar ist, insbesondere ob die gesetzlich bestimmten Voraussetzungen weiterhin vorliegen und die Maßnahmen noch verhältnismäßig sind. Die verfahrensrechtlichen Regelungen des Strafvollzugsgesetzes sind in diesem Sinne auszulegen und anzuwenden.
2. Der angefochtene Beschluß der Strafvollstreckungskammer verkennt Bedeutung und Tragweite von Art. 19 Abs. 4 GG für die Auslegung und Anwendung des Verfahrensrechts, weil er dem Beschwerdeführer eine Prüfung seines Rechtsschutzbegehrens hinsichtlich des entscheidenden Teils der Sicherungsmaßnahmen einschließlich der Einzelhaft in der Sache mit der Begründung versagt, es handele sich um eine bloße Wiederholung früherer Anträge.
Der Vollzug der gegen den Beschwerdeführer angeordneten Sicherungsmaßnahmen dauerte bereits seit Januar 1994 an. Die Maßnahmen waren zuletzt im Jahre 1995 und zudem nur teilweise Gegenstand gerichtlicher Überprüfung durch die Strafvollstreckungskammer gewesen, welche mit Beschluß vom 22. August 1995 als letzte Tatsacheninstanz über die Rechtmäßigkeit zum damaligen Zeitpunkt entschieden hatte. Zwischen dem letzten und dem hier angegriffenen Beschluß der Strafvollstreckungskammer vom 18. Januar 1998 lagen also zweieinhalb Jahre, während derer die außerordentlich belastenden Maßnahmen andauerten. Daß dem Beschwerdeführer nunmehr - schon allein wegen des Zeitablaufs - die Möglichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes zu eröffnen und über die Verhältnismäßigkeit des weiteren Fortbestands der Maßnahmen in der Sache zu befinden war, konnte keinem ernsthaften Zweifel unterliegen.
Nachdem der Anstaltsarzt im Verfahren darüber hinaus noch dargelegt hatte, daß unter diesen Bedingungen erhebliche Bedenken gegen die weitere Überlebensfähigkeit des Beschwerdeführers bestünden, wurde die Gewährung von Rechtsschutz vollends unabweislich. Daß die Strafvollstreckungskammer das Begehren des Beschwerdeführers bei dieser Sachlage dennoch als eine bloße Antragswiederholung aufgefaßt und eine Überprüfung der besonderen Sicherungsmaßnahmen in der Sache abgelehnt hat, läßt befürchten, daß sie Bedeutung und Tragweite von Art. 19 Abs. 4 GG als Gewährleistung effektiven Grundrechtsschutzes grundlegend verkannt hat.
3. Die Ausführungen der Strafvollstreckungskammer zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen können den Beschluß nicht - im Sinne einer hilfsweisen Begründung - selbständig tragen. Abgesehen davon, daß diese Ausführungen ausdrücklich nur ergänzend und als Hinweis angebracht wurden, sind sie auch nicht geeignet, der Entscheidung eine verfassungsrechtlich tragfähige Grundlage zu geben.
a) Das gilt zunächst für die Tatsachengrundlage des angefochtenen Beschlusses. Im Hinblick auf die verfahrensrechtlichen Gehalte der betroffenen Grundrechte (vgl. BVerfGE 52, 214 <219 ff.>; 53, 30 <57 ff.>; 70, 297 <308 ff.>; Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Mai 1994 - 1 BvR 549/94 -, NJW 1994, S. 1719 f., und vom 8. September 1997 - 1 BvR 1147/97 -, NJW 1998, S. 295 f.; Beschluß der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. April 1998 - 2 BvR 1951/96 -, StV 1998, S. 436, 437) hätten die Maßnahmen nicht gerichtlich bestätigt werden dürfen, ohne daß zuvor alle verfügbaren Erkenntnismittel ausgeschöpft worden wären, um den psychischen wie physischen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers zu ermitteln und die gegen den Beschwerdeführer erhobenen weiteren Vorwürfe auf ihre Stichhaltigkeit und ihr Gewicht zu überprüfen.
Die Strafvollstreckungskammer hat aber weder ärztliche Gutachten in Auftrag gegeben noch den Beschwerdeführer, die mit ihm unmittelbar befaßten Vollzugsbediensteten oder den Anstaltsarzt persönlich angehört, um sich einen Eindruck von dessen Zustand zu verschaffen, noch hat sie sonstige Ermittlungen angestellt.
b) Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) kann durch staatliche Maßnahmen verletzt werden, die eine depressive Erkrankung bewirken und so zu einer konkreten Lebensgefahr führen (vgl. BVerfGE 52, 214 <219 ff.>; Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Mai 1994 - 1 BvR 549/94 -, NJW 1994, S. 1719 f., und vom 8. September 1997 - 1 BvR 1147/97 -, NJW 1998, S. 295 f.). Es würde die Bedeutung und Tragweite dieses Grundrechts verkennen, wenn man - wie in den ergänzenden Ausführungen der Strafvollstreckungskammer - die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen damit begründen wollte, daß diese unter ärztlicher Aufsicht vollzogen werden, nachdem der den Vollzug der Maßnahmen überwachende Anstaltsarzt gerade erhebliche Bedenken gegen die weitere Überlebensfähigkeit des Beschwerdeführers geäußert und ausgeführt hatte, daß dessen Depression zum Tode führen könne und weder durch eine Gesprächstherapie noch durch Medikamente zu beheben sei.
c) Der Vollzug der Sicherungsmaßnahmen, vor allem der Einzelhaft, ist für den Beschwerdeführer mit außerordentlichen Belastungen verbunden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt deswegen besonders strikte Beachtung. Es hätte deswegen eingehender gerichtlicher Überprüfung und Darlegung bedurft, ob alle in Betracht kommenden Möglichkeiten ausgenutzt und die gebotenen besonderen Anstrengungen unternommen worden sind, um der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers mit milderen Mitteln zu begegnen. Als ein solches wäre beispielsweise die Verlegung des Beschwerdeführers in eine höher gesicherte Vollzugsanstalt eines anderen Bundeslandes nach § 85 StVollzG in Betracht gekommen. Die Äußerung des zuständigen Fachministeriums, daß die erforderliche Zustimmung eines anderen Bundeslandes kaum zu erreichen sein werde, legt es nahe, daß die gebotenen besonderen Anstrengungen in diese Richtung noch nicht unternommen worden sind.
d) Auch unter Berücksichtigung berechtigter Sicherheitsinteressen wäre es mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar, die Sicherungsmaßnahmen, gestützt auf mehrere Jahre zurückliegende Fluchtversuche, auf unabsehbare Zeit aufrechtzuerhalten, ohne jemals durch verantwortbare Lockerungen zu erproben, ob die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers noch fortbesteht. Hiervon kann auch nicht völlig abgesehen werden, weil der Beschwerdeführer seine Mitwirkung bei einer solchen schrittweisen Rücknahme der Sicherungsmaßnahmen verweigert und auf ihrer vollständigen Aufhebung besteht, solange die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers auch ohne seine Mitwirkung überprüft werden kann.
4. Angesichts des festgestellten Grundrechtsverstoßes kommt es auf die weiteren gegen den Beschluß des Landgerichts erhobenen Rügen nicht mehr an.
II.
Der angegriffene Beschluß des Landgerichts ist aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Der zugleich angegriffene Beschluß des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts ist damit gegenstandslos (BVerfGE 69, 233 <248>).
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Von einer Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Durch die Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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