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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 22.09.2005
Aktenzeichen: 2 BvR 93/05
Rechtsgebiete: GG
Vorschriften:
GG Art. 2 Abs. 1 | |
GG Art. 3 Abs. 1 | |
GG Art. 19 Abs. 4 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 93/05 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
gegen a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 23. November 2004 - 1 StR 379/04 -,
b) das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 1. April 2004 - 1 KLs 25 Js 6666/03 JugS -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 22. September 2005 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
I.
1. Der Beschwerdeführer, den das Landgericht zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt hatte, machte mit der von einem neuen Verteidiger begründeten Revision unter anderem eine Verletzung des Gesetzes im Sinne des absoluten Revisionsgrunds des § 338 Nr. 5 StPO geltend. Dem lag zugrunde, dass es während der Vernehmung des Nebenklägers, von welcher der Beschwerdeführer gemäß § 247 Satz 2 StPO ausgeschlossen worden war, zu einer fünfzehnminütigen Unterbrechung gekommen war, über welche das Protokoll folgenden Verfahrensvorgang ausweist: "Die Verfahrensbeteiligten erörtern die Sachlage, wie weiter vorgegangen werden soll".
Der Bundesgerichtshof hat die Revision mit Beschluss vom 23. November 2004 (veröffentlicht in NStZ 2005, S. 283) als unbegründet verworfen und die Verfahrensrüge als unzulässig behandelt. In Unkenntnis des Inhalts der Erörterung habe das Revisionsgericht nicht prüfen können, ob es sich dabei um einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung gehandelt habe, auf den sich der Ausschluss des Angeklagten erstreckte. Einem Verteidiger, der erst nach der Hauptverhandlung hinzugezogen wird, sei es unbenommen, derartige Verfahrensfehler zu rügen. Er müsse die Verfahrensmängel aber mit der erforderlichen Bestimmtheit vortragen und mit Tatsachen belegen (vgl. schon BGHSt 7, 162 <165>). Wenn sich weder dem Protokoll noch dem Urteil entnehmen lasse, dass die Erörterung in Abwesenheit des Angeklagten zu dem behaupteten Verfahrensverstoß geführt habe, so habe der für die Revisionsinstanz mandatierte Verteidiger, da Revisionsrügen nicht mit Behauptungen "ins Blaue hinein" begründet werden könnten, die notwendigen Erkundigungen einzuziehen, etwa bei dem erstinstanzlichen Verteidiger.
2. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtstaatsprinzip), seines Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie des Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung als Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), weil der Bundesgerichtshof durch überspannte Zulässigkeitsanforderungen sein Rechtsmittel ineffektiv gemacht habe.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Eine Verletzung der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Rechtsschutzgarantie liegt nicht vor.
a) Die Rechtsschutzgarantie gewährleistet nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offen steht, sondern garantiert auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 88, 118 <123>; 94, 166 <226>). Sie umfasst das Recht auf Zugang zu den Gerichten, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands sowie eine verbindliche Entscheidung durch den Richter (vgl. BVerfGE 54, 277 <291>; 85, 337 <345>; 107, 395 <401>). Die Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen gesichert (vgl. BVerfGE 94, 166 <213>). Die Garantie effektiven Rechtsschutzes richtet sich auch an den die Verfahrensordnung anwendenden Richter (vgl. BVerfGE 97, 298 <315>). Das Gericht darf ein von der Verfahrensordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leer laufen" lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 <99>; 96, 27 <39>). Das Rechtsstaatsgebot verbietet es dem Gericht, bei der Auslegung und Anwendung der verfahrensrechtlichen Vorschriften den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen von Voraussetzungen abhängig zu machen, die unerfüllbar oder unzumutbar sind oder den Zugang in einer Weise erschweren, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 63, 45 <70 f.>; 74, 228 <234>; 77, 275 <284>; 78, 88 <99>). Das Revisionsgericht überspannt die Zulässigkeitsanforderungen, wenn es die Mitteilung von Tatsachen fordert, denen kein über den Revisionsvortrag hinausgehender Bedeutungsgehalt zukommt (BVerfG, NJW 2005, S. 1999).
b) Hieran gemessen liegt keine Grundrechtsverletzung vor.
aa) Die Obliegenheit, bei Rügen nach § 338 Nr. 5 StPO auch darzulegen, dass es sich bei den in Abwesenheit eines notwendigen Beteiligten vollzogenen Verfahrensvorgängen um einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung gehandelt hat, entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHSt 15, 263 <264>; 26, 84 <91>). Dass ein Revisionsführer, der eine Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 5 StPO erhebt, entsprechend der fachgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich auch darzulegen hat, dass das fragliche Geschehen für das Verfahren nicht unbedeutend war, zieht der Beschwerdeführer nicht in Zweifel.
bb) Weiterhin geht der Beschluss des Bundesgerichtshofs davon aus, dass ein Revisionsführer keinen Vortrag zu Verfahrenstatsachen halten muss, die ihm nicht zugänglich sind. Dem Vorbringen in der Verfassungsbeschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass die Anforderungen an eine zulässige Verfahrensrüge hier objektiv nicht zu erfüllen waren. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, dass es ihm oder dem Revisionsverteidiger unmöglich gewesen wäre, nähere Informationen zum tatsächlichen Verfahrensgeschehen einzuholen. Dass der in der Hauptverhandlung anwesende Verteidiger zu sachdienlichen Auskünften nicht willens oder in der Lage gewesen wäre, ist auch aus sonstigen Umständen nicht ersichtlich.
cc) Eine entsprechende Erkundigung ist dem erstmals in der Revisionsinstanz beauftragten Verteidiger von Verfassungs wegen nicht grundsätzlich unzumutbar. Vielmehr gebietet schon der Grundsatz der Einheitlichkeit eines über mehrere Instanzen geführten Verfahrens, dass ein Wechsel von Verteidigern dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichen, ihm aber auch keine Vorteile verschaffen soll. Dies wäre freilich der Fall, wenn sich das für die Zulässigkeit von Revisionsrügen notwendige Vorbringen danach richten würde, ob der bereits an der Hauptverhandlung beteiligte Verteidiger auch im Revisionsverfahren tätig geworden ist. Ob in Ausnahmefällen etwas anderes zu gelten hat, braucht hier mangels Vorliegens derartiger Umstände nicht entschieden zu werden.
dd) Der vom Beschwerdeführer mit der Fertigung der Revisionsbegründung beauftragte Verteidiger durfte hier nicht deshalb auf nähere Ausführungen zum Verfahrensgeschehen verzichten, weil der Vorgang Erwähnung im Protokoll gefunden hatte. Denn der Revisionsverteidiger hat sich bei der Erhebung von Verfahrensrügen, zu deren Beleg er das Sitzungsprotokoll heranziehen will, auch mit dessen Aussagekraft auseinanderzusetzen. So wird er stets zu prüfen haben, ob die Beweiswirkung des Sitzungsprotokolls wegen Mängeln ausnahmsweise entfällt. Im Falle der Wirksamkeit des Protokolls bleibt ebenso zu untersuchen, ob dessen Inhalt zum Nachweis des behaupteten Verfahrensfehlers genügt; dies gilt insbesondere dann, wenn es sich, wie hier, um keine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens im Sinne des § 273 Abs. 1 StPO, sondern um einen sonstigen Vorgang handelt.
ee) Ohne weitere Informationen war der Bundesgerichtshof hier nicht in der Lage, die Rüge zu prüfen. Denn das Protokoll ließ keine Rückschlüsse zu, ob die Erörterung einen für das Verfahren wesentlichen Gesichtspunkt betraf. Dementsprechend hat sich der Beschwerdeführer auch veranlasst gesehen, einen - jedoch nicht belegten - Zusammenhang mit der späteren aussagepsychologischen Begutachtung des Nebenklägers herzustellen.
War danach aber für den Beschwerdeführer erkennbar, dass die Mitteilung des Protokolls nicht ausreichte, um dem Revisionsgericht eine Prüfung des Verfahrensvorgangs zu ermöglichen, und ihm zugleich eine nähere Erkundigung möglich und zumutbar, hat ihm der Bundesgerichtshof nicht den Vortrag unzugänglicher Tatsachen abverlangt oder seine Rechtsschutzmöglichkeit sonst in einer sachwidrigen, nicht mit der Verfassung zu vereinbarenden Weise beschnitten.
2. Dementsprechend liegen auch keine Verletzungen seiner Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG vor.
3. Zudem ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet, weil die angegriffene Entscheidung nicht auf der geltend gemachten Grundrechtsverletzung beruht. Es ist hier auszuschließen, dass der Bundesgerichtshof die Verfahrensrüge für begründet gehalten und das angefochtene Urteil deshalb aufgehoben hätte. Den behaupteten Verfahrensverstoß sah der Senat "durch nichts belegt". Dem Vortrag des Beschwerdeführers, die Erörterung sei für die spätere Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens ursächlich gewesen, ist der Strafsenat willkürfrei nicht gefolgt. Es ist weder vom Beschwerdeführer vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass das Revisionsgericht dennoch in der hier betroffenen Erörterung in Abwesenheit des Beschwerdeführers einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung erblickt hätte.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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