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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 17.03.2004
Aktenzeichen: BVerwG 1 C 11.03
Rechtsgebiete: AuslG, DVAuslG
Vorschriften:
AuslG § 8 Abs. 1 Nr. 2 | |
AuslG § 9 Abs. 1 Nr. 2 | |
AuslG § 22 Satz 1 | |
DVAuslG § 9 Abs. 2 |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 1 C 11.03
Verkündet am 17. März 2004
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2004 durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Richter, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. März 2003 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 28. Februar 2002 geändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen.
Gründe:
I.
Die Klägerin, eine 1980 in Deutschland geborene tunesische Staatsangehörige, erstrebt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Die Eltern der Klägerin sind inzwischen deutsche Staatsangehörige und leben in Wolfsburg. Die Klägerin hielt sich bis 1987 bei ihren Eltern in Deutschland und danach bei ihren Großeltern in Tunesien auf. Von dort aus besuchte sie ihre Eltern jeweils in den Sommerferien.
Am 9. August 1998 reiste die Klägerin mit einem bis zum 24. September 1998 gültigen Besuchsvisum zu ihren Eltern nach Deutschland ein. Am 25. August 1998 beantragte sie bei der Beklagten die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Zur Begründung wies sie u.a. auf die Pflegebedürftigkeit ihres Vaters hin. Im November 1998 machte sie erstmals eigene gesundheitliche Probleme geltend. Im März 1999 nahm sie ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zurück; wegen Reiseunfähigkeit erhielt sie von der Beklagten eine Duldung, die seither mehrfach verlängert wurde.
Im Juli 1999 beantragte die Klägerin erneut, ihr eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Die Beklagte lehnte den Antrag unter Hinweis auf die Einreise der Klägerin ohne das erforderliche Visum ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos. Auf ihre Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte, der Klägerin eine befristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Im Übrigen - hinsichtlich des Antrags auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis - wies es die Klage ab. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 19. März 2003 (EzAR 022 Nr. 10) zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, angesichts der eigenen psychischen Erkrankung der Klägerin sei im Laufe des Verfahrens eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 22 Satz 1 AuslG i.V.m. § 23 Abs. 4 AuslG entstanden. § 22 AuslG stelle zwar eine Ermessensvorschrift dar, aber jedenfalls zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung sei davon auszugehen, dass das behördliche Ermessen auf Null reduziert sei. Der Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG sei offensichtlich auch gegeben; der Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG greife deshalb nicht ein. Der gegenteiligen Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, dass Ermessensvorschriften keinen Anspruch gemäß § 9 AuslG vermitteln könnten, sei nicht zu folgen. § 71 Abs. 2 Satz 1 AuslG stehe nicht entgegen, denn er sei verfassungskonform einschränkend auszulegen.
Die Beklagte hat die vom Berufungsgericht wegen Divergenz zugelassene Revision eingelegt und bezieht sich auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
Die Klägerin hält sich nach wie vor in Deutschland auf.
II.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Beklagte zu Unrecht zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verpflichtet.
Das Berufungsgericht hat der Klägerin einen Anspruch auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 4 i.V.m. den §§ 22 und 17 AuslG zugesprochen. Danach kann einem ausländischen Familienangehörigen von Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn dies zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Andere Anspruchsgrundlagen hinsichtlich einer Aufenthaltserlaubnis kommen von vornherein nicht in Betracht.
Der Senat kann dahinstehen lassen, ob das Berufungsgericht zu Recht eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 22 AuslG angenommen hat. Nach der Rechtsprechung des Senats setzt dies grundsätzlich voraus, dass der ausländische Familienangehörige, der im Bundesgebiet lebt oder den Nachzug zu seiner hier lebenden Familie anstrebt, auf familiäre Lebenshilfe angewiesen ist (vgl. z.B. Beschluss vom 25. Juni 1997 - BVerwG 1 B 236.96 - Buchholz 402.240 § 22 AuslG Nr. 4 m.w.N.). Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auch auf die Pflegebedürftigkeit des Vaters der Klägerin abstellt (UA S. 7), trifft es keine Feststellungen dazu, dass und aus welchen Gründen die Pflege des Vaters nicht hinreichend von der Mutter der Klägerin wahrgenommen werden kann, sondern der Vater zusätzlich auf die Klägerin angewiesen sein soll. Das Berufungsgericht führt ferner nicht aus, dass und aus welchen Gründen der Klägerin - etwa im Hinblick auf ihre beiden älteren Geschwister - nicht angesonnen werden kann, familiäre Hilfe in Tunesien in Anspruch zu nehmen.
Die Frage der außergewöhnlichen Härte bedarf jedoch keiner abschließenden Erörterung. Denn die von der Klägerin erstrebte Aufenthaltserlaubnis ist schon deshalb zu versagen, weil ihrer Erteilung § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG entgegensteht und die Voraussetzungen, die eine Entscheidung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG eröffnen, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht vorliegen.
Nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG wird die Aufenthaltsgenehmigung auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruches nach diesem Gesetz versagt, wenn der Ausländer mit einem Visum eingereist ist, das aufgrund seiner Angaben im Visumantrag ohne erforderliche Zustimmung der Ausländerbehörde erteilt worden ist. Da die Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von vornherein beabsichtigt hat, sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufzuhalten, hätte es für die Erteilung ihres Visums der vorherigen Zustimmung der Ausländerbehörde bedurft (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 DVAuslG). Die Klägerin ist daher im August 1998 mit einem Visum eingereist, das aufgrund ihrer Angaben im Visumantrag ohne erforderliche Zustimmung der Ausländerbehörde erteilt worden ist. Damit sind die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erfüllt.
Die Klägerin kann sich nicht auf eine sich aus § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG ergebende Befreiung von § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG berufen. Danach kann die Aufenthaltsgenehmigung abweichend von § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erteilt werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruches auf Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung nach diesem Gesetz offensichtlich erfüllt sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muss der in § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG vorausgesetzte Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ein strikter Rechtsanspruch sein. Ein Anspruch, der seinerseits nur ein Ermessen eröffnet, genügt nicht, selbst wenn im Einzelfall das Ermessen auf Null reduziert sein sollte. Insoweit gilt nichts anderes als in den Fällen eines gesetzlichen Anspruches im Sinne von § 11 Abs. 1 und § 28 Abs. 3 AuslG. Ein gesetzlicher Anspruch in diesem Sinne ist danach nur gegeben, wenn das Gesetz die Behörde unmittelbar (und allgemein) verpflichtet, bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen; ist die Erteilung in das Ermessen der Ausländerbehörde gestellt, begründet auch eine Ermessensreduzierung "auf Null" keinen gesetzlichen Anspruch. Auch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK vermitteln einen gesetzlichen Anspruch in diesem Sinne nicht (vgl. etwa Urteil vom 18. Juni 1996 - BVerwG 1 C 17.95 - BVerwGE 101, 265 <272>; Beschluss vom 3. März 1998 - BVerwG 1 B 27.98 - Buchholz 402.240 § 28 AuslG Nr. 9). Der Senat sieht sich durch den vorliegenden Fall nicht veranlasst, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Etwaigen Härten könnte auf andere Weise Rechnung getragen werden (vgl. am Ende).
Die für die Klägerin allein in Betracht kommende Nachzugsvorschrift des § 23 Abs. 4 AuslG i.V.m. § 22 Satz 1 AuslG stellt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis jedoch in das Ermessen der Behörde. Danach hat die Klägerin nur einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des behördlichen Ermessens. Zwar kann im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände das der Behörde eingeräumte Ermessen "auf Null schrumpfen", so dass sich hieraus faktisch ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ergibt. Dieser Anspruch, der auf einer besonderen Fallkonstellation beruht, ist aber kein g e s e t z l i c h e r Anspruch im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG. Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG sind damit vorliegend nicht gegeben. Es bleibt daher bei dem besonderen Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG. Demzufolge kann es auf sich beruhen, ob bzw. inwieweit § 71 Abs. 2 Satz 1 AuslG die Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG ausschließen könnte.
Die durch das Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG verletzt somit Bundesrecht. Ob darüber hinaus Bundesrecht dadurch verletzt worden ist, dass das Berufungsgericht angenommen hat, das der Beklagten in § 22 Satz 1 AuslG eingeräumte Ermessen sei "auf Null" reduziert, der deshalb bestehende Rechtsanspruch offensichtlich im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG gegeben und auch das gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG eröffnete Ermessen vorliegend "auf Null" reduziert, bedarf keiner Entscheidung.
Die Berufungsentscheidung stellt sich auch nicht im Hinblick auf § 3 Abs. 3 Satz 2 AuslG und § 9 DVAuslG als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Danach kann ein Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise die Aufenthaltsgenehmigung nach der Einreise einholen. Dann entfällt der Versagungsgrund nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AuslG. In Betracht kommt im Falle der Klägerin lediglich § 9 Abs. 2 Nr. 3 DVAuslG. Danach kann ein Ausländer die Aufenthaltserlaubnis zu dem in § 17 Abs. 1 AuslG bezeichneten Zweck nach der Einreise einholen, wenn er sich rechtmäßig, geduldet oder gestattet nach § 55 Abs. 1 AsylVfG im Bundesgebiet aufhält, erlaubt eingereist ist und während seines rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet die Umstände, die eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 22 Satz 1 AuslG begründen, im Bundesgebiet eingetreten sind. Die Klägerin kann sich auf diese Vorschrift indes nicht berufen. Von allen anderen Voraussetzungen abgesehen, fehlt es vorliegend jedenfalls daran, dass die Umstände, die eine (mögliche) außergewöhnliche Härte im Sinne des § 22 Satz 1 AuslG begründen, im Bundesgebiet w ä h r e n d des rechtmäßigen Aufenthalts der Klägerin eingetreten sind. Derartige Umstände müssten zwischen der Einreise der Klägerin am 9. August 1998 und dem Ablauf ihres Besuchsvisums am 24. September 1998 eingetreten sein. Dafür ist von der Klägerin nichts geltend gemacht worden und auch sonst nichts ersichtlich. Die von der Klägerin zu ihrer psychischen Erkrankung vorgelegten privatärztlichen Atteste belegen, dass sie einerseits an dieser Erkrankung bereits seit 1991 leidet, andererseits aber erst seit Oktober 1998, also nach Ablauf ihres Besuchsvisums, fachärztlich behandelt wird.
Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis scheidet demnach aus. Ist es der Klägerin, die von der Beklagten nach wie vor geduldet wird, weiterhin nicht möglich bzw. nicht zumutbar, das Bundesgebiet zu verlassen, um das erforderliche Visum zu beschaffen, so wird auf einen entsprechenden Antrag der Klägerin hin die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG zu erwägen sein. Der Gesetzgeber hat insoweit eine Möglichkeit geschaffen, abweichend von § 8 Abs. 1 AuslG eine gegenüber der Duldung verbesserte Rechtsposition in Gestalt der Aufenthaltsbefugnis zu gewähren (vgl. Urteil vom 4. Juni 1997 - BVerwG 1 C 9.95 - BVerwGE 105, 35 = Buchholz 402.240 § 28 AuslG Nr. 8; Beschluss vom 3. März 1998 - BVerwG 1 B 27.98 - Buchholz, a.a.O., Nr. 9).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes für das Revisionsverfahren wird auf 4 000 € festgesetzt (§ 13 Abs. 1 und § 14 GKG).
Ende der Entscheidung
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