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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 10.08.2000
Aktenzeichen: BVerwG 1 B 35.00
Rechtsgebiete: HwO


Vorschriften:

HwO § 52 Abs. 2
Leitsätze:

1. Der Innungsbezirk kann sich nach § 52 Abs. 2 Satz 2 HwO auch auf das vollständige Gebiet mehrerer kreisfreier Städte oder Landkreise erstrecken (wie Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 1 B 156.95 - Buchholz 451.45 § 52 HwO Nr. 6).

2. Die Handwerkskammer darf nach § 52 Abs. 2 Satz 3 HwO auch solche Innungsbezirke zulassen, die sich über einen Teil des Gebiets einer kreisfreien Stadt oder eines Landkreises erstrecken. Das kann beispielsweise zu dem Zweck geschehen, einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet angemessen Rechnung zu tragen.

Beschluss des 1. Senats vom 10. August 2000 - BVerwG 1 B 35.00 -

I. VG Bremen vom 21.04.1999 - Az.: VG 5 K 1676/98 - II. OVG Bremen vom 28.03.2000 - Az.: OVG 1 A 314/99 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 1 B 35.00 OVG 1 A 314/99

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 10. August 2000 durch den Vorsitzenden Richter Meyer und die Richter Dr. Mallmann und Dr. Gerhardt

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 28. März 2000 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Abänderung der Streitwertbeschlüsse des Oberverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichts für jeden Rechtszug auf 16 000 DM festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde muss erfolglos bleiben.

Die Klägerin beruft sich allein auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage und einen Hinweis auf den Grund, der die Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Ist das Berufungsurteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn bezüglich jeder Begründung ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt. Das gilt auch dann, wenn die Begründung der Berufungsentscheidung in einer Haupt- und Hilfsbegründung besteht, etwa dahin, dass die Klage unzulässig sei und bei unterstellter Zulässigkeit unbegründet wäre (vgl. z.B. Beschlüsse vom 27. August 1999 - BVerwG 1 B 57.99 - und vom 9. November 1989 - BVerwG 2 B 148.89 -). Danach rechtfertigt das Beschwerdevorbringen nicht die Zulassung der Revision.

Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, die Klagen seien jeweils mit dem Haupt- und Hilfsantrag unzulässig; wären sie zulässig, müssten sie als unbegründet abgewiesen werden, weil die Satzung der Beklagten zu 1. nicht, wie es der Erfolg der Klagen u.a. voraussetze, gegen § 52 Abs. 2 HwO verstoße.

Bezüglich der genannten Hilfsbegründung des Berufungsgerichts wirft die Klägerin als klärungsbedürftig die Frage auf, ob und inwieweit gemäß § 52 Abs. 2 Satz 3 HwO dergestalt von dem Prinzip der Deckungsgleichheit abgewichen werden kann, dass sich der Innungsbezirk lediglich auf Teile des Gebiets eines Landkreises erstreckt. Die Klägerin ist der Ansicht, § 52 Abs. 2 Satz 3 HwO ermögliche nur die Zulassung eines sich über das vollständige Gebiet mehrerer Landkreise erstreckenden Innungsbezirks. Die aufgeworfene Frage ermöglicht nicht die Zulassung der Revision, denn sie lässt sich unmittelbar aufgrund des Gesetzes und der dazu ergangenen Rechtsprechung des beschließenden Senats beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Die weiteren von der Klägerin aufgeworfenen Fragen, die sich auf die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Zulässigkeit der Klagen beziehen, sind demnach nicht entscheidungserheblich.

Nach § 52 Abs. 2 Satz 2 HwO in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 1993 (BGBl I S. 2256) hat sich der Innungsbezirk mindestens mit dem Gebiet einer kreisfreien Stadt oder eines Landkreises zu decken. Diese Vorschrift dient der Durchsetzung des allgemein anerkannten Prinzips der "Einräumigkeit der Verwaltung", mit dem Deckungsgleichheit der Zuständigkeitsbezirke der Sonderbehörden mit denen der allgemeinen inneren Verwaltung oder Gemeinden und Gemeindeverbände hergestellt werden soll. Die Vorschrift will der Rechtsprechung des beschließenden Senats zu der früheren Fassung des § 52 Abs. 2 Satz 2 HwO "Rechnung tragen" (BTDrucks 12/5918 S. 23), die vorschrieb, dass sich der Innungsbezirk in der Regel mit dem Gebiet einer kreisfreien Stadt oder eines Landkreises decken sollte. Von dieser Regelung durfte nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats nur in atypischen Fällen abgewichen werden (Urteil vom 17. März 1992 - BVerwG 1 C 31.89 - BVerwGE 90, 88 = Buchholz 451.45 § 52 HwO Nr. 3 = GewArch 1992, 302). Auch in ihrer neuen Fassung will demnach die Vorschrift verhindern, dass Innungsgrenzen die Gebiete kreisfreier Städte und Landkreise durchschneiden. Sie ist deswegen dahin auszulegen, dass sich der Innungsbezirk "mindestens" mit dem Bezirk einer kreisfreien Stadt oder eines Landkreises decken muss, sich aber auch über das vollständige Gebiet mehrerer kreisfreier Städte oder Landkreise erstrecken darf. Dagegen darf er selbst dann nicht bloße Gebietsteile einer kreisfreien Stadt oder eines Landkreises umfassen, wenn ihm daneben das vollständige Gebiet einer anderen kreisfreien Stadt oder eines anderen Landkreises angehört. Das hat der beschließende Senat bereits in seinem Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 1 B 156.95 - (Buchholz 451.45 § 52 HwO Nr. 6 = GewArch 1996, 163) klargestellt. Es besteht kein Grund, hiervon abzuweichen. Freilich kann eine Innung, die sich über mehrere kreisfreie Städte oder Landkreise erstreckt, in Konflikt geraten mit den Organisationsprinzipien des § 52 Abs. 2 Satz 1 HwO. Kann sie die grundsätzlich zu beachtenden Anforderungen dieser Vorschrift nicht erfüllen, muss sie sich unter Umständen auf den Bezirk einer kreisfreien Stadt oder eines Landkreises beschränken.

Durch das genannte Änderungsgesetz vom 20. Dezember 1993 ist zugleich dem § 52 Abs. 2 HwO ein Satz 3 angefügt worden, nach dem die Handwerkskammer unter den Voraussetzungen des - unverändert gebliebenen - Satzes 1 eine andere Abgrenzung zulassen kann. Danach ist die Handwerkskammer ermächtigt, eine Abweichung von der Regelung des Satzes 2 in der vorstehend dargelegten Auslegung zuzulassen. Sie darf also gestatten, die Grenzen eines Innungsbezirks so festzulegen, dass sie das Gebiet einer kreisfreien Stadt oder eines Landkreises durchschneiden. Dazu gehört auch der Fall, dass sich wie bei der Beklagten zu 1. der Innungsbezirk über das gesamte Gebiet einer kreisfreien Stadt oder eines Landkreises hinaus auf einen Teil eines Nachbarkreises erstreckt. Soll dagegen der Innungsbezirk das vollständige Gebiet mehrerer kreisfreier Städte oder Landkreise umfassen, so bedarf es nach dem Aufgeführten keiner Ausnahme von der Regelung des § 52 Abs. 2 Satz 2 HwO.

Die Zulassung der Ausnahme ist tatbestandlich davon abhängig, dass die Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 Satz 1 HwO erfüllt sind, und steht im Übrigen im Ermessen der Handwerkskammer. Die Abgrenzung muss demnach so vorgenommen werden, dass unter Berücksichtigung einheitlicher Wirtschaftsgebiete die Zahl der Mitglieder zur Sicherung der Leistungsfähigkeit der Innung ausreicht und die Mitglieder an dem Leben und den Einrichtungen der Innung teilnehmen können. Ebenso wie nach der früheren Fassung des § 52 Abs. 2 Satz 2 HwO das Erfordernis, die Leistungsfähigkeit und Integrationskraft der Innung zu sichern, Vorrang vor dem Prinzip der "Deckungsgleichheit" der Zuständigkeitsbezirke hatte und eine die Abweichung von diesem Prinzip rechtfertigende Ausnahme begründete, kommt die Zulassung einer Ausnahme von der jetzigen Regelung des § 52 Abs. 2 Satz 2 HwO in Betracht, wenn sie zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit und der Integrationskraft der Innung geboten erscheint. Insoweit hat die Neufassung des Gesetzes eine sachliche Änderung nicht bewirkt. Auch das hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 20. Dezember 1995 (a.a.O.) klargestellt. Auf derartige Fälle ist aber die Ausnahmeermächtigung des § 52 Abs. 2 Satz 3 HwO nach ihrem insoweit eindeutigen Wortlaut nicht beschränkt. Entsprechendes hat der beschließende Senat auch nicht in seinem Urteil vom 17. März 1992 (a.a.O.) für die frühere Gesetzesfassung angenommen. Soweit in dem Beschluss vom 20. Dezember 1995 (a.a.O.) von einem engeren Verständnis der Ermächtigung ausgegangen worden ist, wird daran nicht festgehalten. Das Ermessen ist bereits dann eröffnet, wenn - unter Berücksichtigung einheitlicher Wirtschaftsgebiete - die Zahl der Mitglieder ausreichend ist und die Mitglieder an dem Leben und den Einrichtungen der Innung teilnehmen können, mithin die Organisationsprinzipien des § 52 Abs. 2 Satz 1 HwO eingehalten werden. Das Ermessen muss indes nach sachgerechten Gesichtspunkten ausgeübt werden. Dafür geben, wie sich von selbst versteht, die Organisationsprinzipien des § 52 Abs. 2 HwO ihrerseits wiederum einen Anhalt. Demgemäß darf sich die Handwerkskammer bei der Ermessensausübung auch davon leiten lassen, einem oder gegebenenfalls mehreren einheitlichen Wirtschaftsgebieten angemessen Rechnung zu tragen. Das bedarf nicht erst der Klarstellung in einem Revisionsverfahren.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 Satz 3 HwO seien erfüllt. Für einen Ermessensfehler liege nichts vor. Auch die Voraussetzungen des § 52 Abs. 3 HwO seien gegeben. Dazu macht die Beschwerde einen Revisionszulassungsgrund nicht geltend.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung des § 5 ZPO. Die Klägerin hat gegenüber jeder Beklagten eigenständige Ansprüche von selbständigem Wert geltend gemacht, die jeweils mit dem Auffangwert des § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG zu bemessen sind. Die Änderung der vorinstanzlichen Wertfestsetzungen beruht auf § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG.



Ende der Entscheidung

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