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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 05.03.1999
Aktenzeichen: BVerwG 1 A 1.97
Rechtsgebiete: VAG, VVG, SGB V, KalV


Vorschriften:

VAG § 12 Abs. 1
VAG § 12 c
VAG § 21 Abs. 1
VAG § 81 Abs. 2 Satz 1 und 2
VVG § 16
VVG § 17
VVG § 178 a Abs. 2
VVG § 178 f
VVG § 178 k
VVG § 178 o
SGB V § 257 Abs. 2 a Nr. 1
KalV § 12
Leitsätze:

1. Das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen ist befugt, im Wege der Mißstandsaufsicht die Geschäftspraxis eines Versicherungsunternehmens bei der Anwendung zwingender Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes zu beanstanden.

2. Bei einem Tarifwechsel nach § 178 f VVG wird kein neuer Versicherungsvertrag abgeschlossen, sondern der bisherige nach Maßgabe des neuen Tarifs fortgesetzt.

3. Zu den aus dem bisherigen Vertrag erworbenen Rechten des Versicherten, die beim Tarifwechsel anzurechnen sind, gehört die Risikoeinstufung, die der Versicherer aufgrund des von ihm überprüften Gesundheitszustandes des Versicherten bei Beginn des Vertrages als für die Erhebung eines Risikozuschlags maßgebend festgelegt hat. Diese Einstufung darf der Versicherer bei einem Tarifwechsel nicht zu Lasten des Versicherungsnehmers ändern.

4. § 178 f VVG enthält weder ein Verbot, Risikozuschläge zu verlangen, wenn im bisherigen Tarif höhere Risiken durch eine Pauschalprämie berücksichtigt wurden und deswegen keine Risikozuschläge zu zahlen waren, noch ein Verbot, die neuen Risikozuschläge bei einer anders bemessenen Basisprämie prozentual oder absolut höher als die alten zu bemessen.

Urteil des 1. Senats vom 5. März 1999 - BVerwG 1 A 1.97


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 5. März 1999

Wichmann Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 23. Februar 1999 durch den Vorsitzenden Richter Meyer und die Richter Gielen, Dr. Hahn, Groepper und Dr. Gerhardt

für Recht erkannt:

Der Bescheid des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen vom 9. August 1995 und die Beschlußkammerentscheidung vom 29. November 1996 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.

Gründe:

I.

Die Klägerin, ein Krankenversicherungsunternehmen, bietet seit den 70er Jahren - zunächst als Hallesche Krankenversicherung a.G. - als "C-Tarife" bezeichnete Krankheitskosten-Vollversicherungen an. Vor Abschluß eines Versicherungsvertrages überprüfte sie die Gesundheit der Antragsteller. Soweit sie die Anträge annahm, erhob sie auch in Fällen eines erhöhten Gesundheitsrisikos keine Risikozuschläge. Vielmehr waren die Prämien ihrer Tarife so kalkuliert, daß sie die versicherten Risiken abdeckten. Ende der 70er Jahre legte sie für die in den alten C-Tarifen abgeschlossenen Versicherungen intern einen pauschalierten Risikozuschlag fest, der jedoch als Bestandteil der Prämie im Vertrag nicht gesondert ausgewiesen wurde. Bei Neuabschlüssen wurde seitdem nach Änderung der Tarifbedingungen auf die um den pauschalierten Zuschlag verminderte Prämie gegebenenfalls ein individueller Risikozuschlag nach Maßgabe der jeweiligen Risikoeinstufung erhoben, die sich aus internen Annahmegrundsätzen der Klägerin ergab.

Seit 1990 bietet die Klägerin einen weiteren Vollversicherungstarif, den "NK-Tarif" an. Hier wird ebenfalls eine Grundprämie und bei erhöhtem Gesundheitsrisiko ein Risikozuschlag verlangt.

Nach Einführung des NK-Tarifs war es Praxis der Klägerin, Anträge ihrer Versicherungsnehmer in den C-Tarifen ohne ausgewiesenen Risikozuschlag auf Wechsel in den - in der Grundpämie zunächst um bis zu 40 % billigeren - NK-Tarif entweder abzulehnen oder ihnen nur dann zu entsprechen, wenn sich die Versicherungsnehmer bei erhöhtem Risiko mit der Zahlung individueller Risikozuschläge einverstanden erklärten. Der Risikoeinschätzung legte die Klägerin die bei Eintritt in den alten C-Tarif abgegebenen Erklärungen der Versicherten über Vorerkrankungen zugrunde, bewertete diese Angaben jedoch wie bei einem Neuantrag nach den Maßstäben des NK-Tarifs.

In dieser Praxis sah das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen einen die Versicherten benachteiligenden Verstoß gegen § 178 f Abs. 1 VVG und erließ deshalb unter dem 9. August 1995 die mit der vorliegenden Klage angefochtene Anordnung. Es wies die Klägerin an, alle Anträge ihrer Versicherungsnehmer auf Wechsel in andere Tarife anzunehmen, sofern es sich dabei um Tarife mit - im einzelnen näher bezeichnetem - gleichartigem Versicherungsschutz handele. Zugleich untersagte es der Klägerin, bei einem Tarifwechsel Risikozuschläge zu verlangen, soweit die Leistungen in dem Tarif, in den der Versicherungsnehmer wechseln wolle, weder höher noch umfassender seien als in dem bisherigen Tarif und soweit in den Tarifen, aus denen der Wechsel begehrt werde, zwar eine Gesundheitsprüfung stattgefunden habe, aber Risikozuschläge nicht oder in geringerem Umfang als heute erhoben würden und nach den heute geltenden Maßstäben angepaßt werden sollten.

Den Widerspruch der Klägerin gegen diese Anordnung wies eine Beschlußkammer der Beklagten zurück (VerBAV 1997, 38), im wesentlichen mit folgender Begründung: Das Verhalten der Klägerin stelle einen aufsichtsrechtlich relevanten Mißstand dar, denn es stehe mit § 178 f VVG nicht in Einklang. Danach müsse der Versicherer einen Wechsel aus dem C-Tarif in den gleichartigen NK-Tarif ohne bzw. ohne höheren Risikozuschlag zulassen. Die Gleichartigkeit beider Tarife ergebe sich aus der Gleichartigkeit der Leistungsbereiche und des in ihnen gewährten Versicherungsschutzes. Die Tatsache, daß die Klägerin in die Prämien der C-Tarife einen pauschalen Risikozuschlag eingerechnet habe, gebe ihr nicht das Recht, bei einem Tarifwechsel erstmalig einen individuellen Risikozuschlag zu erheben. Bei strenger Auslegung des § 178 f Abs. 1 VVG wäre der Versicherer nicht einmal berechtigt, für den alten Tarif vereinbarte Risikozuschläge in die neue Tarifvereinbarung zu übernehmen. Eine so weitgehende Beschränkung des Versicherers sei jedoch nicht gewollt. Bei Abschluß des ursprünglichen Krankenversicherungsvertrages ausdrücklich vereinbarte Risikozuschläge dürften daher auch bei einem Tarifwechsel berücksichtigt werden. Sei der Versicherte dagegen nach dem alten Vertrag berechtigt gewesen, sein persönliches Risiko ohne Risikozuschlag auf den Versicherer abzuwälzen, so müsse ihm dieses Recht auch bei einem Wechsel erhalten bleiben. Was die Klägerin als "pauschalen Risikozuschlag" bezeichne, der bereits in den alten Prämien enthalten sei, sei lediglich ein Sicherheitszuschlag im Rahmen der Tarifkalkulation. Eine durch die Anordnung der Beklagten etwa ausgelöste Mehrbelastung der Klägerin habe ihren Ursprung in deren Geschäftspolitik, in den C-Tarifen über Jahre hinweg auch schlechte Risiken ohne ausdrücklich vereinbarten Risikozuschlag anzunehmen.

Gegen diese Anordnung der Beklagten richtet sich die Klage der Klägerin, zu deren Begründung sie unter Einschluß ihres Vorbringens im Widerspruchsverfahren geltend macht:

Sie lasse generell jeden Tarifwechsel zu. Dabei lege sie die Gesundheitsdaten des Versicherungsnehmers zum Zeitpunkt des Eintritts in den bisherigen Tarif und die aktuellen Eingangsvorausetzungen des angestrebten Tarifs zugrunde. Decke der bisherige Tarif bestimmte Gesundheitsrisiken ohne Risikozuschlag ab, die im beantragten neuen Tarif nach dessen Bedingungen nur über zusätzliche Risikozuschläge abgesichert seien, so löse der Tarifwechsel neben der Grundprämie auch Risikozuschläge aus. Dies werde der gesetzlichen Regelung des § 178 f Abs. 1 VVG gerecht. In dieser Vorschrift und dem sie ergänzenden § 12 KalV werde nur der Begriff der Gleichartigkeit des Versicherungsschutzes als tatbestandliche Voraussetzung für den Anspruch auf Tarifwechsel geregelt. Sei der Leistungsbereich des neuen Tarifs gegenüber dem alten Tarif erweitert, regele § 178 f Abs. 1 Satz 2 und 3 VVG, welche Angebote (nämlich Leistungsausschluß oder Risikozuschlag, eventuell zuzüglich einer Wartezeit) der Versicherer dem Versicherungsnehmer zu unterbreiten habe. Andernfalls treffe § 178 f Abs. 1 VVG keine ausdrückliche Regelung für die Rechtsfolgen des Tarifwechsels, insbesondere nicht für die prämienmäßigen Konsequenzen; diese ergäben sich vielmehr aus dem gewünschten Tarif. Zu den erworbenen und nach § 178 f Abs. 1 VVG bei einem Tarifwechsel anzurechnenden Rechten gehöre das Recht, in dem im ursprünglichen Vertrag vereinbarten Risikoumfang versichert zu sein, soweit dies nach dem gewünschten Tarif versicherbar sei. Deshalb dürften eine neue Gesundheitsprüfung nicht verlangt und während der bisherigen Vertragsdauer aufgetretene Krankheiten nicht berücksichtigt werden. Jedoch gehöre weder der Gesundheitszustand noch die Einstufung des Risikogrades zu den "aus dem Vertrag erworbenen Rechten". Deshalb sei bei einem Tarifwechsel eine Änderung der Risikoklassifizierung zulässig. Die strengere Auslegung der Beklagten sei weder durch die Systematik noch durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift gerechtfertigt. Sie zwinge die in den neuen Tarif eintretenden Versicherungsnehmer dazu, mit ihren Prämien das erhöhte Risiko der aus einem alten Tarif wechselnden Versicherungsnehmer mit zu übernehmen. Dies widerspreche § 21 Abs. 1 VAG. Lege man § 178 f Abs. 1 VVG so aus, daß nicht die Versicherten, sondern der Versicherer selbst das im neuen Tarif prämienmäßig nicht mehr abgedeckte Risiko der wechselwilligen Versicherungsnehmer zu tragen habe, so hindere dies die seit längerem am Markt existierenden "Altversicherer", neue Tarife einzuführen. Für sie würde dies auf die Dauer einen mehr als erheblichen Wettbewerbsnachteil und darüber hinaus einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb bedeuten.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen vom 9. August 1995 und die Beschlußkammerentscheidung vom 29. November 1996 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und führt ergänzend aus: Zweck des § 178 f Abs. 1 VVG sei es, dem Versicherungsnehmer einen Anspruch auf Vertragsänderung zu gewähren, ohne hierdurch bei gleichem Leistungsumfang - die Pflicht zu höherer Prämienzahlung auszulösen. Zu den erworbenen Rechten im Sinne des § 178 f Abs. 1 VVG gehöre auch die Einstufung als "Normalrisiko"; habe der Gesundheitszustand im alten Tarif keinen für den Versicherten erkennbaren Risikozuschlag ausgelöst, dürfe ein solcher auch im neuen Tarif nicht verlangt werden. Der Gesetzgeber lasse eine höhere Prämie nur zu, wenn eine Mehrleistung angeboten werde.

Der Oberbundesanwalt hält die angefochtenen Bescheide ebenfalls für rechtmäßig.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und Auszüge aus den Tarifbedingungen der Klägerin vorgelegen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf sie sowie auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

II.

Die Klage ist begründet. Die angefochtene Verfügung des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie ist daher ebenso wie die Beschlußkammerentscheidung vom 29. November 1996 aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Rechtsgrundlage der angefochtenen Verfügung ist § 81 Abs. 2 Satz 1 und 2 des Versicherungsaufsichtsgesetze I VAG in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Dezember 1992 (BGBl I 1993 S. 2), im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Beschlußkammerentscheidung zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 28. Oktober 1994 (BGBl I S. 3210). Danach kann die Aufsichtsbehörde gegenüber den Versicherungsunternehmen alle Anordnungen treffen, die geeignet und erforderlich sind, um Mißstände zu vermeiden oder zu beseitigen. Mißstand ist jedes Verhalten eines Versicherungsunternehmens, das den Aufsichtszielen des Absatzes 1 widerspricht. Zu den Aufsichtszielen des Absatzes 1 gehört die ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten und die Einhaltung der Gesetze, die für den Betrieb des Versicherungsgeschäfts gelten.

Zutreffend hat das Bundesaufsichtsamt auf der Grundlage dieser Vorschrift seine Befugnis angenommen, das Verhalten der Klägerin gegenüber Anträgen ihrer Versicherten auf Wechsel aus einem alten C-Tarif in den neuen NK-Tarif daraufhin zu überprüfen, ob die Klägerin dabei die zwingenden Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes - VVG - einhält. § 178 f Abs. 1 VVG gehört zu den für den Betrieb des Versicherungsgeschäfts geltenden Vorschriften, deren Einhaltung im Interesse der ausreichenden Wahrung der Belange der Versicherten Gegenstand der rechtlichen Aufsicht ist. Verletzt die Geschäftspraxis des Versicherungsunternehmens eine solche Vorschrift, so ist das Aufsichtsamt zum Erlaß aufsichtsrechtlicher Anordnungen befugt, die geeignet und erforderlich sind, um den darin liegenden Mißstand zu beseitigen.

2. Die Verfügung des Bundesaufsichtsamts beruht auf einem unzutreffenden Verständnis der aus dem Vertrag erworbenen und bei einem Tarifwechsel anzurechnenden Rechte im Sinne des § 178 f Abs. 1 VVG. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:

Bei bestehendem Versicherungsverhältnis kann der Versicherungsnehmer vom Versicherer verlangen, daß dieser Anträge auf Wechsel in andere Tarife mit gleichartigem Versicherungsschutz unter Anrechnung der aus dem Vertrag erworbenen Rechte und der Alterungsrückstellung annimmt. Soweit die Leistungen in dem Tarif, in den der Versicherungsnehmer wechseln will, höher oder umfassender sind als in dem bisherigen Tarif, kann der Versicherer für die Mehrleistung einen Leistungsausschluß oder einen angemessenen Risikozuschlag und insoweit auch eine Wartezeit verlangen. Der Versicherungsnehmer kann die Vereinbarung eines Risikozuschlages und einer Wartezeit dadurch abwenden, daß er hinsichtlich der Mehrleistung einen Leistungsausschluß vereinbart.

§ 178 f Abs. 1 VVG ist zwingendes Recht (§ 178 o VVG).

Rechtlich bedenkenfrei gehen die Parteien übereinstimmend davon aus, daß die C-Tarife und der NK-Tarif "gleichartigen Versicherungsschutz" im Sinne dieser Vorschrift bieten. Dies ergibt sich aus § 12 der Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berechnung der Alterungsrückstellung in der privaten Krankenversicherung (Kalkulationsverordnung - KalV ) vom 18. November 1996 (BGBl I 1783), der u.a. aufgrund der Ermächtigung des § 12 c VAG für den vorliegenden Zusammenhang das Merkmal der Gleichartigkeit umschreibt. Danach sind als Krankenversicherungstarife mit gleichartigem Versicherungsschutz, in die der Versicherte zu wechseln berechtigt ist, Tarife anzusehen, die gleiche Leistungsbereiche wie der bisherige Tarif umfassen und für die der Versicherte versicherungsfähig ist. Leistungsbereiche sind insbesondere 1. Kos-tenerstattung für ambulante Heilbehandlung, 2. Kostenerstattung für stationäre Heilbehandlung sowie Krankenhaustagegeld mit Kostenersatzfunktion, 3. Kostenerstattung für Zahnbehandlung und Zahnersatz, 4. Krankenhaustagegeld, soweit es nicht zu Nr. 2 gehört, 5. Krankentagegeld, 6. Kurtagegeld und Kostenerstattung für Kuren, 7. Pflegekosten und tagegeld. Es kann danach nicht zweifelhaft sein, daß die Höhe der Prämie für die Frage der Gleichartigkeit keine Rolle spielt. Zwei Tarife sind gleichartig, wenn in beiden gleichartige Risiken durch Leistungen der aufgezählten Lei-stungsbereiche abgedeckt werden. Die C-Tarife und der NK-Tarif bieten, an diesen Maßstäben gemessen, "gleichartigen Versicherungsschutz".

3. § 178 f Abs. 1 VVG enthält nähere Bestimmungen über die Bedingungen, zu denen der Tarifwechsel durchzuführen ist. Der Versicherer ist verpflichtet, den Antrag auf Tarifwechsel "unter Anrechnung der aus dem Vertrag erworbenen Rechte und der Alterungsrückstellung" anzunehmen.

a) Der Beklagten ist nicht in der Ansicht zu folgen, nach dem bloßen Wortlaut des Gesetzes könne der Versicherer in dem neuen Tarif einen Risikozuschlag nur dann verlangen, wenn der neue Tarif höhere oder umfassendere Leistungen vorsehe als der alte Tarif. Richtig ist, daß er ihn nach § 178 f Abs. 1 Satz 2 VVG auch in diesem Falle verlangen kann. Ein Rückschluß des Inhalts, daß die Erhebung eines Risikozuschlages nur bei höherer oder umfassenderer Leistung zulässig sei, ist aber nicht gerechtfertigt. § 178 f Abs. 1 Satz 2 und 3 VVG regelt einen speziellen Sachverhalt, bei dem der Tarifwechsel mit einer Risikoerhöhung für den Versicherer verbunden ist. Er erlaubt keine Schlußfolgerung für Fälle, in denen diese Besonderheit nicht vorliegt. Auch die Beklagte sieht es zu Recht als zulässig an, in einem neuen Tarif einen Risikozuschlag zu vereinbaren, wenn ein solcher Zuschlag bereits nach dem alten Tarif zu zahlen war. Dann aber verbietet sich der erwähnte Rückschluß.

b) Zu welchen Bedingungen der Änderungsvertrag geschlossen werden muß, ergibt sich vielmehr aus dem gesetzlichen Merkmal, daß die aus dem bisherigen Vertrag erworbenen Rechte und die Alterungsrückstellung "anzurechnen" sind.

Zu den "erworbenen Rechten" gehören besondere unentziehbare Rechtspositionen, die der Versicherungsnehmer durch den Vertragsabschluß und in dessen Verlauf gewinnt. Hierzu zählen etwa der Ablauf einer Wartezeit ebenso wie ein bereits bei Vertragsabschluß ausbedungener (und in der Regel durch eine entsprechende Zahlung erkaufter) Verzicht auf eine Wartezeit, eine Erhöhung von Höchstsätzen bei einzelnen Leistungen sowie der Ausschluß des Rücktrittsrechts des Versicherers wegen Verletzung der Anzeigepflicht (§ 178 k VVG). Die aus dem Vertrag erworbenen und anzurechnenden Rechte beschränken sich aber hierauf nicht.

Es kann dahinstehen, ob es auch zu den erworbenen Rechten in dem dargelegten Sinne gehört, daß der bei Vertragsbeginn festgestellte Gesundheitszustand im weiteren Verlauf des Versicherungsverhältnisses für den Umfang der Risikoüberbürdung maßgebend bleibt (vgl. § 178 a Abs. 2 VVG), oder ob dies allein eine Folge der gesetzlichen Struktur des Krankenversicherungsvertrages ist. Der Versicherer trägt jedenfalls auch im Falle eines Tarifwechsels das Risiko, wenn sich der Gesundheitszustand des Versicherten nach Vertragsbeginn verschlechtert, dann der Tarifwechsel stellt nicht den Abschluß eines völlig neuen Krankenversicherungsvertrages dar, sondern die Fortsetzung des bisherigen Vertrages nach Maßgabe des neuen Tarifs. Insoweit besteht auch Einigkeit zwischen den Beteiligten. Zu den "erworbenen Rechten" gehört aber die aufgrund dieses Gesundheitszustandes von dem Versicherer vorgenommene Risikoeinstufung, die für die Erhebung von Risikozuschlägen maßgebend ist.

Mit der Gesundheitsüberprüfung aufgrund der Angaben des Antragstellers verschafft sich der Versicherer im Interesse einer realistischen Einschätzung des zu versichernden Wagnisses die Kenntnis derjenigen Umstände, die nach seiner Erfahrung für die Übernahme und die finanzielle Bewertung des Risikos maßgebend sind. Dieser Gesundheitsüberprüfung kommt daher in der Personenversicherung besondere Bedeutung zu (vgl. §§ 16 und 17 VVG). In erster Linie ermöglicht ihm die Gesundheitsüberprüfung die Entscheidung darüber, ob er überhaupt den Versicherungsvertrag abschließen will. In zweiter Linie bestimmt das Ergebnis der Gesundheitsprüfung die Frage, gegen welche Prämie und gegebenenfalls gegen welchen Risikozuschlag das Risiko übernommen werden kann.

Hat der Versicherer eine solche Gesundheitsprüfung durchgeführt und das gesundheitliche Risiko eingeschätzt sowie auf dieser Grundlage die Entscheidung getroffen, den Versicherungsnehmer nach Maßgabe des derart festgestellten und bewerteten Gesundheitszustandes zu versichern, so erlangt der Versicherungsnehmer auch aus dieser Bewertung eine Position, die zu den "aus dem Vertrag erworbenen Rechten" gehört. Der Versicherer muß beim Tarifwechsel nicht nur zwischenzeitliche Verschlechterungen des Gesundheitszustandes unberücksichtigt lassen. Hat er wie die Klägerin den Gesundheitszustand nach einer eigenen Risikoskala bewertet, darf er darüber hinaus im weiteren Vertragsverlauf von dieser Einstufung nicht zu Ungunsten des Versicherten abweichen, und zwar auch dann nicht, wenn im Lichte späterer Erkenntnisse - etwa aufgrund des weiteren Krakheitsverlaufs oder neuerer Ergebnisse der medizinischen Forschung - die damalige Einstufung zu günstig war. Diese versicherungstechnische Bewertung von Vorerkrankungen nach Risikostufen begründet als Grundlage für die Erhebung oder Nichterhebung eines Risikozuschlags demnach ein beim Tarifwechsel anzurechnendes Recht. Dem steht nicht entgegen, daß sich dieses anzurechnende Recht auf ein unternehmerisches Verhalten des Versicherers gründet, auf das der Versicherungsnehmer keinen Einfluß hat.

Im übrigen bestimmt sich das Vertragsverhältnis bei einem Tarifwechsel nach dem neuen Tarif. Sieht der neue Tarif wie der bisherige neben einer Grundprämie die Erhebung eines Risikozuschlages vor, so hat der Versicherungsnehmer Anspruch darauf, daß dieser höchstens nach Maßgabe der bei Vertragsbeginn festgelegten Risikoeinstufung festgesetzt wird. Dies schließt nicht aus, daß der Versicherer die ursprüngliche Risikoeinstufung gegebenenfalls in eine neue Risikoskala einpaßt, etwa, wenn beide in der Anzahl oder Definition der Risikostufen voneinander abweichen. Nicht zulässig ist es jedoch, den bei Vertragsbeginn festgestellten Gesundheitszustand nach Maßgabe einer jetzt geltenden Risikoskala zu Ungunsten des Versicherungsnehmers neu zu bewerten. Sieht das für den neuen Tarif angewendete interne Regelwerk für den damals festgestellten Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers inzwischen eine ungünstigere Risikostufe vor, ist der Versicherer gehindert, Prämie und Risikozuschlag im neuen Tarif nach Maßgabe dieser ungünstigeren Risikostufe zu berechnen. Entgegen der Ansicht des Bundesaufsichtsamts ist aber nicht entscheidend, ob der Risikozuschlag absolut oder prozentual höher ausfällt als ein in den alten Tarifen erhobener Zuschlag. Denn dies hängt jeweils davon ab, welches Risiko der Versicherer als das mit der Grundprämie abgedeckte "Basisrisiko" kalkulatorisch festgelegt hat. Die auf die Höhe des Risikozuschlages abstellende Verfügung des Bundesaufsichtsamts ist daher insoweit nicht rechtmäßig.

Wechselt der Versicherungsnehmer aus einem Tarif mit einer Pauschalprämie, in die - wie bei den alten C-Tarifen der Klägerin - das durch Vorerkrankungen der Versicherten bedingte Gesamtrisiko einkalkuliert war, in einen solchen mit Risikozuschlägen, so ist nach diesen Grundsätzen der Versicherer nicht gehindert, im neuen Tarif Risikozuschläge zu erheben, sofern der neue Tarif dies für die Risikoklasse vorsieht, in die der Versicherer bei Abschluß der Versicherung den Versicherten eingestuft hatte. Diese Einstufung darf auch bei solchen Fallgestaltungen nicht nachteilig geändert werden. Ein darüber hinausgehendes Recht auf Freiheit von Risikozuschlägen auch in einem völlig anders kalkulierten Tarif erwirbt der Versicherungsnehmer mit dem Abschluß des Vertrages zu einer Pauschalprämie entgegen der Auffassung des Bundesaufsichtsamts nicht. Der Gesetzgeber mag einen solchen eher atypischen Fall nicht ins Auge gefaßt haben. Eine interessengerechte Auslegung und Anwendung des Gesetzes ergibt aber, daß auch in diesem Falle die Erhebung eines Risikozuschlags nicht ausgeschlossen ist. Die innere Rechtfertigung hierfür liegt darin, daß die Krankenversicherung auch im bisherigen Tarif mit den bei Vertragsbeginn bereits vorhandenen Erkrankungen nur gegen eine verhältnismäßig hohe Prämie abgeschlossen werden konnte. Würde der Versicherte zu dem preiswerteren Grundbeitrag des neuen Tarifs ohne jeden Risikozuschlag versichert, läge darin eine Begünstigung, die weder gegenüber dem Versicherer noch gegenüber neuen Versicherungsnehmern sachlich gerechtfertigt wäre.

c) Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift rechtfertigt keine andere Auslegung. Die Bestimmungen der §§ 178 a bis 178 o und damit auch § 178 f Abs. 1 VVG sind durch das Dritte Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. Juli 1994 (BGBl I S. 1630, berichtigt S. 3134) in das Versicherungsvertragsgesetz eingeführt worden. Sie dienen u.a. der Umsetzung der Richtlinie 92/49/EWG - der sog. Dritten Richtlinie Schadenversicherung - vom 18. Juni 1992 (ABl EG Nr. L 228 S. 1). Diese ermächtigt in Art. 54 die Mitgliedstaaten, besondere Regelungen für Krankenversicherungen vorzusehen, die geeignet sind, ganz oder teilweise die im gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehene Krankenversicherung zu ersetzen (sog. substitutive Krankenversicherung). Sie ermächtigt insbesondere dazu, vorzusehen, daß die private oder freiwillige Krankenversicherung, sofern sie substitutiv ist, in technischer Hinsicht nach Art der Lebensversicherung zu betreiben ist (Art. 54 Abs. 2; Erwägung Nr. 24). Von dieser Ermächtigung hat der deutsche Gesetzgeber Gebrauch gemacht. Die den §§ 178 a - 178 o VVG entsprechende Krankheitskosten-Vollversicherung ist nach seinen Vorstellungen generell geeignet, die gesetzliche Krankenversicherung ganz oder teilweise zu ersetzen (Amtl. Begründung, BTDrucks 12/6959 S. 60; vgl. auch Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 26. Aufl. 1998, § 178 a VVG Rn. 11). § 12 Abs. 1 VAG und § 257 Abs. 2 a Nr. 1 SGB V (in der Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 1992, BGBl I S. 2266) regeln daher, daß die Krankenversicherung nach Art der Lebensversicherung zu betreiben ist.

Besondere Anforderungen an die Höhe oder die Ausgestaltung der Tarife im Falle eines Tarifwechsels sind weder gemeinschaftsrechtlichen noch nationalen Rechtsvorschriften zu entnehmen. Die gesetzgeberische Entscheidung, die Prämienkalkulation nicht zu den Kriterien zu rechnen, anhand derer über die "Gleichartigkeit des Versicherungsschutzes" zu befinden ist, eröffnet die Wechselmöglichkeit auch dann, wenn - wie hier - die Prämien im bisherigen und im neuen Tarif nach unterschiedlichen und deshalb kaum vergleichbaren Grundsätzen kalkuliert worden sind. Es fehlt aber ein eindeutiger Hinweis darauf, daß bei einem Tarifwechsel die Folgen, die sich aus der mangelnden Vergleichbarkeit der kalkulatorischen Grundlagen des bisherigen und des neuen Tarifs ergeben, einseitig zu Lasten des Versicherers gehen müßten. In der mündlichen Verhandlung haben sich auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die Klägerin den Tarifwechsel ihrer Versicherungsnehmer in mißbräuchlicher Weise dazu benutzt, die Folgen etwaiger geschäftlicher Fehlentscheidungen bei der Berechnung der alten C-Tarife zu Lasten wechselwilliger Versicherungsnehmer auszugleichen.

d) § 178 f VVG enthält also weder ein Verbot, Risikozuschläge zu verlangen, wenn im bisherigen Tarif höhere Risiken durch eine Pauschalprämie berücksichtigt wurden und deswegen keine Risikozuschläge zu zahlen waren, noch ein Verbot, die neuen Risikozuschläge bei einer anders kalkulierten Basis-prämie prozentual oder absolut höher als die alten zu bemessen. Die Verfügung des Bundesaufsichtsamts beruht auf der gegenteiligen Rechtsauffassung. Sie ist daher insgesamt aufzuheben.

4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO.

Beschluß:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15 Millionen DM festgesetzt.



Ende der Entscheidung

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