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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 17.12.2002
Aktenzeichen: BVerwG 1 C 10.02
Rechtsgebiete: AsylVfG
Vorschriften:
AsylVfG § 26 Abs. 2 Satz 1 | |
AsylVfG § 71 |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 1 C 10.02 (1 PKH 38.02)
Verkündet am 17. Dezember 2002
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 17. Dezember 2002 durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann, Hund, Richter und Prof. Dr. Dörig
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Beteiligten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. März 2002 wird zurückgewiesen.
Der Beteiligte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe:
I.
Die Klägerinnen zu 1 bis 3 und der Kläger zu 4, die zwischen 1980 und 1983 in der Türkei geboren wurden, sind türkische Staatsangehörige. Sie verließen im Mai 1995 ihr Heimatland, reisten in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten im Juli 1995 Asyl. Ihre Eltern reisten im August 1995 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten ebenfalls Asyl. Die in das Asylverfahren der Eltern einbezogenen Anträge der Kläger und die Anträge ihrer Eltern wies das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) als offensichtlich unbegründet ab. Hiergegen haben die Kläger gemeinsam mit ihren Eltern Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte durch inzwischen rechtskräftiges Urteil vom 1. März 2001 verpflichtet, den Vater der Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bei ihm vorliegen. Die Klagen der Mutter und der Kläger wies es ab. Das Bundesamt erkannte den Vater der Kläger mit Bescheid vom 15. Juni 2001 als Asylberechtigten an und stellte das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei fest.
Im Juli 2001 stellten die inzwischen volljährigen Kläger Folgeanträge mit dem Ziel, das Asylverfahren wieder aufzugreifen und sie gemäß § 26 AsylVfG als (Familien-)Asylberechtigte anzuerkennen. Das Bundesamt lehnte diese Anträge ab. Die hiergegen erhobenen Klagen der Klägerinnen zu 1 bis 3 hat das Verwaltungsgericht abgewiesen, der Klage des Klägers zu 4 hat es stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Beklagte auf die Berufung der Klägerinnen zu 1 bis 3 verpflichtet, sie als Asylberechtigte anzuerkennen. Die gegen die Verpflichtung zur Anerkennung des Klägers zu 4 gerichtete Berufung des Beteiligten hat es zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Kläger hätten Anspruch auf Familienasyl, da sie bei Stellung ihres asylrechtlichen Erstantrages minderjährig und ledig gewesen seien. Sinn und Zweck der Neuregelung des § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG im Jahre 1992 sei es gewesen zu verhindern, dass sich eine etwaige längere Verfahrensdauer nachteilig auf den Anspruch des Kindes auf Familienasyl auswirke. Aus dieser gesetzgeberischen Entscheidung ergebe sich, dass Ursachen, die nicht in den Verantwortungsbereich eines asylsuchenden Klägers fielen, sondern in der Dauer seines Asylverfahrens begründet seien, diesem nicht anzulasten seien. Das gleiche müsse aber auch dann gelten, wenn der Anspruch auf Familienasyl eines volljährigen Kindes faktisch allein von der Verfahrensweise des Gerichts abhänge. Hier seien die Verfahren der Kläger nicht abgetrennt, sondern gleichzeitig mit dem Verfahren des Vaters entschieden worden, was zur Folge gehabt habe, dass sie aufgrund der Dauer des Asylverfahrens im Zeitpunkt der Folgeantragstellung nicht mehr minderjährig gewesen seien.
Gegen dieses Urteil hat der Beteiligte die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Er rügt vor allem eine Verletzung des § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG. Das Berufungsgericht habe für den Zeitpunkt der Minderjährigkeit zu Unrecht auf den Erstantrag und nicht auf den Folgeantrag abgestellt. Das widerspreche dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. August 1996 - BVerwG 9 C 92.95 -. Die Regelungen zum Familienasyl stellten im System des Asylrechts Ausnahmeregelungen dar und seien daher einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich. Durch die Gesetzesänderung vom 29. Oktober 1997, wonach Familienasyl nunmehr nur von bestandskräftig anerkannten Stammberechtigten abgeleitet werden könne, hätten die Bestimmungen des § 26 AsylVfG eine weitere Beschränkung erfahren. Ein Anspruch auf Familienasyl bei Volljährigkeit zur Zeit der Folgeantragstellung scheide stets und unabhängig davon aus, in wessen Verantwortungsbereich es falle, dass eine frühere Verfahrensbeendigung bzw. Folgeantragstellung des Kindes nicht habe erfolgen können.
Die Kläger treten der Revision entgegen und verteidigen die Entscheidung des Berufungsgerichts.
II.
Die Revision des Beteiligten hat keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil steht mit Bundesrecht im Einklang (§ 137 Abs. 1 VwGO).
Das Berufungsgericht hat den Klägern mit Recht einen Anspruch auf Anerkennung als (Familien-)Asylberechtigte nach § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG zuerkannt. Nach dieser Vorschrift erhalten Kinder eines unanfechtbar anerkannten Asylberechtigten Asyl, wenn sie "im Zeitpunkt ihrer Asylantragstellung" minderjährig und ledig sind. Dies traf hinsichtlich der vier inzwischen volljährigen Kläger im Zeitpunkt der Stellung ihres ersten Asylantrags nach ihrer Einreise im Juli 1995 zu. Darauf ist hier für die Gewährung des Familienasyls, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, abzustellen.
Die Maßgeblichkeit der Erstanträge ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Das Institut des Familienasyls dient vor allem dem Zweck, die Einordnung naher Angehöriger eines politisch Verfolgten in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland zu fördern (vgl. Urteil vom 21. Januar 1992 - BVerwG 9 C 63.91 - BVerwGE 89, 309 <313>). Mit der durch das Asylverfahrensgesetz vom 26. Juni 1992 - AsylVfG - erfolgten Neufassung des Familienasyls für Minderjährige sollte dessen Schutzumfang erweitert werden. Anknüpfungspunkt für die Minderjährigkeit der Kinder war dementsprechend nicht mehr die Entscheidung über ihren Asylantrag. Vielmehr wurde der Schutz auf den Zeitpunkt ihrer Asylantragstellung vorverlagert. Damit sollte erreicht werden, dass sich eine längere Verfahrensdauer bis zu einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung nicht nachteilig auf die Kinder auswirkt (vgl. Begründung der Beschlussempfehlung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 2. Juni 1992, BTDrucks 12/2718 S. 60). An diesem Ziel hat die Asylrechtsnovelle vom 29. Oktober 1997, durch die das Erfordernis der Bestandskraft der Asylanerkennung des Stammberechtigten eingeführt worden ist, nichts geändert (so bereits Urteil vom 13. August 1996 - BVerwG 9 C 92.95 - BVerwGE 101, 341 <343>). Der Gesetzgeber nahm damit zwar eine längere Verfahrensdauer für die Gewährung von Familienasyl für Kinder in Kauf, wollte damit aber ersichtlich nicht die Änderungen von 1992 rückgängig machen. Es stand außer Frage, dass auch künftig nachteilige Auswirkungen einer längeren Verfahrensdauer auf die Kinder ausgeschlossen bleiben sollten. Probleme, die sich daraus ergeben, dass das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) und die Gerichte über die Asylanträge von Kindern in der Praxis schon dann ablehnend entscheiden, wenn noch nicht unanfechtbar feststeht, dass sie auch kein Familienasyl erhalten können, dürfen deshalb nicht - was letztlich Konsequenz der Revision wäre - zu Lasten der Kinder gelöst werden. Das aber wäre der Fall, wenn ein Folgeantrag der Kinder nach unanfechtbarer Ablehnung ihres Erstantrags und nachträglicher Anerkennung eines Elternteils - aufgrund des gleichzeitig (oder in unmittelbarem Zusammenhang) gestellten Asylantrags - allein deswegen erfolglos bliebe, weil sie inzwischen (und letztlich wegen der Verfahrensgestaltung des Bundesamts oder der Gerichte) volljährig geworden sind. Dieses Ergebnis wäre mit Sinn und Zweck der Regelung in § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG 1997 unvereinbar. Außerdem müssten das Bundesamt und die Gerichte sonst ihre Verfahrenspraxis ändern und alle negativ entscheidungsreifen Verfahren aussetzen, bis unanfechtbar über den letzten gleichzeitig gestellten Asylantrag eines potenziell Stammberechtigten entschieden ist. Das aber würde dem Anliegen möglichst weitgehender Beschleunigung aller Asylverfahren widersprechen.
Hieraus folgt, dass jedenfalls in Fällen, in denen - wie hier - Erstanträge minderjähriger und lediger Kinder unanfechtbar abgelehnt wurden, bevor abschließend über die Asylberechtigung der Eltern entschieden worden ist, diese Art der Verfahrensgestaltung den Kindern auch dann nicht entgegengehalten werden darf, wenn sie im Zeitpunkt der unanfechtbaren Anerkennung eines stammberechtigten Elternteils und Stellung eines Folgeantrags volljährig bzw. nicht mehr ledig sind.
Die Entscheidung des früher für das Asylrecht zuständigen 9. Senats vom 13. August 1996 a.a.O. steht dieser Auslegung und Anwendung des § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG nicht entgegen. Jene - noch vor der Änderung des Gesetzes im Jahre 1997 - ergangene Entscheidung betraf eine andere und mit der vorliegenden nicht vergleichbare Fallkonstellation. Zur Vermeidung von Missverständnissen bemerkt der Senat, dass er an dieser Rechtsprechung festhält, nach der in Folgeantragsverfahren von Familienangehörigen, mit denen im Wege des Wiederaufgreifens auch ein Anspruch auf Familienasyl nach § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG geltend gemacht wird, grundsätzlich auf den Folgeantrag im Sinne von § 71 AsylVfG als verfahrenseinleitenden Antrag abzustellen ist. Ob abweichend hiervon in anderen Fallkonstellationen als der hier entschiedenen auf den Erstantrag abzustellen ist, insbesondere wenn der Stammberechtigte erfolgreich ein Wiederaufgreifen seines Erstantrags aus den ursprünglich vorgetragenen Gründen betreibt, bedarf keiner weiteren Prüfung und Entscheidung.
Danach ist Kindern eines Asylberechtigten, die - wie die Kläger - als Minderjährige im zeitlichen Zusammenhang mit ihrer Einreise oder mit der Antragstellung des Stammberechtigten Asylanträge gestellt haben, Familienasyl nach § 26 Abs. 2 AsylVfG auch dann zu gewähren, wenn sie ihre Folgeanträge allein aufgrund der Dauer des behördlichen oder gerichtlichen Verfahrens zur Anerkennung des Stammberechtigten erst nach Eintritt der Volljährigkeit stellen konnten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Ende der Entscheidung
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